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Nr. 42. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 11. März 1920. Leite 2 len Neuwahlen zum Reichstage und zur preußischen SandrSversammlung statt. Im Anschluß hieran findet auch die Neuwahl der RrtchSprSfibenten durch dar Volk statt. Der bisherige Präsident wird gebeten, bi» zur erfolgten Wahl die Präsidentschaft weiter zu be kleiden. Im Reich wird durch Ausbau der Reich»- wirtschaftKrate» und der Betriebsräte eine 2. Kammer der Arbeit gebildet. Die neu« und alte Regierung erlassen gemeinsam eine Erklärung, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen der Generalstreik ein Ver brechen am deutschen Volke ist. Bi» zur Entscheidung über diese Vorschläge hat der Reichskanzler von der Bildung eine» neuen Ministerium» abgesehen und die dienstältesten Unterstaatrsetretäre mit der Führung der Geschäfte beauftragt. (WTB.) Dresden, 16. März, vorm. 10 Uhr. (Funkspruch.) Berlin, 15. März, abend» 7 Uhr. Die Lage ist gut. Die alte Regierung will die Auf forderung zum Generalstreik widerrufen, da sie ihr Un- recht am Volke eingesehen hat. Zwischen alter und neuer Rrgierung haben Verhandlungen stattgesunden, und sind in gutem Fortschreiten. Die Bildung der neuen Regierung auf breitester demokratischer Grund lage ist in kurzer Zeit zu erwarten. Sie wurde ver zögert durch den Ausruf der alten Regierung zum Generalstreik. Im Bereich de» Reichswehr-Truppm- kommando» 1, Berlin stehen alle Reichswehren und SichrrhrMverSändr mit geringer sächsischer Ausnahme auf Seiten der neuen Regierung. Aus dem Bereich de- Reichswehr Truppenkommando» 2, Kassel kommen zahlreiche Zustimmungserklärungen. In Berlin ist die alte Rrgierung zusammengrbrochen und durch eine neue Regierung auf breitester BssiS ersetzt. Die Eini gung mit der alten Regierung wurde erzielt auf Grund folgender Vereinbarungen: 1. Neuwahlen innerhalb der nächsten 2 Monats im Reichs und in Preußen. 2. Wahl des Reichspräsidenten gleichfalls inner halb 2 Monate, gegen Fortführung der Geschäfte de» Reichspräsidenten durch den bisherigen Inhaber bi» zu diesem Zeitpunkte ist nicht» etnzuwenden. 3. Personalunion zwischen Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten. 4. Gründung eine» Fachkabinett» im Reiche und in Preußen in der Weise, daß lediglich Fachkenntni» bei der Auswahl der Minister ausschlaggebend ist. Mitglieder der alten Kabinetts sollen in da» neue mit etntreten, sofern sie den Ersordernifien eine» Fach, ches» entspreche«. s. Errichtung einer s. Kammer im Reiche durch Ausbau der Betrtebsrätegesetze durch eine berufene Ständekammsr. 6. Amnestie für all« seit dem 6 November 1918 vorgekommenen Vergehen. 7. Generalstreik wird verworfen und zur Arbeit aufgerufen. Diese Meldung ist mit Vorsicht aufzunehmen. Oertliche und sächsische Angelegenheiten. Pulsnitz. (Protrst str«ik) Durch den Berliner Mtlitär.Putsch veranlaßt, hatten am Sonntag abend di« Gewerkschaftsführer im Auftrage ihrer Gewerkschaft einen 24 stündigen Proteststreik für Montag den 15. März proklamiert, der auch in allen Betrieben durchgeführt wurde. Au» diesem Grunde konnte auch da» Pulsnitzer Wochenblatt gestern nicht erscheinen/ Gestern vormittag 8 Uhr fand im Schützenhau» «ine Protest. Versammlung statt, in denen di« Herren Günther und Linke zu den Versammelten sprachen. In dieser Ver sammlung war bekannt geworden, daß Herr Stadtrat Beyer al» stellvertretender Bürgermeister den Beamten und Arbeitern den Montag nicht al» Feiertag freige- geben hatte. Deshalb zogen eine große Anzahl Ar- beiter nach der Versammlung vor da» Rathaus, um den Streik der Beamten und Arbeiter der Stadt zu erzwingen. Der Gewalt weichend, gab dann Herr Stadtrat Beyer sein« Genehmigung zur ArbeitSruhe am gestrigen Montag. Da sich die Menge vor dem Rathau» nicht gleich beruhigen wollte, sprach Herr Stadtrat Beyer vor den versammelten aufklärende Worte und betonte, daß er auf dem Boden der Re gierung stehe, der «r den Treu-Eid geschworen hab«. Nachdem auch Herr Stadtrat Linke beruhigend aus di« Menge eingewirkt hatte, wurde der Markt lang sam wieder leer. — Nicht nur die Fabriken ruhten, auch die Schule war geschloffen; wie wir erfahren, au» Manzel an Dampf für die Heizung. Die Kessel hatte wohl Dampf genug, aber da» VerbindungSrohr zwischen Kessel und den Schulheizungsanlagen fehlt«. Untersuchung«« über den Verbleib diese» Rohre» sind im Gange. Di« gestrige Stadtverordneten - Sitzung mußte aurfallen, da infolge de» Streik» e» nicht mög- lich war, Kohlen zur Heizung de» Sitzungssaal«» her-' anzuschassen, außerdem waren auch keine Beamten do. Pulsnitz. (Der Verein sürVolksbil. düng) läd die Frauenwelt von Pulsnitz für heute Dienstag »/,8 Uhr in die Schule Zimmer 92 zu ei« nem Lichtbildervortrag von Fräulein Elle Lau, Dres- den über Bodenreform, Wohnungshygiene, Frauen- frage und Fraurnkleidung ein. — (DieNotimsächsifchen Erzgebirge) hat bekanntlich zur Folge gehabt, daß ausländische Pressevertreter sich der Müh« unterzogen haben, die Verhältnisse persönlich in Augenschein zu nehmen. Die Pressevertreter waren sehr erschüttert über di« große Not, dis unter der erzgedirgischen Bevölkerung herrscht, und gaben übereinstimmend mehrfach ihrer Ueberzeugung dahin Ausdruck, daß eine umfassende allgemeine Hilfeleistung eine Pflicht der Menschlich keit ist. Der in Dresden gebildete Landes-Hilfsaus schuß für das sächsische Erzgebirge bittet erneut, Spen den irgend welcher Art an die Reichszsntrale für Heimatdienst, Landes. Abteilung Sachfen, Dresden (Schloß) und Geldspenden an das Bankhaus Gebr. Arnhold, Dresden-A., Waisenhausstraße (Konto: Hilfs werk für das sächsische Erzgebirge) senden zu wollen lieber die Geldspenden wird in der Presse berichtet werden. — Hur Annahme von Geldspenden ist auch die Geschäftsstelle des „Pulsnitzer Wochenblattes" gern bereit * — (Das Zündholz wird zum Wert- gegenständ) Der neue Preis dieses in letzter Zeit außerordentlich rar gewesenen rot oder braun behäupteten Holzstäbchens ist so bemessen, daß das einzelne Holzstäbchen etwa auf 1 Pfennig zu stehen kommt. Einstmals — es ist wirklich noch nicht lange her — bekam man für 'nen Pfennig eine ganze Schachtel voll. Heute findet man auf den Tischen in der Gastwirtschaft kein Zündholz mehr und auch der liebe Nachbar hat es nicht mehr so eilig, seine Streich Holzdose zum Anzünden der Zigarre zur Verfügung zu stellen. Not lehrt sparen . . . Die Alten unserer Volksgenossen erinnern sich noch der Zeit, da der Feuerstein dis Stelle des Streichhölzchens einnahm. Das Taschenmesserheft hatte damals, um die Mitts des vorigen Jahrhunderts — einen erhöhten Rücken, der zum Feuerschlagsn bestimmt war Man trug dazu eine Art Kieselstein zum Feuerschlagen in der Tasche und einen Feuerschwamm zum Auffangen des Funkens. Jetzt feiert der Feuerstein seine Auf« erstehung in moderner Form. Schon heute spielt das Feuerzeug, bei dem durch Benzin oder andere leicht entflammbare Chemikalien nachgeholfsn wird, bereits eine große Rolle. Dieses Feuerzeug würde einen noch größeren Einfluß haben und den Streich- holzverbrauch weit mehr einschränken, wenn die Din ger solider hergestellt würden, als es meistens der Fall ist. — (Der Kommunalverband schreibt uns): Das in der vorvergangenen Woche ausgege bene Tapiokamehl konnte wesentlich unter dem Selbst kostenpreis abgegeben werden, da für dasselbe und das gleichzeitig verteilte, durch Reichszuschuß verbil- ligte ausländische Kochmehl ein Durchschnittspreis be rechnet wurde. Das in dieser Woche zur Ausgabe kommende Tapiokamehl muß zum Einstandspreis verkauft werden, und dieser ist, da es sich um Aus landsware handelt verhältnismäßig hoch (6,80 Mark für das Pfund. — (WiederverleihungvonRettungs- Medaillen.) Die Rettungsmedaille, die seit der Revolution nicht mehr verliehen worden war, wird jetzt wieder ausgegeben, und zwar für Rettungsta ten, die dis zum 31. Dezember v. I. geschehen sind, in der alten Prägung, für spätere Fälle in einer neuen Ausführung. Das Ministerium des Inner« hat einen Künstlerausschuß mit dem Entwurf einer neuen Rettungsmedaille beauftragt. — (Wetterbericht vom 13. März mor. gens 7 Uhr.) Ba» Barometer fällt sehr allmählig mit der langsame» Annäherung eine Depressiv« von V?. bis her, durch «eiche das im dtO. lagernde „Hoch" mehr und mehr zurückgedrä»gt wird. In Deutschland herrscht noch, von Westen abg«sehen, teil- weise ziemlich heiterer Wetter mit schwächern Frost, doch ist west-ostwärtr fortschreitende Erwärmung mit Regen umso mehr zu erwarten, als nunmehr wieder ein neues Hochdruckgebiet über Spanien sich befindet, das einen zungenförmigen Ausläufer nach Südwest- deutschland entsendet und das nach dem Abzug vor erwähnter Depression wieder zeitweise aufheiterndes und ziemlich mildes Wetter veranlaßt, bis eine neue Störung wieder Regen bedingt. — (Verhaftung) Der am 1». Januar 18S4 in Bischofswerda geborene und dort wohnhafte Rei sende Walter Henry Fichte befindet sich beim Amts- gericht in Bischofswerda wegen umfangreicher Betrü gereien in Haft. Er hat Nahrungs- und Eenußmittel, vor allem Sekt, zum Kaufe angeboten, sich große Anzahlungen darauf verschafft und ist mit dem Gelds nach Böhmen geflüchtet, wo er verhaftet werden konnte. Nach den bisherigen Erörierungsergebnissen hat Fichte offenbar weitere derartige Schwindeleien begangen; namentlich soll er in der Gegend von Elstra und Kamenz, in der Amtshauptmannschaft Bautzen und in Dresden und Umgebung gearbeitet haben. Sachdienliche Wahrnehmungen werden unter der Eeschäftsnummer Lt /I IV 214/2» an die Staats- anwaltschaft Bautzen erbeten. — (Einbruchs diebstähle.) An der Nacht zum 9. d. M. wurden auf Rittergut Reichenau aus verschlossener Mühle mittels Einstsigenr drei Ledertreibriemen gestohlen im Werte von 1900 Mk. In der folgenden Nacht ist ein gleicher Diebstahl in einem Sägewerk in Gräfenhain verübt worden, «o ebenfalls drei Ledertreibriemen im Wert« von 15S» Mk. entwendet wurde«. Ohorn. (GvangelischsrBund) Es wird auch an dieser Stelle aufmerksam gemacht, daß nach dei durch den Krieg verursachten Pause die Teilgruppe Ohorn de« Ev. Bundes sich wieder einmal an einer freien Aussprache über die weiters Tätigkeit des Lun de» am Orte versammeln will und zwar am kom- menden Donnerstag, den ^18 März abend» 8 Uhr im Jugendheim. Da die meisten Mitgliedsbsiträge für 16 l9 noch nicht eingegangen sind, wird gebeten, sie bei der Versammlung an den anwesenden Herrn Schatzmeister der Orlrgruppe Pulsnitz Herrn Bach- mann einzuzahlen. Lichtenberg. (Oeffentlichsr Schultag.) Um nach Wegfall der öffentlichen Osterprüfungen der Elternschaft andere Gelegenheit zu geben, einen Einblick in die Schularbeit zu nehmen, soll der kom mende Freitag (von früh 8 Uhr bis abends 7 Uhr) als öffentlicher Schultag gelten, einschließlich Donners- tag, von 4 bis 7 Uhr. Es können die Eltern unserer Schulkinder und FortbildungsschLler, sowie deren Arbeitsherren den Unterricht besuchen und werden dazu hierdurch eingeladen. Radeberg. (Ein Eisen bahn Unfall) er eignete sich heute vormittag 8 Uhr auf dem hiesigen Bahnhof, worüber wir folgende» erfahren: Von dem rangierenden Güterzug vom Feuerwerkslaboratorium entgleisten aus bisher noch nicht festgestellten Ursachen Lei der Bahnkrümmung in der Nähe der Geißlerschsn Glasformenfabrik an der Eüterbahnhofstraße 8 Wagen, von denen 4 Wagen zur Seite sielen. Der Bremser der einen Wagens, Erwin Johne, wohnhaft in Wachqu, konnte sich durch Abspringen ernster Gefahr entziehen; leider hat er sich durch den Sprung schwere Kopfverletzungen und Stauchungen des Rückgrates zugezogen. Der Verkehr erleidet keine Unterbrechung. Ein Hilfszug aus Dresden, sowie die zusammsnge- zogenen Hilfskräfte aus der Umgebung gedenken, daß da» Gleis bis heute abend wieder frei werden wird. Der Materialschaden an den umgestürzteu Güterwagen ist ziemlich bedeutend. In den Vormit tagsstunden trafen Herren von der Eissnvahndirektion Dresden auf der Unfallstslls ein Dis Untersuchung ergab, daß ein Verschulden von feiten des Vahnpsr- sonal» nicht vorliegt. Wie uns weiter berichtet wird, sollen bereits an dieser Stells schon öfters Entgleisun gen von Wagen erfolgt sein. Stolpen. (Wegen Mordes an seinem eigenen Kinde), einem elfjährigen Mädchen, wurde der landwirtschaftliche Arbeiter Hartmann ins hiesige Amtsgericht eingeliefert. Die Krau des Tä- ters ist vor ungefähr zwei Jahren gestorben. Der Ehe sind sieben Kinder entsprossen, davon waren da, Mädchen und «in Junge noch schulpflichtig Am Dienstag nachmittag wurde i» der Wesenitz, am Rechen der Schuhmannschen Pappensabrik inSchmiede- feld, das Kind angsschwemmt. Dis Unglückliche wurde wahrscheinlich am Anfänge des Wchres ins Wasser zeworsen, da weiter oben das Wasser zu seicht ist. Der Verhaftete will aus Not gehandelt haben, soll aber bisher keine Reue über das abscheu liche Verbrechen zeigen. Ehemmitz. (Die Grippe) hat hier in der Woche vom 2». bis st. Februar 3s Personen und in der letzten Woche 41 Person«n al» Todesopfer gefordert. «nnab»r>. (Ueber die mißliche Lage in d«r Stadt Annaberg) ist behördlicherseits festgestellt worden: Die Zahl der Haushaltungen beträgt in Annaberg rund 5400. Als notleidend kommen rund 4000 Familien in Frage. Die Not ist heroorgerufen durch das Darniederliegen der In dustrien, namentlich der Posamentenindustrie, während der Kriegszeit und auch schon oorher. Die Kriegs industrie war hier nur ganz unerheblich vertreten. Der Notstand ist äußerst ernst und hat seine Ursache in der seit Anfang de« Krieges eingetretenen Unter ernährung und Verarmung der Bevölkerung hsrvor- gerusen durch völlig unzulängliche Zuteilung der rationierten Lebensmittel durch Reich, Staat und Kommunaloerband. Er mangelt an Lebensmitteln aller Art, sowie an Kleidung, Wäsche und Schuhwa- ren. Die Preise, die hierfür im freien Handel ge fordert werden, sind für die oben erwähnten weiten Kreis« der Bevölkerung unerschwingliche. Weitere Mängel sind dar Fehlen von Reinigungsmitteln und Heizstoffen, sowie ungenügende Wohnungen, Politische Rundscha«. Deutsches Reich. Berlin, 1S. März. (Ax» derRsichSkanzlei) geht xn» folgende Mitteilung zu: Nie Rrtchrregi«- rung wird die zur Zeit Lem Reichsratr vorliegende Besoldungrordnung in den nächsten Lagen durch Not oerordnung in Kraft setzen. Die neue Regierung erläßt folgend« Verordnung: Sämtlich« Reichs-, Lande»-und SrmeindeSeamten haben unverzüglich ihren Dienst wieder aufzurrehmex, soweit fi« nicht in den Dienst in den Einwohnerwehren und r.r der Technischen Nothilfe in Anspruch genommen find. E» wird erwartet, daß sse ohne Rücksicht auf ihre politische Gesinnung ihre Kräfte in den Bienst de» Sanzrn stellen. Widersätz-