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ImM G IchMtm WSlatt für MMm, Kmtbhm, AchmhM, Dtiiltza, Drrdvrf, LA, MmmrljM, KAßM «ndßtiNni. Wip. Wi AeiNiSu MiißMeq, LiiWI, Pmßn. SchMlW, Antlrit, Wm, SiIW». geniW M Il>,qnit. MÜ einer iüustrierlrn Sonntags- Vellage. Dieses Blatt erscheint in Naunhof jeden Dienstag, Donnerstag und Sonnabend, Nachmittag 6 Uhr, mit dem Datum des nachfolgenden Tage» und kostet monatlich 35 Pfg., vierteljährlich 1 Mark. Für Inserate wird die gewöhnliche einspaltige Zeile oder deren Raum mit 8 Pfennigen, für solche außerhalb der Amtshauptmannschaft Srimma, sowie für Anzeigen am Kopfe und im Reklameteile, mit 10 Pfennigen, berechnet, bei Wiederholungen tritt Preisermäßigung ein. Nr. 29. Freitag, ben 9. März 190<X I^ Jahrgang. Bekanntmachung. Die Unsuhre von ca. 100 odm. Kies aus der städtischen Kiesgrube bez. von der Gartenstraße nach dem Gottesackt r einschließlich Aus- und Abladen soll vergeben werden. Schriftliche Angebote, aus 1 odm. berechnet, sind bis 11. März ». e. Nachm. 6 Uhr bei dem unterzeichneten Vorsitzenden einzureichen. Naunhof, 8. März 1900. Der Kirchenvorstand. P. Herbrtg, Bors. Menschen als Versuchstiere. Die medizinische Fachlitteratur bildete bis vor wenigen Jahren noch eine Welt für sich. Mehr wie auf anderen Gebieten war sie dem Laien vollständig un bekannt, und er hatte keine Ahnung, was in den Laboratien, in den Kliniken, in den Hörsälen der Universitäten getrieben wird. Aber er hatte die Ueber- zeugung und das Vertrauen, daß unsere Aerzte und Professoren nichts anderes als Priester der Humanität, hilfsbereite Samariter seien. So stand die Sache noch vor einigen Jahrzehnten. Da entstanden zwei Be wegungen, die mit grellem Lichte in die „Folterkammern der Wissenschaft"*) hineinleuchteten: die Agitation für Tierschutz und gegen Vivisektion (Versuche an lebenden Tieren) und die Naturheilbewegung. Seitdem befindet sich der Stein lm Rollen, und die medizinische Fach litteratur, in der die blutigen Experimente herzloser, verknöcherter Gelehrten und Studenten an armen, lang sam zu Tode gequälten Tiere beschrieben wurden, wird nach Möglichkeit einer Controls unterzogen. Jetzt existiert hierüber eine ganze Streitfchrtftenlitteratur. Neu aber war bis vor einigen Jahren, daß der artige Versuche auch an Menschen, meist aus öffentlichen Mitteln verpflegten Armen — hilflose Todeskandidaten Wöchnerinnen in den EntbindungShäusern, Kindern — gemacht wurden, und zwar ohne deren Wissen und Ein willigung. Auch das ist in der neuesten Zeit ver schiedentlich festgestellt worden. Es handelte sich meist um die Einimpfung ekelhafter Exsudate, zum Beispiel des Eiters von Geschlechtskranken, um festzustellen — ob und wie weit das ansteckend wirkt. Einer der neuesten dieser Fälle lag dieser Tage dem Preußischen Abgeordnetenhause vor. Es handelt sich um Impfungen mit Syphilisgift, die der Breslauer Professor Neißer an armen seiner Obhut anvertrauten Kindern (!) vorgenommen und später in einem grundgelehrten Werke beschrieben hat. Dem konservativen Abg. v. Pappenheim gebührt das Verdienst, diese Sache zur Sprache gebracht haben. Die Debatte zeigte eine seltene Einmütigkeit aller Parteien des Hauses. Im Namen' ihrer Frak tionen erklärten die Abg. Sänger (Hospitant der freis. Vp), v. Jagow (kons), Graf Molke (freikons.), Dr. Sattler (natl ), Fritze (Ctr.) und v. Zedlitz (freikons.), daß sie geschloffen hinter dem Abgeordneten von Pappen heim ständen und gleich ihm die Vorkommnisse aufs tiefste bedauerten und verurteilten. Vom Ministertische erklärte zunächst Ministerial direktor Dr. Althoff, daß die Regierung keine Schuld treffe. Nach Bekanntwerden der Vorgänge habe sie sofort die Untersuchung eingeleitet. Nachdem der Staatsanwalt erklärt hatte, daß Verjährung einge treten sei, habe nunmehr die Regierung gegen Professor Neißer das Di ziplinarverfahren in die Wege geleitet. Sodann äußerte sich Kultusminister Studt dahin, daß auch er die Vorkommnisse auf- tiefste be dauere und bestrebt sein werde, mit allen Mitteln *) Titel eines epochemachenden Buches, das die Vivisektion schilderte und in allen zivilisierten Ländern einen Sturm der Ent« rüstung gegen diese entfesselte. dahin zu wirken, daß derartige Fälle sich nicht mehr ereignen. Aus der Debatte selbst führen wir noch folgende charakteristische Stellen an. Abg. v. Pappenheim fährt, nachdem er Stellen aus dem Neißer'schen Buche verlesen hat, fort: An vier unschuldigen Kindern, die den, Mann zur Heilung anvertraut waren, sind Versuche angestellt worden. Das ist ein so schweres Delikt, daß ich keinen parla mentarischen Ausdruck dafür finde. (Lebhafter Beifall.) Es sind leider auch ähnliche Fälle konstatiert; Gelehrte haben sich in cynischer Weise mit solchen Verbuchen ge brüstet. Das ist ein ganz unerhörter Mangel an Ver antwortung. Es sind nicht nur Versuche auf bakterio logischem Gebiet vorgenommen worden, es sind Kranke mit Furunkelgift infiziert worden. Anstatt dem Kranken seine letzten Stunden zu erleichtern, impfen sie ihm Furunkeln ein, bloS um ihre niederträchtigen Versüße anzustellen (Lebhafter Beifall.) Es ist die Pflicht und Schuldigkeit der Regierung, mit aller Energie da gegen vorzugehen, und ich glaube, daß man im letzten Jahre nicht mit der nötigen Energie vorgegangen ist. (Beifall.) Abg. v. Jagow (kons): Meine politischen Freunde legen Gewicht darauf, zu erklären, daß wir in dieser Frage einmütig und geschloffen hinter unserem FraktionS- geuoffen v. Pappenheim stehe». Wenn dsS DlSzipttnsr- verfahren gegen Professor Neißer ein Jahr, nachdem die Sache bekannt geworden ist, erst im Anfang steht, dann ist das ein unerträglicher Zustand. Wenn aber der Mann noch Leiter des Instituts und staatlicher Lehrer ist, dann liegt die Sache noch schlimmer. Gegen die Kliniken herrscht Mißtrauen im Volke, es wird durch solche Vorfälle nur vermehrt. Abg. Gras Moltke (sreik.): Meine polititischen Freunde können sich dem Urteil der Vorredner durchweg anschließen. Auch wir verurteilen nicht nur die Ver suche des Professors Neißer, sondern auch jedes andere Vorgehen anderer Gelehrten in ähnlichem Sinne. Abg. v. Pappenheim (kons.): Es ist unerhört, daß solche Dinge an unseren Universitäten vorkommen, und daß sie erst nach Jahresfrist zur Kenntnis der StaatSregierung kommen! Ist der Regierung etwa schon der Fall bekannt, daß einem Kranken, der an Paralyse litt, mit einem eigens dazu konstruirten Schröpfkopf Blut entzogen wurde, um es einem anderen Menschen einzuimpfen? (Bewegung.) Was will der Minister thun, um diesen Schimpf und diese Schande von der deutschen Wissenschaft zu nehmen? Kultusminister v. Studt: Ich erkläre hiermit, daß ich den ganzen Vorgang und die weiter von den Herren ^Vorrednern zur Sprache gebrachten Vorgänge aufS Aeußerste beklage und mit oller Energie danach streben werde, derartige Vorkommnisse für die Zukunft zu ver hüten. ... Ich stehe nicht an auszusprechen, daß ich da- Vorgehen deS Herrn v. Pappenheim für durchaus berechtigt halte. Zuletzt sprach noch Abg. Virchow. Er verteidigte die Handlungen solcher Fanatiker der Wissenschaft) wie Neißer, nicht, plädierte aber sozusagen für mildernde Umstände. Bezüglich der Tierversuche führte er aus: „Ohne das geht eS nun einmal nicht! Die Serum therapie ist absolut unmöglich ohne Tierexperimente. Msnn man aber damit nun aus eine gewisse Höhe ge längt ist, so ist eS ja auch natürlich, wenn man die Er fahrungen, die man gemacht zu haben glaubt, auf den Menschen überträgt (Widerspruch). Ich kann das nicht für eine Niederträchtigkeit, für eine Bosheit, für ein Verbrechen erklären. DaS ist der notwendige Weg. ES geht gar nicht ander- zu machen (Sehr richtig! links), und eS geschieht fortwährend. ES ist sehr schwer, eine absolute Grenze, ge wissermaßen ein Gesetzbuch zu finden. Diese Grenze ist doch nur in der Gewissenhaftigkeit der Aerzte zu finden, und wenn man dahin kommt, wirklich gewissen hafte Aerzte in größerer Zahl zu erziehen, so ist das meiner Meinung nach die größte Garantie, die man hat. Gewissenhaftigkeit wird aber gestärkt durch die Kontrole. Wie ich offen ausspreche: Kontrole gehört dazu. Daß zwischendurch mal Mißbrauch vorkommt, liegt ja in der Natur der menschlichen Einrichtungen. Wenn so etwas vorkommt, so mögen die Betreffenden bestraft werden. Ich spreche nicht etwa für die Straflosigkeit dieser Personen. Aber Sie dürfen daraus nicht all gemeine Schlüsse ziehen, welche die gesamte Wissenschaft die gesamte Kunst der Aerzte betreffen." Diese Verteidigungsrede des berühmten Gelehrten und Politikers war schwächlich genug, und das „Sehr richtig!" auf der linken Seite zeigt, daß nicht nur Regierungen sondern auch Parteien sich im direkten Widerspruch mit den Gefühlen des Volkes befinden können. Deutsches Reich. Berlin. Der konservative Abgeordnete Graf Stollberg-Wernigerode hat im Reichstage zur weiteren Beratung des Mats der Zölle und Steuern den Antrag eingebracht, daß der Steuersatz für Lose öffentlicher Lotterien von 10 vom Hundert auf 20 vom Hundert erhöht wird. Nachdem die in Berlin in großem Umfang an- geftellten Versuche mit Fernsprech-Automaten ein günstige» Ergebnis gehabt haben, ist die Aufstellung gleichartiger Apparate in mehr als achtzig weiteren Städten ange ordnet worden. Von gut unterrichteter Seite wird geschrieben, daß die durch die englischen Blätter laufende Nachricht, der Kaiser habe die Engländer zu ihren Waffenerfolgen in Südafrika telegraphisch beglückwünscht, durchaus un begründet ist. Der Kaiser hat weder an die Königin von England noch an irgend jemanden sonst in England eine solche Gratulationsdepesche gerichtet. In Preußen giebt es zur Zeit nicht weniger als 47 000 verschiedene Fahrkarten. Auf dem Friedrich- straßen-Bahnhof in Berlin sind ihrer allein 17 000 zu haben. Die Budgetkommission des Reichstages ge nehmigte den Etat für die Einführung des Checkver- kehrs im Neichspostgebiete unverändert mit der Bestimm ung, daß die Einführung erst am 1. September 1900 und nicht, wie geplant wird, am 1. April dieses Jahre» erfolgt. Dem Berichte der Reichsbudget-Kommission zufolge beziffert sich der für das Rechnungsjahr 1900 ermittelte Kapital wert unserer Flotte auf 406280000 Mark. In den Kreisen der Holz- und Kohlen Händler ist eine Bewegung für die Bildung einer eigenen Berufs genossenschaft im Gange. Auch die Geschäftsbücher werden teurer. Die vereinigten Bücherfabriken Deutschland- haben ein Rund schreiben erlassen, in dem sie mitteilen, daß sie von jetzt ab einen Aufschlag von 10 Prozent auf die bis herigen Preise eintreten lassen. Der Zentralverband der städtischen Haus- und Grundbesitzervereine wird seinen diesjährigen Ver bandstag vom 6. bis 8. August in Erfurt abhalten. Ein deutscher Kellnerkongreß tagt zur Zeit in Berlin. Es liegen Beschlußanträge zur Lohn- und Trinkgeldfrage vor, ferner zur Kellnerinnenfrage. * Ausland. Krieg in Südafrika. London, 6. März. General Joubert ordnete den Rückzug aller Kommandos auf da- Nordufer deS OranjeflufleS an. Stormberg ist bereits unbehindert ge räumt worden. Eine starke Abteilung Engländer marschiert von Kimberley nordwärts. Man erwartet , daß ihr der