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Beilage der Naunhofer Nachrichten. Nr. 15. Sonntag, den 4. Febmar 1900. 11. Jahrgang. Wie stärkt man die Gesundheit der Kinder? Von Vr. meä. Ebing. (Nachdruck verboten.) Wir leben im Zeitalter der Ueberhaftung und der Nervosität. Wer ist heute nicht nervös? Der eine mehr, der andere weniger. Das ist selbstverständlich, denn Nervosität oder Nervenschwäche ist das Erzeugnis eintt übergroßen Zivilisation. Ganze Nationen sind daran zu Grunde gegangen und Rosseau prophezeite dem gesamten Europa diesen Untergang. So schlimm wird es wohl nicht werden, doch muß etwas geschehen da» sehen die Intelligenten ein. So erklärt sich eine Erscheinung wie Pfarrer Kneipp, der durch Barfußlaufen und kalte Wasserkuren das verweichlichte Menschenge schlecht abhärten wollte. Nur übertrieben war stellenweise diese Kur. Dieses ist aber keine Abhärtung mehr, das ist eine Abstumpfung des Gefühls Und des Hautfinnes welche mehr schadet al» nützt. Gewiß ist ein kalter Bad ein Hauptmittel unserenKörper zu stärken, aber nicht feder verträgt gleich ein Bad von nur 16—17 Grad Reaumur. Und gar neugeborene Kinder in ein solches Bad zu tauchen, das ist gerade zu Unverstand und Barbarismus, der leider nur zu ost geübt wird, natürlich nur in bester Absicht. Das neugeborene Kind bedarf eines Bades von 28 Grad R., und erst nach vier bis sechs Wochen darf man anfangen, das Bad täglich höchstens um je einen Grad kühler zu bereiten. Niemals aber darf ein Kind ein Bad unter 22 Grad R. bekommen. Eine weiter verbreitete, höchst schädliche Sitte ist es ferner, die kleinen Kinder in Windeln einzuschlagen und sie dann mit einem Wickelband so fest rinzuschnüren, daß sie weder Hand noch Fuß rühren können. Diese Methode mag für die Wärterin bequem sein, aber ge sund für die Kinder ist sie nicht. Ein Kind, das eingeschnürt ist und sich nicht frei bewegen kann, hat fortwährend Verdauungsstörungen, Blähungen, Kolik und Stuhlverhaltungen. Goll so ein Kind noch lieb sein können? I» England ist man längst klüger. Dort hüllt man nur gewiße Körperteile ein und zieht dem Kinde ein langes, unten zum Zubinden eingerichtetes Flanell- oder Baumwollenröckchen an. So bleiben alle Glieder ftti. Warum soll der Mensch in Freiheit nicht eben so hübsch und schlank wachsen wie alle jungen Tiere? Warum ahnin wir nachahmungssüchtigen Deutschen nicht auch das Gute der Fremden nach? Auch da» Betten der Kinder in einer Wiege ist entschieden zu bekämpfen. DaS Schaukeln der Wiege beruhigt — betäubt und wiegen kann jedes Kind. Das sind d'e Gründe, warum die gefährliche Wiege heute noch existiert. Sin schreiendes Kmd, welches gewiegt wird, hört nicht auf zu schreien, weil die Ursache des Schreiens aufgehoben wird, sondern weil die anhaltende Bewegung es in Schwindel und Betäubung versetzt. Ein/Nettchen in einer festen Bettstelle, in einem Kinderwagen, ja selbst in einem Waschkorbe ist unter allen Umständen der Wiege vorzuziehen. Auch packe man das Kind nicht in dicke Feder betten. Der Mensch ist ein Luftgeschöpf; je mehr er davon in und um sich hat, desto besser gedeiht er. Zu warm zugedeckte Kinder dünsten mehr aus, als ihnen gut ist. Nur in den ersten 8—14 Tagen bedarf das Kind großer Wärme von außerhalb, weil der Stoffwechsel noch zu unbedeutend ist. In der dritten Woche kann man schon beginnen, es vorsichtig abzuhärten und an leichtere Bedeckung zu gewöhnen. Natürlich hat man der Jahreszeit Rechnung zu tragen, doch allzugioße Aengstlichkeit schadet nur. Kleine Kinder soll man nicht zu hoch mit dem Kopfe legen, der Blutkreislauf geht bei horizontaler Lage am besten und freiesten vor sich. Tas ist eine Thatsache, die sich auch viele Erwachsene merken können. Hat das Kind 20 Zähne, so beginnt die zweite Kindheit; es ist dann fähig, feste Speisen zu kauen und zu verdauen. Dieser Zeitpunkt tritt mit dem dritten Lebensjahr rin und man kann ihn ausdehnen bis zu dem Alter, in welchem der Mensch die Milchzähne gewechselt und im ganzen 32 Zähne erhalten hat. Schon beim neugeborenen Kinde find die Kronen der Schneidezähne und der vorderen Backenzähne im Kiefer entwickelt. Nach der Geburt entwickeln sich erst die Wurzeln. Sobald die Kronen später durch die Wurzeln nach oben geschoben werden, verliert das Zahn fleisch seine knorpelige Beschaffenheit; es wird weich, blutreicher und wärmer. Das Kind sondert deshalb mehr Schleim und Speichel ab, der oft in großer Menge aus dem Munde fließt. Dieser Zustand des Zahnfleisches erregt ein jucken de» Gefühl, weshalb die Kinder dann gierig auf harte Gegenstände beißen. In dieser Zeit darf man dem Kinde keine allzuharten Gegenstände geben; die allbe kannte Vellchenwurzel ist und bleibt da» Beste. Die Unart des Finger- oder Daumenlütschens entsteht auch zu dieser Zeit als eine Art von Selbsthilfe. Sie sollte niemals gelitten werden. Bestreichen der betreffenden Finger mit bitteren Stoffen wie Aloe oder Fischgalle hilft stets. Während des Zahnens sind auch die Verdauungs organe gereizt, so daß die Kinder mehr oder minder krank erscheinen. In Wirklichkeit sind sie es nicht, sie befinden sich nur in einem UebergangSstadium, welches immer mit erhöhtem Nerven- und Blutleben ver bunden ist. Die meisten Kinder lernen das Gehen gegen Ende deS ersten Jahres. Sie lernen dasselbe ganz von selbst und zwar um so rascher, je weniger sie in der ersten Zeit ihre» Daseins eingeengt waren. Es bedarf durch aus keiner künstlichen Vorrichtungen, die meistens sogar schädlich sind, wie die Gehkörbe. Bewegung ist des Kindes höchste Lust, selbst wenn es noch in den Windeln liegt. Es ist ein Naturbedürf nis, das man nicht hemmen soll. Wie behaglich dehnt so ein kleiner Weltbürger nicht den Körper aus, mit welche r Lust zieht ein gesundes Kind in schnellem Takt die Bei nchen auf und nieder, wenn es von den lästigen Windeln be freit ist. Mit welcher Geschicklichkeit rutscht das Kind später durch die Stube, wenn seine Beinchen noch zu schwach sind, um den Körper tragen zu können. Man lasse dem Kinde die Lust der Bewegung und störe sie nicht, denn sie kräftigt die Muskeln, verteilt das Blut gleichmäßiger, bewirkt rasches und tiefes Atmen, hebt die Verdauung und schützt das Kind vor Langeweile. Kinder, welche über ein Jahr alt sind, müssen täglich ins Freie, in die frische Luft. Bewegung in frischer Lust ist ebenfalls notwendig zur Gesundheit wie gute Nahrung. Man verurteile das Kind nicht zu stundenlangem Sitzen im Kinderstuhle, denn daS Kind empfindet eben so gut Langeweile wie Erwachsene. Die Arbeit des Kindes ist das Spiel. Spielen mit Laufen und Schreien im Freien ist die gesundeste Uebung. Mit dem sechsten Jahre können schon leichte gymnastische Uebungen ge trieben werden. Es ist eine übertriebene Vorsorge mancher Eltern, die Kinder, besonders die kleinen Mädchen, schon recht früh darauf aufmerksam zu machen, was schicklich sei oder nicht. Tie Geschicklichkeit, Anständigkeit und Scham haftigkeit werden nicht nur anerzogen, sondern auch an geboren und der Verstand darf in dieser Hinsicht bei den Kindern nicht vor den Jahren kommen. Die erste Erziehung des Kindes fällt naturgemäß der Mutter zu. Es ist eine bekannte Thatsache, daß große Männer in der Regel Mütter hatten, welche deren erste Erziehung mit Weisheit und Liebe selbst leiteten. Die Zukunft des Kindes ist immer ein Werk seiner Mutter. Die Entwickelung der geistigen Eigenschaften des Kindes hält in der Regel ganz gleichen Schritt milder Korperentwicklung. Weil das Gehim bei Kindern täg lich wächst, kann der Geist auch täglich wunderbar über raschende Fortschritte zeigen. Man kann leicht beobachten, wie der Kopf eines Kindes an Umfang zunimmt und bis zum zwölften Jahre fast die Größe erreicht, die er das ganze Leben hindurch behält. Ein Kind erziehen, - heißt vor allen Dingen sein Gemüt ausbilden. Die Ausbildung des Verstandes bleibt einer späteren Zeit überlassen. Es ist eine Thatsache, daß einseitige und frühzeitige Verstandseutwickelung das Gemüt erstickt und grausame Menschen schafft. Jedes Kind hat etwas Eigentümliches, Individuelles, welches bei seiner Erziehung berücksichtigt werden muß, wenn es gedeihen soll. Gegen die Uebelstände der Schule ist schon oft und viel geeifert worden, leider noch nicht Kriminalroman von William Michelson SS Auch Taryll war dieser Vorschlag sehr erwünscht «Und wie heißt bi« Dacht?" .Betty' .Betty?" sagte Laryll unangenehm berührt Roger nahm einen Arm seines Schwiegersöhne», schob den arweren Arm tu beu seiner Tochter und führt« sie ins Hau» .Wir vergessen ganz daß man an» g« Tisch erwartet" sagte er O » Durch di« offenen Fenster de» Speisesaale» erblickte man da» Grün der Bäume, und der erfrischend« Wind, der vom Meere herüberwehte, erhöht« da» Behagen der Gäste, die um die blumengeschmückte Tafel versammelt waren Roger hatte einen vortrefflichen Koch und seine Weine waren von tadelloser Güte Die allgemeine Stimm ung war bald eine so heitere, daß Laryll trotz seiner ge heimen Kümmernisse nicht bereute, dir Einladung seine» Schwiegervater» angenommen zu haben Er saß neben Al bertine und hörte schweigend den« fröhlichen Geplauder seiner Nachbarn von recht» und link» zu Ewald Rugby »var tn sprudelnde, Laune und ließ sich um so unbefan- gener gehen, al» seine Frau am anderen Ende der Tafel saß und ein hoher silberner Aufsatz ihn Ihrer Beobachtung entzog. Lina Brisson, welche von Roger zu Tisch geführt worden war, schwatzte so unausgesetzt, daß der Millionär wünschte, die Sprache versagte ihr aus einige Stunden. .Werden wir Sie auf dem nächsten Ball im Stadt haus« sehen, Herr Roger?" erkundigte sich Dr Bridge .Schwerlich," erwiderte Roger, .ich beabsichtige dem nächst ein» längere Reise anzutreten " ^Um die europäsichen Hauptstädte zu besuchen mischte sich Bälden, ein älterer Herr, tn» Gespräch .Wozu «igent- «ich? Mr haben, denk« ich schon genug von brr Welt ge sehen. Wa» Li« draußen suchen, finden Sie auch hier Hat eS uns in unserer Jugend in dieser Stadt an Aben teuern gefehlt ? War unser Theater nicht sehr gut, und wo gab e» eine anmutigere Tänzerin al» Betty?" Laryll zuckte zusammen. Er fühlte, daß Albertines kalte Hm»d die seinige berührte. .Und wer war diese Betty?" fragte Rugby neugierig .Wie ich schon sagte, eine Tänzerin," antwortete Bal- don .Ein« wunderbare Schönheit! Wir waren alle ver narrt tn sie Ach, diese Haare und diese Augen! Sie er- inner» sich ihrer doch, Roger?" .Ja," erwiderte der Hausherr trocken Taryll bemerkte mit Verwunderung, daß Roger die Farbe wechselte, al» man den Namen iener Tänzerin er wähnte Er vermutete, daß der Millionär nicht daran er innert zu werden wünschte .Sie schwebte wie eine Fee über die Bretter," fuhr Baldon fort zu schwärmen .Und wa» ist au» ihr geworden ?" fragte Taryll Roger sah seinen Schwiegersohn befremd« an .Sie ging im Jahre 1860 nach England," sagte Baldon »Ich weiß nicht mehr genau, ob im Juli oder im August' .Lassen Sie doch diese alten Geschichten, lieber Bal don, die niemand mehr interessieren," sagte Roger, sich ein Gla» Wein einschenkend. Baldon willfahrte natürlich dem Wunsch de» Hausherrn, Laryll aber nahm sich vor, nach aufgehobener Tafel sich von dem alten Herrn noch mehr über da» Schicksal der Tänzerin erzählen zu lassen, deren Name Roger tn so große Aufregung versetzt hatte Zu seinem großen Ver druß wurde Baldon gleich nach Tisch von Roger tn sein Lrbeit»zimmer entführt und dort festgehalten. Die Damen hatten sich in den Musiksaal zurückgezogen Albertine spielte eine» der Mendelssohnschen Lieder ohne Worte Auf einen Wink ihre» Bräutigam» stand sie vom Pianino auf und Ewald Rugby setzte sich an da» Instru ment, um «in Lieblingsstück seiner Frau zu spielen Albertine und Laryll hatten sich inzwischen wieder auf die vom Mondlicht überglänzte Terrasse zurückgezogen, und von dem Zauber der wunderbaren Nacht angelockt, waren sie in den Garten hinuntergestiegen Laryll lehnte sich an den Stamm eines Magnoliabaume», dessen glatte, grüne Blätter zwischen den großen, gelblichen Blüten phanta stisch hervorglitzerten, und von eMem leichten Windhauch bewegt, auf und nieder schaukelten. Albertine setzte sich auf den Rand der Marmoreinfassung, die den leise plätschern- den Springbrunnen umrandete Bor sich erblickten sie da» Hau» mit seinen hellerleuchteten Fenstern, durch di« si« die Gäste beobachten konnten * . " 71,18 Trotz der dringenden Einladung Roger» lehnte e» Ta- ryll ab, in dem Landhause zu übernachten. Tin eigentüm- liche» Glücksgefühl beseligte ihn, al» er auf seinem Pferd« langsam zur Stadl zurücktrabte und sich seinen Gedanken an die nahe Vermählung und die entzückende Hochzeits reise hingab. In wenigen Monaten wollte er dann die ge- liebte Frau nach Irland führen und mit ihr in das Schloß r seiner BSter, das uralte Heim der Taryll», begleiten Ein herzlicher Empfang war der jungen Herrin von den Gutsinsassen gewiß. Fortan sollte jede Sorge aus dem Gemüte verbannt werden, und daS von einem andern be gangene Verbrechen ihn nicht mehr beunruhigen Das ihm anvertraute Geheimnis wollte er zu vergessen suchen, und auch da» Unbehagen überwinden, die geplante Reise um die Welt in Gesellschaft seine» Schwiegervater» machen zu müssen Ein Schauer durchrieselte ihn, wenn er sich ver gegenwärtigte, daß Roger beständig um ihn sein würde. .Ich bin ein Narr," sagte er sich ungeduldig „Wa- kann da» thnn, so lange Albertine da» Geheimnis nicht kennt? Und doch, wie beklemmend, ihn immer neben sich zu haben, mit ihm an einem Tisch zu essen, ihn immer ' vor Augen zu haben, wie ein Skelett bei frohem Festmahl!" Er trieb sein Pferd zum Galopp an, und wieder Wind H sauste e» durch die stille, kühle Lust, an weidenden Schaf herden vorüber, am Wasser entlang, bis er endlich die ; Stadt erreichte und von seinem Diener erwartet, vor sei- j nrr Wvhnuva hielt Müb» beaab «r sich auf seit» Zimmer. !