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142 143 Sprache sie erschütterte und wie sie ihn beneidete um — um seine glückliche Kindheit. Sic legte die Hrnd an ihre heiße Stirn. „Sind Sie nicht wohl, Baronesse?" fragte der Direktor halblaut und beugte sich so tief zu ihr nieder, daß sein Athem ihr Antlitz streifte. .Es ist sehr warm hier," entgegnete Della. .Ich denke, Tante Lona wird mir nicht zürnen, wenn ich mich nun ent ferne. Sie scheint die Kinder zu versammeln, um eine Ansprache an sie zu halten. Schade, solche gute Lehren hätte ich früher hören sollen; jetzt kommen sie bei mir zu spät. Wir sehen Sie doch noch beim Souper, Herr Direktor?" .Der Herr Baron war so freundlich, mich für den Abend einzuladen," entgegnete Siegfried. .Aber vorher darf ich Sie vielleicht bitten, mir eine kurze Unterredung zu gestatten. Ich versprach, nach meiner Rückkehr Ihnen die Geschichte des Märchenschatzes zu erzählen." .Tas klingt ja ganz feierlich," entgegnete Della verwundert. . Ich erwarte sie also in einer halben Stunde in meinem Salon." * * * Zum zweiten Mal seit seiner Anwesenheit auf Schloß Rotheim befand sich Siegfried in dem Salon Deltas. Auf dem Tisch stand eine prächtig gearbeitete Kassette von Eben holz mit Beschlägen von Gold, der Deckel zeigte das Wappen Gabrielens von Rotheim. Der Direktor hatte das Kunstwerk gebracht und war eben im Begriff, den kleinen Goldschlüssel in das Schloß der Kassette zu stecken, als Della eintrat. Mit einem Ausruf der Ueberraschung erblickte sie die Kassette. .Wenn sich Ihr Märchenschatz in diesem Behältniß befindet, so mache ich Ihren Berggeistern mein Kompliment. Wenig stens sind ihre Arbeiten nicht allzusehr hinter der Zeit zurück geblieben." »Die Kassette ist allerdings im Renaissancegeschmack ausgesührt, und ich freue mich, daß sie Ihnen gefällt. Welchen Antheil die Berggeister an der Arbeit haben, darüber bitte ich aber doch erst zu urtheilen, nachdem Sie gesehen haben, was die Kassette enthält." Damit schlug Siegfried den Deckel zurück, und auf blauem Sammtgrunde glitzerte es von Gold und edlem Gestein. Verwirrt sah Della bald auf den Schmuck, bald auf Siegfried. .Mein Gott, träume ich denn? Das ist ja der Schmuck, den man uns" — sie hielt stockend inne. .Gewiß, Baronefse, den man Ihnen vor einem Jahre entwendete. Ein Zufall brachte mich auf die Spur desselben, und wie Sie sehen, gelang es mir, ihn wiederzuerhalten. Möge er Ihnen eine kleine Weilnachtsfreude bereiten." .Wie kamen Sie zu dem Schmucke? Wer hatte ihn?" rief Della verwirrt. .Ich versprach ja, es Ihnen zu erzählen. Doch ehe ich spreche, gnädiges Fräulein, müffen Sie mir ihr Wort geben, daß von dem. was ich ihnen sage, außer Ihrem Vater und Frau von Balten Niemand etwas erfahren wird und weder die Personen, die bei dem Diebstahl des Schmuckes betheiligt waren, noch der Mann, der ihn verwahrte, zur Rechenschaft gezogen werden sollen." .Ich verspreche Ihnen alles, was Sie verlangen," sagte Della erregt und setzte sich, nachdem Sie noch einmal das Geschmeide überschaut hatte, und Rolf Siegfried begann zu sprechen. Zug für Zug zeichnete er das Leben des armen Mannes. Er erzählte von dem armen hinkenden Knaben, von dem Jünglinge, der unter Entbehrung und Sorge aller Art -um Manne reifte und nach einem langen Leben voll Mühsal zum Krüppcl wurde, von dem Greise, der voll Sehn sucht nach der geliebten Hnmath zurückkehrte, der sich in dem Dorfe sein Beod au den Thüren der Bauern erbettelte. Er erzählte mit seiner weichen, tiefen Stimme weiter von dem elenden Greise, der alle Anerbieten ausschlug, an einem anderen Orte vor Sorgen geschützt zu leben, weil eine heiße, innige Liebe in seinem armen, alten Herzen wohnt zu der theurcn Heimath, die das Grab seiner Mutter umschließt und in der er sterben will. Vor wenigen Wochen noch hätte Della sicher jedem, der es gewagt hätte, ihr ein Stück dunkler Geschichte ihres Hauses zu enthüllen, in hochmüthiger Entrüstung die Thür gewiesen. Wie kam es, daß sie heute nicht ein einziges Mal daran gedacht hatte, den Sprecher zu unterbrechen? Lag in Rolf Siegfrieds Stimine wohl jene Macht, die den Gedanken an ein unedles Motiv so weltenfern hielt?" Krampfhaft preßte sie die zarten Hände zusammen. Die Farbe kam und ging auf ihren Wangen, in heftiger Erregung stieß sie endlich hervor, als Siegfried schwieg: „Wer sagt Ihnen, daß der Mann Ihnen keine Fabel erzählt hat, daß er nicht bloß Ihr Mitleid erregen wollte^ Er ist arbeitsscheu, ihm gefällt das ungebundene Lebe»;" Siegfried erhob die Hand. „Der Mann hat die Wahr heit gesprochen, Baronesse, ich bi» übeizeugt davon, wie von meinem Leben, wenn er auch kein Dokument schwarz auf weiß vorzeigen kann. Sic erinnern sich vielleicht noch an den Zuf.ill, der mich den armen alten Valentin finden ließ, nachdem er durch den Baron Salberg mißhandelt worden war. Wenige Tage später erzählte Valentin mir sein Schick sal und sagte mir, daß er sich nach Arbeit sehne, nach solcher, die er verrichten könne," wandte Siegfried ein. „Sic verschafften ihm solche Arbeit?" fragte Della. „Ja," entgegnete der Direktor einfach. „Valentin schreibt gut und hat ein gewisses Maaß von Bildung. Er füllt seinen Platz als eine Art von Kontrolleur in der Sägemühle ganz gut aus." „Er ist also nicht mehr in der alten Waldhütte?" „Rein!" „Und Sie brachten den Mann an einen menschenwür digeren Aufenthaltsort?" „Ich sagte Ihnen ja, gnädige Baronesse, daß ich einen Kontrolleur brauchte," erwiderte Siegfried. „Diesmal folgte ich nur meinem Vortheil, nicht meiner Pflicht," setzte er mit leichtem Lächeln hinzu. „Ich erwarb mir eine brauchbare Arbeitskraft zu billigen Bedingungen." Della legte einen Moment die Hand über die Augen. „Und — und durch ihn kamen Sie in den Besitz des Schmuckes?" „Ja, durch ihn," antwortete der Direktor und erzählte mit möglichster Objektivität, auf welche Weise Valentin von dem beabsichtigten Diebstahl Salbergs und Louis' erfahren hatte und wie es ihm gelungen sei, sich selbst des Schmuckes zu bemächtigen. Della wurde leichenblaß bei diesen Mitthei- lungcn. und Siegfried beeilte sich, dem jungen Mädchen über den peinlichen Eindruck von Salbergs Verbrechen hinwegzuhelfen, indem er rasch auf die seltsamen Ideen des alten Valentin über das Eigentumsrecht zu sprechen kam und erzählte, wie der Alte doch eingewilligt habe, den Schmuck seiner Eigenthümerin zurückzustellen. Siegfried schilderte hierauf den Gang nach der Höhle und den Aufenthalt in derselben jo lebhaft, daß Della die unheimliche, düstere Scene vor sich zu sehen glaubte. „Sie erzählen Märchen," sagt.e Della halblaut. „Der alte Reisesack also, den Sie letzten Sonntag trugen und der meine Neugierde erregte, enthielt meinen Schmuck! Wir sind Ihnen großen Tank schuldig, Herr Direktor," fuhr sie fort und richtete ihre Augen voll und ganz auf Siegfried. „Unsere Schuld wächst mit jedem Tage. Ich wäre zufrieden, wenn uns das Schicksal Gelegenheit böte, diese Schuld zurück zuzahlen." Nur nm einer Verpflichtung ledig zu werden, nicht wahr?" fragte Siegfried gelassen. „Seien Sie ruhig, gnä diges Fräulein, cs ist nicht mein Verdienst, wenn ich zur „rechten Zeit" kam, sondern das des Zufalls." „Diese Bemerkungen verdiente ich jetzt nicht, Herr Direktor," sagte Della mit bitterem Vorwurf. Er sah sie an. „Dann bitte ich um Verzeihung. Wenn Sie sich in der That gedrängt fühlen, zu beweisen, daß Sie dankbar sind, so denken Sie an den alten Valentin; er hat diese Kleinodien gerettet und für Sie bewahrt." Ter Direktor stand auf und auch Della erhob sich. „Einer erkannten Wahrheit widerstreben, gilt mit Recht als eine schwere Sünde," sagte sie herb. „Ich werde mich ihrer nicht schuldig machen, seien Sie dessen sicher. Diese prachtvolle Kassette aber, die statt der wahrscheinlich verdorbenen alten den Schmuck birgt, diese ist ein Geschenk von Ihnen, Herr Direktor, ein Geschenk, das ich nicht annehmen kann, noch darf. Siegfried lächelte. „Ein Geschenk, Baronesse? Nein, sie ist nur ein Andenken an die Zeit, in der Ihr Schmuck von den Geistern der Berge behütet wurde. Mir aber gestatten Sie, daß ich die abgenutzte Kassette, die einst die Jubelen barg, behalte als Erinnerung an — nun, an den heutigen Weihnachts abend." „Wolle Sie mir nicht erlauben, Ihnen ein anderes, besseres Erinnerungszeigen an Ihren Aufenthalt in Rotheim zu geben?" fragte Della rasch, und als wollte sie keiner Ueberlegung mehr Rauni geben, nahm sie das kleine Aquarell bild von der Wand. „Hier, Herr Direktor," fuhr Della fort, „nehmen Sie dieses Bild, das ich gemalt habe, als Weihnachtsgabe von einem Mädchen, dem Sie nicht nur das Leben gerettet, sondern das Sie vor einem Unheil bewahrt haben, das furchtbarer als der Tod ist." Siegfried sah wie zweifelnd das erregte Mädchen an, das ihin ihre Hand entgegenstreckte, dann aber beugte er sein stolzes Haupt über die Keine Hand. „Ich danke Ihn n, Della," fügte er leise mit warmem, belebenden Herzenston hinzu und küßte die Hand, die wie eine Schneeflocke jo kühl in der seinen lag. Da tönte die Glocke, die zur Festtafel des Weihnachtsabends im Schlöffe Rot heim ries. 10. Vorüber war der Weihnachtsabend, und auch die weiche Stimmung, die das Fräulein von Rotheim beherrscht hatte. Als Della am nächsten Morgen erwachte, da zürnte sie auf sich selbst und ihre Schwäche. Wie konnte sie nur von dem selben Alaune, den sie im Begriffe war, eines moralischen Vergehens zu überführen, ein so kostbares Geschenk wie die Kassette annehmen! War sie denn gestern im Banne eines Zaubers gewesen, daß sie gesprochen und gehandelt hatte, wie sie es gethan halte? Wo war ihr Stolz, ihr Haß gegen den „Eindringling" geblieben? Wie durfte sie das Geschenk Sieg frieds mit dem von ihr gemalten Bilde der Königstanne er widern, in die er seinen Namen geschnitten, wohl bald, nach dem er sie, das unvorsichtige halbwüchsige Mädchen, den Wellen entrissen hatte! Und dieses Bild hing jetzt wohl in seinem Zimmer, und er stand davor und dachte — woran und an wen? Eilig war Della ausgestanden, sie wollte sich an nichts mehr erinnern, vor allem aber wollte sie ihm nicht mehr be gegnen, an den sie nicht denken konnte, ohne ein quälendes Gefühl der Beschämung zu empfinden. Beim Frühstück theilte Della ihrem Vater und der Tante in den Grundzügen alles mit, was Direktor Siegfried ihr tags vorher erzählt hatte. Der Baron war sprachlos vor Ueberraschung über das Wieder- anffindrn des Schmuckes, und sprachlos vor Zorn, als er die Namen der Diebe erfuhr. Selbst der Tante Lona war das Gehörte unglaublich, unfaßlich. Sie war zur Zeit des Dieb stahls auf Schloß Rotheim gewesen und erinnerte sich noch lebhaft der verschiedenen Umstände. Da ergab sich allerdings, daß jede Einzelheit in dem Betragen Salbergs und Louis mit den Berichten des alten Valentin übereinstimmte. Der beste Beweis für die Wahrheit seiner Aussagen blieb der Schmuck, der sich wieder in den Händen der Eigenthümerin befand. Eine andere, auch nur Halbwegs wahrscheinliche Erkürung, wie der Alte zu dem Schmucke gekommen sein konnte, war ja absolut nicht zu finden. Nach den ersten Ausrufen des Staunens und vor allem der Entrüstung, warf der Baron aber die Frage auf, wie man sich in Zukunft Salbcrg gegenüber werde zu verhalten haben. Die Diebe zur Verantwortung zu ziehen, das ging nicht, weil Della ihr Wort gegeben hatte, von der Entdeckung des Dieb stahls gegen Jedermann, mit Ausnahme ihrer nächsten Ange hörigen, zu schweigen. Der Baron scheute an und für sich jedes Aussehen so sehr, daß er eigentlich mit dieser Bedingung ganz einverstanden war. Er beschloß demnach, vorläufig die Sache aus sich beruhen zu lassen; nur Louis sollte sobald als möglich aus dem Hause entfernt werden. Della hatte sich an der Debatte nicht betheiligt, sondern nur mit ernstem Blick zugehört. Jetzt aber sagte sie herb: „Du wirst vorläufig die Sache auf sich beruhen lassen. Wenn Du damit meinst, daß man einem Diebe, wie Salberg den Aufenthalt in unserem Hause gestatten dürfe, so hast Du das mit Dir auszumachen. Für mich hat die Enthüllung des Verbrechens nur das Gute, daß Du wohl jetzt endgültig den Gedanken an eine Verbindung zwischen mir und Salberg auf gegeben haben wirst." „Welch ein Einfall, Della! Wie kannst Tu Dich und „ihn" nur noch zusammen nennen!" rief der Baron vor wurfsvoll. Della fuhr indes in sarkastischem Tone fort: „Gewiß, wir müffen die Dinge schonen, weil wir uns selbst schonen müssen. Du kannst ja nicht einmal den Louis aus dem Schlöffe jagen, da Du leinen thatsächlichen Beweis gegen ihn hast und er auf jede Beschuldigung eine Wiederaufnahme der Untersuchung verlangen würde, wozu er das Recht hat. Dabei weiß er na türlich, daß wir den Skandal fürchten. Du mußt also vor läufig auch Louis im Hause behalten, bis sich eine passendere Gelegenheit ergiebt, ihn davonzujagen. Er ist übrigens ein sehr brauchbarer Diener." Die Art und Weise, wie Della die Angelegenheit be sprach, verstimmte den Baron sichtlich. Nach kurzer Pause äußerte er, daß er sich einen endgültigen Beschluß noch Vor behalte. „Und wie denkst Du Dich dem alten Valentin gegenüber zu verhalten?" fragte Della. Diese Frage erregte den Baron v. Rotheim aufs höchste. Das Unbehagen, vor der Tochter einen Flecken an der Ehre des Hauses eingestehen zu müssen, das leise Mahnen, daß er selbst sich Hoch wohl auch nicht so ganz richtig dem Alten gegenüber verhalten habe, veranlaßte den Schloßherrn, in un williger Aufregung den Direktor bitter anzuklagen, daß dieser die Geschichte so „romantisch" gefärbt, einer jungen Dame, die überdies die Tochter des Hauses war, erzählt habe. „Wie meint denn der weise Herr Direktor, daß ich mich gegen den alten Valentin verhalten soll?" rief er endlich in heftige« Unmuthe. „Ich kann doch wahrhaftig nicht dafür, daß Valentin arm ist! — Soll ich ihn vielleicht feierlich im