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- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981202018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898120201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898120201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
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Monat
1898-12
- Tag 1898-12-02
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Monat
1898-12
-
Jahr
1898
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vvsv Dresden die Möglichkeit zum Kriege gefunden werden können, wenn nur die damalige preußische Diplomatie auf der Höhe ihrer Mission gestanden hätte. Von wem die auffällige Be schränkung der Ziele Preußens in Dresden ausgegangen ist, ob vom Könige oder von Herrn von Manteuffel, dem neuen Minister des Auswärtigen, ist -Bismarck nie klar geworden. Als Grundirrthum der damaligen preußischen Politik aber bezeichnet er es am Schluffe des Capitels: „Daß man glaubte, Erfolge, die nur durch Kampf oder durch Bereitschaft dazu gewonnen werden konnten, würden sich durch publicistische, parlamentarische und diplomatische Heucheleien in der Gestalt erreichen lassen, daß sie als unserer tugendhaften Bescheidenheit zum Lohne oratorischer Bethätigung unserer deutschen Gesinnung aufgezwungen erschienen." Man nannte das, fügt er hinzu, später moralische Eroberungen: „es war die Hoffnung, daß Andere für uns thun würden, was wir selbst nicht wagten". Horst Kohl. Kaiser Franz Josef. zr Ohne Gepränge und FesleSgeräusch, in tiefem Schmerz um einen dreifach harten häuslichen Berlust begeht heute Kaiser Franz Josef die Erinnerung an seinen vor einem halben Jahrhundert erfolgten Regierungsantritt. Selten in der Geschichte begegnen wir einem Herrscher, dem ein solcber Tag beschicken oder auferlegt ward, seltener noch einem Fürsten, der ihn, wie der Kaiser von Oesterreich, vor Er reichung des Patriarchenalters erlebte. Der greise Monarch, der dem zu Ende gehenden Jahrhundert den Stempel auf drückte, unser erster Kaiser, war ein Menschenalter früher geboren und hatte, als er, ein mehr als Neunzigjähriger, starb, wenig mehr als die Hälfte der Regierungözeit, die heute hinter Franz Josef liegt, zurückgelegt. Wohl ist unter den Beherrschern großer Staaten die Königin Victoria von Großbritannien dem Jubilar an Negentenjahren voraus, aber das Schicksal hat eö gewollt, daß dem Manne aus dem Hause Habsburg das Leben und der Herrscherberuf eine schwerere Bürde wurde, als den Frauenschultera des eng lischen Staatsoberhauptes. Die Uiiglücksjahre zählen wie die Kriegsjahre doppelt, und den Kaiser Franz Joses hat die Glückssonne nur kärglich mit ihren Strahlen bedacht. Die Jugend ihm raubend, senkte sich die Krone im frühen Jünglingsalter auf sein Haupt, über tief aufgewühlte Länder mußte der Achtzehnjährige die Herrschaft übernehmen, und nach fünfzig Jahren ist es dem bald ans Greisenalter Herantretenden nicht erspart, den Staatskörper in heftigen Zuckungen zu sehen. Dazwischen liegen ungeheuere geschichtliche Begebenheiten, die das Reich Franz Josef s tief berührten. Die Anfänge seiner Regierung waren von äußeren Erfolgen begleitet. Ein genialer Feldherr unterwarf ihm mit einem trefflichen Heere dir aufrührerischen italienischen Provinzen, die Revolution in Ungarn ward niedergeschlagen, in der westlichen Reichshälfte kehrte die Ruhe wieder. Aber die Waffen gewannen keinen dauernden Besitz zurück, die Einigung Italiens war nicht aufzuhallen, Ungarn erlangte das geforderte Maß von Selbst ständigkeit, die deutsch« Frage wurde auf dem Wege gelöst, auf dem sie allein gelöst werden konnte, und dieser war nicht derjenige, den Oesterreich zu geben bereit war. Der eherne Tritt der Geschichte Hal in diesen fünfzig Jahren Manches in Oesterreich zermalmt. Aber vermochte Kaiser Franz Josef widrige Geschicke nicht immer zu wenden, so ist doch nicht er es gewesen, der sie herausbeschworen. Er steht da als die verehrteste und geliebteste Persönlichkeit jener weiten Lande; seine Dynastie, durch die das Reich durchbrausenden Stürme eher gefestigt als erschüttert, ist fest geblieben. Aber politisch erinnert sein Loos an das Ludwig's XVI. Insofern, als Mißgriffe und Sünden der Vorfahren sich in seiner Regierungszeit, als der eines an den unerfreulichen Ge staltungen unschuldigen Monarchen, rächten. Insbeson dere gilt dies von dem Wandel der Stellung zu Deutsch land und von der heutigen kritischen inneren Lage. Wir wollen nicht auf die so unnachsichtig betriebene Gegen reformation zurückgehen, obwohl die einsichtigsten Männer Oesterreichs von ihr den Beginn der Schwächung des Staates datiren. Aber gewiß ist die Abkehr von der das Deutsch- thum als den Grundpfeiler des Reiches erachtenden Politik, die in Maria Theresia ihre beste Vertreterin fand, eine Ur sache der gegenwärtigen Zustände geworden. Es war ein Unglück, daß der großen Kaiserin geistreicher, aber wenig staatskluzer Sohn durch Maßlosigkeiten in der Durchführung des Programms der Vorgängerin eine rückstauendc Bewegung entfesselte, und eS war ein größeres Unglück, daß seine Nach folger jene natürliche Reaction theilS als eine dauernd vor geschriebene Entwickelungsbahn ansahen, theilS ihr um zeit licher Regierungsbequemlichkeit willen nachgaben. Die Namen Franz, Ferdinand, Metternich bezeichnen eine lange Periode, der Nichtachtung, der vielfach bis zur Frivolität gesteigerten Nichtachtung der Zukunft. Eine allzulange Periode für Franz Josef, dessen tiefer sittlicher Ernst, dessen hohes Pflichtgefühl und dessen unzweifel haft reger fortschrittlicher Geist nicht die Gesammtheit der überkommenen Staat-übel auSzurotten vermochte; denn die Erfüllung dieser Aufgabe ging über menschliches Ver mögen. UnS, die wir Deutsche sind, kann auch der heutige Tag nicht und kann weder hohe Verehrung, die wir der Person des Kaisers Franz Josef zollen, noch die Theilnabme an seinem barten menschlichen Schicksale die Zurücksetzung, den Druck vergessen machen, unter dem unsere cvtanuncSgenossen in Oesterreich lebe». Aber die Gerechtigkeit gebietet auch uns, anzuerkennen, daß frühere redliche und anhaltende Be mühungen deS Monarchen, dem Deutschthum seinen historischen Platz im Westen seines Reiches wieder anzuweisen, nicht die volle Unterstützung der durch die Verfassungspartei repräsen tieren Deutschen gefunden haben. Wie ihr Kaiser, so leiden auch unsere Brüder in Oesterreich unter den Sünden der Väter, der „Herbstzeitlosen". Aber sie werden gesunden durch weise Uebung ihrer Kräfte und durch die Hoffnung auf bessere Tage, wie sie ihren vielgeprüften Herrscher nie ver lassen hat. Diese Hoffnung ist deutscher Männer würdig. Denn Oesterreich, wie es ist, wie es von Franz Josef umgeschaffen worden ist, reiht sich den politischen Gebilden lebenskräftig an. Durch die thatsächliche Erwerbung von Bosnien und der Herzegowina in einem wichtigen Theile Europas ein Mehrer des Reiches geworden, sieht sich der Kaiser an der Spitze eines nach außen mächtigen Staates; im Innern hat seine Regierungözeit einen beispiellosen Aufschwung der Eultur entstehen lassen. Gewerbe und Handel blühen, die einst zerrütteten Staatsfinanzen sind wohl geordnet, die Kunstpflege Oesterreichs erregt den Neid anderer Völker, die finsteren Gewalten der geistigen Unterdrückung müssen um ihr Dasein kämpfen, wo sie Jahrhunderte unangefochten die Alleinherrschaft ausübten. So besitzt das alte Oesterreich Bürgschaften einer Zukunft und es verdankt sie vor Allem seinem Kaiser, der, von morgen und unsäglichem Familiennnglück gebeugt, aber nicht nieder gebrochen, am Steuer steht, nicht von Triumphen, aber von Herrscher- und Mannestugenden umstrahlt. Möge in einer noch langen Wirksamkeit der Erfolg seinem edlen Streben sich gesellen! Dies der Wunsch Alldeutschlands für den Sprossen Habsburgs. Deutsches Reich. 6. H. Berlin, 1. December. (Der polnisch-social- demokratische Parteitag.) Die polnischen Socialisten, die sonst regelmäßig in Berlin tagten, werden diesmal ihren Parteitag (den vierten) während der Weibnachtsfeiertage in Beuthen in Oberschlesien veranstalten. Es ist bekannt, daß gerade in Oberschlesien die socialdemokratische Bewegung un gemeine Fortschritte gemacht bat. Beim Pflücken der Frucht — bei der Vertheilung der NeicbstagScandidaturen — gerietben freilich die „deutschen" und die polnischen Socialisten einander sehr stark in die Haare und diese Spannung ist im Laufe der Zeit noch gewachsen. Die „deutschen" Socialisten Oberschlesiens werden nun sicherlich nicht erbaut davon sein, daß die polnischen Socialisten gerade die oberschlesischen Bezirke sich zum Hauptagitationsfeld ausgesucht haben. Die polnischen Socialisten haben wiederholt betont, daß sie in erster Linie Polen sein wollen, während bekanntlich dieses Hervorkehren der Nationalität den „deutschen" Socialisten ein Greuel ist. Letztere behaupten auch, daß der polnische Socialist ein Lohndrücker sei und bleibe und kein Bedenken trage, bei Streiks seinen deutschen College» in den Rücken zu fallen. Die von der socialdemokratischen Generalstreik- Commission unternommenen Versuche, durch Flugblätter in polnischer Sprache die polnischen Arbeiter bei Streiks zu den Streikenden binüberzuziehen, sind in der That vollständig mißglückt. So stoßen die polnisch-socraldeinvkratischcn und die „deutsch"-socialdemokratischen Bewegungen direct gegen einander und alle Phrasen von der internationalen Ver brüderung ändern daran nichts. Hätte sich nicht der alte Liebknecht in so eigenartiger Weise der polnischen Socialisten angenommen, so wäre die letztere Strömung ganz im Sande verlaufen. Man darf gespannt darauf sein, wie sich Lieb knecht nun zu dem Beuthener Parteitage stellt. * Berlin, 1. December. Betreffs der Bildung des Neichstagöpräsidiums hat die klerikale „Köln. Volksztg ", die sich mit dem Gedanken der Wahl eines linksliberalen statt eines nationalliberalen zweiten Vicepräsidenten vertraut gemacht hatte, eine Schwenkung vollzogen. Sie schreibt jetzt: „Man muß sagen, ein Präsidium aus dem Centrum, den konservativen und den vereinigten Linksliberalen würde der Lage am besten entsprechen. Es würde auSdrückcn, daß eine positive Mehrheit und eine Abwehr-Mehrheit vorhanden ist, wobei jedes Mal daS Centrum den Aus schlag giebt. .(!) Andererseits, hat aber auch die Partei- Combination all Koo ihr Mißliche». Wie die drei links liberalen Gruppen, so könnten sich auch beliebige andere Parteien zu eiueni bestimmten Zwecke zusammcnthun und nun auf Grund ihrer Stärke Ansprüche erheben, zu denen sie sonst nicht entfernt berechtigt wären. DaS möchte denn doch zu bedenklichen Consequenzcn führen. DaS Beste scheint wirklich, man verfährt ganz unparteiisch nach der Stärke der Fractionen. Wenn daraus hingewiesen worden ist, das; früher die Besetzung des Präsidiums auch nicht nach der Parteistärke erfolgt sei, so geschah dies eben mittels ungerechter Zurücksetzung des CeutrumS; auf dieses Unrecht sollte man sich "doch nicht berufen, um ein Herkommen festzustellen. Wenn auch später nicht nach der Starke besetzt wurde, so war der Grund die Bescheidenheit deS CeutrumS, das freiwillig auf den ersten Präsidenten verzichtete. Damit ist eö nun vorbei. In den letzten Sessionen hat man eS allgemein als selbstverständlich an gesehen, daß die Fractionsstärke die Rechte im Präsidium bestimmen müsse, wenngleich in der Praxis nicht immer danach verfahren worden ist. Wo kein triftiger Anlaß vor liegt, von dem Grundsätze abzuweichen, sollte man danach handeln. Es kann sich dann Niemand beklagen und eS giebt nicht unnölhig Streit und Feindschaft." D Berlin, l. December. (Telegramm.) Zur gestrige» Mittagstafel beim Katserpaar waren geladen Herzog Albrecht von Württemberg mit Gemahlin und Gefolge, Fürstbischof vr. Kopp und Hofmarschall Graf Pückler mit Gemahlin. Nachmittags unternahm der Kaiser einen Spazierritt, Abends speiste derselbe beim OssiciercorpS des Leib-Garde-Husaren- RegimentS. Heute Morgen horte der Kaiser die Vorträge des Kriegsministers, Generallicutenants von Goßler, und des Chefs deS Militaircabinets, Gencraladjutanten, Generals der Infanterie von Hahnke. Um 11 Uhr begaben sich der Kaiser und die Kaiserin nach Charlottcnburg, wo dieselben daS Atelier des Bildhauers Götze besuchten. Daun fuhr das Kaiserpaar nach der Siegesallee, um dort mit dem Geh. Oberbaurath Spitta zu conferircn. Daraus stieg der Kaiser im Schloß Bellevue zu Pferde. DaS Kaiser paar brach von dort um 12^ Uhr zm» Einzuge auf. Der Kaiser saß im Mantel mit dem Bande deS Schwarzen Abler-OrdenS zu Pferde, die Kaiserin in einem offenen vierspännigen Galawagen, begleitet von dem General adjutanten General der Infanterie v. Hahnke und General lieutenant v. Pleffen, den Fckigcladjutanten Generalmajor von Scholl und Oberstlieutenant von Pritzelwitz, dem Oberstallmeister Gras von Wedel und dem Oberbos meister Freiherr» v. Mirbach zu Pferde, während die Gräfin v. Brvckdorff neben der Kaiserin saß. Das Kaiserpaar traf am Brandenbnrger Thor gegen 1 Uhr ein und wurde von einer ungeheuren Menschenmenge jubelnd begrüßt. Der Bürgermeister Kirschner und der Stadtverordnetenrorstehcr vr. Langerhans, sowie neun Vertreter der Stadt, hatten vor dem Brandenburger Thore Ausstellung ge nommen. Bürgermeister Kirschner hielt eine Ansprache an das Kaiferpaar, worin er dessen gedachte, wie Gott daS Kaiserpaar in fremden Landen und aus hoher See in seine Hut genommen und sie Werke des Friedens und der Liebe habe schaffen lassen. „Möge der Aufenthalt des Kaisers im Vater lande ein reich gesegneter sein, und möge eS dem Kaiser be- schieden sein, dem preußischen und dem deutschen Volke den Frieden zu erhalten und das leibliche, geistige und sittliche Wohl kraftvoll zu fördern!" Der Bürgermeister wendete sich so dann an die Kaiserin, die er als treue Gefährtin bei allen Anstrengungen der Reise und als treue und liebende Gattin feierte, die alle deutschen Herzen lieben. „Möge jeder Tag, den daS Kaiserpaar in den Manern Berlins verlebe, ein Tag des ungetrübten Glückes sein". Der Kaiser reichte dem Bürgermeister die Hand vom Pferde herab und sagte, erfreue sich, heimgekehrt zu sein, gedachte der vielen schönen und großen Eindrücke auf der Orientreise und reichte nochmals dem Bürger meister die Hand. Der Kaiser ritt durch das Thor, die Kaiserin folgte im Wagen. Vom Pariser Platze begann das Spalier der Garnisonen von Berlin und Umgegend. Die Truppen präsentir- ten und riefen: „Hurrah!" Die Musik spielte. Auch die Cavallerie und die Artillerie war zu Fuß, die Recruten ohne Gewehr. Die Fahnen und Staubarlen sammelten sich hinter dem Kaiser. Die Fahnen - Compagnie und die Standarten- Schwadron schlossen sich an. Der Jubel der Menge pflanzte sich fort, die Glocken der Kirchen läuteten. Im Lustgarten nahm der Kaiser den Vorbeimarsch der Fahnen- und Standarten-Abtheilungen, sowie der abmarschirendcn Regi menter ab. Die öffentlichen und viele private Gebäude, auch die Botschaften sind beflaggt. Das Wetter ist trübe. (Wieder holt und ergänzt.) (D Berit», 1. December. (Telegramm.) Der „Reichs anzeiger" schreibt: „Der Kaiser gedenkt mit den verbündeten Regierungen und dem deutschen Volke in innigster Anthcil- nahme deS TageS, an dem unser erlauchter BundeSgeuosse Kaiser Kranz Josef vor 5V Jahren den Thron der Habs burgischen Monarchie bestiegen hat. Möge die Vorsehung daS theure Leben des edlen Herrschers noch lange Jahre er halte», zum Segen Oesterreich-UngarnS und zum Heile des europäischen Friedens!" — Auch die „Nordd. Allg. Ztg." gedenkt mit warmen Worten deö Jubiläums dcö Kaiscr-S Franz Josef. — Der „Hamb. Corr." wird aus Berlin noch auf folgendes befremdliche Moment in dem Verhalten des Grafen Thun Deutschland gegenüber aufmerksam gemacht: „Wenn Graf Thun die Eventualität vorher sicht, daß die österreichische Regierung zu Gegenmaßregeln schreiten müßte, so steht die Ankündigung im Parlament ohne eine vorhergehende vertrauliche Benachrichtigung deS hiesigen auswärtigen Amtes im Widerspruch mit dem diplomatischen Gebrauch, zum Wenigsten so lang« die intimen Beziehungen zwischen Berlin nnd Wien fortdauern. Es ist demnach ebenso wahr scheinlich, daß die Tbun'sche Erklärung im österreichischen Ministerrath nicht besprochen worden ist, wie daß die Schluß sätze der Erklärung ohne Vorwissen des auswärtigen Ministers, Grafen Goluchowski, gesprochen sind. Jedenfalls wird man weitere Erklärungen abzuwartell haben." - Die „Deutsche Tageszeitung" wendet sich in Folge der gestrigen Berichtigung der „Nordd. Allg. Ztg." in der den Major von Wissmann betreffenden Angelegenheit mit folgender Erklärung gegen das officiöse Blatt: „Die „Nordd. Allg. Ztg." behauptet, zu der Erklärung er mächtigt zu sein, daß unsere Mittheilung über gewisse Jutriguen gegen Herrn von Wissmaun jeder thatjächlichen Grundlage ent behrten und sich als eine tendenziöse Erfindung kennzeichnete». Wenn der Gewährsmann der „Nordd. Allg. Ztg." nichts von der Jntrigue weiß, so entbehrt sie noch lange nicht der Grundlage. Den Vorwurf tendenziöser Erfindung aber weisen mir als grobe Ungehörigkeit auf das Entschiedenste zurück. Damit hat sich diese Affaire so entwickelt, wie vorauö- zusehen war und auch von der „Deutschen Tageszeitung" vorauSgcsehen werden mußte. Wenn das Blatt den Vor wurf „tendenziöser Erfindung" so entschieden znrückweist, so klärt es vielleicht seine Leser darüber auf, waS eS eigentlich mit der Notiz bezweckt hat. — Aus London wird gemeldet: Der Berliner Bericht erstatter der „Daily News" erfährt, die Meldung, Deutsch land beabsichtige die Caroli »en gruppe, mit Ausnahme der einen an Amerika als Kohlcnstation abzutretenden Insel, zu erwerben, sei richtig. Sollte Spanien gewillt sein, die Inseln an Deutschland zu einem vernünftigen Preise zn verkaufen und sollte Deutschland die Ueberzeugung gewinnen, daß keine Verwickelungen aus einem solchen Geschäft ent stehen, werde es abgeschlossen werden. Die Lentsche Regierung würde indeß in keinen: Falle etwas thun, was die deutsch amerikanischen Beziehungen trüben oder auf den Widerstand Englands stoßen könnte. — Der „Hamb. Corr." spricht dazn die Vermuthung aus, das Gerücht stamme offenbar ans Paris und habe wie alle früheren Ausstreuungen Lieser Art lediglich den Zweck, Deutschland und die Vereinigten Staaten zn .verhetzen. Bisher sei authentisch überhaupt noch nicht bekannt, ob die Vereinigten Staaten beabsichtigten, die Carolinen- und die Mariannen-Jnselu zu erwerben. — Eine neue Interpellation über de» Arbeit er mangel im Osten kündigt der Abg. Szmula in der „Neißer Ztg." folgendermaßen an: „Da voraussichtlich die Noth um ländliche Dienstboten und Arbeiter im künftigen Jahre noch größer sein wird, wie im ab laufenden, beabsichtige ich gleich nach Eröffnung des Landtags abermals an die königliche Staatsregicrung deshalb eine Anfrage zu richten, und ersuche zu diesem Zwecke ganze Gemeinden oder einzelne Dienst- und Arbeitgeber, mir bei Zeiten das erforderliche Material hierzu durch allgemeine Schilderungen der Leuleverhüit- nisse, durch Augaba der Anzahl der fehlenden Dienstboten und Arbeiter, die sich schon heute übersehen läßt, zu übersenden." (Fortsetzung in der 1. Beilage.) Von der Firma Mojer L Michael in Leipzig, Hain- stra ße 18 (Hotel Le Pvlogne), befindet sich bei der Gejammt, auflage der vorliegenden Nummer eine Sondcrbeilage, welche auch an dieser Stelle der Beachtung der Leser empfohlen fest Bekanntlich führt die genannte Firma außer mancherlei anderen äußerst praktischen Gegenständen für die Blumenzucht und -Pfleg, im Zimmer das beliebte, wiederholt preisgekrönte drehbare Blumenbrett, gewiß vielen Frauen ein höchst willkommenes Weihnachtsgeschenk. 15—20 Schritt einige Zeit anhalten mußten, um, über den Eispickel gebeugt, tief nach Athem zu ringen. Die Herzschläge waren bei mir auf 144, die Athmung auf 48 Züge pro Minute gestiegen, und in den Ohren summte und sauste es wie von einem nahenden Sturm. Aber wir blieben frei von den Erscheinungen der eigentlichen Bergkrankheit, von Schwindel, Uebelkeit, Schlaf sucht, Muskelreißen, und behielten die Fähigkeit, den Willen und die Gedanken auf die noch zu leistende Arbeit zu concentriren. Allmählich erschienen die ersten vereisten Schneeflecken unter Felsen, auch die Eismauer am oberen Bergrand rückte so viel näher, daß ich schon die horizontalen Schichtköpfe im Firn und Eis erkennen konnte. Senkrecht steigt die Eiswand hier etwa 40 Meter hoch empor und scheint, aus der Perspective von unten gesehen, weit überzuhängen, bereit, im nächsten Augenblick auf uns niederzubrechen. Daß sie von Zeit zu Zeit kolossale Massen abstößt, beweisen ihre breiten frischen Bruchflächen und die in unserer Nähe umherliegenden Eistrümmer. In dieser weltfernen Höhe umflattern uns krächzend noch zwei weißbrüstige Raben. Wer doch hier auch fliegen könnte! Sie gehen offenbar den zahllosen Wanderheuschrecken nach, die, vom Winde heraufgetragen, hier umherliegen und meist schon zum Tode erstarrt sind. Inzwischen ist es 10 Uhr geworden. Der Mawensi hat sich schon lange in einen weiten, horizontal gestreiften Wolkenmantel mit hoch aufgesetzter weißer Haube gehüllt, und auch am Fuße oes Kibo beginnen leichte Nebel zu wehen. Draußen aber in weiter Peripherie um das Gebirge dehnt sich kugelig und blendend weiß wie eine Schneelandschaft eine ungeheure Wolkenbank vom Urwald aus in die ferne Steppe hinein, wo sie sich allmählich in einzelne Haufenwolken auflöst und den graubraunen Uni versalton der Steppe durchschimmern läßt. Die Bergkurve hebt sich von 5400 Meter an ziemlich schnell von 25 Grad zu 30 Grad und 35 Grad, und zugleich wird das Terrain viel schwieriger. Herr Platz bleibt ein gutes Stück zurück und macht längere Pausen. Die Folgen des Malariafiebers machen sich ihm jetzt doppelt 'fühlbar, denn der starke Sauerstoffverbrauch in diesen sauerstoffarmen Höhen verlangt sehr vermehrte Sauer stoffzufuhr zum Organismus, und wenn der Sauerstoffträger in den Blutkörperchen, der rothe Blutfarbstoff, durch die Malaria stark vermindert ist, erlahmen die Körperkräfte schneller als sonst. Auch mit mir ging es immer langsamer, da ich in den kurzen Pausen der Kletterarbeit meine Instrumente hand haben mußte und die topographische Aufnahme für die Karte nicht unterbrechen durfte. Endlich gegen 11 Uhr stieg ich in das Schuttkar hinein, das zur Ostscharte selbst hinaufführt. Nun braucht nicht mehr traversirt zu werden, sondern der directe Aufstieg in radialer Richtung beginnt. Nach den ununterbrochenen Anstrengungen der vorausgegangenen sieben Stunden wurde uns aber dieses letzte Stück am theuersten. Oft, wenn ich nach Ueberwindung eines Felsens oder Schuttkegels auf meinen Pickel niedersank und buchstäblich nach Luft schnappte, während die Knie zitterten, verzweifelte ich an der Erreichung unseres Zieles. Doch genügte stets eine im Stehen gehaltene Ruhe von kaum einer Minute, um den Körper wieder leistungsfähig zu machen. Herr Platz hatte vor Anstrengung ein aschgraues Antlitz bekommen, und das meinige wird auch nicht anders ausgesehen haben. Er munternd wirkt namentlich immer wieder der vergleichende Blick auf die zurückgelegte kolossale Höhe und auf das noch zu be siegende kleine Stück. Unter uns verschwinden schon alle Details im Dunst der Ferne, über uns winkt die Eiswand und in ihr die Ostscharte aus scheinbar nächster Nähe, und doch dauert cs noch über eine Stunde, ehe ich dem Ziele wirtlich greifbar nahe bin. Es ist kurz nach zwölf Uhr, als ich den Fuß auf den obersten Felsen unter der Eiskrone setze. Der erste Hieb mit dem Pickel in die spiegelglatte Eisfläche giebt mir wunderbar schnell alle meine Kräfte wieder. In wenigen Minuten bin ich, Stufen schlagend, oben im eisigen Sattel der Ostscharte (5765 Meter) und „juchze" triumphverkündend zu Herrn Platz hinunter, der langsam nachkommt. Nach einer Viertelstunde ist auch er am Ziel. Wir werfen die schweren Rucksäcke mit einem Seufzer höchster Erleichterung ab und beglückwünschen uns gegenseitig zur Vollbringung der Kibobesteigung. Dann geht es an die erste ordentliche Mahlzeit des Tages, wobei wir redlich nachholcn, was wir unterwegs versäumt haben. Mit Hinterlassung der Rucksäcke an der Scharte wandern wir darauf gemächlich auf dem Anfangs leicht gesenkten Eisboden in den Kibokrater hinein, der nun als ein Riesencirkus mit steilen Innenwänden und flachem Boden offen vor uns liegt. Hier ist es schön windstill und warm vom Sonnenreflex des Eises, so daß ich in aller Ruhe meine Beobachtungen machen kann. Schon der erste Blick lehrte mich, daß sich hier in den neun Jahren, seit ich zum ersten Male den Kibo erstieg, Vieles ver ändert hat; nicht im orographischen Bau des Kraters, aber in seiner Eisbedeckung. Noch strebt auf der Südseite in gänzlicher Schnee- und Eisfreiheit die breite dunkelbraune Felswand der Kaiser-Wilhelm-Spitze zu 6010 Meter Höhe jäh empor, noch ragt aus dem nordwestlichen Kraterboden der flachgewölbte dunkle Eruptionskegel bis nahe zum Niveau der großen Krater umwallung auf, noch liegen die größten Eismasscn auf der Nord- und Ostseite des Kraters und seines Ringwalles, aber überall ist die Lagerung und Massenvertheilung des Eises eine andere, als vor neun Jahren. Ueberall ist — und das ist das Wichtigste — eine sehr starke, klimatisch bedingte Ab schmelzung und eine auffallende Verringerung des Eises zu beobachten. Während ich 1889 den Kraterboden noch großentheils mit Eis bedeckt und von der Nordseite her gewaltige Eisdecken auf den Eruptionskrater herüberreichen sah, ist der erstere jetzt großentheils eisfrei, und die auf dem nördlichen Kraterrand liegenden EiSmassen kehren dem Krater eine lange imposante Steilwand von 40—60 Meter Höhe zu, die durch die Ab schmelzung in Hunderte von gleichen Nischen gegliedert ist, von so regelmäßiger Form und Farbe, daß man einen künstlichen und kunstvollen Bau zu sehen glaubt. Auch auf der Oberfläche des Kratereises sind die Erscheinungen sehr überwiegender Ab schmelzung deutlich; die Oberfläche ist in ein Chaos von dünnen scharfen Eistafeln und spitzen Eisnadeln zersetzt, so daß man sich nur mit Vorsicht darüber hin bewegen kann. Ich muß mir ein näheres Eingehen auf die Schnee- und Eisverhältnisse des Kibo für eine spätere Publikation aufsparen; ohnehin ist dies eine Materie, die den größeren Leserkreis weniger inter- essiren dürfte. Nur das will ich noch hervorhebcn, daß nach meinen Untersuchungen der Kibokrater mehr Firn und Firneis als Gletschereis hat und daß die Bewegung seiner Eismassen äußerst gering ist. Den höchsten Punct des Kibo, die den südlichen Kraterrand krönende Kaiser-Wilhelm-Spitze, hatte ich schon 1889 bestiegen; sie ist von der Ostscharte aus unschwer zu erreichen. Da mir cs diesmal nicht um touristische Leistungen, sondern um genaue Eisuntersuchungen und topographische Aufnahmen zu thun war, benutzte ich die Zeit, um zu messen, zu photographiren, zu sammeln, während Herr Platz eine Reihe Skizzen des Krater- cirkus machte. Da meine Höhenmessung der Ostscharte mit der vor neun Jahren an derselben Stelle vorgenommenen Messung llbereinstimmt, darf und muß ich annchmen, daß auch meine damalige Messung der Kaiser-Wilhelm-Spitze durch eine dies malige Nachmessung als zutreffend bestätigt worden wäre. Ich halte jedenfalls an den 1889 ermessenen 6010 Metern für die Höhe der Kaiser-Wilhelm-Spitze fest. Wenn andere Topographen für den Kilimandscharo seitdem eine andere Höhenzahl angegeben haben, so sind ihre Messungen von vornherein als irrthümlich zu bezeichnen, denn sie alle sind von unteren Regionen aus genommen worden, von denen man die höchste Spitze überhaupt nicht sehen kann; diese liegt hinter der breiten Eiskrone des Kraterrandes versteckt und kommt erst zum Vorschein, wenn man den Kraterrand selbst erreicht hat. Von unten gesehen, scheint die Eiskrone des Kraterrandes die höchste Erhebung des Kibo zu sein und ist fälschlich als solche gemessen worden. Es war 3 Uhr geworden, von Nordost her wehten immer dichtere Nebel über den Kibogipfel und in den Krater hinein und drückten die Temperatur auf'—1 Grad herab, als wir den Rückmarsch antraten. Von der Scharte aus öffnete sich uns noch einmal die Aussicht Uber die Wolkenbänke hinaus in die ferne Ebene. Auch bei klarem Wetter ist das Panorama vom Kibo durchaus keine „schöne Aussicht". '«"Die Höhe ist viel zu kolossal, die horizontale Entfernung viel zu groß, als daß man in dem von heißer Luft flimmernden Unterland etwas recht deutlich sehen könnte. Und sieht man wirklich etwas, so ist es eine ungeheure einfarbige Ebene, aus her sich die wenigen Berg ketten, von so hohem Standpunkte gesehen, kaum herauSheben. Nur der Meru im Westen tritt in hoher Kurve über die Fläche empor, aber auch er ist so fern, daß man ihn meist nur in körperloser Silhouette sieht. Beim Rundblick vom Kibo hat man ein seltsames souveraines Gefühl in dem Gedanken, als Eroberer von Afrikas höchster Bergesspitze ein Gebiet zu über schauen, das fast so groß ist wie das deutsche Reich. Das ist freilich auch nur eine Illusion, aber sie ist gewiß ebenso viel Werth wie die schönste Aussicht. Beim Abstieg von hohen, mühsam bestiegenen Bergen bin ich mir immer vorgekommcn wie ein leichtsinniger Verschwender, der das schwer errungene Gut in toller Laune verschleudert, und habe darüber jedesmal etwas wie Gewissensbisse gefühlt. Ich kann darum auch begreifen, warum Till Eulenspiegel beim Bergaufgehen lachte, beim Bergabgehen weinte. Aber trotz alledem muß doch nach einem Aufstieg endlich auch wieder ab gestiegen werden; und je schneller desto besser, wenn die Nebel kommen. Nimmt man schon in unseren Alpen bei normalem Gelände an, daß der Abstieg durchschnittlich nur >/r so lange wie der Aufstieg dauert, so gkng es hier über die losen Geröll halden, auf denen wir meist in langen Sprüngen hinabeilen konnten, theils auch stehend abfahren wie auf Schneehängen, noch viel schneller. Nur einmal gab es eine längere Ver zögerung, als wir uns in der Absicht, abzukürzen, verstiegen hatten und über die Felsen abseilen mußten. Kurz vor Sonnen untergang trafen wir bei unserem Biwakfelsen ein und fühlten uns im Anblick der beiden Schlafsäcke, des Kochtopfes und der beiden Teller gleich wohl geborgen und höchst behaglich „zu Haus". Es gab eine heiße Bohnensuppe und einen Schluck kalten Thee, und dann krochen wir in die Säcke, wie wir gingen und standen. Nie in meinem Leben habe ich besser ge schlafen, als hier bei 8 Grad Kälte unter freiem Himmel auf den Lavafelsen des Kibo. Am nächsten Vormittag holten uns unsere beiden Askaris ab. Unten in der Salpeterhöhle boten sich uns wieder hohe Lebens genüsse, wie Waschwasser, Tabak, Stearinkerzen, aber wir wurden ihrer nicht froh, denn Herr Platz wurde zu meiner Bestürzung von Neuem vom Fieber geschüttelt und aufs Lager geworfen. Zwar konnte er am folgenden Tage mit hinunter ins Karawanen lager an der Nguarohöhle zurückkehren, aber sein Zustand war noch ganz unbefriedigend und erweckte mir trübe Sorgen für die nächste Zukunft. Und wirklich sollten uns die beiden nächsten Wochen die schwersten Tage der ganzen Expedition bringen, gerade zu einer Zeit, wo wir uns im Westen und Süden des Gebirges auf ganz neuen Forschungsgebieten bewegten. Wie diese Wochen verliefen und wie ich mit Nutzung besonderer Um stände doch noch die erstrebten Ziele meines Unternehmens er reichte, davon in einem nächsten Berichte mehr. (Tägl. Rundsch.)
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