Volltext Seite (XML)
PAPIER-ZEITUNG 1352 Verein der Zellstoff- und Papier-Chemiker Zum Mitglieder-Verzeichnis Als Mitglied hat sich gemeldet: Das Technikum Altenburg in Altenburg. Mitgliederzahl: 180. » * * Zellstoff-Kontrolle im Fabrikbetrieb Vortrag, verfaßt für die Hauptversammlung 1908 des Vereins Von Dr. W. Vitweg in Groß-Auheim bei Hanau a. M. Zellstoff ist ein gestaltungsfähiger plastischer Stoff von großer chemischer Widerstandsfähigkeit. Auf der An nahme seiner chemischen Unveränderlichkeit beruhen seine bekannten Bestimmungsverfahren. Sie geschehen, indem man die Begleitstoffe der zellstoffhaltigen Stoffe durch Säuren, Laugen und Oxydationsmittel entfernt, der Rest ist dann Zellstoff. Bei der Untersuchung, ob Sulfitzellstoff oder Natron zellstoff vorliegt, dient als Merkmal, daß das eine Harz enthält und das andere frei davon ist. Die Prüfung des Zellstoffs in der Papierfabrikation geschieht in der Weise 1 ), daß verschiedene Proben gründlich genäßt und in der Durchsicht auf Gehalt an Unreinigkeiten, Kohlenteilchen oder Holzsplitterchen geprüft werden. Auch untersucht man die Faserfestigkeit durch Reißproben, während Farbe und Bleichgrad sich durch den Augenschein ergeben, Unter suchungen auf Bleichfähigkeit, auf Säuregehalt und auf Ver änderung des Zellstoffs kommen selten vor. Und so stellt sich häufig beim Verarbeiten eine unliebsame Ueberraschung ein. Diese ist umso bedenklicher, je edler und feiner das herzustellende Zellstoff Erzeugnis ist, z. B. bei Herstellung von Schießbaumwolle und Kunstseide. Bei der Bestimmung von Rohfaser in Kakao z. B, wo es sich um Trennung von Lignin und Zellulose mit Wasserstoffsuperoxyd handelt, verändert sich der Zellstoff so, daß seine Bestimmung zweifelhaft ist. Vorliegende Abhandlung geht von der Voraussetzung aus, daß — im Widerspruch zur landläufigen Annahme — der Zellstoff durch Säure, Laugen und Oxydationsmittel wesentliche Veränderung erleidet. Es ergibt sich nun der Wunsch, diese Veränderung festzustellen und mit so ein fachen Hilfsmitteln zu messen, daß sich die Prüfung im Fabrik betrieb ausführen läßt. Diese Kontrolle soll sich erstens auf die Bestimmung des durch wässerige Laugen veränderten Zellstoffs mit Hilfe des Mercerisationsgrades beziehen und zweitens auf die Bestimmung der Veränderung des Zellstoffs durch Säure und Oxydationsmittel mit Hilfe der Säurezahl. In beiden Fällen dient Natronlauge als Erkennungsmittel dieser Veränderungen. 1. Mercerisationsgrad Durch Einwirken von kalten Laugen wird Zellstoff in dem Sinne verändert, daß er aus der Luft mehr Feuchtig keit aufnimmt als vorher. Deshalb bezeichnet man die so veränderten Zellstoffe als Hydtatiellstoffe. Durch Trocknen des Zellstoffs bei 125 bis 130 0 C. kann man diesen dem Grade der Hydratierung (Mercerisations grad) entsprechenden Wassergehalt bestimmen. Es ist aber schwer, im Trockenschrank konstante Werte zu erzielen, die eine genügende Bestimmungssicherheit gewähr leisten. Knecht benutzt den Umstand, daß Baumwolle aus Benzo purpurinlösung umsomehr Farbstoff aufnimmt, je stärker die Lauge war, mit der die Baumwolle mercerisiert wurde; deshalb mißt er die Gewichtszunahme der betreffenden Baumwolle an Farbstoff. Vignon, Hofmann und Schwalbe gehen von dem Gesichts punkt aus, daß hydratierte Zellulose der Zersetzung durch Säuren zugänglicher wird; aus der Menge der Zersetzungs produkte, welche Fehling’sche Lösung reduzieren, schließen Vignon und Schwalbe auf den Grad der Hydratierung. Das Schwalbe’sche Verfahren braucht zu seiner Ausführung 4 bis 5 Stunden und ist deshalb für Betriebskontrolle nicht ge eignet. DasKnecht’sche Verfahren erfordertfärbereitechnische Geschicklichkeit. Da es auf einem im wesentlichen physi- 1) Gütige Privatmitteilung des Herrn Dr. Max Müller, Alt damm. Nr. 35 kalischen Vorgang beruht, verändern Umstände, wie das Gefüge der Baumwolle, und die Temperatur, bei welcher die mercerisierte Baumwolle vorher getrocknet war, und ähnliches die Ergebnisse, sodaß auch dieses Verfahren bei seiner schwierigen Ausführung für den Betrieb nicht geeignet ist. Dagegen hat sich mein Bestimmungsverfahren des Mercerisationsgrades mit kalter wässeriger Natronlauge bewährt. Da 2prozentige Natronlauge Verwendung findet, ist das Verfahren von der Temperatur praktisch unab hängig, die bei der Mercerisation mit starker Lauge eine wichtige Rolle spielt. Ich wiederhole die Beschreibung des Bestimmungsverfahrens, die ich im Versammlungsbericht 1907 gegeben habe, weil sich einige Verbesserungen er geben haben. Ausjührung: 3,200 g lufttrockene Baumwolle oder 3,300 g strukturlose Zellulose (Viskose- oder Kupferseide) werden au' der Handwage abgewogen und in eine 500 ccm fassende Pulver flasche mit eingeschliffeuem Stopfen gebracht, die 150 ccm 1/3 normale Natronlauge enthält. Die Flasche wira 1/, Stunde lang geschüttelt, dann nimmt man mit einer trocknen Pipette genau 50,0 ccm heraus, die man in einen Glaskolben einlaufen läßt. Darin werden sie mit halbnormaler Säure unter Benutzung von Phenolphtalein titriert. Brauctten vor dem Einbringen von Zellulose 50 ccm der Lauge 50,00 ccm 1/2 normaler Säure nach dem Einbringen von Baum ¬ wolle aber 49 4° „ „ »_ so wurde von reo g trockner Zellu- ! lose der Rest von .... 0,60 ccm 1/2 normaler Säure d. i. 0,6 X 2 = 1,2 g NaOH aufgenommen. Der Mercerisations grad beträgt also 1,2. Die Titrierarbeit muß sorgfältig vor genommen werden, und dazu'eignen sich die Dr. Göckel’schen Titriereinrichtungen, welche bei größter Genauigkeit bequemes Arbeiten gestatten. Die geaichten Pipetten haben eine weite Ausflußöffnung, man muß nur genau 1/, Minute Ablaufzeit ab warten, was man mit Hilfe einer Sanduhr beobachtet. Znm Titrieren benutzte ich den Göckel'schen Titrierapparat mit automatischer Nullpunkteinstellung unter Benutzung einer Vislerblende. Auf diese Weise erreicht man eine Genauigkeit bis zu 0,01 ccm. Mit Hilfe dieses Verfahrens kann man im Laboratorium und in der Fabrik mit genügender Schärfe der Unter scheidung kontrollieren, welche Veränderungen der Zell stoff durch kalte Laugen oder konzentrierte Säuren erfährt. 2. Säurezahl Während die Hydratierung eine Veredlung der Zellulose darstellt, indem z. B. bei Geweben Glanz, Festig keit und Dehnbarkeit gesteigert werden (Mercerisationseffekt), so wird durch die Einwirkung warmer Säuren oder von Oxydationsmitteln und auch durch Einwirken heißer Laugen bei Gegenwart von Luft die Qualität sehr verschlechtert. Wasser wird chemisch gebunden, und den gebildeten Zellstoff nennt man Hydrozellulose, den Vorgang Hydroly sieren. Es werden Oxydationsmittel und warme Säuren in der Zellstoff-Industrie z. B. beim Gewinnen von Zellstoff aus Holz reichlich angewendet. Hier wäre nun ein brauch bares Kontrollverfahren besonders wichtig. Um zu erkennen, bis zu welchem Grade Baumwolle oder Zellstoff gebleicht war, diente bisher fast nur der Augenschein, danach wurde beurteilt, ob der Stoff weiß genug ist. Das aber ist trügerisch, weil je nach der Auf lockerung des Materials optische Täuschungen eintreten. Etwas sicherer geht die Anwendung Fehling’scher Lösung, mit welcher der Stoff gekocht wird. Je stärker die Farbe des roten Kupferoxyduls ist, welcher auf der Faser zurück bleibt, um so kräftiger war die Bleiche. Um einen zahlen mäßigen Anhalt zu bekommen, schlugen Vignon und Schwalbe vor, dieses Kupfer quantitativ zu bestimmen. Der auf Prozente Zellstoff umgerechnete Kupferwert ist die sog. Kupferzahl, die genaue Vergleiche ermöglicht. Dieses Verfahren wird kompliziert, wenn man eine stark mercerisierte Baumwolle oder eine gelöst gewesene Zellulose (Kunstseide) unter suchen will. Denn eine hydrolisierte Hydratzellulose fällt aus Fehling’scher Lösung nicht nur Kupferoxydul, sondern als Hydrat nimmt sie auch nicht auswaschbares Kupfer in Form von Kupferzellulose auf. Dieses Kupfer muß ab gezogen und deshalb besonders bestimmt werden. Ich fand ein einfaches Verfahren, das ähnliches leistet wie das auf Fehling’scher Lösung beruhende, und das Sich auf titrimetrischem Wege leicht und bequem ausführen läßt. Es beruht auf der Beobachtung, daß Zellstoff beim Kochen mit Lauge von dieser umso mehr neutralisiert, je