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Lichtenstein (Lallirberger Tageblatt - —-— — — . —. - . -E Vellage zu Nr. 2t 8. Sonntag, den 19. September 1915. Kiew ist oI8 starke Gür1elstst»«g auSgkbant und liegt an der Einmündung deS Betna in den Dnjepr in einem HügtLonde, daS fich dir z» 130 w erhebt un dar den vorgeschobenen Joris eine gute Einsicht in dos VorgelÜnde genährt. Die Befestigungen, die schon Peter der Große 17l 6 zu baue« ansing, bestehen als Kein aus einer Zitadelle, die veraltet ist. Auf dem rechten Dvjepruser find in der Hauptsache 5 gro ße Werke auf etwa 1 Meile Entfernung von der Stadt vorgeschoben. Sie werden durch sumpfige Uferstrecken des Tujepr vn'erstützt. Auf dem linken Dnieprufer find 3 große Forts vorhanden, die weniger stark autge- bout find. Nach Norde» zu erstrecken sich große Wäl der und Sümpfe, die für größere Truppenobteilungen unpassier find, sodaß in dieser Richtung hin Kiew einen natürlichen Schutz besitzt. Militärisch ist Kiew als Eisenbahnknotenpunkt der Linien Kiew—Kursk- Orel— Motkau und Kiew- Poltawa, sowie der Linie Kiew— Diniza, die auf die Bah« Lemberg- Odessa stößt, von besonderer Bedeutung. — Kiew war die alte Residenz der Großfürsten, ist eine der ältesten Städte Rußlands und die Wiege des Christentums daselbst. Don 988 an, als Wlod mir der Heilige hier die heidnischen Götzen befestigte und das Christentum einführte, wurde die Stadt für lange Zeit auch die geistliche Metropole Rußlands. Wie rasch Kiew danach oufgeblüht sein muß, kann man daraus schließen, daß bei einer Ieuerbrunst 1124 allein 6V0 Kirchen abgebrannt waren. Jetzt hat Kiew 70 Küchen, darunter 63 grüchisch-kotchlische. Berülmt ist die 1037 gegründete Kathedrale der heiligen Sofia. Ter mit reichem Mrsaikschwuck bedeckte Altor ist sowohl durch die Reinheit der Ausarbeitung als durch seine Größe berühmt; er nimmt drei ganze Stockwerke ein. Auch die Kathedrale Zur Himmelfahrt Mariä genießt mit Recht den Ruhm, eine der berühmtesten Kirchen Rußlands zu sein. Ter prächtige Elockevturm mit 10 Glocken besteht aus 4 Stockwerken. Die Stadt seilst liegt auf dem rechten Ufer des Dnjepr und ist auf 100 bis 130 w sich erhebenden Anhöhen erbaut. Sie besteht eigentlich aus drei Teilen, die untereinander verbunden find und den gemeinschaftlichen Nomen Kiew führen. Der erste Teil, Pvbol, der unmittelbarem Dnjeprliegt, ist der Mittelpunkt des Handels. Gleichzeitig ist die ser Stadtteil der Uekergeng zu den 12 Vorstädten. Ueber Podol ous der Höhe liegen Altkiew undPetichersk, die durch den Kretschlschotik, die eleganteste Straße, miteinander verbunden find. Petfchersk ist der Stadt teil des Militärs urd der Geistlichkeit, Altkiew der der administrativen Behörden und Beamten. Sie MiMMe nMk Lkiiemi. Die Reichsduma beriet die Interpellation über die Eirsperrang von polnischen Kindern. Dabei war die Regierung von allen Seiten den heftigsten Angriffen ausgesetzt. Der Radikale KerenSki machte der Regier ung Ium Vorwurf, daß die unschuldigen Kinder, die von hren Eltern hinweggerifsen wurden, deren Väter an der Front bluten, noch immer ohne Grund festgehalten würden. Noch Petersburg seien allein über 100 pol- «ische Kinder, Knaben und Mädchen ins Gefängnis geschleppt worden AlS an den Staatsanwalt die Frage gestellt wurde, warum er die Kinder noch nicht befreie, erwiderte er, der Koffer mit den Akten sei verloren gegangen; solange dieser nicht gesunde« fei, könne auch die Freilassung der Kinder nicht erfolgen! Kerenski uuft aus: Was ist das für rin Land, wo der tote Buch stabe im verlorenen Koffer über die Menschenseele ge stellt wird! Ter Kadettenanführer Rodttschew hielt ine Rede die im ganzen House den tiefsten Eindruck -machte. Ost von lautem Beifall unterbrochen, sagte «r unter anderem: mit blutendem Herzen habe er von den Leiden der unschuldigen Kinder gehört. In dem Augenblick, wo daS Land die vollste Einigkeit uötig habe, setze die Regierung ihre Politik der Unterdrückung und Ungerechtigkeit fort, trete die Gefühle der Bevölker ung mit Füßen. Warum hält man die verhafteten Kinder noch immer fest? Doron ist wie immer nur dne Verwaltung schuld. Der UuterstaatSsekretör gibt Lie Behandlung der Sache an den Generalgouverneur weiter, und der Generolgouverneur sagt sich: Was geht unich diese Angelegenheit an? — und läßt sie liegen. Inzwischen bleiben die Kinder weiter im Gefängnis. iOh, diese surchtbare Gleichgültigkeit mit dem einzelnen Menichenschicksal! Weil Polen erträume, was ihnen Lie Regierung doch jetzt versprochen hat. die Autonomie, dafür werden sie ins Gefängnis gesteckt. Das sei der Regierung unwürdig, sei keine ehrliche Erfüllung des Kkgebenen Versprechens. Wir benötigen eine ehrliche Regierung, bei der die Tate« nicht von ihre« Worten «' weichen. Mit schwerem Herzen habe er die Retner- tribüne betreten, um zur Cache das Wort zu ergreifen. tEr Hobe immer nrch gehofft, die Regierung werte eS «icht erst zur Erörterung der traurigen Angelegenheit Dy der Duma kommen lasten, sondern ihre Ungerechtig- ^jt vorher im Stillen gutmach««. Er habe sich aber zziher getäuscht. Nnlel m ter.vnmn VMmer Miu". So schnell wie die polnische Hauptstadt hat sich kaum eine von den Teutsch»« besetzte Stadt in die neuen Ver- hältniffe geschickt, und zu Dingen, die im westlichen Okkupationsgebiet erst nach vielen Wochen anfingen, sich anzubohnen, hat Warschau kaum ebensoviel Tage gebraucht. Dieser Unterschied zeigt sich besonders klar in der Kriegkzeitung des Ostens, der »Deutschen Warschauer Zeitung ". Sie ist nicht nur Sol- datenzrstnng, sie Hot auch kirren politischen und volks wirtschaftlichen Einschlag. Doß man sich in Warschau so schnell in die geänderten Dinge schickte, ist nicht aus- schließsich ein Verdienst der Rufienherrschoft, die man gerne vermißte; deutsche Organisationsgabe hat vor ollem mitgewirkt. Am 5. August habe« unsere Truppen Warschau be setzt; am 10. lag bereits die erste Nummer der »Deut schen Warschauer Zeitung* vor, die sogar mit einem Anzeigenteil, der allerdings nur eine einzige Anzeige »nthielt. Dieser Teil der Zeitung hat sich außerordent lich schnell entwickelt und umfaßt in mancher Nummer schon zwei Seiten. Es ist typisch, daß man zunächst Ansichtskarten angrpriestn hat; dann kamen Geschäfte, die Astrachaner Kaviar »ohne Preiserhöhung* anboten, ihnen folgten Zahvärzte, die »jede Reparatur* schnell stens auszusühren versbrachen, Maschinevschreiberinnen, Sprachlehrerinnen, »Manicuren*, Wurstfabrikanten, Wirtschaft!« mit deutschen Kellnern und Mittcgseffen (vier Gänge 1,10—1,20 Mark, drei Gänge 75—83 Pfennig), Badeanstalte«. Mau preist jetzt Pilsener und bcyerisches Bier an, ladt ius Kino und Varietee ein, will deutsche Fahnen verkaufen, empfiehlt sich zur Anfertigung von Bstt- und Klageschriften, sucht noch verschwundenen Foxterriers, und verlorenen Brieftaschen, will Zogdwogen mieten, preist MiltäiMützen und Mili- tärfiiefel an, macht auf „billigste Bezugsquellen sür Behörden und Divisionen* aufmerksam, will russische Briefmarken und deutschen Militärpferdedünger ver kaufen sucht Motorboote, Lokalberichterstatter, Zeitungs austräger und — Gerichtsvollzilher und Gefängnis- bromte. Toß doS Leben in Warschau lustig ist, be weis,« die Ankündigungen der Varietees und Hotels mit Ballsölen und Chambres Separees, und mancher lei Verlustanzeige». (»Welcher der Herren hat im Tro- kadero k0 Mark in deutschen Bankroten verloren?") Ei» Licht auf die Verhältnisse in Warschau werfen auch die omtkichr» Bekonntmochvngen. Die Tauben müssen getötet werden, Autos Benzin, Reifen, Mehl und Getreide find anzumeldcn, eine Volkszählung w^d durchgesährt, man trifft Vorbereitungen zur Ausgabe von Brotkarten, warnt vor Spionage und teilt die Er schießung überführter Spione zur Warnung öffentlich mit, verlangt deutsche Stroßeutafeln. hebt die Beschlag nahme deutscher, österreichisch-ungarischer und türkischer Unternehmungen auf, befiehlt die in Warschau lebenden Engländer, Franzosen, Italiener, Serben und Japaner zur Vorstellung bei der Polizei, verbietet den Zivilisten die Benützung der Feldpost. Auch gegen Gerüchte Hal n die Deutschen in Warschau zu kämpfen. So wurden die Warschauer durch die Mitteilung aus,sicherer Quelle* beunruhigt, daß die Deutschen eine Steuer auf Klaviere und — Fenster und Ruhekissen legen würden. Sehr weitherzig ist man in bezug aus die Diskussion der polnischen Frage, die täglich einen großen Raum der deutschen Zeitung einnimmt. Auch die Juden kommen im Sprechsoal zu Wort. So klagt ein jüdischer Einwohner, der sich alS »Fremd dem Deutschtum* be zeichnet, darüber, daß sich die »Deutsche Warschauer Zeitung* nicht mit den Klagen beschäftigt, die jüdische Zeitungen gegen das Bürgerkomitee erheben. »Klagen sich nicht unsere Zeitungen allteglich fon die Ungerechtig keiten, fon die wildkeiteo, fon die schreiende gevaldthaten was uns abgetha» worden durch Birger Komitet und birger milizee (schuztleute). . . . Meglich, das unser schproch der presse kan niemand serschlehn, wenn wir 40 Prozent der befel (Bevölkerung) schreien und schreien fon schmerz.* Und zum Schluß schreibt der Klagende: »meglich, das ich die deutsche schproche nicht gründlich btfizze. Aker es macht nichts, mich zu seischtehn." Tie deutsche Verwaltung wird auch hier nach dem Rechten sihen. Eie hat in ä?r kvrzenZeit schon manches geändert, was unter der früheren Herrschaft ««möglich schien. Sogar zur Reinlichkeit werden gewiße War schauer erzogen. Eine amtliche Bekanntmachuug fordert in den Läden saubere Unterlagen, Fliegengitter und Fliegenfänger, reine Hände, und reine Kleidung und Waschgelegenheit mit Hor dtuch und Seife. Widrigen falls . . .! Die Bekannlmcchung scheint gewirkt zu haben. Ju der Nächste» Nummer der »Deutsschen War schauer Zeitung fetzten die Eeifeninserote ein. r« Mel Tvich die Ervterung von Wolkruyst ist, wie der Korrespondenz »Heer und Politik" gtschiiebt» wird, das Flußgebiet zwischen Wolkcwysk und Minsk in den Vor- d«g»»»d deS Jn1«rr»ffts gntckt. Z» einem beträcht lichen Teile handelt es sich um linke Nebenflüsse deS Njemen, die durch ihre in südnördlicher Richtung ge henden Flußläufe unseren von Westen nach Osten vor rückenden Truppen starke Hindernisse find. Wir habe« schon gehört, daß der Rosiluß unseren Gegnern eine Berleidigungsmöglichkeit vor. Im letzten GeneralftabS- bericht wurde berichtet, daß sowohl die Truppen deS Generalfeldmarschalls von Hindenburg wie deS Prin ze» Leopold von Bayern bis an die Zelwionka-Linie vorgestoßen find. Tie Zelwianka ist ein linker Neben fluß des Njme», gleicherweise wie der Roßstuß, zu dem er fast parallel flößt. Die Rozanka, die auch mehr» fach in den letzten Generalstabsberichten eine bedeuten de Rolle gespielt hat, ist ein Nebenfluß der Zelwiauka. Weiter noch Osten fließt die Schara, au der der wich tige Verkehrsknotenpunkt Slonim gelegen ist. Tie Scha ra ist ein recht bedeutender Strom, der 269 km lang und zum größten Teil schiffbar ist. Seine Flußrichtung macht eine Verteidigung besonders geeignet, denn der Strom fließt von ter Gegend des Oggiuski Kanal aus mit einigen Krümmungen und westlich gerichteten Aus- buchtnngen, doch im großen Teile ziemlich gradlinig von Süden noch Norden. Vorher fließt er dagegen von Norden nach Süden bis zum Ogginski-Kaual, so daß er einen Bogen bildet, der in der Richtung Nord- Süd-Nord mit der Bogenspitze noch Süden verläuft. Er ist aus diesem Grunde in militärischer Beziehung von großer Wichtigkeit. Weiter «och Osten ist der Njme« selbst eine Sperre vor Mivs^ da er die west- östliche Strrmrichtung, die er von Nikolajiw bis Grod- no Hot, an dieser Stelle auf dem Wege von Slonim nach Minsk nicht mehr ausweist, denn er fließt hier vom Beginn seines Laufes an bis nach Nikolajew un gefähr in der Richtung von Südoflen nach Nordwesten. Unmittelbar vor Minsk legt sich ein Nebenfluß der Pripet, nämlich der Ptitsch. durch seinen Lauf Nord westen Südosten noch als Sperre sür ein vordringen- deS Heer «or. Zwischen diesen beiden letzten größeren Ströme« finden sich hier noch eine Reihe kleiner und unansehnlicher Flvßlänfe, die das Gebiet nach allen Richtungen hin durchziehen. Es handelt sich demge mäß bei dem Gelände, dos noch der Erclerung von Wolkowysk und bei dem Vormai schc in der Richtung Slonim—Minsk doS Echlachts-ld darf!eklen wird, um ein recht schwieriges und der Verteidigung leicht z - gängliches Kampfgebiet. Die Russen haben aber schon in den Sümpfen und Wäldern gezeigt, daß sie trotz ihrer der Verteidigung günstigen Lage de« Vormarsch unserer Truppen nicht erfolgreich abzuwehren imstan de find. vir »le NnMsil -es »Nelen* Lei WMen eslkm. Der Vertreter des „Berliner Lokal-Anzeigers" im Gro ßen Hauptquartier hatte Gelegenheit mi' einem der Offi ziere des »Meteor* über die letzten Heldentaten und das Ende des SchiffeS zu sprechen. Wir entnehmen dem Bericht folgendes: Wir haben tüchtige Arbeit hinter uns. In der Nähe der englischen Küste hatten wir mit gutem Glück Mine» geworfen und unser Führer, Korvettenkapita« von Knorr beschloß seinen »Meteor" wieder heimzubringen, man kann ruhig „seinen* sagen: er hatte den Hilfskreuzer getauft, sein Vater hatte im Jahre 1870 mit einem »Meteor* die Meere durchkreuzt und drüben über dem großen Wasser den Franzosen „Bouvet" vor Havanna schwer beschädigt. Der Nome »Meteor* soll uuS Glück bringen*, hatte unser Kapitän gesagt. Am Morgen des 8. August stießen wir auf de» evslifchl« HUfslrevzer „Ramsey". Bald kamen wir mit ihm i»8 Gefecht, das aber ein- feitig blieb, denn wir feuerten aus allen Knopflöchern und brachten den Engländer rasch unter Wasser. Dann mochten wir uns an die Reltungsarbeit. Drüben auf dem »Ramsey* hatte unser erster Schuß eine heillose Panik hervorgerufen. Tie Uhr zeigte auf 7 Uhr morgens und ein großer Teil der Besatzung des .Ramsey" hatte noch geschlafen, als wir aus ihn stießen. Unsere Ge schütze ließen ihnen keine Zeit mehr, sich anzutle'de , und was wir später aufgesischt haben, war pudelnaß weil nur ein Boot der Engländer heil zu Wasser ge kommen war. Tie anderen Boote waren etwa zer schossen oder beschädigt worden. Als wir sahen, daß der Gegner kampfunfähig sei, machten wir unS eiligst daran, unsere eigenen Boote herabzu löffln, um die mit den Wellen ringenden Engländer aufzufischen. Wir hotten 1« 48 Evglävder auf-efifcht, von denen waren nur sechs Nocken. Der älteste Offi zier der Engländer bat, von unserm Kapitän empfangen zu werden und sagte zu ihm: »Im ersten Moment, als wir im Wasser waren, Herr Kapitän, haben wir es uns olle übe,legt, ob wir ersaufen oder in die Ge fangenschaft der Deutschen kommen sollten. Nach allen,, was man uns gesagt hatte, dachten wir kolossal schlecht behandelt zu werden. Wir wäre» im Irrtum, man hatte uns uicht die Wahrheit gesagt und deshalb kam