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samkeit zu. Man kann sich gar nicht vorstellen, bis wohin sich die Leichtgläubigkeit in Bezug auf Ucberlieferungen und der spitzfindige, träumerische, okt poetische Geist dieser guten Leute verirrt, die doch anscheinend so materiell find. Die Naturforscher geben uns jedes Jahr, ja jeden Tag, Gott weiß wie viele Erklärungen über den Einfluß der Jahreszeiten, die Bewegung der Winde, die Gewalt der Strömungen, der Matrose aber will von allen diesen wissenschaftli chen Berechnungen nichts wissen. Er hat seine eigene besondere Wissenschaft, die ihm seine alten Kameraden Abends auf dem Verdeck und in den Erholungsstunden in der Schenke gelehrt haben. So sagte> einmal einer derselben zu mir nach einem heftigen Gewitter: „Ach was, mit Euren Aequinoctial-Stürmen; das Alles ist ganz schön, aber cs ist nicht minder gewiß, daß, wenn wir bei Ler Abfahrt alle unsere Schulden bezahlt hätten, wir uns nicht so auf diesem abscheu lichen Meere herumtreiben müßten, wie da« nun schon acht Tage lang anhält. Auf solche Weise erklären sie fich die meisten Erschei. uungen, deren Ursache ihr Verstand nicht begreift; so schreiben fie alle Verzögerungen, jede Windstille, jeden Sturm, jeden widrigen Wind nicht bloß der Anwesenheit irgend eines Passagiers zu, der sein Gewissen mit einer schweren Sünde belastet hat, sondern sogar leblosen Gegenständen, einem neuen Möbel, einem Ende Tau, einem Segel, irgend einem Zuge der Gesichtsbildung, einem Barte, einem schielenden Blick. Sie besitzen den Aberglauben der Spieler und glauben außerdem noch an Gott weiß was für geheimnißvolle, bald unglückbringende, bald wohlthätigc Mächte, an erzwungene Bußen, an wunderbare Erscheinungen. „Gewiß haben Sie schon", fragte der Kaufmann, sich zu mir wendend, „von dem fliegenden Holländer gehört?" — „Allerdings", antwortete ich, „aber ich habe ihn nie ge sehen, und Sie gewiß auch nicht, wie ich denke ?" — „Nein, und doch habe ich mich schon oft ganz im Ernst gefragt, ob nicht das, was meine Vernunft durchaus nur für ein grob erfundenes Mährchen erklären wollte, nicht doch eine furchtbare Wirklichkeit sep, weil ich so viel redliche Seeleute kenne, die mir davon, wie von einer wahrhaftigen Thatsache, erzählt haben; und der düstere Ernst, mit dem sie gewöhnlich von den Erscheinungen dieses Gespenstes sprechen, hat etwas unbeschreiblich Ergreifendes. Sie wissen doch, daß der fliegende Holländer ein großes Kriegsschiff ohne Segel und Masten ist, das ganz in der Ferne wie ein ungeheurer Wallfisch erscheint und das die jungen, unerfahrenen Matrosen leicht für eine Erdzunge halten. Dieses Schiff segelt gegen die Fluth, ohne daß man eine Hand am Steuerruder bemerken könnte; es schwankt nicht auf den Wellen wie ein gewöhnliches Fahrzeug, eS zeichnet lange, liefe Furchen und gleitet ohne Anstoß dahin, das Meer scheint vor Entsetzen sich unter ihm zu beugen; plötzlich stürmt es daher, wie rin Raubvogel, »nv hält einige Kabellängen von dem vorüberfahren den Schiffe unversehens an; dann bemerkt man Menschen oder Skelette mit bohlen Leichcngcslchtcrn, die sich am Bord desselben aufrichtcn, die Strickleiter hinanfklettern nnd in die Mastkörbe steigen. Nun vernimmt man schmerzlich klagende Stimmen, welche Erkundigungen über eine schon seit Jahrhunderten zerstörte Stadt eiuziehen und die Matrosen bitten, zu ihnen an Bord zu kommen, um Briefe zu holen, die sie an ihre Adressen befördern sollen. Aber wehe dem, der sich mit einem dieser Briefe befaßt, er wiegt schwerer als viele tausend Centncr und würde das ganze Schiff in Grund bohren. Fragt man die Matrosen, waS sie von dem phantastischen Schiffe denken, so ant worten sie, daß seine Mannschaft aus schweren Verbrechern bestehe, die verdammt sehen, bis ans Ende der Welt auf den Wellen um herzuirren, wie der wilde Jäger in den Deutschen Balladen, der auch ewig mit seinem Gefolge und seinen Hunden bei Nacht durch Wälder und Gebirge stürmt. Wenn man solche Sühn-Legenden nur mit einem gewissen Unbehagen anhören kann, so gewährt cS desto mehr Vergnügen, Abends beim Sternenschimmcr, auf einer Kanone sitzend, oder an einen Mast gelehnt, den Erzählungen von jenem wunderbaren Fahrzeuge zu lauschen, aus dem man alle Freuden des Seelebens genießen kann, ohne etwas von den Plagen und Entbeh rungen desselben zu empfinden. Dieses Schiff ist so groß, daß noch Niemand seine Länge ausmeffen konnte; nur etwas kann einen Be griff davon geben: cs braucht nämlich cin Jahr dazu, um sich z» wenden. Offiziere, BootSmänner und Matrosen bilden in bestimmten Entfernungen immer wieder eine besondere Mannschaft. Der Capitain hält fich oben auf der Campanic des Schiffes auf, und wenn er «inen Befehl ertheilt, so schickt man gleich eine berittene Staffette ab, die ihn im gestreckten Galopp dem nächsten Posten überbringt, der ihn auf dieselbe Weise weiter befördert, und so immer fort. Die Masten sind so hoch, daß man diejenigen Mastwächter, die zweimal bis zu den Bramftengen hinauf waren, als große Reisende nennt. In jedem Mastkorbe ist eine Herberge, wo der Matrose sich mehrere Tage von den ausgcstandcnen Mühseligkeiten ausruht, und Mancher, der vom Verdeck als junger rüstiger Mann fortreiste und nur bis rum kleinen Mastkorbe Hinaufstieg, kehrt mit weißen Haaren zurück, so lang ist der Weg. Welch' herrliches Leben führt man aber am Bord dieses WundcrschiffcS! Da braucht der Matrose nicht in trau- riger Wilwerschaft zu schmachten, er kann dort seine Frau und Kin der um sich haben; seine Hängematte ist an zwei mit Obst beladenen Zruchtbäumen befestigt, seine Pulverbüchse läuft nie von der Feuch tigkeit an, und das Putzen wird ganz einfach mit einer Pfauenfeder bewerkstelligt, mit der man leicht über das Kupfer der Kanoncn und Mörser hinstrcicht. Das Verdeck ist ein weiter, mit grünem Salat, mit Petersilie und Kresse besäeter Garten, und der untere Raum gleicht einer jener kühlen Felsengrotten, wo immer ein frisches, kla res Wasser fließt. Die Ration ist uneingeschränkt, der Sold wird 224 wöchentlich in Goldstücken ausgezahlt, und es giebt dort gar keinen Kommissar. Die Segel, die mehrere Meilen im Umfang haben, find von so leichtem Seibenzeuge, daß man fie nur mit der Fingerspitze zu berühren braucht, um fie zusammen zu ziehen; die Taue sind so fest wie Eisenkettcn und doch biegsam wre Spinnenfäden. Ein Kind könnte mit einer Hand eine Rolle von tausend Klaftern tragen. Sie können sich den Jubel der Schiffsjungen vorstcllen, wenn sie diese wunderbaren Erzählungen mit anhören, ich kann es Ihnen eidlich versichern, daß selbst alte Matrosen fest überzeugt find, daß sie einst dies schwimmende Paradies bewohnen werden, wenn sic in dieser Welt genug die Bopleine gezogen und die Schiffswinde gedreht haben.... Ich erzähle Ihnen aber da Kindermährchcn und vergesse, daß ich morgen mit Tagesanbruch, wenn der Wind günstig bleibt, unter Segel gehen will, und daß ich noch heut Abend so manches zu ordnen habe." — „Wohin werden Sie morgen gehen?" fragte ich den Kaufmann. — „Wir gehen nach Batavia; es ist eine lange Reise, aber nächstes Jahr denke ich zurück zu kehren." Bei diesen Worten erhob sich der würdige Kaufmann, empfahl sich unserm Wirthe, seiner Frau und seinen Kindern mit bewegter Stimme, drückte mir freundschaftlich die Hand und entfernte fich, von unsern besten Wünschen begleitet. Auch ich sollte den nächsten Tag abreisen. Mit Bedauern verließ ich die liebenswürdige und redliche Familie, mit welcher der Zufall mich bekannt gemacht hatte; ich ging noch einmal auf den Damm, um auch der Nordsee ein Lebewohl zuzuru fen, die ich vielleicht nie wieder sehen werde, und begab mich dann sinnend und träumerisch nach meinem Gasthofe hin, immer der letz ten Worte des Kaufmanns eingedenk: Wir gehen nach Batavia! — So giebt eS also doch noch in der Welt glückliche Leute, die nach Batavia segeln können! Laver Marmier. Mannigfaltiges. — Ein Französischer Historiograph der Hohenstaufen. Unter dem Titel „Geschichte des Kampfes ter Päpste und der Kaiser aus dem Hause Schwaben" °) hat ein Herr C. von Eherner in Paris so eben den ersten Band einer Geschichte der Hohenstaufen heraus- gegeden. Der Französischen Ankündigung zufolge hat der Verfasser dahin gestrebt, den Fehler Friedrich's von Raumer, der angeblich keine Ordnung und Uebersicht in die von ihm gegebenen zahlreichen Details gebracht, zu vermeiden. Auch beschränkt er sich, dem Titel seines Werkes gemäß, mehr auf die Geschichte des Streites zwischen Staat und Kirche, während das Deutsche Werk alle Lebens- und Regenten-Verhältnisse der Kaiser und besonders auch die Kreuzzüge Fricvrich's Barbarossa und seines großen Enkels Friedrich's II. um faßt. Der Franzose rühmt sich zwar, unparteiisch zwischen Welfen und Gibellincn den Griffel der Geschichte zu führen, doch kann er gleichwohl der unter den neueren Geschichtsschreibern herrschend ge wordenen Manie, die Energie emcs Jnnocenz III. und eines Gre gor IX. höher zu stellen als allen Heldcnmuth und alle Geistesgröße der ihnen gegenüberstehcndcn Kaiser, auch seinerseits nicht Wider- stand leisten. Wir werden also jetzt auch Welfische und Gibellinische Geschichtsschreiber des Hohenstaufen - Geschlechtes zu unterscheiden haben, und wenn wir unseren Raumer, dem cs an jener Manie fehlt, darum als Gibellinen zu bezeichnen haben, so müssen wir den Franzosen von Chcrricr unbedingt unter die Welfen rangiren. — Kunst-Verein in London. Die den Deutschen Kunst- Vereinen nachgebildete Britische Xiu-Hnion, deren wir in diesen Blät tern bereits öfter gedachten, hielt kürzlich ihre Jahres-Versammlung, die von Sr. Kömgl. Hoheit dem Herzog von Cambridge präfidirt wurde. Der Herzog sagte bei dieser Gelegenheit, er rühme sich, einen ganz ähnlichen Verein in Hannover mit begründet zu haben, und sep bereits so glücklich gewesen, in der Britischen än-Union einmal den ersten Preis zu gewinnen. Der Verein zählt jetzt 8012 Mitglieder und läßt außer einem Kupferstiche auch Steindrucke von sämmtlichen angekauften Kunstwerken unter feine Interessenten jähr lich vertheilen. Die Einnahmen im Jahre 1841 beliefen sich auf 3010 Pfd. 4 Sh. (nahe an 40,om> Thlr.); die bisherigen Aus gaben auf 034 Pfd. 11 Sh. Zum Ankäufe von Kunstwerken sind 3030 Pfd. und der Ucberrest ist zur Deckung der Kosten für den Kupferstich :c. bestimmt. Bei der Jahres-Versammlung waren an 1300 Mitglieder anwesend. Es wurden, nachdem die Vorträge des Vorsitzenden und des Sccrctairs gehalten worden waren, IS3 Num mern gezogen und demnächst die Preise, die auf diese Nummern fallen. Dl« Besitzer derselben haben die Befuagiß, sich für den gewonnenen Preis ein Gemälde der vom Kunst-Verein veranstal teten Ausstellung zu wählen, durch welches Verfahren die Britische Xrr-lluion sich Vonden Deutschen Kunst.Vereinen unterscheidet, die nur die bereits angekauften Gemälde selbst verloosen. Das Englische Verfahren gewährt den Vortheil, daß dadurch der Kunst eine größere Geldsumme zugcwandt wird, indem mancher Gewinner veranlaßt oder genöthigt ist, zu seinem Gcwinnste noch ein Ansehnliches baar zuzulegen, um ein Kunstwerk, das er eben wünscht, zu erhalten. Dagegen entsteht aber auch der Nachtheil daraus, daß nicht immer die werthvollcren, sondern sehr ost die stümperhaften, aber mehr in die Augen fallenden Arbeiten von den Laien gewählt werden, so daß der Kunst-Verein in vielen Fällen seinen Zweck ganz verfehlen mag. *) llistoire äe I« lutte 6e« ?spe« vt äe« Lmpvrear, äe Ir» wLisoo äe H.'r.msgcgcbcn von Lcr Expedition der Allg. Preuß. StaatS-Zeitnng. Redigirt von Z. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hahn.