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379« PAPIER-2 manchmal sogar zahlreich geworden ist. Am Abende des Zahltages besieht er sich regelmäßig seine 36—40 M. mit sehr gemischten Gefühlen und kommt stets zum Schluß, daß es nicht hin und her reicht. Sein Kollege, der Zei tungsetzer so und so, hat sich nicht mit Uebungen im Zeichnen, im Tonplattenschnitt usw. abgemüht, er hält sich keine Fachzeitschriften und verdient 50—60 M., oft auch noch mehr. Es muß anders werden! — Gibt er weniger auf seine Kunst, so strebt er auch nach einem Zeitung setzerposten, gilt ihm aber sein Spezialfach etwas, so sucht er sich, wenns glückt, einen Akzidenzfaktorposten, denn Akzidenzfaktore werden immer noch gesucht. Er nimmt die Stelle mit etwa 45 M. an, denn als Anfänger kann er nicht mehr erhalten. Hier aber merkt er bald, daß er vom Regen in die Traufe geraten ist, glaubt aber nun durch Aushalten und längeren Dienst sich die ihm fehlenden von seinem Prinzipal verlangten Eigenschaften, weniger Kennt nisse, aneignen zu können. Da er ein gewissenhafter Mensch ist, hat er doch schon einige Jahre seinen Posten ausgefüllt; ob sein Prinzipal mit ihm zufrieden ist, weiß er noch immer nicht, denn die Vorwürfe bezüglich des zu wenigen Verdienens der Druckerei und wegen jeder anderen, in einer Druckerei so zahlreich vorkommenden Mißlichkeit haben eher zugenommen als aufgehört. Sein Lohn ist ja während der 5—7 Jahre um 3 M. gestiegen, aber mehr scheint es nicht zu geben. Wie wärs, wenn er sich nach einer anderen Stelle mit besserer Bezahlung umsähe, denn die Lebensmittel und die Wohnungen sind mittlerweile so gestiegen, daß er jetzt fast noch weniger hat, als als Setzer. Er sieht die Anzeigenteile der Fachblätter durch: Energischer Faktor mit nachweislich mehrjähriger Tätigkeit als solcher, durchaus tüchtiger Akzidenz setzer, im Tonplatten- und Bleischnitt geübt, nicht über 40 Jahre alt, firm in der Kalkulation, gewandt im Verkehr mit dem Publikum, Kenntnis in der Buch führung, tüchtig im Korrekturenlesen, fesselnder Lokalberichterstatter, der auch die Redaktion einer Zeitung mit übernehmen und auch am Kasten aus helfen muß, wird gesucht unter x y. Er sucht weiter, aber immer wieder dieselben und ähn liche Ansprüche, denn er ist über 40 Jahre alt, hat keine Gelegenheit gehabt, mit dem Publikum zu verkehren und kennt die Buchführung in den meisten Fällen nicht, und wenn er auch einmal Vorjahren darin Unterricht genommen hat, so hat er sie doch nie praktisch verwerten können. Doch endlich findet er ein ihm angemessenes Gesuch. Die Anzeige ist selbstverständlich unter Ziffer, er bewirbt sich, erhält aber keine Antwort Und so schreibt er noch im Laufe der Jahre viele Briefe, auf die er alle keine Antwort erhält. Empfehlungen fehlen ihm. Freunde, die ihm ein mal etwas mitteilen, bat er nicht, am wenigsten unter den Setzern, deren Vorgesetzter er sein soll. Dem Verband darf er manchmal auf Wunsch seines Prinzipals und oftmals aus prinzipiellen Gründen nicht angehören. Er fühlt, er ist allein! Doch dort, wie wärs mit dem Faktorenbund? Er hat gehört, daß derselbe seinen Mitgliedern auch Stellen vermittelt. Er meldet sich zur Aufnahme und erfährt, daß der Bund als Mitglieder nur solche bis zum Alter von 45 Jahren aufnimmt, er ist nun schon 46 oder gar älter. Ja, was nun? — Sonderbar! Es gibt Setzer — Akzidenzsetzer nannten sie sich auch — die schon mit 22—25 Jahren Faktor in irgend einer Druckerei geworden sind, wie die doch alles schon gekonnt haben, wozu er sich 10 Jahre länger vor- bereitet hat? — Freilich genügten sie in der ersten Stelle nicht, sind aber immerhin ein Jahr darin gewesen und haben eine zweite und dritte Stelle erhalten. Jetzt sind sie 27 Jahre alt, seit mehreren Jahren im Faktorenbund und haben Anspruch, von dort aus vermittelt zu werden. Kenntnisse als Akzidenzsetzer haben sie nur insoweit, als sie sagen können »das gefällt mir« und »das gefällt mir nicht«. Das hat sich geübt. Sie dienen ihrem Prinzipal damit, daß sie ihre Unzufriedenheit mit der quantitativen Leistung der Setzer fortwährend kundgeben und haben sich auch den erfahrenen und geschulten gegenüber ein anmaßendes Wesen angewöhnt — und das ist dem Prin zipal recht! Freilich ist derselbe ihnen gegenüber womög lich noch um einen Ton knurriger, als dem anderen, ge schulteren Faktor gegenüber. Aber sie verstehen besser den Katzenbuckel zu machen und kommen weiter. EITUNG Nr. 86 — L , Unsere Prinzipale in den Großbetrieben sind fast alle keine Fachleute. Ist auch nicht nötig'. Man müßte nun aber glauben, sie könnten zur technischen Leitung ihrer Druckereien nur durchaus technisch gebildete Personen ge brauchen. Dem ist aber nicht so! Viele dieser technischen Leiter sind innerhalb einer Zeit von 1—2 Jahren irgendwo in Posemuckel als Volontäre ausgebildet und dann als Kontorgehilfen einige Jahre in irgend einer Druckerei tätig gewesen. Dann haben sie irgendwo als »Stütze des Prin zipals« eine Zeitlang sich einige oberflächliche Kenntnis vom Betrieb angeeignet, um später, gestützt auf Zeugnisse dieser ihrer erfolgreichen Tätigkeit und manchmal auch noch auf ein solches aus einer höheren Schule, die Stelle eines technischen Leiters mühelos zu erhalten. Ein Jahres gehalt von 6000—8000 M. und noch mehr wird diesen Herren, die zur Vorbildung für ihre Stellen nicht so viel Zeit gebraucht haben, wie ein guter Akzidenzsetzer, in nicht gerade seltenen Fällen gezahlt. Wasihnen antechnischem Wissen abgeht, müssen die Abteilungsfaktore in so viel reicherem Maße haben. Wäre wenigstens an Stelle der fehlenden Fachkenntnis eine hervorragende kaufmännische Fähigkeit zur Ausfüllung des Postens vorhanden, so könnte eine derartige Bevorzugung noch einige Berechtigung haben. Aber die käufmännische Tätigkeit der Herren hat sich in den meisten Fällen doch nur auf das Preismachen zu beziehen, seltener, daß einmal ein Kunde zu besuchen ist, und noch seltener wird von ihnen verlangt, einen Kunden zu gewinnen. Dazu haben die Großbetriebe ihre rein kaufmännischen Kräfte. Die Ermangelung der tech nischen Bildung wird nun meistens durch barsches Auf treten den Abteilungsvorstehern gegenüber verdeckt, und wehe, wenn man denen ein Versehen nachweisen kann. Eine sehr beliebte Maske dieser Herren ist die Nervosität, hierdurch erreichen sie in den meisten Fällen auch den Anschein besseren Wissens. Die Abteilungsfaktore sind in den Händen solcher Betriebsleiter am schlechtesten dran. Bezahlt werden sie durchaus nicht besser, womöglich noch schlechter als in kleineren und mittleren Druckereien. Der Prinzipal kümmert sich um sie nicht, ihm ist sein Ge schäftsführer alles, der bekommt die Anstände von ihm, aber auch die Bezahlung. Der Geschäftsführer gibt wohl die ersteren weiter, sucht aber die Betriebsunkosten zuerst an den Abteilungsvorstehern zu erniedrigen, denn die Setzer und Drucker sowie das Hilfspersona haben ihren Tarif. Dabei soll ein solcher Abteilungsvorsteher arbeits freudig sein und den ihm unterstellten Setzern, oft 40—50 an Zahl, durch sein Wissen und Können und nicht zuletzt durch seine Person imponieren. Nun sage mir einer, wie solches bei einem Wochenlohn von 45 bis höchstens 55 M. (in den seltensten Fällen sind es mehr) wohl möglich ist? Was wunder, wenn so viele tüchtige Akzidenzsetzer beizeiten die Erfolglosigkeit ihres Strebens einsehen und sich, trotz aller Setzmaschinen, einen Platz in einer Zeitung zu erringen streben. Mich dünkt, sie sind die Gescheiteren. Es geschieht auch bisweilen, daß ein ehemaliger Akzidenzsetzer irgendwo einen gutbezahlten Faktor- oder Oberfaktorposten erhält; es ist auch schon vorgekommen, daß einzelne technische Leiter geworden sind, aber min destens ebenso oft haben Werk- oder Zeitungssetzer der artige Stellen erhalten. Diese Fälle sind sonach ganz be sondere Glücksfälle und fast nie von der technischen Tüchtigkeit abhängig; sie werden hier in Berlin immer seltener, weil der Großbetriebe mit Nichtfachleuten als In haber immer mehr werden. Faktorjünglinge und ungenügend technisch vorgebildete Geschäftsleiter sind Krebsschäden an unserem Gewerbe. Wenn von Prinzipalsseiten hier keine Umkehr zum besseren vollzogen wird, so nützen uns unsere Weiterbildungs bestrebungen nichts, denn was wir anstreben, verstehen jene Herren nicht zu würdigen, und der Teufel mag sich am Ende einer Kunst freuen, in der die Künstler materiell zurückgesetzt werden. Wie so mancher von uns, ob Akzidenzsetzer, ob Faktor, empfindet nicht einen gewissen Neid, wenn er z. B. an irgend einem Neubau vorübergeht und sieht daran die Maurer oder Zimmerleute beschäftigt. Ein jeder von ihnen verdient mehr als der geschickteste Akzidenzsetzer, und der Maurer- oder Zimmerpolier bedeutend mehr als in den meisten Fällen so ein Faktor. Gott grüß die Kunst! X. Y.