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Nr. 80. Pulsnitzer Wochenblatt. — Sonnabend, osn 19. Mai 1923. Seite 2. Dresden. (Kommunistischer Unfug.) Seit dem 2. Mai herrscht auf dem Rittergut Hrlfenberg ein wilder Streik. Bald nach Aurbruch der Streike« wurde da« arbeitswillig« Personal durch jugendlich« Mitgli«. der der kommunistischen Partei in erheblicher Weise belästigt. Ein paar Tags später wurde vor dem Ritter, gute von zumeist sehr jugendlichen Kommunisten au« zusammrngeschleppttn Wagen nnd Fahrzeugen aller Art eine Barrikade errichtet, die schließlich durch dir Gendarmerie beseitigt werden konnte. Am vergange nen Sonntag rückte eine sogenannte kommunistische Hundertschaft unter Militärischen Kommando« im Rittergutthofe Hrlfenberg ein und eine Kommtision erklärte dem Pächter, sie kämen vom Ministerium und müßten zwecks Sicherung der VolkSernährung die Scheunen- und Getreideböden revidiere«, MS der Ritterguttpächter sich nicht einschüchtsrn ließ, zog die Hundertschaft schließlich wieder ab unter der Drohung, es würden am Montag 2000—5000 Mann kommen. Dieser angekündigte Massenbesuch ist aber ausgebtte Sen. Der Teilstreik dauert fort. Die gesamte Land wirtschaft der Umgegend leistet dem bestreikten Ritter- gutSpächier Hilse. Dresden. (Aufhebung des Stempels von Miet- und Pachtverträgen.) Der Säch sische Gemeindetag hat schon seit geraumer Zeit bei der Regierung die völlige Jnwegfallste lung kleinerer Steuern, deren Gesamtertrag in keinem Verhältnis zu den Verwaltungskosten steht, gefordert. Jnsbe sondere gilt dies für den Stempel von Miet und Pachtverträgen, der nach einer dem Landtage vor kurzem zugegangenen Vorlage im Rechnung jahr 1923 noch in Beträgen von 100 M erhoben werden soll. Di« Erhebung so geringer Steuern ist unter den heutigen Verhältnissen völlig unwirtschaftlich Der Sächsische Gemeindetag hat durch die Steuer, ämter der sächsischen Großstädte dis Höhe der mit der Einhebung des Miet- und Pachtvertragsstempels in diesen Städten entstehenden tatsächlichen Vermal tungskosten festgesteM, die in überwältigender Wttse die Tatsache ergeben, daß die restlose Aufhebung dieses Stempels bei dem Grundsätze äußerster Sparsamkeit, der umer den heutigen Verhältnissen oberstes Gebot aller Verwaltung darstellt, eine gebieterische Notwen digkeit ist. Das gesamte Sieuersoll 1923 ist beispiels weise in Leipzig auf 841498 M geschätzt, während die Erhebungskosten 3 209 971 M betragen. In Chern nitz beträgt das gesamte Steuersoll 261928 M, die Erhebungskosten 1868 450 M. In den übrigen Städten ist der Unterschiedsbetrag eher noch größer, dabei haben beispielsweise in Leipzig von 16 610 Steu-rpflichtigen 18458 Steuerbeträge bis zu 100 M zu zahlen Nach einer neueren Reichsverordnung kann bei den Nsichssteuern davon abgesehen werden,. Beträge bis zu 600 M sestzusetzen. Bei Anwendung dieses Grundsatzes auf den sächsischen Miet und Pachtoertragsstempels würden beispielsweise in Leipzig von den 16 610 Steuerpflichtigen kaum mehr als 60 Steuerpflichtige Übrig bleiben. Der Sächsischs Ge- msindetag hat daher den Landtag gebeten, in der ihm vor kurzem zugegangenen 43 Regierungsvorlage über die Abänderung des sächsischen Stempelsteuer- gesetzes die Tarifstelle 17 über die Erhebung eines Stempels von Miet- und Pachtverträgen zu streichen. Meißen. (Fürsten- und Landesschule St. Afra.) Die Fürsten-und Landssschule St. Afra zu Meißen feiert am 6. und 7. Juni ihr 380jähriges Stiftungsfest. Pirna. (Das wachsende Pirna.) Die Stadt Pirna, die schon in der letzten Zeit verschiedene Vororte eingemeindet hatte, hat die Verhandlungen mit. den Gemeinden Zuschendorf und Neundorf über ihre Vereinigung mit Pirna zum Abschluß gebracht. Es sollen zwei Orte mit Pirn« verbunden werden, deren Fluren nicht an die Flur Pirna grenzen. Zwischen Zuschendorf im Seidewitztaie und Pirna liegt das noch nicht eingemeindete Zehista, und Neun dorf im Gottlsubatale ist durch Rottwerndorf von Pirna getrennt. Mit Zehista und Rottwerndorf schweben Eingemeindungsoerhandlungen. Chemnitz. (Skandalöse Vorgänge im Stadtoerordnetensaale) Im hiesigen Stadt oerordnetensitzungssaale ist es am Donnerstag zu neuen unerhörten Skandalszsnen durch Tribünen- besucher gekommen, die sich aus Erwerbslosen und Kommunisten zusammensetzten. Als das Stadtparla ment in die Beratung des Haus haltes eintreten wollte, begannen die Tribünenbesucher, unter denen das jüngere Element vorherrschte, einen großen Tumult. Sie verlangten, daß ein von ihnen kurz vor der Sitzung eingebrachter Antrag vor Eintritt in die Tagesordnung beraten werde. Als auf wiederholtes Ersuchen des Oberbürgermeisters keine Ruhs eintrat, wurde die Sitzung auf eine Viertelstunde vertagt Der Oberbürgermeister forderte gleichzeitig die Tri- bünsnbesucher zum Verlassen der Tribüne aus, damit nicht etwa Gewalt angewendet werden müsse Hierauf hagelten die Unerhörtesten Schimpfworte, wie „Spitz buben", „Gesindel", aus das Kollegium nieder und eine Anzahl der Tribünenbefucher, die Mützen und Hüte auf dem Kopfe behalten hatten, zündeten sich Zigarren oder Zigmet-en an, andere sangen die In- ternatisn^'s und wieder andere hoben Stühle und SpuÄnüpse hoch, in der Absicht, sie in den Sitzungs- saal zu werfen. Der Lärm wiederholte sich, als der Berichterstatter erklärte, daß der Antrag der Erwerbs- losen heute nicht behandelt werden könne, es solle den Erwerbslosen aber eine Sonderzulags aus den zur Verfügung stehenden Spenden ausgezahlt werden. Dieses Angebot wurde brüsk abgslehnt, ebenso ei« Vermittelungsvorschlag eines kommunistischen Stadt verordneten. Inzwischen war ein Aufgebot der Sipo eingetroffen, das die Räumung der Tribüne vornahm. Die kommunistischen Mitglieder des Kollegiums tra ten jedoch mit dem Abtsilungsführer in Verhand lungen; der Polizei wurde eine ruhige Räumung der Tribüne in Aussicht gestellt, wenn sie diese zuerst verlasse. Dies geschah und die Tribünenbesucher folg ten. Auf dem Gange wurden jedoch dis Beamten angerempelt und verhöhnt. Einige Beamte der Sipo wurden vor dem Rathause tätlich angegriffen. Nach Eintritt in dis Tagesordnung teilte Oberbürger meister Dr. Hübschmann mit, daß die Erwerbslosen unerfüllbare Forderungen erhoben hätten Seit Diens tag habe man ihnen eins Zulage in Höhe von 33>/,«/, in der Hoffnung ausgszahlt, daß dadurch eine Be ruhigung Eintreten werde. Kurz vor der Sitzung sei einem Erwsrbslosenrat erklärt worden, daß die Stadt augenblicklich unter keinen Umständen weitergshen könne, weil ihr gesetzlich die Hände gebunden seien. Man würde bei Uebertretung der gesetzlichen Bestim mungen das Risiko eingrhen, daß der Stadt die Reichszuschüsss gesperrt würden, die Hunderts von Millionen betragen. Dis Forderung der Erwerbs losen sei dahin gegangen, daß bis spätestens den 19. Mai eine einmalige Beihilfe in Höhs der doppelten Wochennnterstützung bezahlt werden solle, was für die Stadt eine Ausgabe von 1!0 Millionen Mark bedeuten würde. Gegen S,15 Uhr trafen die von der Tribüne entfernten Besucher wieder singend und pfelpftnd vor dem Nalhause ein, wo ihnen jedoch der Zutritt verweigert wurde Geringswalde. (Durch Feueralarm), Fa- brikpftifen und Heulen der Dampfsirene wurde die ganze Einwohnerschaft mobil gemacht. Durch das rechtzeitig« Eingreifen war das Feuer im Keime er stickt und größerer Schaden verhütet worden. Ent standen soll es dadurch sein, daß der Ehemann der Besitzerin de; Hauses in seinem Bett noch ein „Pfeif chen" geraucht hat und darüber eingeschlafen ist, so daß infolge der aus der Pfeife fallenden Funken die Slrohmatratze in Brand geriet. Dem leichtsinnigen Raucher ist das Gesicht sehr verbrannt worden. (Allen ähnlich Unbedachten diene dieser Fall zur Warnung!) Radeberg festgenommen. Sie wurden dem Amts gericht Radeberg zugeführt. — (Die Höhe des Jahre«) bringt uns im schnellen Kreislauf der Monde der Mat mit Eintritt der immerwährende« Dämmerung in der Pstngstwoch«. Di« Zunahme der Tag« ist jetzt ganz bedeutend; sie beträgt gegenwärtig reichlich drei, zu Ende der Mo- natS reichlich zwei Minuten. Die astronomische Däm- - merung, dar Hellwerden der östlichen Himmels, be ginnt jetzt schon früh L Uhr und endigt abends nach 10 Uhr. Im letzten Drittel de» Monats Mai tritt di« Zeit der immerwährenden Dämmerung ein. Wir stehen dann auf der Höhe d«S Jahre«. Dies« Periode, in der «S bet klarem Himmel selbst üb«r Mitternacht ni« ganz dunkel wird und vom Sonmnuntergang bis Sonnenaufgang da» Licht der Sonne in dämmernden Strahlen um den nördlichen Horizont spielt, dauert bi- in den Monat Juli, etwa bis zu Beginn der großen Ferien. — (Erhöhung der Spielkartensteuer,) Der Reichsrat hat dir Steuer aus Spielkarte« «rhöht aus 500 Mark sür «in Spiel Karten. Da» find 57 Prozent der Herstellerpreises. — (Berliner Kindereien d.) „Kann man sich im Himmel auch ganz richtig sattessen?" — so fragte jüngst vertrauensvoll ein kleines blsichwangiges Bürschchen seine Lehrerin. „Sattesfen", das ist heute für die meisten Berliner Kinder der Inbegriff des höchsten Glücks. Wie viele Kinder müssen jetzt völlig Nüchtern zur Schule wandern. Hungrig, matt sollen sie dem Unterricht folgen. Schüchtern streckt sich manch kleine Hand nach einem Stückchen Brot vom Rachbar aus. Unzähligen Eltern, alleinstehenden Witwen ist's auch bet Anspannung aller Kräfte nicht möglich, ihren Kindern die nötige Milch, leicht ver dauliche Mehle, nahrhafte Grieß und Eierspeisen zu kaufen. Und dazu das gräßliche Wohnungselend; die wunderbaren Natur- und Heilkräfte „Licht, Luft, Wasser", die ein gütiger Gott jedem Menschen reich- lich zugedacht hatte, sind in der übervölkerten Groß stadt, in den engen, dunklen Mietskasernen seltene Gäste. Man muß sie nur einmal sehen, diese blut leeren, treuherzigen Gesichter der Kinder, die mit ihren so großen Augen wie ein stiller Vorwurf wir ken. Wenn warmherzige Aerzte sagen, es sei ein Unglück heute in Berlin als Kind aus die Welt zu kommen, so erübrigt es sich, traurige Zahlen von diesem unermeßlichen Elend zu bringen. Viele warm herzige und offene Hände regen sich, um zu lindern und zu helfen. Die im Jahre 1921 gegründete Oberlausttzer Vereinigung in EroßBer- lin, welche die Liebe zur schönen Heimat ausrecht erhalten, heimatliche Art und Sitte pflegen, das Zu sammengehörigkeitsgefühl unter den Landsleuten för- dern und jeden sich an die Vereinigung wendenden Landsmann mit Rat und Tat unterstützen will, hat im Hinblick auf das große Berliner Kinderelend als «eiteren Zweck satzungsgemäß festgelsgt, bedürftige Berliner Kinder während dec Sommerserien nach der Oberlausitz zu verschicken. Kinder in Berlin wohnhafter Oberlausitzer werden dabei bevorzugt. Die Vereinigung garantiert, daß nur Kinder anstän diger, wenn auch armer Eltern, verschickt werden. An die edeldenkenden Bewohner der Oberlausitz ergeht daher hiermit die Bitte: Nehmt während der Som- merferien ein Berliner Kind auf. Einige Eltern wären wohl in der Lage, einen angemessenen Zuschuß zur Verpflegung ihres Kindes zu zahlen, andere können indes begreiflicherweise nicht einmal die Fahrt kosten aufbringen. Dieser Hinweis wird wahrschein lich genügen, um als Antwort aus Anfragen, welche Geldbeträge zur Verfügung stehen, zu dienen. Es wird um Mitteilung gebeten, ob und welcher gefor dert wird. Anmeldungen von Pflegestellen nimmt entgegen: Redakteur Walter Fleck, Berlin V/ 57, Ziethenstraße 6 c l — lSSchsischeKommu nalkreditbriese zum Retchsbankdiskont) Die von der Kre ditanstalt Sächsischer Gemeinden zu Dresden vor einiger Zeit in Höhs von 1000 Millionen Mark auf- gelegten Kommunalkreditbriefe sind erheblich über zeichnet worden. Da die zuständigen Ministerien die Anleihegenchmigung für einen Betrag von 2000 Millionen Mark erteilt haben, kann auf die Zeich. nungen volle Zuteilung erfolgen. — (Mütterberatung.) Die Mütterbera tung in Ohorn findet am Dienstag, den 22. Mai, nachmittags 2 Uhr in der Schule statt. Arzt wird wesend sein. Großröhrsdorf. (Kreissängertag.) Der 7. Kreft ^oenausitzer Sängerbundes, dem 14 Männsrgrsangvereine angehören, hält am Sonntag, den 24. Juni, in unserem Orte seinen diesjährigen KreiWngeriag ab. Reges. Sängerleben wird sich an diese,» Tage in unserem Orte entfalten, da die An mel:'.ngen sehr zahlreich eingehen. — (Diebstahl.) Vorletzte Nacht wurden bei Herrn Bruno Rasch, Vischofs- w^daerstraße, 2 Zickel, 5 Hühner und eine Brut henne von den Eiern herunter, die tags darauf aus« schlüpfen sollten, gestohlen und in der Nähe abge- schlachtet Wahrnehmungen, die zur Entdeckung des D-L es führen können, wolle man der nächsten Poli zei- oder Gendarmerisstation mitteilen. Kamenz. (Streik) Die Htlfrarbetter an den Oefen dr '-figen GlaShüttenwerle M- x Kray L Eo. st:d gestern mittag ^n'olge Lohnstrttttgtette» in d«n Snik getreten. PolMschr Nundfchmi. Deutsche» Reich. — (Da» Siegel auf den Justizmord.) Di« Revision der Krupp Direktoren g«g«n da« unerhört« Kri«g«grrjHtSurteil von Werdrn ist vom Oberkriegs- Gericht in Düsseldorf verworfen worden. Da» konnte anders wohl kaum erwartet werden. Um wirklich« R«chtt- empfindung handelt «S sich ja btt d«r zwtttrn Instanz »bsnsowenig wie bei der ersten. Die Pariser Regie aab hier wie dort die entsprechenden Winke, und die „Richter" hatten da» al» „Befehl" zu respektieren. N cht minder natürlich die über da» Bttrtebtrattmitglied Müller von den Kruppschen Werken verhängte Buße. In diesrM Falle aber ist in Pari« eine bemerken»- werte Frontschwentung vollzogen worden. Während Herr Müller in der ersten Instanz von Werden „nur" zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden war, rst dftse« Urteil vom OSerkriegSgericht aufgehoben worden, und ein neues Kriegsgericht wird über diese Angelegenheit nochmal« .Recht zu sprechen" haben. Vermutlich will man in P^ri« auf diese Weise noch mal« versuchen, einen Keti zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Ruhrreoirr zu treiben, durch un- verhältnismäßige Milde gegen rin BettirbSrattmitglird, also einen Angehörigen der Arbeiterschaft, die Ruhr- arbttttr günstiger für die französtsche Sache zu stimmen. DaS wird sich al« ein Fehlschluß erweisen. Dies« Rrbttterschast ist über die politischen Absichten Frank reich« nachgerade zur Genüge aufgeklärt, um sich durch solch« Mätzchen beeinfluss«» zu lassen. Und die öffentlich« Meinung überall da, wo »och «in Gefühl sür Recht und Gerechtigkeit lebt, wird da« in Düsseldorf g«- gegebene infame politische Schauspiel »ach Gebühr zu würdige» wissen. Die Tutlache eine« schamlosen Justizmorde« bleibt best-hen. Eine Prottstaktton wird sogar von der srovzöstschen Ligo für Mtnschenrechtt ttngeleitet werden. Und man darf vertrauen, daß di« Empörung gegen so scheußlich« Gewalttat, auch in der Form verschärfter deutscher R stftenz, sich nicht eher legen wird, bi« die französischen Machthaber sich zu einer wirklich«» Revision dirse» Krupp Prozesse« herbei- lassen. Frankfurt a. IN-, 18. Mai. (Bor der Be- sstzung Frankfurt« a. M ?- Di« Besetzung Frank» furt» durch di« Franzosen schr-nt unmittelbar bevor zustehen. Trotzdem in letzter Zr L diese Gerüchte fi-ö nicht al« richtig erwiesen, steht auidrückl-ch ftst, vaß der Güterbahnhof in Frankfurt zum Teil geräumt wurde und daß alle schweren Schnellzug-maschtn«« von Frankfurt entfernt find. Frankreich. pari». (Poinearee der Unwahrhaftig keit überführt.) Zu der Mitteilung Poirc-ree« über die Lage im Ruhrgebiet« schreibt .Journal de« Debat»', daß di« Annahme, Frankreich erhalt« täglich 10 000 Tonnen Kok«, nicht richtig stt. Da«