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318 PAPIER-ZEITUNG. No. 12. Lumpen und Cholera. Wie in Nr. 82 von 1892 mitgetheilt wurde, hat die Lumpen- Grosshandlung Lewy Gebrüder in Berlin unterm 13. Oktober an eine grosse Anzahl von Lumpen-Interessenten, nämlich an Papier- Fabrikanten, Kunstwoll-Fabrikanten, Lumpenhandlungen usw. ein Rundschreiben gerichtet, in welchem um Beantwortung der an der genannten Stelle aufgeführten Fragen über Erkrankung von Lumpenarbeitern an der Cholera gebeten wurde. Die Anschreiben gingen an Betriebe in Deutschland, Oesterreich, der Schweiz, Holland, Dänemark, Russland, Belgien und Frankreich, Italien und England. Dabei wurden von den Papierfabriken nur die grössten gewählt. Es wurde angenommen, dass das Interesse der Papierfabrikanten am freien Lumpenverkehr nur gering sei, namentlich bei den Papierfabriken Oesterreichs, weil-dort die Ausfuhr der Lumpen durch einen sehr hohen Zoll nahezu verhindert ist. Mehrere deutsche Papierfabriken haben die Beantwortung der Fragen, auch nacli wiederholtem Ersuchen, unterlassen. Ausgefüllte Fragezettel gingen ein von 60 deutschen Papierfabriken, 48 deutschen Kunstwollfabriken, 296 deutschen Lumpenhandlungen, 35 österreichischen Papierfabriken, 12 österreichischen Kunstwollfabriken, 106 österreichischen Lumpenhandlungen, 129 Lumpenhandlungen u. Lumpenverarbeitungsbetrieben in anderen Ländern. 686 insgesammt. Diese Auskünfte sind von den Veranstaltern der Umfrage an das Kaiserliche Gesundheitsamt gesandt worden, mit einer Ein leitung, welche folgendermaassen lautet: Berlin, 15. Januar 1893. An das Kaiserliche Gesundheits-Amt hier. Unterm 13. Oktober v. J. hatten wir die Ehre, Ihnen mitzutheilen, dass wir auf Wunsch unserer Berufsgenossen eine Umfrage betreffend die Gefahr der Uebertragung von Cholera durch Lumpen einleiten wollten, und heute können wir Ihnen den Abschluss der Umfrage melden. Bevor wir das Ergebniss zusammenstellen, erlauben wir uns die Schäden darzulegen, welche der Handel durch die im vergangenen Sommer verhängten Sperren erlitten hat. Wir theilen die Schäden ein in solche, welche unmittelbar beim Erlass der Sperrverordnung ent stehen mussten und in solche, "welche durch die Dauer der Sperre ver ursacht sind. In Bezug auf erstere ist zu bemerken, dass, wiewohl im Handel aus früherer Erfahrung das Vorurtheil der Behörden gegen Lumpen bekannt ist, so dass hie und da Sperren zu erwarten waren, der Ein tritt der Sperre immerhin den Handel in lebhafter Thätigkeit treffen musste. Es ist ja niemals vorauszusehen, wie die Cholera räumlich und zeitlich sich verbreitet, so dass der Handel sich nicht gegen Ueber- raschungen zu schützen vermag, zumal ein grosser Theil des Verkehrs in Lumpen wegen der Wohlfeilheit des Artikels auf den langsamen Wassertransport angewiesen ist. Im Lumpenhandel spielt Amerika die Rolle des Importeurs; bei den meisten sonstigen Kulturländern kommt für uns sowohl Export wie Import in Frage, namentlich in Bezug auf die zur Kunstwollfabrikation verwendeten Stoffe. Der Verkehr in Lumpen zwischen den verschiedenen Ländern ist daher ein sehr vielseitiger. Es mag ununtersucht bleiben, ob der Termin des Eintritts der Sperre ein solcher hätte sein können, um die Käufer in Deutschland und im Auslande in die Lage zu bringen, durch telegraphische Weisung ein nutzloses, weil zu spätes, Verladen von Partieen zu verhindern. Jedenfalls ist es Thatsache, dass an allen Grenzen Sendungen angehalten werden mussten, weil die Sperren meistens mit dem Erlass in Kraft traten. Auf diese Weise liegen noch heute beträchtliche Sendungen Lumpen an den Grenzen, sowohl an der russischen wie öster reichischen usw. Wegen der deutschen Sperre wurden viele Wagenladungen russischer Lumpen an der russischen Grenze angehalten. Die russischen Behörden weigerten sich aber, die Sendungen, welche aus dem Innern kamen und ihnen ebenfalls gefährlich erschienen, an den russischen Grenz orten stehen zu lassen. Nur durch persönliche Bemühungen und mit erheblichen Kosten gelang es, für die Sendungen in einem abseits der Grenze liegenden Orte auf die Dauer der Sperre Unterkommen zu finden. Von der Ostsee war eine Sendung auf England schwimmend, als die englische Sperre eintrat. Da der benutzte Dampfer nicht nach dem Abladeplatz zurückging, so ist als besonderer Glückszufall zu betrachten, dass an dem zweiten deutschen Löschplatze des Dampfschiffes der Ein lass der Sendung nicht verweigert wurde. Der ferneren Sendung eines deutschen Ostseehafens wurde un erwarteter Weise in Holland der Einlass verwehrt. Anderseits ver weigerte die deutsche Behörde die Rückkehr der Sendung, so dass der Ablader persönlich in Holland eingreifen musste, ohne dass ihm auch dort die Landung gelungen wäre. Man ging dort so weit, dem Dampfer das Löschen anderer Ladung (Holz) nicht nur im Hafen selber, sondern auch auf der See, durch Ueberladen in Lichter, zu verbieten. Das Schiff musste nach England gehen, um seine andere Ladung zu löschen, und von dort fand es, zum Glück für den Eigenthümer der Lumpen, Ladung nach dessen Hafenplatz, woselbst die deutsche Behörde, da die Lumpen nicht ausgeladen worden waren, das Löschen erlaubte. Gerüchtweise verlautet, dass eine Sendung aus Odessa in Hamburg nicht ausgeladen werden durfte, in ein New Yorker Schiff gebracht, aber auch in Amerika nicht eingelassen wurde, so dass vor kurzem die Waare noch auf dem Ozean schwimmen sollte. Als von Amerika die Kabelnachrichten betreffs der Sperre vor lagen, hat ein grosser Stettiner Dampfer sich mehrtägigen Aufenthalt gemacht, um die an Bord befindlichen Lumpen wieder zu löschen. Den Interessenten ist ein enormer Verlust durch Konjunktur, Zinsen und Lagerkosten entstanden, wenngleich die Rhederei schliesslich selber einen Theil davon neben ihren eigenen Unkosten hat übernehmen müssen. Die amerikanische Sperre datirt vom 19. August; sie wurde ver öffentlicht am 25. August und "setzte als Termin für den Einlass von Lumpen den 20. September fest. Natürlich war ausgeschlossen, dafür zu sorgen, dass alle schon auf dem Ozean schwimmenden Sendungen diesen Termin innehielten. Zwar haben wir von einer positiven Zurück weisung solcher Sendungen nichts gehört, jedenfalls aber waren Um stände und Kosten nöthig, um den Einlass nicht nur dieser Sendungen, sondern auch solcher, welche vor dem 20. September eintrafen, zu er wirken, weil die Provinzial- und Lokalbehörden sich berechtigt hielten, über die Verbote der Bundesregierung hinauszugehen. Man hat an verschiedenen amerikanischen Häfen Sendungen aus absolut unver dächtigen Häfen, noch vor dem 20. September eingehend, nur an ganz entlegenen Plätzen zu landen und aufs Unbestimmteste einzulagern ge stattet. Auch hier entstanden erhebliche Kosten, und die Interessenten können von Glück sagen, dass man die Sendungen freigegeben hat, als — der Draht das Nachlassen der Seuche in Hamburg meldete! Einem Hüller Dampfer, welcher Lumpen aus Hamburg an Bord hatte, wurde das Landen seiner sonstigen Güter in Amerika wohl er laubt, aber die absolut unverdächtigen Lumpen, welche er in fest ge pressten Ballen gleichzeitig aus Stettin mit sich führte, mussten (mit dem Hinweis auf die Hamburger Sendung) sich ein kostspieliges Dämpfen gefallen lassen. Desgleichen hat es genügt, um hie und da Abfälle in die Verbote einzuschliessen, dass sie den Fehler haben, durch Lumpenhändler ver kauft und zur Papierfabrikation verwendet zu werden, z. B. alte Säcke und Stücke von solchen, alte Stricke, Taue und Netze. In England war im Anfang die Einfuhr neuer Abschnitte vom Schneider untersagt, und später, als sie frei kamen, liefen sie die Gefahr der Zurückweisung, so bald ein findiger Zollbeamter ein Stückchen gebrauchten Stoffes darin zu entdecken glaubte. In den Vereinigten Staaten hiess es, dass selbst alte Bücher und Papiere verboten seien. Wir wissen, dass solche Sen dungen trotzdem durchgelassen worden sind, Es ist aber schon aus reichende Schädigung für den Handel, wenn darüber Unsicherheit herrscht, zumal nirgends feststeht, wo die Machtvollkommenheit der Provinzial-, Gemeinde- u. a. Behörden aufhört. Wir haben nur einige Fälle aus vielen angeführt. Die beiden letzten Beispiele zeigen, wie die Furcht vor der Ansteckung durch Lumpen der bescheidensten Logik entbehrt. Wohlweislich waren alle Sendungen nach Amerika seit dem Jahre 1885 mit Gesundheits-Attesten versehen, und allein ein einziges deutsches Haus soll für die Legalisirung durch die Konsuln an 20000 M. verausgabt haben. Nun darf nicht geleugnet werden, dass wegen der Befürchtung von Sperrmaassregeln das Geschäft im Frühjahr und Sommer ein lebhafteres gewesen ist, und dass besonders diejenigen deutschen Firmen, welche im Auslande Kommissionsläger unterhielten, durch das unausbleibliche Steigen der Preise Vortheile gezogen haben. Aber wenn diese Vortheile auch grösser wären als die Nachtheile, welche durch das Anhalten von Sendungen an den Grenzen entstanden sind, so unterliegt keinem Zweifel, dass sie nicht den Verlust aufwiegen, welchen die Lähmung des Ge schäftes während der Sperrmonate verursacht hat. In Bezug auf diese dauernden Schäden ist Folgendes zu bemerken. Deutschland hat nicht nur Sperren gegen das Ausland gehabt, sondern es lagen auch Sperren innerhalb Deutschlands selber vor, und wo nicht die Behörden den Verkehr untersagten, da fürchteten die Rhedereien, den verpönten Artikel zu laden. Bei dem heutigen Durch- schnittswerthe der Lumpen kann der Handel sich auf den Eisenbahn transport nicht beschränken. Beispielsweise ist ein rentabler Verkehr zwischen den Ostseeplätzen und dem Rheinland, Westfalen usw. auf die Versendung zur See beschränkt. Der Verkehr innerhalb Deutsch lands war daher auf kostspielige Umwege angewiesen und war selbst dieser Umwege nicht sicher, da täglich neue Hindernisse entstehen konnten. Dazu kam die Hemmung des Verkehrs von und nach dem Auslande. Im Verkehr der für die Kunstwollfabrikation dienenden Lumpen findet, wie wir schon andeuteten, ein Hin und Her zwischen Deutsch land und anderen europäischen Staaten statt. Dieser vielseitige Verkehr beruht darauf, dass im Auslande gewisse Gattungen von Stoffen im Uebermaass getragen werden, während Deutschland von solchen wenig besitzt. Wiederum hat Deutschland eine Erzeugung bestimmter Stoff- Gattungen, nach denen im Auslande wegen der Seltenheit dort Begehr ist. Es liegt das an der Verschiedenheit des Klimas, an der Ver schiedenheit des Wohlstandes der Bevölkerung usw. Wenn also Deutsch land sich absperrt, so gebraucht Deutschland nicht etwa diejenigen