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146 Ter Direktor verbeugte sich leicht. »Ich freue mich der Sendung der Tinge so sehr," sagte er, das Verletzende in Hellas Ton vollständig ignorirend, »daß ich sehr gern bereit l>in, sofort meine berechtigten Ansprüche auf die Arbeitskrast Valentins aufzugeben." Zella biß sich auf die Lippen. Mußte dieser Mann mmer zu einer beschämenden Zuchtwcisung für sie das letzte Wort haben ? »Mein Vater wird selbstverständlich nicht anstehen, jede Entschädigung —" begann sie. Siegfried hob die Hand. »Ich bitte, Baronesse, dergleichen, nicht zu erwähnen," sagte er und wandte sich zu Valentin, der stumm, aber mit gespanntester Aufmerksamkeit der Rede und Gegenrede gefolgt war. »Wenn die Wohnung, welche Sie in Niederrotheim be ziehen sollen, bereits in Stand gesetzt ist und Sie mit Ihren Vorbereitungen fertig sind," sagte der Direktor freundlich zu dem Alten, »dann habe ich nichts dagegen, daß Sie noch heute oder morgen den Wünschen des Herrn Barons nach kommen. Schließen Sie nur das Häuschen ab und nehmen Cie den Schlüssel mit. Paul wird denselben bei Ihnen holen." »Verzeihung, Herr Direktor," entgegnete der Greis leb haft, »ich denke, ich habe bei dieser Angelegenheit auch ein Wort niitzusprechen. Wie sehr es mich rührt und erfreut, daß die gnädige Baronesse sich selbst zu mir armen, alten Mann bemüht, und mir für die letzten Tage meines Lebens ein be hagliches Heim bereiten will, das auszusprechen bin ich nicht im Stande. Aber annchnien kann ich das Anerbieten jetzt nicht, ich habe cs dem gnädigen Fräulein bereits gesagt. So lange Sie hier bleiben, Herr Direktor, so lange bleibe ich auch hier als Wächter und Auspasser der Sagemühle, wenn Sie »vollen. Lassen Sie mich Ihnen doch ein wenig dankbar sein." Und sich zur Baronesse wendend, fuhr er fort: »Wenn aber der Herr Direktor Siegfried weg sein wird," — und die Stimme Valentins zitterte, während Della die kleine Hand fest auf die offene Bibel stützte. »Gott weiß, ob einem Ihrer Freunde in der Stadt so bange nach Ihnen ist, wie es dem alten Valentin sein wird. Und wenn ich nicht mehr arbeiten kann, dann will ich den Herrn Baron und das gnädige Fräulein bitten, mir das zu gewähren, was ich heute noch ausschlagen muß: ein Obdach und einen Unterhalt für meine letzten Tage. Ich will an keinem anderen Orte als in Rotheim sterben. Sie zürnen mir doch nicht, gnädige Baronesse?" fragte der Greis nach einer langen Pause. Della hatte den Blick gesenkt, denn während der Alte sprach, hatte sie die Worte des Apostels gelesen: »Tie Liebe ist duldsam, sie suchet nicht das Ihrige, sie erbittert sich nicht; sie freut sich der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie übersieht alles. Die Liebe höret nimmer aus!" Jetzt hoben sich die gesenkten Lider, und sie reichte dem alten Manne ihre Hand, welche dieser mit der Linken um faßte. »Sie haben recht," jagte sie mit ernstem Lächeln, »bleiben Sie hier, so lange Sie sich dazu verpflichtet halten, und dann kommen Sie und fordern Sie das, was ich Ihnen heute angebotcn habe. Weder mein Vater noch ich pflegen ohne zwingende Gründe unsere Gesinnungen zu ändern. Ich will, während Sie hier bleiben, recht ost nach Ihnen sehen." Ehe der alte Mann, von den auf ihn einstürmcndcn Ge fühlen überwältigt, etwas zu antworten vermochte, setzte Della ihr Hütchen auf. Mit freundlichem Gruße gegen Valentin und einer etwas förmlichen Verbeugung ^egen den Direktor schritt sie zur Thür, vor welcher eben der Diener mit dem Pferde hielt. Rasch trat Siegfried hinzu, um der jungen Dame beim Aufsteigen zu helfen. Eine Sekunde ruhte ihr kleiner Fuß in seiner Hand, ihre Gestalt in seinem Arm, und dabei verschwand wieder jener Sonnenstrahl, welcher vor einem Augenblick noch Deltas Antlitz so wundervoll belebt hatte. Ter Diener mußte noch einmal in das Häuschen zurück, um die Reitgerte zu holen, welche Della auf dem Tische liegen gelassen hatte, Siegfried reichte der schönen Reiterin die Zügel, dabei berührte ihre Hand die seinige, und nun. als Della ihm für seine Hilfe dankte, schaute sie auf und sah, wie Siegfrieds Auge das ihre suchte. „Sind Sie zufrieden mit mir, Herr Direktor?" jragte sie wie unwillkürlich, mit etwas herber Be tonung. „In, mehr, als ich Ihnen sagen kann, Baronesse Della," entgegnete Siegfried so warm und bcdeutfam, das Della ihm die Hand entzog, die er noch gefaßt hielt. Rasch griff Della nach der Reitgerte, welche der Diener ihr brachte; ein leises Anziehen der Zügel, und rasch trug das edle Roß seine stolze Herrin mit geflügelter Eile davon. Siegfried sah ihr nach, bis auch der letzte Schimmer ihres flatternden blauen Schleiers wie von Wolken zerfloß. II. „Valentin hat unser Anerbieten, für seinen Unterhalt zu sorgen, vorläufig ausgeschlagcn und will dasselbe erst an- nehmcn, wenn Direktor Siegfried fort ist. Diesem gegen über glaubt er nämlich noch Verpflichtungen zu haben." Tas war der lakonische Bericht, den Della über ihren Besuch in der Sägemühle erstattete. Der Baron war entrüstet, daß sein großherziges Anerbieten, wenn auch nur vorläufig, abgelehnt wurde. Doch äußerte er nichts gegen seine Tochter. Auch Tante Lona sagte nichts. Deltas Wesen wurde ihr von Tag zu Tag räthjelhaster. Es kam vor, freilich nicht oft, daß Della liebenswürdig, heiter und gut gegen Tante Lona war; gewöhnlich kam dann aber sofort der Rückschlag, sie wurde ernst, kühl, zurückhaltend und war von einer wahr haft unerträglichen Empfindlichkeit. Was hätte Tante Lona, was hätte der Baron Rothcim wohl gesagt, hätten sie ahnen können, wie es in der Seele ihres Lieblings aussah! Bei der Mittagstafel des zweitfolgenden Tages, als Della den» Direktor gegenüber saß, wagte sic kaum zu sprechen, um nichts von dem Aufruhr ihrer Seele zu verrathen. Mit Scham und Rene dachte sie an den Auftrag, den sie Louis gegeben hatte. So oft die Thür aufging, wandte sie besorgt den Blick dahin, erwartend, der Diener werde seine Rückkehr melden. Sie kam sich selbst verächtlich vor, daß sie trotz des feindseligen Schrittes, den sie gegen Siegfried unternommen, sich während der Zeit doch hatte hinreißen lassen, ihm ihre Achtung und Theilnahme zu zeigen. Las er sie nicht in ihrem Auge, schon unter den flammenden Kerzen des Weihnachtsbaumes und dann bei dem Zusammentreffen im Häuschen bei der Sägemühle? Alle diese Gedanken und Selbftvorwürfe machten Della momentan nicht etwa unsicher in ihrem Verhalten gegen dm Direktor, aber verschlossener und eisiger, als je. Siegfried dagegen schien die augenblickliche Wandlung in ihrem Betragen kaum zu bemerke.!». Er war iu frohester Stimmung, plauderte uud erzählte so anregend und geistvoll daß Herr von Strehlen, welcher während der Weihnachts feiertage Gast auf Schloß Rotheim war,-auf das lebhafteste jein Vergnügen an der Unterhaltung bezeugte. Später erst hob Tante Lona die Tafel auf und die Herren zogen sich in das sogenantne Rauchzimmer zurück. Della hatte sich in ihr Boudoir begeben, um ungestört ihren Gedanken nachhängen zu können. Die Zukunft lag jo dunkel vor ihr. Sie hatte absolut keine Vorstellung davon, 147 was dann wohl geschehen solle, wenn Direktor Siegfried dem Mädchen gegenüberstand, das er einst geliebt hatte, Magda lena Büchner. Vielleicht kam sie nicht, vielleicht hoffte sie keinen Erfolg von ihrer Gegenwart. Della schloß die Augen, ihr Kopf schmerzte so sehr von dem Denken. Ach, hätte sie doch Louis nicht angehört, hätte sie diesen Auftrag nicht gegeben, oder wenn wenigstens Magdalena nicht käme! Aber diese Wünsche waren eitel, denn eben trat nach leisem Klopsen Louis ein und meldete unterthänigst, daß Fräulein Magdalena Büchner mit ihm angekommen sei und ergebenst onfragcn lasse, wann das gnädige Fräulein sie empfangen welle. Della würdigte den Diener, dessen Ver worfenheit ihr gelegentlich der Erzählung des Direktors von dem Schmuckdiebstahl e»st bekannt geworden war, nicht eines Blickes. „Ich habe Befehl gegeben, daß man der Dame die Gastzimmer im Parterre liuls ordne. Ist das geschehen?" fragte sic kurz. „Zu Beseht, gnädigste Baronesse!" entgegnete Louis unteuvuifig, aber venvundert über den frostigen Empfang. „Milla ning bei der-Dame anfragen, ob cs ihr gefällig sei, mich schon jetzt zu besuchen. Wenn cs der Fall ist, soll sie das Fräulein in meinen Salon führen. Wünscht die Dame erst auszurnhen, so lasse ich sie bitten, mir die Stunde anzugeben, wann sie mir das Vergnügen ihres Besuches machen will. Haben Sie gehört?" Eine Handbcmegung uud Louis entfernte sich, fast ein wenig verwirrt und bestürzt. Du lieber Himmel! Welcher Aufwand von Höflichkeit wegen dieses Mädchens! Er begriff die Baronesse nicht. Ihn behandelte sie mit hochmüthiger Verachtung, während die Dame nm das Vergnügen ihres Besuches gebeten werden sollte. Louis hatte Mühe genug gehabt, Magdalena Büchner zu überreden, mit ihm nach Notheim zu kommen, und nur durch ein geschicktes Lügengewebe gelang »s ihm, sie zu bewegen, am dritten Weihnachtsfeiertage die Fahrt zu unternehmen. Er habe Magdalena erzählt, daß Della eine tiefe Leiden schaft für Baron Salberg habe, ungeachtet ihrer Erkennlniß des zweideutigen Charakters dieses Mannes. Nun habe er — Louis — aus aufrichtigster Theilname für seine Herrin die Baronesse geschworen, Magdalena Büchner zu sich kommen zu lassen, um durch deren Erzählung ihrer traurigen Schick sale, vielleicht die Kraft zu gewinnen, diese Neigung zu bekämpfen, welche die Baronesse unglücklich machen mnßte. Es war ja Christenpflicht, ihr die Augen über den Charakter Solbergs zu offnen. Ferner erzählte Louis der armen Magdalena, daß Salberg gegenwärtig im Schlosse nicht anwesend sei, sie also nichl Gefahr laufe, dem ihr verhaßten Manne zu begegnen. Endlich bat er sie dringend, im Gespräche mit Della den Namen des Barons Salberg ja nicht zu nennen, da die Baronesse mit ihrem leicht verletzten Stolze eine gänzliche Unbekanntheit mit dem Manne, von dem Magdalena erzählen würde, zu zeigen beabsichtigte. Bei der Anwesenheit des Direktors Siegfried aus Schloß Rvtheim erwähnte Louis wohlweislich nichts, und das Schreiben Deltas an Magdalena, in dem sie das Fräulein ersucht hatte, im Falle sjx mit Siegsried einst in näherer Verdingung gestanden, ihre Einladung anzunchmcn, um durch Erzählung ihrer Schick te ihr, der Baronesse, einen wichtigen Dienst zu leisten, hatte Loütz durch einen ihm zweckmäßiger scheinenden Brief ersetzt, der an Stelle des Namens Siegfried den Salbergs enthielt. Daß Della vermeiden würde, Siegfrieds Namen direkt zu nen nen, dessen glaubte Louis sicher jein zu können. So war alles vorbereitet, und Louis konnte getrost Milla den Auftrag geben, die Dame zu Baronesse Della zu führen. Mit der lebhaftesten Unruhe sah diese dem Besuche der Fremden entgegen, und ihr Herz schlug hörbar, als Milka eine schlanke, dunkelgekleidete Dame hineingeleitete, deren blasses Gesicht die Spuren einstiger Schönheit trug. Die Augen der Fremden lagen glanzlos und starr in ihren Höhlen. „Seien Sie mir willkommen, Fräulein Büchner," sagte Della, die ihre ganze Selbstbeherrschung zusammennahm, mit gewinnender Freundlichkeit und bot Magdalena die Hand. Die Blinde ergriff sie lebhaft. „Sie sind die Baronesse von Rotheim, der ich die Geschichte einer Unglücklichen erzählen soll, damit —?" Magdalena brach ab, sie erinnerte sich, daß noch eine Dienerin anwesend sei. „Ich werde Dich rufen Milka, wenn ich Deiner bedarf," sagte Della zu dem Kammermädchen und führte Fräulein Büchner selbst zu dem Sofa. „Vor allem lassen Sie mir Ihnen danken," sagte sie, „daß Sie die Güte hatten, die Bitte einer Unbekannten zu erfüllen und die, wenn auch nicht lange, so doch im Winter immerhin unangenehme Fahrt nach Rotheim zu machen. Glauben Sie mir, ich fühle mich Ihnen durch Ihre Bereitwilligkeit leb haft verpflichtet. Durch verschiedene, in eigenthümlichster Weise zusammentreffende Umstände kam ich dazu, an Ihren Lebens schicksalen, so wenig mir auch davon bekannt ist, den lebhaf testen Antheil zu nehmen. Die Gewißheit, die Sie mir durch eine ausführliche Erzählung zu gebe» vermögen, die sich aber streng auf das Thatsächlichstc beschränke» muß, ist für mich von höchster Wichtigkeit, Sie haben meinen Brief erhalten?" „Ja, gnädiges Fräulein, die Mutter las ihn mir vor. Der Mann, den Sie in Ihrem Briefe nennen, ist mein Verderben geworden. Sie sollen sehr schön sein, gnädiges Fräulein, Sie sind gewiß auch gut und besitzen irdische Güter, aber alles das würde den Mann, der mich so elend gemacht hat, nicht hindern, auch Sie allein zu lassen, wenn Neues, Fremdes, Verbotenes ihn reizt. Die edelsten Charaktereigen schaften glaubte ich an ihm zu finden, männlich klang jedes seiner Worte, und Sie, gnädige Baronesse, werden wohl dasselbe gefunden haben, und doch — doch war das bestrickende Acußere nur die vergoldete Schale einer tauben Nuß!" Della griff mit der Hand nach dem Herzen, sie fühlte, wie cs sich mit herbem Schmerz zusammenzog. Also doch! Ach wie hatte sie gehofft, daß die Blinde ihr sagen würde: „Ich kenne Rolf Siegfried nicht, den Sie in Ihrem Briefe genannt haben, oder: ich kenne ihn, aber er steht mir fern!" Und nun vernahm Della aus dem Munde der Unglücklichen selbst, daß der Mann, der ihr stets wie die verkörperte Wahrheit erschien, eine krasse Lüge war. Magdalena log nicht! Das blasse, von Leiden durchfurchte Gesicht, d-e lichten Augen, die müde Stimme, das waren Zeugen für die Wahr heit des Entsetzlichen. Magdalenas scharfes Ohr halte Dellas schmerzhaften Ausruf wohl vernommen. „Soll ich weiter sprechen?" fragte sie. „Ja, ja, erzählen Sie," rief Della gefaßter, „es ist gut, wenn niir nicht der leiseste Zweifel bleibt. Wo lernten Sie jene»» Mann kennen?" „In dein Schlöffe des Grafen Falkenau, wo ich als Erzieherin einer Enkelin des alten Grafen lebte. Ich hatte dort vorher die Werbung eines der oberen Wirthschoftsbeamteu des Grafen angenommen, den» ich hatte diesen Mann lieb, obgleich dieser Liebe ein wenig Furcht vor der geraden, her ben Rechtlichkeit meines Verlobten beigemischt war. Da kam der andere! Ich war jung, leichten Sinnes und schön gnädiges Fräulein. Heute, mit meinem gefurchten Gesicht