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Nr. 89. PAPIER-ZEITUNG. 2839 Neue Pariser Einbände. Nachdruck verboten. Paris, November. Unter den neuen Einbänden, die in diesem Jahre den Weih nachtstisch schmücken werden, fällt die grosse Zahl der Leder- Imitationen auf. Das » Genre ancien «, die Nachahmung der riesigen schweinsledernen Folianten, wird dabei bevorzugt, deren Jahr hunderte überdauernde Haltbarkeit den neuen Deckeln allerdings abgehen wird. Im übrigen ist die Nachahmung so gelungen, dass der Laie darauf schwören würde, es mit einem Schweinslederband zu thun zu haben. Sehr viel sieht man marmorirte oder unregelmässig fein goldgeäderte Deckel, ferner Deckel mit hellerer Zeichnung, die den Eindruck erwecken sollen, als hätte der mindestens schon 100 Jahre alte und deshalb auch in der Farbe ganz verschossene Band Risse und Sprünge in dem dicken, glatten Leder erhalten. Die einzige Verzierung des Leders bilden tief eingedruckte Rand streifen. Sehr hübsch kann man diese Sachen, ehrlich gesagt, nicht nennen, aber sie bieten dem verwöhnten, übersättigten Ge schmack des Franzosen eben etwas ganz Neues und werden deshalb recht viel gemacht. Bei einer jetzt beliebten Art des Einbandes werden der Rücken des Buches und die beiden Deckel, wie beim Umschlag, ganz in eins genommen, die Deckel sind also nicht ab gesetzt. Die Verzierung geht von einem Deckel über den glatten Rücken auf den andern hinüber, als bildeten beide nur eine Fläche. Die marmorirten, die gepressten, sowie die fein geäderten Deckel erhalten breite, glatte Ecken aufgesetzt, meist in Schwarz, Dunkelblau oder Grün; zuweilen stimmt damit auch die Rücken verzierung überein. Das »Genre craquel« ist nach wie vor sehr beliebt, ebensowohl in stark glänzendem Leder als in Lederimitation. Leichte Goldpressungen, vertiefte Sterne oder Kreuzchen, abwechselnd mit kleinen Rosen an kurzem Stengel, werden gern als Füllung des Grundes gewählt. In diesem Falle wird, falls nicht von jeder weitern Ausstattung Abstand genommen wird, wie es auch häufig der Fall ist, meist nur noch eine ganz schmale, kaum einen halben Centimeter breite Goldborte ringsum angefügt: dreieckige vielzackige Blättchen steif aufrecht stehend, abwechselnd mit der Spitze nach oben oder nach unten gestellt, zwischen dünnen Goldstreifen. Die Deckelverzierung in Form einer oben und an der rechten Seite befindlichen, zwei bis drei Finger breiten Goldborte ist noch immer beliebt; in Bezug auf die Muster ist eine Veränderung der Geschmacksrichtung wahrzunehmen, man zieht nämlich die ganz dichten feinen Arabesken den weit auslaufenden und stark ver zweigten dickem vor. Die Linien sind oft so dünn, dass sich das Muster in einiger Entfernung garnicht mehr erkennen lässt, und die Stelle nur wie ein leicht goldig angehauchter Streifen erscheint; erst in der Nähe bemerkt man, dass sich der Ausputz aus einer breitem Mittelborte und schmälern Seitenborten, die durch glatte Linien getrennt sind, zusammensetzt. Diese schmälern Borten sind nun entweder durch Streifen vom Grund abgegrenzt oder laufen in schräge, seltener grade stehende Goldbäumchen oder Zweige aus. Zu dieser Art Verzierung wird ein Grundmuster: tief eingedrückte Kreuze oder Lilien, seltener Streifen, gern ver wendet, das aber nie farbig oder in Golddruck erscheint. Bei derartigen Einbänden fallen Titel des Werkes und Namen des Verfassers auf dem Deckel weg und können höchstens mit kleinen Goldbuchstaben auf dem Rücken, aber ohne jede Um rahmung vermerkt werden. Für Gedichte und kleinere Samm lungen von Erzählungen findet der albumartige Einband guten Absatz. Das Buch wird mit einer überzuhakenden Metallverzierung geschlossen, die sich dann noch über den halben Vorder- deckel ausbreitet. Der Deckel ist etwa 1/4 cm überstehend und mit einer abstechenden farbigen Borte mit Golddruck am Innenrande verziert. Ein Muster dieser Art war in graublau craquele mit Stahlornamenten, der Innenrand dunkelgrün mit Gold sternchen ausgeführt. Selten findet man hierbei vorstehende Rippen am Rücken; das ganze Buch ist glatt und wie aus einem Guss. Trat im vorigen Jahr ein Käufer in ein gut eingerichtetes Geschäft für Einbanddecken, so hatte er sich zwischen dem »Genre classique« und der »Reliure amateur« zu entscheiden. Heute ist die Eintheilung anders, nämlich das schon beschriebene »Genre ancien«, die getreue Nachahmung und auch die Moderni- sirung alter Einbände, und das »Genre fantaisie«, worunter man alle jene bunten, oft äusserst farbenprächtigen und gesucht origi nellen Büchdeckel versteht, die im Frühjahr beispielsweise in der Ausstellung des » Champ de Mars « vorgeführt wurden, wo so starke Anregung darin gegeben wurde, dass das ganze Jahr hin in dieser Richtung weiter probirt und geschaffen worden ist. Wie ich schon früher einmal erwähnte, wird bei diesen Sachen der Vorwurf für die Deckelverzierung aus dem Inhalt des Buches selbst gezogen. Mit den Farben wird nicht sparsam umgegangen; der Grund ton ist gelb, roth oder leuchtend blau, und die Auf- schifften laufen in kritzliehen schiefen, bald grösseren bald kleineren Buchstaben zwischen den Verzierungen hindurch oder gehen auch über sie hinweg, unbekümmert, ob sie einem Pferd die Beine abschneiden oder die wie Schattenbilder heran schwebenden allegorischen Figuren des Kopfes berauben. Ganz merkwürdige Sachen bekommt man dabei zu sehen: in des Mondes Silberlicht getauchte Gewässer, aus denen Gespenster emporsteigen; Rachegeister mit gräulich verzerrten Fratzen, die den zusammen geknickten Schuldigen umschweben, u. A. m. Es gehört im Grunde eine eigene, jedenfalls hypermoderne Geschmacksrichtung dazu, um die Sachen wirklich schön zu finden; da sie aber hier sich zu einer ganz bestimmten Art herausgebildet haben, so dürfte es möglich sein, dass man sie auch in Deutschland nicht ganz unbe achtet lassen wird; Uebertreibungen können ja vermieden werden, und auch in Bezug auf die Vorwürfe kann man anders wählen; wirklich künstlerisch aufgefasst sind diese Einbanddecken trotz des Barocken, das nebenbei mitgeht, doch. Interessant ist die Behandlung des Stoffes. Der Grund ist gepresst oder geperlt, stellenweis gerauht oder glänzend glatt und anders gefärbt; viel Schwarz und Braun kommt stets bei den Figuren zur Verwendung. Zuweilen sind die Umrisse auch eingepresst oder mit scharfem Messer eingeschnitten, oder der Grund ist mit dichten Kerb- schnitten bedeckt. Ebenfalls in dieser Richtung angehörend, aber wieder ganz anderer Art sind stark gerippte Buchdeckel mit glattem Rücken und mit eingelassenen goldnen Medaillons in der schwarzen Randverzierung. Die Prachtbibel Gustav Dores ist in ähnlicher Art eingebunden zu sehen. Der Grund in Roth ist gross geperlt; die Zeichnung in Grau stellt im oberen Theil ein von Sphinxen getragenes Gitter vor, unten kreuzen sich eine Anzahl Friedenspalmen, den. Mittelraum nimmt eine in breitem, glattem Goldrahmen eingeschlossene Zeichnung in Schwarz mit feinen Goldlinien ein, die Schöpfungs gewalt als eine in undeutlichen Umrissen über dem Weltall schwebende Gestalt versinnbildlichend. Sämmtliche Umrisslinien der ganzen Zeichnung, die sich ausschliesslich in Grau und Gold auf dem rothen Grund abheben, sind schwarz umzogen. Die beiden Prachtbände der Bibel nebst dem kunstreich verzierten Inhalt kosten 200 Franken. Was den Goldschnitt der Bücher anbelangt, so werden die vielfarbig metallisch schillernden, rothen, braunen, hellgelben oder grüngoldigen Töne jetzt ausschliesslich angewendet. Auch der wie Perlmutter schimmernde Buchschnitt gilt für hochmodern. Die innere Seite des Buchdeckels wird mit glanzlosem, dunkel grünem, blauem oder goldbraunem Ripspapier bekleidet, doch zeigen viele Einbände auch ein schönes goldgesterntes, gewelltes oder moirirtes Pompadourpapier. Bei allen eleganteren Bänden wird ein färbiges oder weisses, aber in letzterem Fall gold bedrucktes dickes Blatt direkt hinter dem Deckel eingeheftet. w. Hohlstichel für Bleigravierung. In der Reihenfolge von 1 bis 5 gebe ich nachstehend eine neue Art von Hohlsticheln bekannt, die in der Praxis genügend erprobt worden sind, insbesondere durch Herrn Stereotypeur Königstedt in der Offizin Dülfer zu Breslau. Diese Hohlstichel sind Handarbeit des Feinmechanikers; Nm. 2, 3, 4 und 5 zeigen die natürliche Grösse der Stichelhöhlung. Der Stereotypeur, der viel mit Gravirarbeiten zu thun hat, wird den Werth dieser Stichel zu schätzen wissen. Carl Kempe in Nürnberg.