Volltext Seite (XML)
nicht brav, edelmüthig und gut. Sie soll so eben mit ihm tanzen. Aber der General wünscht ihn fern. Es hat nichts zu sagen, der Herzog ist eben so ehrenhaft als galant und ritterlich, wie irgend einer jener Vorfahren, deren Namen er so rühmlich führt. Der Herzog von Aumale, obgleich er ein ihm vom Prinzen von Cond«? vermachtes bedeutendes eigenes Vermögen besitzt, folgt doch der Taktik seines BaterS und ist in das Kostüm des Tages gekleidet; er ist Infanterie-Offizier der Nationalgarde. Man erzählt sich eine Geschichte von diesem jungen Herzog von Aumale, die ihm sehr zur Ehre gereicht. Als die Dcputirten-Kammer so unzart war, die Dotation, welche der König für den Herzog von Nemours von ihr verlangte, mit einer gewissen Majorität zu verwerfen, eilte der Herzog von Aumalc nach dem Schloß, erschien vor dem König, feinem Vater, und erbot sich, dieselbe Summe, die von dem Lande verlangt worden war, für seinen getäuschten Bruder zur Verfügung des Monarchen zu stellen. Ludwig Philipp umarmte ihn und sagte: „Nun, wir wollen sehen, mein Sohn." Der Herzog von Aumale ist ein etwas nachdenklich auöschendcr junger Mann; er studirt eifrig, hat Preise am Gymnasium Heinrich's IV. davongctragcn und liebt das Vergnügen weniger als seine Brüder. Aber er ist eben so brav wie der beste unter ihnen und würde gewiß tapfer fechten, wenn der Ruf aufs Schlachtfeld an ihn erginge. Doch wir mögen ihn lieber, wie heute Abend, aus einem Ball in den Tuilerieen sehen. Der Herzog hat Madame ThierS zum Tanz aufgefordcrt, — mehr ein Kompliment sür sie als für ihren Gatten, denn sie ist hübsch, und er liebt keineSweges die Demokratie oder den Krieg. Sein Erzieher ist ein Feuilletonist des „Journal des Döbats", und zwar einer der geistreichsten und lebendigsten. Herr Thiers ist heute Abend National gardist, aber wenn Frankreich lauter solche Gardisten hätte, wie er einer ist, so müßte es S Millionen Soldaten aushcbcn, um seine Gränzen zu vertheidigen, denn Europa kann nicht lange ungestraft verhöhnt werden. Mit Madame Thiers spricht es sich viel ange nehmer als mit ihrem aufgeregten, diktatorischen Gemahl. Sie ver steht sich vortrefflich ans das leichte Geschwätz, welches für die Unter haltung in einem Ballsaal so wesentlich ist; wogegen er stets all' seine Segel beisetzt und mit vollen Backen über Politik, Parteien, Presse, Eisenbahnen und über sich selbst spricht. Madame Thiers tanzt auch sehr gut, während ihre entzückte Mutter, Madame Dosne, dem General Jacqueminot hofirt und allen Prinzen völlige Liebeserklä rungen macht. Der junge Prinz von Joinville ist nicht hier. Er ist selten da heim. Der König will, daß er kein auf dem Lande herumlungerndcr Matrose seyn soll. Er verdient sich alle seine Grade wie jeder andere Offizier und kann es im Erklettern des Mastkorbes dem Besten gleich- thun. Schade, daß er sich heute nicht auf dem Ball der Tuilerieen befindet, Venn er ist ein lustiger Bursch und ein Fürst unter den Tänzern, aber ihn hält die Pflicht gefesselt, und so möge es ihm wohlgehen! Der jüngste des männlichen Zweiges der Familie ist der Herzog von Montpcnsicr. Er taucht so eben auf oder ist vielmehr so eben erst aufgetaucht aus der Aussicht der Mutter und Tante. Vielleicht weil er der jüngste ist, aber die Familie liebt ihn ganz besonders. Er plaudert dort mit der Gräfin Flahault, einer lieben, bewunderns würdigen Engländerin. Die Orleans sprechen alle Englisch und schätzen Englands Volk, Sitten und Charakter. Die Gräfin ist mit einem braven Franzosen auS der besten Schule verheirathet, einem echten Freunde Ludwig Philipp's und wahren Verehrer alles Guten und Rechten. Der Herzog von Montpensier wird die Gräfin zur nächsten Quadrille führen, und wir wollen ihnen mit den Augen folgen. Die Galerie ist gefüllt, die Erleuchtung glänzend, die Gemälde köstlich, die Statuen prächtig, das Ganze gleicht einem Feenreich, und die Farben sind so brillant wie die Federn des Paradiesvogels- Niemand gab je so reiche Feste, in Allem, was die Sinne reizt, als Ludwig Philipp. Aber eine erbliche Pairic kann er nicht wieder schaffen. Die alten Familien Frankreichs kann er nicht um sich sam meln. Er kann sich nicht, wie Ludwig XVIIl. es konnte, mit den «söhnen der Aristokratie des Landes «umgeben. Er kann die Stellung nicht ändern, in die nicht er selbst, sondern die Umstände ihn versetzt haben. Wenn die Aristokratie von 1841 aus den Mittelklassen be steht, so ist das nicht seine Schuld. Er giebt die Königlichsten Feste, wenn auch dem mindest loyalen Volke; aber niemals wurde seit den Tagen Ludwig's XI V. größere Pracht in Versailles, St. Cloud, Eu, Neuilly oder den Tuilerieen entfaltet, als jetzt. Wir kennen manche namhafte Männer in Frankreich, welche die Feste Napoleon's gesehen und allen höchsten Glan; der letzten fünfzig Jahre geschaut haben, aber Alle sind einstimmig der Meinung, daß Ludwig Philipp dies insgesammt an Reichthum, Mannigfaltigkeit, Reiz und klassischer Schönheit seiner Unterhaltungen übertrifft. DaS Königliche Bankett zu Versailles, bei Eröffnung jenes NationalwundcrS der Welt, war eine der prachtvollsten Veranstaltungen aller Jahrhunderte, und doch waren ein Jules Janin, ein Alerandrc Dumas und ein Herr Cousin die Gäste. Die Schuld lag nicht an dem Könige. Das Fest war ein Fest für Riesen; wenn Zwerge daran Theil nahmen, so kann er nicht dafür. Doch hier kömmt er so eben, der König, begleitet von der Königin, der Prinzessin Adelaide und der Prinzessin Clementine. Bun gehörig, aber ehrerbietigst aufgeschaut. Sie schreiten heran und michcn die Runde durch die Galerie. Folgen wir ihnen mit den Nlickcn. Die Musik spielt die Marseillaise. Das ist nicht die Me lodie, die der König als ein Orleans und als Edelmann liebt; aber es ist dir Melodie seiner Gäste, denn die Bürger sind hier, die ihn zum Könige machten. Der König sieht seit einiger Zeit viel älter aus, doch hält er sich immer noch aufrecht; er lächelt durch die Falten seines Antlitzes und sieht heiter aus troy seiner Sorgen. Er scheint alle seine Gäste zu kennen, und doch ist das unmöglich. WaS sagt er? Er wendet sich eben zu dem General Jacqueminot. „Der Anblick ist entzückend, mein lieber General", spricht er; „ich bin nie glücklicher, als wenn meine Nationalgarden mich umgeben." — „Und ihre Familien", setzt die Königin mit sanftem, bezaubern dem Tone hinzu. DaS ist dem General Jacqueminot genug; fort eilt er, des Königs freundliche Worte und der Königin wohlwollen den Zusatz durch die ganze Versammlung zu verbreiten, schon sind die beiden Phrasen im Munde der anwesenden Tausende, und die Musik beginnt das Französische Lied: „Oü peur on «rre mieux gu'su «ein äs 8s tsimUe?" Die Königin lächelt mehr, als sie spricht. Sie ist ganz Anmuth, ganz Freundlichkeit; aber ihr Lächeln vermag ihre eine geheime Sorge nicht zu verhüllen. Diese Sorge ist die Furcht vor Dolchen und Pistolen; nicht um ihres eigenen Lebens willen, sondern vor denen, die gegen das Leben ihres Gemahls gerichtet sind. Ihr Dascyn ist eine fortdauernde, unauslöschliche Angst. Daheim fürchtet sie das Eindringen irgend einer bewaffneten Bande; draußen flößt jeder Ton ihr Schrecken ein, in jedem Antlitz sicht sie einen Verräther. Und doch wird sie von Allen geliebt, dre ihr nahe kommen. Wir kennen ein Paar Französinnen, die ihr die Aufwartung machten, um eine Gunst sür ihren Sohn und Bruder zu erbitten. Obgleich sic ihnen eine bestimmte Stunde festgesetzt hatte, war sie doch nicht pünktlich. Endlich kam sie. „Ich bitte um Entschuldigung, daß ich so unhöflich erscheinen muß", sagte die Königin, „ich bitte sehr um Entschuldigung, meine Damen; cs war nicht Achtlosigkeit von mir, ich versichere Sic, sondern Ueberhäusung mit Geschäften." Die Damen trugen ihre Sache vor. „Ich werde thun, was ich kann", sagte sie, „gewiß, ich werde; aber Sie glauben nicht, wie gering mein Einfluß ist; cs geht Alles von den Ministern aus, wie Sie wissen. Der König würde weit mehr thun, als er thut, wenn er es könnte; allein Sie wissen, in constitutionellcn Monarchieen geschieht Alles durch die Minister." Die Unterhaltung dauerte noch länger, doch dürfen wir weiter nichts davon mittheilen. Der Tod der Herzogin Marie von Würt temberg, der zweiten geliebten Tochter der Ma>estäten, hat der Köni gin großen Kummer bereitet, denn sie lebt nur für ihre Familie, und ihre Mutterliebe kann nichts übertreffen. Jedesmal wenn die Köni gin der Belgier sich dem Zeitpunkt ihrer Niederkunft nähert, begiebt sich die Königin der Franzosen nach Brüssel und pflegt ihre geliebte Louise. (Schluß folgt.) Mannigfaltiges. — Einfluß der Französischen Literatur auf die Jta- liäner. Herr G. Libri, der in der lisvue äs-, äsux D1o»äe8 einen Artikel über Frankreichs historisches Verhältniß zu Italien mitthcilt und die Franzosen davor warnt, fernerhin, wie in früherer Zeit, an eine Eroberung Jtaliänischer Provinzen zu denken, weil sie dadurch nur die Sympathieen der Jtaliäner sich entfremden könnten, sagt bei dieser Gelegenheit: „Von allen ausländischen Literaturen ist die Französische die einzige, die in Italien wirklich verbreitet ist. Deutsche Werke werden dort wenig gelesen, Englische allerdings etwas mehr, doch haben sie immer nur eine sehr beschränkte Zahl von Lesern, während in Frankreich nichts von einiger Bedeutung erscheint,, was nicht, aller Ccnsur-Verbote ungeachtet, bald überall in Italien ver breitet ist, wo das Französische sehr viel getrieben wird, und zwar oft von Leuten, die dabei ihre Muttersprache vernachlässigen. Zeitun gen, li« vus8, Reisebeschreibungen, Theaterstücke finden augenblicklich ihren Weg hin, und va man in Italien eben nicht sehr viel zu thun hat, so liest man viel-und interessirt sich natürlich sür das, was man in anderen Ländern von den Jtaliänern sagt. In einem Lande, wo literarische Arbeiten fast gat nichts einbringen, glaubt man auch leicht, daß Alles, was ein Schriftsteller irgendwo drucken läßt, wirk lich seine Meinung sey; man nimmt Alles sehr ernst, ohne daran zu denken, daß in denjenigen Ländern, wo die Feder des Autors häufig ein Erwcrbsqucll ist, das literarische Erzeugniß vielfach zur industriellen Speculation wird, und daß man darum oft drucken läßt — nicht dasjenige, was man für wahr, und nützlich hält, son dern das, was einen großen Absatz verspricht. Nun machen aber jene Französischen Reisebeschreibungen, jene Journal-Artikel, worin Jta- lien fast immer »ach WirthshauS-Eindrücken oder Theater-Erinne rungen bcurtheilt wird, und worin keinerlei Sarkasmen gespart werden, jenseits der Alpen einen sehr bedauerlichen Eindruck. In Frankreich kann man sich kaum einen Begriff davon machen, wie schlecht die Französischen Reisebeschreiber dort angrschriebrn sind, und zwar bloß wegen ihres ewigen Wiederkäuens von Räubergeschichten, Vct- turini-Abentcuern und EiciSbecn, welche fast allen Darstellungen zum Grunde liegen, die in Frankreich über Italien erscheinen." DaS mit dem Aisten d. M. zu Ende gehende Abonne ment wird Denjenigen in Erinnerung gebracht, die in dem regelmäßigen Empfange dieser Blätter keine Unterbrechung erleiden wollen. Heransgegcben von der Erpcdition der Allg. Preuß. Staats-Zeitung. Rcdigirt von Z. Lchmann. Gedruckt bei Sl. W. Havn.