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verhaften und an die Königliche Staatsanwaltschaft hier abliefern. Diese konnte keine Schuld an ihnen finden und lieferte die aller Mittel entblößten Leute als Obdachlose an das Polizeiamt ab, wo man sie beköstigte und an das dänische Konsulat wies. Auch eine Vergnügungsreise! — Leipzig, 3. Okt. Im Meineidsprozesse Schröder beantragt der Verteidiger Dr. Niemeyer die Aufhebung des Urteils wegen Beschränkung der Verteidigung. Das Essener Urteil sei tendenziös. Der Reichsanwalt Schumann beantragt die Verwer fung der Revision. — Der L eipzig er Lehrergesangverein hat sich den Scherz gemacht, den Wiener Sangesbrüdern mit echter Gose aufzuwarten. Das geschah bei Ge legenheit des Kommerses im Etablissement Ronacher. Aus mehreren langhalsigcn Flaschen wurde ein riesiger Pokal mit Goss gefüllt. Herr Sregerl hielt vor der Kostprobe eins Ansprache, in welcher er zum Schluffe pathetisch sagte: „Ich schätze mich glücklich, diesen Trank den Wiener Herren reichen zu dürfen; Sie werden mich vergöttern, ja, Sie werden meine Gebeine wieder aus der Erbe graben, wenn ich viel leicht einst sterben sollte. (GroßeHeiterkeit) H^ute noch verwürfcln wir Leipziger unsere Frauen bei diesem edlen Getränke, so lieb ist eS uns. Und nun, meine Herren, kommen Sie, treten Sie an — eS ist eine ernste Stunde". (Große Heiterkeit.) Und nun ließen die Wiener Sänger den Pokal kreisen, Jeder setzte ihn aber rasch wieder ab, benn diese „beste Frucht des sächsischen Landes wurde einstimmig als das elendeste Gesöff auf Gottes weite Erde" be-eichnct. — Aus Chemnitz wird gemeldet: Die Ge brüder Neill, Lie sich durch ihre Schätzungen über das Ergebnis der Baumwollernte in Nordamerika eine Weltbsrümiheit erworben haben, und die nament lich bei den englischen Spinnern ein großes Ver- trauen genießen, haben nach ihrem letzten Berichte die zu erwartende Ernte auf 7—7^/4 Millionen Ballen geschätzt, also um etwa 2 Millionen ballen niedriger als dis Ernte von 1894 ausmachte. Daß sie auch diesmal richtig gerechnet haben, wirb nicht bezweifelt, abec man macht ihnen sen Vorwurf, daß sie früher ein besseres Ergebnis vorausgrsagt und versprochen hatten, etwaige Aenderungen in dieser Annahme rechtzeitig mitzuteilen. Daß sie diese Mit teilungen unterließen, har manche englische Spinner abgehalte», rechtzeitig für genügendes Rohmaterial zu sorgen. Dadurch erwächst ihnen «in bedeutender Schaden. Unsere deutschen Spinnereien waren etwas vorsichtiger, doch haben sie auch erst gekauft als die Preise schon sehr bedeutend gestiegen waren. — Zwickau, 2. Okt. (Oeffentliche Verhand- lung vor dem König!. Landgericht, Strafkammer II.) Der 1850 zu Lichtenstein geborene, daselbst auch «och wohnhafte Zimmermann und Taubenhändler August Hermann Tauscher wurde wegen einfachen, im meder- holteu Rückfälle verübten Diebstahls zu einer Ge fängnisstrafe von 3 Monaten verurteilt. Tauscher hat eine Taube weggefavgen. — Plauen i. V. Von den 53 Stück echt Simmenthaler Zuchtviehes, welches Herr Karl Krö-- terchserdr hier (Zuchteinfuhrgeschäft) Ende voriger Woche nach Annaberg geliefert hat, sind nach Ab zug der für die Verlosung und dis Bullenaufzucht- staiiou Olbernhau bestimmten 40 Stück die noch übrig gebliebenen 13 Stück von dem Landwirischaft- lichen Institut zu Leipz-g, sowie von einzelnen Zucht- genosseoschaften im Erzgebirge und in der Provinz Sachsen angekaust worden. — Plauen, 2. Okt. Mehrere Hundert ge fundene Schlüssel hängen in der Posizsihauptwache — so lesen wir in dem „Vogtland. Anzeiger". Wenn das alles verlorene Hausschlüssel sind — na, na! Das Irrlicht von Wildenfels. Original-Roman aus unseren Tagen von G. v. Brühl. — Nachdruck Verbote». (Fortsetzung.) Es fiel ihm auf, daß trotzdem kein Mensch auf demselben zu sehen war, kein Mensch herbeikam, um ihm das Pferd zu halten. Franz stieg hastig und zornig von dem Pferde und band es an. Allem Anschein nach hatte der Oberförster sich bereits mit Gimpel in den Forst begeben. Nun verzog sich das Gesicht des Barons zu einem häßlichen Lächeln. Er konnte nun Diejenigen überraschen, welche sich hier im Forsthause versteckt halten sollten, er konnte sich Gewißheit verschaffen, daß Fürstenberg lebte, daß er hier war, daß Grimm ihn heimlich bei sich ausgenommen hatte. Noch glaubte er nicht an diese Möglichkeit, noch konnte er sich nicht an diesen Gedanken gewöhnen. Es blieb Alles still auf dem weiten Hofe, nach dem sich die Hunde wieder in ihre Hütten zurück gezogen hatten. Franz schritt in das Haus, dessen Thür offen war. Plötzlich blieb er lauschend stehen. Was für ein eigentümliches Geräusch war es, das an sein Ohr drang? Er konnte sich dasselbe nicht erklären. Murmelte so eintönig ein Mensch? Oder brachte eine Nähmaschine dieses Geräusch hervor? Nein, das Letztere tonnte nicht gut möglich sein, denn einzelne Laute erinnerten deutlich an eine Menschenstimme. Franz machte die Thür der Stube auf, in welcher Grimm sich aufzuhalten pflegte, wenn er zu Hause war. — Plauen, 1. Oktbr. Der „Vogtl. Anz." schreibt: Wie weit der Ruf eines in seinem Fache tüchtigen Handwerker« dringen kann, zeigt eine An frage, die jüngst von einer ostspreußischen Gemeinde an eine hiesige Verwaltungsbehörde gerichtet wurde: Man erkundigte sich aus so weiter Ferne nach dem Namen und der Adresse desjenigen Sattlers, der hier die guten Geschirre für Zugvieh mache. Namentlich die hier verfertigten Stirnhölzer für Zugochsen ge nießen einen weitverbreiteten Ruf. — Waldenburg, 3. Okt. Aus Anlaß der Jubilänmsfeierlichkeiten im hiesigen Fürstlichen Lehrerseminar traf gestern abend Se. Durchlaucht Prinz Hugo von Schönburg-Waldenburg aus Droy ßig hier ein und stieg im Fürstlichen Schlosse ab. Die Ankunft Sr. Durchlaucht des Prinzen Sigis mund von Schönburg-Waldenburg, welcher ebenfalls zur Teilnahme an den Jubiläumsfestlichkeiten hier erwartet wird, dürfte morgen früh erfolgen. — In der Bmge zu Gey er, wo seit dem Einsturz der Ziungruben im Jahre 1803 die Berg- mannsarbest geruht hat, entfaltet sich gegenwärtig wieder eine rege industrielle Thätigkcit. Der ge waltige Granitpfeiler, der den 48 Meter tiefen Trichter der Btnge in zwei Hälften teilt, wird ab gebaut und zu Würfeln für Straßenpflasterurigen verarbeitet. — Geyer, 2, Okt. Ein schwerer Unglücks- fall hat gestern zwischen 11—1 Uhr die Familie des Bauunternehmers Julius Weißbach in Tannenberg tzeimgesucht. Die im vierten Jahre stehende Tochter desselben hatte sich jedenfalls in der Nähe des Spritzen hauses, am Uferrande des sogenannten Hammergra bens, zu schaffen gemacht, rst dort ausgeglitten und in das Wasser gestürzt, wo sie ihren Tod sand. Das Kind wurde i/s2 Uhr von dem Bahnaufseher Fehmer aus dem Graben, an dem Rechen hängend, tot herausgczogsn und in die elterliche Wohnung gebracht. — Das seltene Vorkommnis, daß bei einem Konkurse sämtlich- Gläubiger voll und ganz befrie dige werden und der Gemsinschuldner noch einen ansehnlichen Betrag ausg-zahlt bekommt, ist jetzt auch aus der Schellenberger Gegend zu melden. Im Konkurse über das Vermögen des Gutsbesitzers Esuorv Kluwe in Leubsdorf hat der Konkursverwal ter über 1000 M. für Herrn Kluge übrig. — Alt- und Neugersdorf, 2. Okt. In der Krenzkirchs zu Dresden fand in diesen Tagen die Vermählung der Tochter des berühmten Erfinders Thomas Alba Edison in New-Jork, Miß Manon Estelle Edison, mit dem Premierleutnant O. Oeser aus Chemnitz, Sohn des Buch- und Kunsthändlers Hermann Oeser in Neusalza, statt. Miß Esison weilte längere Zeit zum Besuchs ihrer treuen Pfle gerin in schwerer Krankheit, der hiesigen Albertinerin in unserem Orte. 8 Berlin, 3. Okt. Den Redakteuren des „Vorwärts", Pfund und Dierl, ist gestern die An klageschrift in der bekannten Strafsache zugestellt worden. Während dis Sache bisher amtlich „Pfund und Genossen" hieß, heißt sie jetzt „Dierl und Ge nossen". Die Umcaufang ist insofern bemerkenswert, als sie den Erfolg haben würde, daß die Sache in der „Brausewetter-Kammer" zur Verhandlung gelangen würde. Infolgedessen ist, wie der „Vorwärts" mit teilt, gegen die Verbindung der beiden Angeklagten Protest erhoben worden. 8 Berlin, 3. Okt. In Potsdam ist in der Nacht zum Mittwoch ein angeblicher Student der Medizin aus Berlin als Einbrecher verhaftet worden. Unter seinem Mantel trug er verschiedene Sachen, die er aus einer Offizierswohnung gestohlen hatte. Dabei ist der Verhaftet: ein Krüppel, er hat einen - Es schien etwas so plötzlich ihn abgerufen zu haben, daß er garnicht dazu gekommen war, sein Frühstück ganz zu verzehren. Die noch halb mit Kaffee gefüllte Taffe stand neben der Kanne und dem Mltchtöpfchen und auf dem Teller lag rin angebro chenes Brötchen. Was war hier geschehen? Und drüben auf der alten Kommode lag ja Grimm's Hut. Ec konnte also noch garnicht im Walde sein, er mußte hier in der Nähe, mußte in der Obersörsterei sein. Aber draußen war noch nichts von ihm zu hören und zu sehe» gewesen. In demselben Augenblick zuckte der Baron zu sammen. — Ein Ruf drang an sein Ohr, welcher ihm mit einem Schlage alles verriet! Und dieser Laut kam von oben herab, wo noch einige kleine Räume unter dem Dache sich befanden. Oben war Fürstenberg! Der Ruf und daL da rauf folgende heisere Lachen eines Wahnsinnigen verrieten es dem Baron. Eine Minute stand er gebückt, horchend, lau ernd da. — Dann schlich er zur Thür. — Er stieß sie auf. Nun war es wieder still, nur das eigentümliche Murmeln war zu hören. Franz verließ die Stube und schritt leise zu der Treppe hin. Oben befand sich das, was er suchte! Martha schien recht zu haben, schien auch hier recht zu behalten l Der Baron schlich die Stufe« hinauf. Holzarm. UebrigenS bestehen Zweifel darüber, ob seine Angaben richtig sind. Er macht den Eindruck einer nicht ganz normalen Menschen. 8 Rötha, 1. Oklbr. Heute ereignete sich im Bahorestaurant zu Böhlen der seltene Fall, daß ein Hase direkt vom Felde in die Küche lief und dort gefangen wurde. Derselbe wurde lebend dem Pächter, Herrn Töpfer, überreicht. Z Kolberg, 2. Okt. Hier hat eine Frau einen Eid geleistet, dessen Verlesung zwölf volle Stunden dauerte. Ein Holzhändler Rowe und ein Zimmermeister Vandruß führten einen äußerst langwierigen Prozeß auf Rechnungslegung mit einan der, in welchem schließlich in vierter Instanz der Witwe des inzwischen verstorbenen Beklagten ein Eid auferlegt wurde, der über 1200 kleinere Eide über ebsnsoviele Streitpunkte enthielt. Der Eid war niedergeschrieben auf mehr als 20 engbeschriebenen Bogen und b>e Ableistung durch die schon bejahrte Frau nahm drei Tage in Anspruch. Allerdigs wurde vormittags nur 2^/e und nachmittags nur etwas über eine Stunde geschworen, sovaß im Ganzen eine Schwurzeit von rund zwölf Stunden herauskam. Jedenfalls dürfte dieser Fall einzig in seiner Art dastehen. Z Unter großem Andrangs des Publikums hat nun vor dem Aachener Schwurgericht der erste der beiden Msineidsprozesse begonnen, welche nach dem bekannten Mellage-Prozeß gegen d;e vielgenann ten Zmgsn, die Astxmnerbrüder Heinrich und Ire näus, anhängig gemacht wurden. Die Prozesse werden getrennt geführt, am 2 und 3. Oki. gegen Bruder Heinrich, am 4. und 5. Okt. gegen Bruder Irenäus. Die Anklagen sind eine Folge des gegen den Gastwirt Mellage verhandelten Beleidigungs- Prozesses. Dis Anklage war wegen Beleidigung der Asixionerßenosienschaft in Aachen, begangen dmchdis von Mcll.ge veröffentlichte Broschüre: , 39 Monate bei gesundem Geists als irrsinnig eingekerkert", er hoben worden und endete nach achttägiger Dauer mit der Freisprechung der Angeschuldigten. In dem P ozesse traten auch die beiden jetzigen Angeschuldig- ten als Zeugen auf uus sie sollen nun nach Annahme der Anklqgebehörde teils im eigenen Interesse, teils in dem ihrer Klosterbrüderschaft falsche EweLaus- sagsn gemacht haben, um bis zur Sprache gelangte» Vorkommnisse zu rechtfertige,i. Die AagcAagten wurden unmittelbar nach jenem Prozeß in Unter suchungshaft genommen. Dec angeklagte Bruder Heinrich ist wegen zwei Aussagen unter Anklage ge stellt worden. Er heißt mit seinem bürgerliche» Namen Josef Schopen und ist zu Aste« m Holland am 16. Sept. 1835 geboren, er war vor seinem Ein tritt in die Alcxianergenoffevschast von Beruf Schnei der und bekleidete in der Anstalt die Stelle des Sub rektors. Der zweite Angeklagte, Engelbert Müller, am 25. September 1860 zu Neuhaus geboren, war früher Fabrikarbeiter und ist seit sieben Jahren unter dem Namen Irenäus Alexianerbrudcr. Unter den von der Staatsanwaltschaft geladenen Zeugen befin den sich Kaplan Forbes, Mellage, Rektor Ooerbsck, die Brüder Paschalls, Aloysius, Priester Reindors, Polizeikommffsrr Lohe, die Landgerichtsräts Dahmen und Küster, Gerichtsassessor Dr. Schützen und ver schiedene Stenographen und Zettungsberichtsrstatter. Die Verteidigung der beiden Angeklagten liegt in den Händen von Rechtsanwalt Oster-Aachsn, dem Vertreter des Nebenklägers im Mariaberger Prozeß, und Rechtsanwalt Dr. Gammersbach-Köln, dem be kannten Verteidiger Buschoff's im Xantener Knaben mordprozeß. Der Alexianerbruder Heinrich bestreitet, einen Meineid geleistet zu habe«. ** Paris, 3. Okt. Auf der Nordbahn ereig nete sich gestern ein Eisenbahnunglück, indem ein von Oben war die eine Thür nur angelehnt. Aus jenem Raume kam das eigentümliche Ge räusch. Es war das eintönige Murmeln einer Stimme. Franz näherte sich, jedes Geräusch vermeidend, der Thür. — Leise, langsam schob er sie auf. Seine Blicke drangen nun in die Kammer. In derselben lag auf einem Bett an der Wand jener Alte m't dem grauen verwilderten Haar und Bart. Fürstenberg war es, Franz erkannte ihn trotz der mit dem Ingenieur inzwischen vorgegangenen Veränderung. Das waren die großen, klugen, un ruhigen Augen Fürstenberg's! Das war seine hohe Stirn! Das waren seine Züge, wenn sie auch vor zeitig gealtert waren, ja jetzt greisenhaft aussahen, da die Wangen des Kranken ganz eingefallen waren. Durch das Fenster fiel das Helle Tageslicht auf ihn. Neben seinem Lager kniete ein Mädchen, die gefalteten Hände zu ihm auf das Lager legend und mit gramerfülltem Antlitz zu ihm ausschauend. Inmitten der Stube stand der Oberförster. Gertrud hatte ihn vorher in ihrer Todesangst heraufgerufen, da ihr Vater schrecklich phantasiert und dann wie ein Toter dagelegen hatte. Grimm's Blicke hingen an dem Kranken und an Gertrud so voller Teilnahme, daß er garnicht die leisen Tritte des draußen Näherkommenden gehört hatte. Nun stand der Baron in der offenen Thür. Gertrud sah ihn nicht, auch Grimm sah ihn nicht, aber der kranke Fürstenberg erblickte ihn, als seine starren Augen zur Thür hinglitten. Plötzlich loderte es in seinen Augen auf. —