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162 Am lautesten »nd heitersten war der Schloßherr geworden, d u Hellas gleichmäßiges Benehmen in die rosigste Laune versetzt knie. .Wie? Sie tragen die Veilchen nicht, die meine Tochter so redlich mit Ihnen theilt, lieber Direktor?" rief er scherzend. „Tas kleine Fiekchen Kastemann hat nämlich Seiner Durchlaucht gegenüber geplaudert." Siegfried lächelte. „Tie Veilchen erfüllen mein Zimmer mit ihrem schönen Frühlingsdufte, aber ich wußte nicht, daß ich die Baronesse beraubte." , ich habe genug Veilchen bekommen," beeilte sich Zella zu versichern, während Strehlen mit scherzhaftem Tadel bemerkte, das; der Direktor sein Knopfloch zu Ehren des Tages wohl hätte mit Blumen verzieren können. „Tas ist wahr," bemerkte der Fürst. „Wenn Sie eine Dame wären, hätte man Ihnen heute sicher Riesen- boukctts zu Füßen gelegt. Unsere schöne Schloßherrin wird das Versäumniß gut machen und Sie wenigstens jetzt mit dieser Blüthe schmücken." Dabei zog Fürst Altmark aus einem reizenden Blumen körbchen, das aus dem Tische stand, eine frische Rosenknospe niil einem kleinen grünen Myrtenzweig. Ein wenig zögernd nahm Zella Rose und Myrte und reichte beides dem Direktor, der niit mehr Ernst dankte, als es der Augenblick gerade erforderte. „Mein Himmel, Durchlaucht, warum haben Sie die bedeut«: gsvollc Myrte gewühlt?" fragte Baron Strehlen lustig. „Weil sowohl meine Frau wie ich unseren Herrn Forst direktor gern recht bald als Bräutigam sehen möchten," entgegnete der Fürst herzlich. „Doch von diesen Plänen darf ich vor derhand noch nichts vcrrathcn. Sie haben mir ja noch nicht einmal die Zusage gegeben, ob Sie meinen Vorschlag annchmcn und zu mir kommen wollen, Herr Direktor." Eine tiefe Stille trat ein; alle Mienen waren ernst geworden, denn die Antwort aus die Worte, welche Fürst Altmark an Rolf Siegfried richtete, war zugleich die Antwort auf manche stumme Frage, die in der Seele jedes einzelnen austauchtc. Strehlen wußte, wie gern Baron Rotheim dem intelligenten, thatkrajtigcn Mann eine Stellung in Rotheim angcboten hatte. Er wußte, welche Sorge dem Baron die Bewirth- jchaflung seiner ausgedehnten Forsten machte, besonders da die finanziellen Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, sich recht drohend gestalten mußten, wenn keine energische Hand die Administration leitete. Und noch ein zweiter Gedanke war in Herrn von Strehlen lebendig geworden. Siegfried hatte mehr als einmal geäußert, wie sehr er die Unabhängigkeit, die Selbstständigkeit liebte. Wie, wenn er im Stande wäre, das kleine Strchlenhorst für sich zu kaufen? Der Direktor mußte ja Vermögen besitzen. Außer seinen, sehr ansehnlichen Ge halte bezog er, wie Strehlen wußte, auch einen Antheil an dem jeweiligen Geschäftsgewinne. Siegfried war ledig, er konnte nicht die Hälfte seines Einkommens verbraucht haben, uni so mehr, da er nicht eine der noblen Passionen besaß, die schon manches Rittergut verzehrt haben. Wenn Siegfried das An erbieten des Fürsten nicht annahm, dann ließe sich vielleicht über das Projekt reden. Ach, wie gut wäre Strehlenhorst in den Händen Siegfrieds aufgehoben. Tas war so ungefähr der Gedankengang Strehlens, während Baron Rotheim vielleicht zum zehnten Male bei sich die Möglichkeit erwog, Siegfried doch eine Stellung auf Rot heim zu biet n, ,«üs er Aumarks Anträge ausjchlüge. —.uu er doch „Ja" jagte," flehte Tante Lona in ihrem Herzen, „da,ml er eine neue Schranke zwischen sich nnd ihr anfrichte; sie kann nimmermehr die Frau eines Unter gebenen des Fürsten Altmark werden." Diesen letzten Gedanken dachte aber auch Zella, für welche diese Minute eine unsäg liche Qual war. „Er zieht eine neue Schranke zwischen sich und mir, wenn er „Ja" sagt." Eine Minute zögerte Siegfried mit der Antwort, die er sich doch schon so oft und reiflich überlegt hatte. Auf Zellas Kleid war ein Marienkäferchcn gekrochen, früh geweckt von dem warmen Sonnenschein und das hielt nun das schöne Mädchen auf den schlanken ausgcstreckten Fingern und betrachtete es so aufmerksam, als wäre ihr noch nie solch ein braunes Würmchen begegnet. Ein tiefer Seufzer hob die breite Brust Siegfrieds nnd stolz und wchmüthig zugleich schaute er an Zella vorüber auf den Gartenweg hinaus. Und doch sah er sie; er sah die ausgestreckte weiße Hand, an der ein kost barer Diamant sprühte, die Hand, die sich noch in keiner ernsten Arbeit geübt hatte; er sah das flimmernde Haar nm den stolzen Racken spielen, der sich nicht beugen konnte; er sah das holdselige Gesicht, dessen weiche, süße Lippen so harte Worte zn sprechen vermochten; er sah die ganze reizende Gestalt niit Blumen und Spitzen geschmückt, eine Prinzessin, die niemals die still waltende Hausfrau in dem einfachen Heim eines schlichten Bürgers zu, sein vermag, ob auch die schöne« Augen sich jetzt noch so flehend hoben, ob auch noch so verheißend ein bittendes ängstliches Lächeln um den Mund spielte. Rolf Siegfried reichte seine Rechte dem Fürsten und jagte stark nnd fest: „Ich nehme Ihr Anerbieten an, Durch laucht und bin sogar in der Lage, meine Stellung bei Ihnen anzutrctcu, sobald meine Gesundheit vollkommen gekräftigt ist! Der jüngste Sohu deS Hauses Sonndorf kann jetzt meinen Platz auSfüllcn. Herrn Franz Sonndvrs waren Ihre Aner bietungen, Durchlaucht, bereits bekannt; er sprach mit mir darüber nnd ich konnte nicht leugnen, daß ich den Wunsch hegte, meine bisherige Stelle aufzugeben. Daraufhin erbot sich Herr Sonndorf selbst, meinen Kotrakt mit der Firma zu lösen, sodaß ich heute ein vollkommen srcier Mann bin!" Run waren alle Fragen beantwortet. In freudigster Herzlichkeit schüttelte der Fürst die Hand des Direktors. „Ich danke Ihnen, lieber Siegfried; ich danke Ihnen recht herzlich, daß Sic zu mir kommen, daß Sie meinen Wunsch erfüllen. Vom Diensteintritt :c. ist jetzt natürlich noch keine Rede: zuerst nehme ich Sic nur mit, damit sie sich in Altmark bei uns recht erholen. Gralulircn Sie mir, meine meine Damen nnd Herren: sc!>en Sic, Frau von Balten, ich wußte cs wohl, daß ich heute Glück haben würde!" Tie warme, so herzlich geäußerte Freude des Fürsten gewährte den übrigen Anwesenden Zeit, ihre mehr oder minder erkennbare Bewegung zu verbergen. Tante Lona allerdings athmete lief; sie war die erste, welche in wohlwollendster Güie ihre Freude an der getroffenen Nebereinkunft aussprach; ihr schlossen sich Rothcim und Strehlen an. Rur Zella sagte nichts, nicht ein Wort. „Was geht die junge, stolze Dame auch solch eine Gefchäjlsangelcgcnheit an! Wir langweilen sie nur," dachte der Fürst, als er bemerkte, daß Zella sich mit einem Ausdruck von Kälte in den schönen Zügen in ihren Sessel zurücklegte und die dunkclgoldenen Wimpern sich tief auf die Wangen legten. „Und um den heutigen Tag würdig zu feiern, wollen wir Rachmittags eine Waldpartic machen!" rief'der Fürst froh- müthig, nachdem die Glückwünsche verklungen waren. „Wir beabsichtigen, Sie, Herr Direktor, zu entführen." „Zu entführen?" wiederholte Siegfried lächelnd. „Und wohin soll die Reise gehen?" 163 „Tas pflegt man im allgemeinen den Leuten, die entführt werden, nicht zu sagen," scherzte der Fürst. „Genug, halten Sie sich nach dem Tiner bereit; dann schwingt eine holde Fee den Zanberstab; eine Wolke breitet sich anstatt eines anderen bequemen Fahrzeuges aus, und wenige Augenblicke später sind Sic im Lande der Glückseligkeit." „Ach, könnte ich dort hinkommen," summte Herr v. Strehlen mit so komischer Betonung, daß Alle herzlich lachten. „Gewiß, lieber Strehlen, wir nehmen Sie mit", versetzte der Fürst. „Und ich gebe unaufgefordert das Versprechen, dafür Sorge zu tiagen, daß wir recht früh speisen, damit zu der beabsichtigten Entführung genügend Zeit bleibt," bemerkte Tante Lona, indem sie aufstand. Von Zella begleitet, verlies; Frau v. Balten den Pavillon. Sie begab sich in das Schloß hinauf, die Baronesse jedoch blieb im Garten zurück. In tiefen Gedanken schritt Zella die Gartenwege entlang; endlich lies; sie sich seufzend auf eine Bank nieder, die von Goldregen und Syringen umgeben ein trauliches Plätzchen bot. Dem jungen Mädchen that die Frühlingspracht nm sie her, all das Leuchten und Funkeln, das sonnige Blüthen fast weh, ihr war so grenzenlos bang zu Muthe. Wie gern wäre sic schon längst aus dem Pavillon geeilt, die Minuten waren ihr zur Ewigkeit geworden. Er hatte „Ja" gesagt, nnd er ging fort auf Rimmerwiedersehen. Gottlob, daß sie jetzt allein sein konnte, sie wäre erstickt in ihrem Zimmer. Hier sah ja Niemand, wie fest sich die Hände an die klopfende Brust preßten. „Wollten Sie allein sein, gnädiges Fräulein?" fragte plötzlich eine volle, wohlbekannte Stimme dicht in ihrer Nähe. Zella richtete sich erschreckt auf. „Sie sind hier, Herr Direktor? Ich dachte, dieser einsame Winkel sei für Unein geweihte unausfi.,dbar." Sie schwieg, der Scherz mißlang gar zu kläglich. „Ich habe Sie gesucht, Baronesse, darum mußte ich d cseu hübschen Platz wohl finden; doch Sie haben meine Frage nicht beantwortet, ob sie allein sein wollten. Ich bin überzeugt, daß in diesem Schweigen ein „Ja" liegt, muß ich Sie aber trotzdem bitten, mir zu gestatten, Sie einige Minuten zu stören." Zella schien nur das erste Wort gehört zu haben: „Ich habe Sie gesucht." Was wollte er nur von ihr, jetzt, da er ja doch fortging? „Ich bitte, wollen Sie sich nicht setzen?" sragte sie zaghaft. „Sic waren krank —" „Ich danke, Baronesse, ich bin Gott sei Tank genesen, vvlllommen genesen. . Sic erlauben mir also, hier zu bleiben. Zella neigte zustimmend das Haupt; zu sprechen vermochte sic nicht. Einige Sekunden stand der ernste Mann schweigend, dann begann er: „Werden Sie mich nicht für den undank barsten Mann auf Gottes Erdboden halten, Baronesse daß ich Ihnen bis jetzt noch nicht ein Wort des Tankes sagte?" „DeS Tankes?" wiederholte Zella fragend. „Ja, des Tankes! Sie haben mir das Leben gerettet; ohne Sie stände ich nicht hier, könnte ich mich nicht mehr au all' der Frühlingspracht erfreuen, könnte nichts Nützliches mehr schaffen. Tas Alles verdanke ich Ihnen, Baronesse, und ich habe Wochen verstreichen lassen, ohne Ihnen dies auszusprechen." „Sie sagten einst selbst, Herr Direktor, daß die Erfüllung einer einfachen Pflicht uns nicht berechtigte, Dank zu fordern; ich that auch nur meine Pflicht!" „Gewiß, als Sie in meinem Zimmer waren, obgleich den Muth und die Beherrschung die Sie bewiesen, nicht eben jeder besessen haben dürfte; aber daß Sie zu den, einsamen Kranken kamen als niilde Samariterin, das war nicht Ihre Pflicht, und dafür, daß Ihre Gegenwart so Schreckliches verhütet hat, dafür möchte ich Ihnen danken." „Auch meine Anwesenheit war damals nur Pflicht." Wie tonlos bebte ihre Stimme! Fester kreuzten sich seine beiden Arme über die Brust, als müßten sic einen Schild bilden, nm dieser weichen, bebenden Mädchenstimme nicht Ein gang in das laut schlagende Herz zu gewähren. „Nein, Baronesse, das war nicht Ihre Pflicht, aber wenn Sie es als solche ansehen, so danke ich Ihnen ebenfalls dafür. Gewiß, die reine Pflichterfüllung berechtigt nicht, Dank zu fordern; derjenige jedoch, der die Wohlthat derselbe» genießt, ist dann aber vielleicht doppelt verbunden, dankbar zu sein. Daß ich Ihnen nicht früher schon aussprach, wie ich mich in Ihrer Schuld fühle, das müssen Sie mir verzeihen; ich ver mochte cs nicht. Ich war meiner selbst nicht sicher. Leicht hätte ich in der Erregung des Augenblicks ein Wort gesagt, zu dem ich nicht berechtigt war, ein Wort, das Sic vielleicht verletzt hätte, und das wollte ich nicht!" Zella senkte das Haupt noch tiefer. „Ich habe immer gefunden, daß Sie ei» Meister in der Kunst der Selbstbeherrschung sind. Und ein Wort, das mich verletzt hätte? Was weiter? Es wäre nur die gerechte Ver geltung gewesen." „Zella!" rief Siegfried mit ernstem Vorwurf, aber sie sah nicht auf. „Ich kann mich wohl beherrschen," fuhr Rolf fort, „aber ich stehe nicht auf jener Stufe der Vollkommenheit, daß nicht in irgend einem Moment mein Gefühl zum starken Aus bruch kommen könnte. Sie zu verletzen, würde mir immer sehr leid thun, und vergelten, Baronesse? Richt wahr, dieses Wort war nicht recht überlegt? Ich gehöre zwar nicht zu de» Anhängern jener Ritterlichkeit, die eine Frau für keine Beleidigung verantwortlich machen, aus dem einfachen Grunde, weil cs eben eine Frau ist. Meiner Ansicht nach stellt solch eine Ritterlichkeit die Frauen sehr tief. Aber halten Sic mich in Wahrheit für fähig, eine mir zugefügtc B ieidigung wieder mit einer Beleidigung zu vergelten?" „Nein." „Ich wußte cs wohl. Run also, lassen Sie mich Ihnen heute versichern, daß ich niemals vergessen werde, daß aus Schloß Rothcim meine Lebensretterin lebt. Nehmen Sic mein Wort, daß, wo ich auch sein möge, es nur eines Winkes von Ihnen bedarf, nm mich hcrbeizurufcn, wenn Sie jemals der Hilfe und des Beistandes bedürfen." „O, schweigen Sic, Herr Direktor," ries Zella in leiden schaftlicher Erregung, „mir sind ja guilt, denn auch Sie haben mein Leben gerettet, und zum Lohne dafür habe ich Sie ge haßt nnd verfolgt und gekränkt! Wenn Sie mir für den glücklichen Zufall, der mich in jener entsetzlichen Nacht einen Mord verhindern ließ, wirtlich Tank zn schulden glauben, o, so verzeihen Sie mir, daß ich Sie namenlos verkannt habe." Zella stand jetzt vor Siegfried, so dicht vor ihm, daß er fast meinte, den Hauch ihres Athems zu empfinden. Sanft ergriff er ihre beiden Hände. „Seien Sie ruhig, Baronesse," bat er und führte sic auf ihren Sitz zurück, „ich habe Ihnen nichts zu verzeihen. Ich leugne nicht, das; mich Ihr Mißtrauen sehr kränkle; aber Sie sagen ja selbst, daß es ein solches war. Jetzt erkennen Sie mich hoffentlich besser, und darum wollen wir die alten Geschichten ruhen lassen und als Freunde scheiden, Baronesse Zella. Sie haben gehört, daß ich den Vorschlag des Fürsten annahm; wir reisen morgen mit dem frühesten. Wer weiß, ob uns je noch einmal das Leben mit seinen Wechselfällen