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862 habe. Jndeß geht schon, abgesehen von den Werken seiner Schüler, aus der Apologie selbst hervor, daß er Vie Menschen etwas Anderes als ihre Unwissenheit gelehrt, und daß er selbst an die Eristcnz einer positiven Weisheit geglaubt, deren Geboten zu gehorchen er für seine erste Pflicht hielt. Zum Beweise hierfür führen wir folgende Stelle an, in welcher jene männliche, naive Schönheit athmet, die Montaigne so sehr an ihm bewunderte: „WaS nach diesem Leben kommt, weiß ich nicht, aber das weiß ich, daß, wer ungerecht ist und dem, der besser als er ist, sep es Gott oder Mensch, nicht gehorcht, der Pflicht und der Ehre zuwider han delt. Das ist das Uebel, das ich fürchte und das ich fliehen will, weil ich weiß, daß es ein Uebel ist, und nicht vermeintliche Uebel, welche vielleicht wirkliche Güter sind, so daß, wenn ihr jetzt zu mir sagtet:... Sokrates, wir verwerfen den Antrag des Anptus und sprechen Dich los, aber unter der Bedingung, daß Du aushören wirst, zu philosophiren, und Deine gewohnten Untersuchungen einstellen wirst, wenn Du aber Dich wieder dabei ertappen läßt, sterben mußt: ja, wenn ihr mich unter diesen Bedingungen lossprechen wolltet, so würde ich euch ohne Bedenken antworten: Athener, ich ehre und liebe euch, aber ich gehorche lieber dem Gott als euch, und so lange ich athmen und etwas Kraft Haden werde, werde ich nicht aufhören, mich auf Philosophie zu legen, euch zu rathen und zu warnen und Allen, denen ich begegne, meine gewöhnliche Sprache zu halten: O, mein Freund, schämst Du Dich nicht als Athener, als Bürger der größten und durch ihre Macht und Bildung so berühmten Stadt, daß Du nur daran denkst, Rcichthümer zu sammeln und Kredit und Ehren- stellcn zu erwerben, ohne Dich mit der Wahrheit und der Weisheit, mit Deiner Seele und ihrer Vervollkommnung zu beschäftigen? Und wenn Jemand behauptet, daß er sich damit beschäftigt, so werde ich ihn erst prüfen, und wenn ich finde, daß er nicht tugendhaft ist, son dern nur nach dem Scheine-strebt, so werde ich ihn beschämen, daß er die kostbarsten Dinge so mißachtet und die wcrthlosen so hoch schätzt. So werde ich zu Allen, denen ich begegne, sprechen, Jung und Alt, Mitbürger und Fremde, aber am meisten zu euch, Athener, weil ihr mich näher angeht; und wisset, daß mir dies der Gott befiehlt, und ich bin überzeugt, Laß es nichts für die Republik VortheilhaftercS geben kann als mein Eifer, den Befehl des Gottes zu erfüllen, denn meine ganze Beschäftigung besteht darin, euch Alle zu überzeugen, daß vor der Sorge für Leib und Neichthümer die Sorge für die Seele und ihre Veredlung kommt." Begreift man nun noch, wie Sokrates sagen konnte: „Ich war nie der Lehrer eines Menschen ..., ich habe nie Jemanden einen de. stimmten Unterricht versprochen und habe nie etwas gelehrt." Herr Stapfer sieht darin eine nicht sehr ehrenvolle Ausflucht, durch die Sokrates dem Vorwurf entgehen will, Menschen wie Kritias und Alcibiades zu Schülern gehabt zu haben. Ich glaube, Herr Stapfer täuscht sich in diesem Verdacht, der sich übrigens mit seiner sonstigen Ansicht über Sokrates' Charakter nicht verträgt. Diese Erklärung, daß er Niemandes Lehrer gewesen, ist eine nothwendige Folge der Ansicht, die sich Sokrates über die menschliche Weisheit im Allgemei nen, wie über seine eigene, gebildet hatte. Wenn Sokrates überzeugt war, daß seine eigene Weisheit nur die Kenntniß seiner Unwissenheit sep, so ist es klar, daß er in seinem eigenen Namen die Menschen nur eben diese Weisheit lehren konnte, nämlich die Kenntniß ihrer Unwissenheit, was doch keinen eigentlich sogenannten Unterricht abgiebt. So weit konnte also Sokrates mit Recht sagen, daß er Nieman den etwas gelehrt. Aber gleichwohl hat er gewisse positive Lehren verkündigt. ES fragt sich, ob er dies in seinem eigenen Namen gc- than. Denn nimmt man an, daß er sie nur im Namen und auf den Befehl eines Anderen verkündigt, so ist es klar, daß Vann diese Doktrinen nicht mehr ihm angehören, daß er nicht lehrte, was er selbst gefunden und entdeckt hätte, wie die Sophisten, seine Zeitge nossen, sondern was ihm durch ein höheres Gesetz, durch einen hö heren Beruf eingegeben worden. Nun haben wir ja gesehen, Laß Sokrates im Namen eines Gottes sich an seine Mitbürger wendet, daß er wie einer spricht, der eine Mission empfangen, und nicht wie einer, der sich selbst seine Aufgabe gestellt. Nichts bestätigt dies so deutlich, als die folgenden Worte: „Ich handle nur, um den Befehl zu erfüllen, den der Gott mir durch die Stimme der Orakel, die der Träume und durch alle Mittel verkündigt hat, deren sich irgend eine himmlische Macht je bedient hat, um einem Sterb- lichen ihren Willen mitzuthcilen." Man darf diesen Zug nicht für einen bloß untergeordneten Aber glauben halten, der in Sokrates' Leben nur eine unbedeutende Nolle spiele. Aus der Apologie geht vielmehr hervor, daß seine wichtigsten Entschließungen, die, welche auf sein Schicksal Len entscheidendsten Ein fluß übten, aus seinem absoluten Gehorsam gegen die Befehle oder Warnungen der Gottheit, unter welcher Form auch dieselben sich kund geben mochten, entsprangen. Die außerordentlichsten Momente in dem Leben des Sokrates sind vorzüglich folgende drei: erstens, daß er sich mit so viel Selbst verleugnung dem so schweren, so gefährlichen Apostolat widmete, in welchem er bis an sein Ende beharrte, zweitens, daß er als Atheni scher Bürger in jener aufgeregten Zeit sich beständig von allen Poli- tischen Angelegenheiten fern gehalten, und drittens, daß er nichts ge- than, um erst seine Verurtheilung und dann seinen Tod zu verhin dern. Diese Thatsachen nun sind, wenn wir der Apologie glauben dürfen, einzig Lie Folge von Entschlüssen, Lie jener Gehorsam er zeugt hat. Wir haben schon gesehen, Wie entschieden Sokrates seine Mission vem Delphischen Orakel und anderen Mahnungen der Gottheit zu- fchreibt. Und doch haben wir bei weitem noch nicht alle Stellen an geführt, wo Sokrates hierauf zurückkommt. „Glaubt nicht, Athener", sagt er unter Anderem, „daß ich mich aus Liebe zu mir vertheidigc; nur aus Liebe zu euch geschieht es, weil ich fürchte, ihr möchtet durch meine Verurtheilung den Gott in dem Geschenk, das er euch gemacht, beleidigen ... Daß die Gottheit selbst mich dieser Stadt geschenkt haben muß, könnt ihr leicht daran erkennen, Laß ich einer mehr als menschlichen Kraft bedurfte, um meine eigenen Angelegenheiten zu vernachlässigen, und mich bloß eurem Interesse zu widmen, indem ich Jeden von euch besonvers vornahm, wie nur ein Vater oder ein älterer Bruder thut, indem ich euch fortwährend ermahnte, euch der Tugend zu befleißigen. Und hätten mir noch meine Ermahnungen etwas eingebracht, so ließe sich mein Verhalten erklären, aber seht, wie nicht einmal meine Ankläger den Muth hatten, mir vorzuwerfen, daß ich je den geringsten Lohn gefordert, und Ler beste Zeuge hierfür ist meine Armuth." Wenn Sokrates seine Uneigennützigkeit ansührt, so thut er dies nicht bloß, weil sie den entschiedensten Kontrast mit der Sitte der Philosophen seiner Zeit bildet, sondern weil sie, wie er sagt, über die Kräfte Ler sich selbst überlassenen Menschennatur hinausgeht, und diese Stelle allein würde zeigen, daß er an die Einwirkung einer göttlichen Kraft auf seinen Willen glaubte. Er giebt umsonst, weil er umsonst empfangen hat und es ihm nicht frei stände, nicht zu geben. Gehen wir zu dem zweiten Punkt über und fragen wir, warum er sich in die politischen Angelegenheiten seines Vaterlandes so wenig eingemischt, so giebt er uns einen ähnlichen Grund an: „Aber viel leicht wird cs nicht folgerecht erscheinen, daß ich mich damit beschäf tigt, Jeden von euch insbesondere zu warnen, und doch nie den Muth gehabt, mich in den Volksversammlungen cinzufinden, um der Republik meinen Nath zu schenken. Was mich davon abgcbalten, Athener, das ist jene höhere Stimme, von der ihr mich so oft habt sprechen hören, unv woraus Mclitus eine Anklage gegen mich ge macht hat. Dieses außerdordentliche Phänomen hat sich in mir seit meiner Kindheit offenbart, es ist eine Stimme, die sich nur hören läßt, um mich von einem Entschluß zurückzudringen, nie aber mich zu irgend etwas antreibt: sie hat sich mir immer entgcgcngestellt, wenn ich mich in Lie Angelegenheiten der Republik mischen wollte..." (Fortsetzung folgt.) Spanien. Rückblick auf den Spanischen Bürgerkrieg. il. Erinnerunqcn aus den Jahre» ISZ7, Z8 und ZL. Erster Theil. Frankfurt a. M-, 1841. (Schluß.) Nach dem Uebcrgange über den Ebro, der im Lager der Kar- listen für ein so wichtiges Ereigniß galt, daß man glaubte, ihn den verbündeten Mächten anzeigen zu müssen, wurde der Marsch Lurch Valencia «»getreten. Da indeß Borso di Carminati, Oräa und Nogueras hinterdrein zogen und die Karlisten bei Chiva erreicht und geschlagen wurden, so mußten sie sich in die Berge flüchten. Sie zogen sich bis Cantavieja, der Festung Cabrcra's und verweilten hier acht Tage, um sich wieder mit Munition zu versehen und die starken Verluste nothdürstig zu ersetzen. Sodann wurde wieder der Marsch nach Valencia angetrcten. Am meisten war vielleicht Cabrera über diese Säumnisse und Zögerungen erbittert; er beklagte sich gegen den Verfasser bitter über die Umgcbungcn des Königs und äußerte unter Anderem: „Ich weiß wohl, daß man dem Könige vorstellt, ich sep nicht fromm genug; möglich! Ich bin zwar kein Heiliger, aber ich wirke doch Wunder." Der Sieg, den die Karlisten bei VillaS de los Navarras über den General B. ercns davontrugen, rettete sie zwar aus großer Noth, da Espartero, Orüa und BucrenS hinter ihnen Herzogen und sie durch eine vereinte Combination einzuschließen beabsichtigen, allein der moralische Eindruck ging großentheilS verloren, da die Erpedi- tions-Armee wieder eine Woche unnütz in Herrera verweilte. „Wäre nur diesmal", ruft hier der Verfasser aus, „ein Losreißen aus jener lethargischen Unthätigkeit möglich gewesen, welche nach jedem Siege sich unserer zu bemächtigen schien, Vie Folgen neutralisirte und die Früchte entriß — wären nur die ersten Tage benutzt worden, dann konnte Karl V. seiner Krone gewiß sepn. Der 24. August I8Z7 war einer jener vielen Tatze, wo Sieg und Entscheidung so nahe und so gewiß waren, daß nicht der Feind, nur wip selbst Alles hinausschieben, verwerfen oder verlieren konnten. Der alte Moreno ist seitdem in seinem 72sien Jahre ermordet worden. Ich will jene schwere Schuld nicht von den Lebenden auf die Todten wälzen, aber wenngleich sein Rath oft heftigen Widerstand fand, so glaube ich, wäre es ihm hier doch möglich gewesen, durchzudringen und zu entschei den. Wer es auch sepn mag — er hat Ler Königlichen Sache den Todesstoß versetzt." Am ZO. August setzte sich endlich das Erpeditions-CorpS wieder in Bewegung, am 5. September überschritt es die Gränzc CastilienS. In Buenache de Alarcon fand die Vereinigung mit Cabrera statt, wodurch die Stärke der Karlisten auf mindestens luooo Mann In fanterie und 2000 Pferde stieg. „Alles", sagt hier der Vers., „schien noch die glücklichste Wendung zu verheißen; Zariategui und Elio hatten ihr Hauptquartier im Escurial aufgeschlagen. Don Vincente Rugieros, unser kühner Bandenführer, stand mit 800 Pferden in Ciu dad Real und besetzte die Heerstraße nach Andalusien; Espartero war weit hinter uns aus dem Wege nach Cuenca, sonst vom Feinde nichts zu sehen. Wer damals an eine Verlängerung deS Krieges gedacht hätte, würde sür wahnsinnig gegolten Haden."