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- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980629029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
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Jahr
1898
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Monat
1898-06
- Tag 1898-06-29
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Monat
1898-06
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Jahr
1898
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49Ü2 Die Unterstützung der Nationalliberalen in Dortmund soll em parteipolitffcher Fehler gewesen sein und den Verlust von Bochum, Duisburg und Hamm-Soest nach sich gezogen haben. An dem übrigens keines wegs erbittert geführten Streite ist nur die Erscheinung interessant, daß über die Zulässigkeit der Stärkung der revolutionären und atheistischen Socialdemokraten im Centrum nach wie vor Ueberemstimmung herrscht und die Bertheidiger des Dortmunder Verhaltens lediglich oppor tunistische Gründe ins Feld führen und zwar zum Theil — vom klerikalen Standpuncte — einleuchtende opportunistische Gründe. Wenn es z. B. wahr ist, was die „Germania" meldet, daß nämlich dem Centrum in Dortmund 16 Stadtverordneten mandate und ein Drittel der Mitglieder in allen Commissionen und Curatorien zugestchert worden seien, so muß man wobt sagen: Dortmund war den Nationallibcralen eine Meße Werth. Freilich in dem westfälischen Industrieorte wäre kaum möglich gewesen, was sich in Baden ereignet hat: Meuterei gegen Cenlrumöführer durch Nichtbesolgung der gegen die Nationsiliberalen und für die Sociatdemokraten lautenden Stichwahlparole von Seiten zahlreicher klerikaler Wähler. Diese moralische Niederlage des Hetzpriesterö Wacker bildet eine der wenigen anmuthenden Erscheinungen der Wahl bewegung. Im NeichSjustizamt ist, wie der „Nat.-Lib. Corr." ge schrieben wird, die Frage der Gestaltung der zukünftigen Thätigkeit de» Reichsgerichts nach den Beschlüssen des Reichstags zu der CivilproceßordnungS-Novelle fortgesetzt em Gegenstand ernster Sorge. Das ist begreiflich. So sicher die Geschäfte des Reichsgerichts nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der zugehörigen Justiz gesetze eine starke Steigerung erfahren werden, so schwierig lst eS, Mittel und Wege zu finden, der Ueberbürdung des Reichsgerichts Einhalt zn thun, nachdem der Reichstag es abgelehnt hat, den verbündeten Regierungen aus dem von diesen vorgeschlagenen Wege einer Erhöhung der Revisionssumme zu folgen. DaS genannte Organ er- fährt nun, daß sämmtlicke Vorschläge, welche im Reichs tage, in der juristischen Fachpresse und sonstwo mit Bezug auf diese Frage zum Vorschein gekommen sind, an zu ständiger Stelle einer wiederholten eingehenden Prüfung unterzogen worden seien. Wenn auch von bestimmten Be schlüssen dabei kaum gesprochen werden könne, so lasse sich doch sagen, daß von allen Vorschlägen, welche außerhalb der Erhöhung der Revisionssumme gemacht worden sind, kein einziger Aussicht habe, von den verbündeten Regierungen angenommen zu werden. Es gelte das in erster Linie von dem schon in der ReichStazs- commission abgelehnten und jüngst von der „Deutschen Juristen - Zeitung" wieder aufgenommcnen Vorschläge, die Plenarentscheidungen dadurch einfacher zu gestalten, baß das Plenum nur die Mitglieder der beiden widersprechenden Senate vollzählig und von allen anderen Senaten nur je zwei Mit glieder umfaßt. Diesem Vorschläge gegenüber könne nach wie vor der Gesichtspunkt als maßgebend betrachtet werden, daß es unmöglich erscheine, die nicht vollzählig betheiligten Senate an Entscheidungen zu binden, bei denen sie nur in so unter geordnetem Maße haben mitwirken können. Auch der Vor schlag einer stärkeren Vermehrung des Personalbestandes des Reichsgerichts könne nicht auf Verwirklichung rechnen, da man das Risico einer weiteren Lockerung in dem Verbände des Reichsgerichts nicht übernehmen zu können glaube. Die bestimmten Erklärungen abweisender Natur, welche der Staatssecretair des Reichsjustizamts im Reichstage allen dahingehenden Vorschlägen ent- gegcngestcllt habe, hätten zwar zum Theil einen mehr persön lichen Charakter getragen, doch sei es als sicher zu be trachten, daß die verbündeten Regierungen seine Anschauungen durchaus »heilten und im Interesse einer gesunken Recht sprechung zu bandeln glaubten, wenn sie ihre Stellungnahme darnach einrichleten. Hiernach muß man annehmcu, daß die verbündeten Regierungen auf den Vorschlag einer Erhöhung der Revisionssumme zurückkomme» werden. Der Lösung der französischen MtnisterkrtsiS folgt diejenige der italieuischeu auf dem Fuße. Der König batte nach dem Rücktritt Rudini'S zunächst dem Senator Finali und dann dem Marchese ViSconti-Venosta den Auftrag zur Vorbereitung eines neuen Cabinets gegeben; beide aber hatten eS nicht vermocht, den Widerstand zu überwinden, den sic, als zu weit rechts stehend, bei der liberalen Mehrheit der Kammer fanden. Sonnino, der sich selber für den kommenden Mann kielt, konnte deshalb nicht in Betracht kommen, weil er, als rücksichtsloser Finanzmann und Gegner wohlwollender Reformen zur Erleichterung und gerechteren Vertheilung der Steuerlasten, ebenfalls die Linke wider sich gehabt bätte. So kam eS, daß König Humbert den Senator General Luigi Pelloux, den früheren bewährten KriegSminister, an die Spitze der Regierung berief. Die Kammer hat neulich dein Heer für sein Verhalten bei der Niederwerfung des Mai länder Ausstandes die vollste Anerkennung gezollt, und schon damals wurde bei der Verworrenheit der Lage auf die Möglichkeit der Ernennung eines einflußreichen Generals zum Ministerpräsidenten hingewiesen. Pelloux genießt nun, neben seiner Eigenschaft als Militair, auch als Parlamentarier zroßcS Ansehen, und deshalb wird von Vielen die jetzt ge- undene Lösung als eine glückliche angesehen. Im Jahre 1880 wurde Pelloux Geueralsecretatr im Krieg»- Ministerium und hatte in dieser Stellung Gelegenheit, eine Reihe wichtiger Reformen in der Armerverwaltung durchzusüdren; nament lich vertrat er im Jahre 1884 in der Kammer bas Gesetz über die Reorganisation deS Heere«, zog sich ober noch in demselben Jahre au« dem Krieg-Ministerium zurück. Im Februar 189t wurde er im Cabinet Rudini-Nicotera an di« Spitze der Krieg-Verwaltung gestellt, und in dem Cabinet Giolitti, Mat 1892 bis November 1893, bekleidete er dasselbe Amt. In der Volksvertretung und insbesondere in der jetzigen Kammer genießt er Sympathien, da er für einen liberalen Mann gilt; im Jahre 1881 für Livorno in dir Abgeord netenkammer gewählt, schloß er sich der Linken an. Schon durch die Auswahl seiner Mitarbeiter, so viel bis jetzt davon bekannt ist, zeigt der neue Ministerpräsident denn auch, daß er gesonnen ist, sich hauptsächlich aus die Linke in der Kammer zu stützen. Doch verfährt er in dieser Beziehung nicht einseitig, hat eS vielmehr fertig gebracht, daß sich ihm einige Mitglieder deS verflossenen Cabinets di Rudini, vor Allem Canevaro, der das Aeußerc übernebmen, und San Marzano, der die Kriegsverwaltung weilerjühren soll, zur Verfügung gestellt haben. General Pelloux selbst will neben dem Präsidium das Ministerium des Innern übernehmen, diesen für den Augenblick weitaus wichtigsten der Minister posten. Für das neue Cabinet und seinen Vorsitzenden handelt eS sich vor allem um die Frage: sür oder gegen die von Rudini eingebrachten Ausnahmegesetze, die in Folge der letzten Aufstände von diesem ausgearbeitet worden waren. Pelloux ist der Ansicht, daß die geltenden Gesetze zur Aufrecht erhaltung der Ordnung auLreichen.unv daß insbesondere derArt.3 des Gemeinde- und Provinzialgesetzes, der den Präfecten, bezw. dem Minister des Innern das Bersügungsrechl über die ge- sammlc Sicherheilsmacht und die Herbeirusung der Heereömacht einräumt, für alle Fälle genüge. Im Ganzen scheint General Pelloux, da er - die gesammle Linke bis zu der Gruppe Zarnadelli's für sich hat, und da Sonnino das Versprechen gegeben haben soll, jedem neuen mit Ausschluß Rudini'S ge bildeten Cabinet seine Unterstützung zu gewähren, fo günstige Aussichten zu haben, wie sie bei der gegenwärtigen Lage in Italien irgend möglich sind. Die Kammer wird voraus sichtlich für nächsten Sonnabend eiubcrusen werden, doch nimmt man an, daß sie für jetzt nur wenige Tage bei einander bleiben werde. Für die Angliederung der SanSwichinscln an die 'Bceciuintcu Ttaatcn baden im Repräsenlantenbanse 176 Republikaner, 18 Demokraten und 15 Unabhängige ge stimmt, während sich nur 3 Republikaner gegen die Annexion erklärten. Das zeigt deutlich, daß die Kriegsfragen als politische Fragen in den Vordergrund treten, und daß die Parteien als solche Stellung zu ihnen zu nehmen beginnen. Da die demokratische Partei niemals einig war und viele Jahre laug sogar einen .starken Schutzzollflügel hatte, konnte man billigerweise nicht erwarten, daß sic schon bei der ersten Probe abstimmung cinmüthiz gegen die Erwerbung weit entfernter Inseln austreten würde. Im Gegentbeil muß man sich darüber wundern, daß von 123 Demokraten nur 18 mit den Republikanern gingen. Mit der Zeit werden sich aber wohl auch die achtzehn erobcrungslusligen Demokraten noch bekehren lassen. Denn es handelt sich nicht allein um die Sandwich- inseln, die den Vereinigten Staaten gewissermaßen auf dem Präscntirteller angebotcn worven sind, sondern um die Frage, ob die Union ihren Ueberlicferungen treu bleiben und sich mit einem abgerundeten Gebiete be gnügen, oder ob sie fremde und fernwohnende Völker beherrschen und sich zu einer erobernden Macht ent wickeln soll. Selbst der republikanische Senator Mason von Illinois, der am eifrigsten zum Kriege gegen Spauien gehetzt hat, faßt die Sache so ans und bat sich dahin ausgesprochen, vaß er keine GebielSerwerbnngen wolle und sich weigern werbe, „die Soldaten auf dem Kriegs schiffe „Maine" zu verkaufen". Ter Krieg gegen SpaKirik sei weder ein Krieg um Land, noch ein Krieg um Geld. Mason wird aber trotzdem für den Anschluß Hawaiis stimmen, weil dieser schon vor dem Kriege angeregt worden ist, während die Demokraten behaupten, daß Hawaii nur als Zwischen station auf dem Wege nach Ostasien zu betrachten ist und für die Vereinigten Staaten keinen Werth hat, wenn sie nicht auch die Philippinen- und Karolineninseln erwerben wollen. William IenningS Bryan, der silberdemokratische Präsidentschaftskandidat bei der letzten Nationalwahl, der sich nicht mit der Freiprägung über Bord werfen lassen will, hat, wie dem „Hamb. Corr." auö New Aork ge schrieben wird, bereits die demokratische Anschauung dahin präcisirt, daß sich die Vereinigten Staaten nur „gegen europäische Ausbreitung auf der westlichen Halbkugel auf lehnen, nicht aber in die Streitigkeiten Europas und Asiens einmischen sollen". Hierüber wird sich das amerikanische Volk schon in der allernächsten Zeit klar werden müssen. Eine bestimmte Entscheidung wird es allerdings nur abgeben können, wenn ihm keine anderen Fragen vorgelegt werden, die nichts mit dieser Angelegenheit zu thun haben. Die demokratische Partei wird vor Allem ihre Finanzketzerrien fallen lasset» müssen, ehe sie mit Hochdruck gegen die Eroberungspolitik auftreten und den konservativen Theil der Bevölkerung an sich fesseln kann. Deutsche- Reich. * Berlin, 28. Juni. Die „Nordd. Allzem. Ztg." läßt dem bereit« mitgetheilteu Erlasse des Staatssecretair» de» NeichSpostamtS, betreffend die Socialdemokratie, heute folgenden Commentar folgen: „Der Erlaß schärst den im Gebiete der Relch-postverwattung Angestellten nochmals BerhaltungSnormen ein, die sich eigentlich von selbst verstehen. Jene Beamten werden sich selbst sagen müssen, daß eine Unterstützung der sorialdemokratischeu Umtriebe selbst dann mit ihren Amtspflichten unvereinbar wäre, wenn kein Diensteid die Verantwortlichkeit ihres ThunS und Lassen» ihnen noch besonder» nahrbrächte. Die Endziele der socialdemokratischen Bewegung sind unbestreitbar gegen die staatsrechtlichen und verfassungs mäßigen Grundlagen des deutschen Reiche» und gegen die socialen Ordnungen der „kapitalistischen" Gesellschaft gerichtet. Die zur Wahrung und Festigung dieser Fundamente unseres Staats wesen« berufenen Institutionen und Personen erfüllen daher lediglich ihre Pflicht, wenn sie dem Vordringen einer Propaganda entgegen arbeiten, deren Hauptzweck die Erschütterung und Unterwühlung der bestehenden Ordnungen ist. Sie müssen aber auch verlange», daß ihre Untergebenen sich nicht in den Dienst einer Agitation stellen welche mit allen irgend anwendbaren Mitteln die ruhige Fort entwicklung deS Reichs und seiner Einrichtungen zu hindern und zu durchkreuzen sucht. Das alte Wort, daß Niemand zween Herren diene» kann, hat auch in dieser Beziehung Geltung. Wer seine Arbeitskraft einer aus unantastbarer monarchischer Basis ruhenden Regierung widmet, dem kann nimmer gestattet werden, daß er gleichzeitig die Diclatur des Internationalen Prole tariats vorbereiten hilft. Die Rcichsregierung thut nur ihr» Pflicht und Schuldigkeit, indem sie staatsfeindliche Zeltelnngen abwehrt und von ihren Beamten sordert, daß sie uicht im feindlichen Lager an der Minenlegung sich bethciligen. Selbst in den wegen ihrer politischen Freiheiten von der Deinokratie so hoch gepriesenen modernen Republiken dürften offenkundige Machenschaften, die den Bestand der republikanischen Staatsformen gefährden, bei den Beamten nicht geduldet werden. Welche Behandlung nun gar im socialistischen Zukunstsstaate Angestellten zu Theil werden würde, die sich erdreisteten, sür die Errichtung der Monarchie zu conspiriren, mag unberührt bleiben. Ferner ist aber auch die Mahnung an die Beamten am Platze, Agitatoren aus ihrer Mitte zu weisen, die die unerläßliche bureankratische Disctplin zu lockern bestrebt sind. Ter gewaltig« Apparat der Reichs-Postverwaltung kann seine verantwortlichen Ausgaben schnell und glatt nur ersüllen, wenn die Autorität der Vorgesetzten über die ihnen Untergeordneten strengstens gewahrt wird. Unlautere Elemente, die dieses Berhältniß zu eigensüchtigen Zwecken zu stören trachte», müssen daher von den pflichttreuen und einsichtsvolleren Beamten energisch abgewieseu werden." Warum der Erlaß erst ergangen ist, nachdem bereits der größte Tbeil der Stichwahlen vollzogen war, sagt die „Nordd. Allgcm. Ztg." nicht. * Berlin, 28. Juni. Die Unsicherheit der Angaben über das Ergebniß der ReichStagSwahle» geht besonders klar hervor aus den folgenden beiden Zusammenstellungen der „Köln. Ztg." und der Münchner ^AUgem. Z»g.", bei denen die in Klammern gesetzten Zahlen die Stärke der Parteien am Schluffe der letzten Legislaturperiode nach der Auffassung beider Blätter angeben: Gewählte nach der „Köln. Ztg." nach der „Allgem. Ztg." Conservative .... 53 (58) 62 (60) Reichdpartei .... 21 (25) 22 (28) Nationalliberale . . 50 (50) 48 (50) Centrum 104 (98) 102 (98) Freisinnige Vereinigung 13 (13) 14 (14) Freisinnige VolkSvartei 28 (28) 30 (28) Süddeutsche VolkSparlei 8 (>2) 8 (12) Polen 14 (20) 14 (19) Welfen 9 (8) 9 (7) Antisemiten .... 12 (16) 12 (16) Elsässer 10 (9) 8 (9) Bund der Lcindwirtke 4 (4) 4 (0) Bayerischer Bauernbund 4 (4) 4 (0) Socialdeniokraten . . 56 (48) 57 (48) Dänen — —— 1 0) Wilde 11 6 (7) Die „Nat.-Lib. Corr." bezeichnet den in München ge wählten Abg. Schwarz als den 49. der gewählten national liberalen Candldatcn, und fügt hinzu: „Neunundvierzig Mit glieder hatte im Reichstag zuletzt die nationalliberale Fraction. Was den in Solingen gewählten Abg. Fabrikant Sabin anlangt, so hören wir, daß ihm bezüglich deS Anschlüsse- an eine Fraction vor der Wahl freie Hand gelassen worden. Ungerechnet daS Solinger Mandat, kehrt die national liberale Partei in alter Stärke in den Reichstag zurück." Die socialdemokratische Presse zählt 56 gewählte „Ge ¬ nossen" zusammen und berechnet daher de« Zuwach« zur Starke der Partei am Schluffe de» letzten Reichstag« auf 8 Mandate. Den Zuwach» de» Cent rum» beziffert die „Germania" auf 5 Mandate, die jetzige Stärke der Fraction mithin auf 103 Mitglieder. In Bezug auf da» Präsidium schreibt da» Blatt: Der frühere Retch-tagSpräsident Frhr. v. Vuol-Berenberg hat bekanntlich ein Mandat für den Reichstag nicht wieder au- genommen, der früher« erste Bicepräsident de« Rrich-tag«, Gras Bal le st rem, zieht aber wieder in de» Reichstag ein, und eS liegt die Lombination nahe, daß daS Eentrum denselben als Präsidenten präsentier» wird. Der Alterspräsident de» Reichs- tag», Abg. Dieben, gehört ebenfalls dem Lrntrnm an. Derselbe wird bet der späteren Einberufung d«S Reichstage» die Geschäst«- leitung übernehmen bis zur Wahl de» ersten Präsidenten. So wird die ausschlaggebende Stellung de» CenlrumS im neuen Reichstage auch äußerlich wieder in die Erscheinung treten. DaS Bedürfniß, diese „ausschlaggebende Stellung" täglich mehrmals der Welt zu verkünden, muß unüberwindlich sein, wenn man einen Beweis derselben sogar io dem zufälligen Umstande erblickt, daß das älteste Mitglied dem Centrum angehört. * Berlin, 28. Juni. Die Reichscommission für Arbeiterstatistik behandelte beute Vormittag, wie schon kurz berichtet worden, die „Erhebungen über die Arbeitszeit im GastwirthSgewerbe". Verschiedene Petitionen um Schutz der Kellneriuneu rc. sind vom Verein zur Hebung der Sittlichkeit in Heivelbcrg, unter Zustimmung von vielen anderen Seiten, von GastwirthS- und Kellner verbänden an den Reichskanzler abgegangen. Der Referent Abg. Molken buhr hob die Abweichungen zwischen den Angaben der Arbeitgeber und Arbeitnehmer hervor. Die Arbeits zeiten seien durchweg sehr lang, die Ruhezeiten kurz, manche Be- triebe entbehrten völlig der Ruhezeiten. Bei den Kellnerinnen wären zum Tbeil zwanzigstüudige Arbeitszeiten festgcstellt. Am ungünstigsten ständen bezüglich der Arbeitszeit die Ober kellner. Tas Trinkgelderunwefen bilde den großen Mißstand und werde von den Kellnern selbst lebhaft beklagt. Die Stellenvermittelung biete sehr gefährliche Erscheinungen, namentlich bei den Kellnerinnen, diese müßte» oft über 10 --Sl für eine Stelle an den Commissionair zahlen. Die befragten Wirthe hätten die Frage, ob eine Regelung beziehuugsweise Beschränkung der Arbeitszeit wünschenS- werth und durchführbar sei, verneint, die Kellner da gegen überwiegend bejaht. Der Gesundheitszustand sei ein sehr ungünstiger. Die Arbeitnehmer hatten bescheidene Forde rungen gestellt und beanspruchten nur ein gewisse» Maß von Ruhe. Für die jugendlichen Arbeiter geständen selbst die Arbeitgeber die Nolbwendigkcit der Einschränkung der Arbeits zeit zu. Bei den Köchen könne eine zu starke Arbeitsbelastung nicht nachgewiesen werden. DaS ReichS-GesundheitSamt habe aber zu Gunsten der Gesundheit für männliche eine acht- stündige Ruhezeit und sür weibliche und jugendliche Arbeiter eine zebnstündige Ruhezeit vorgeschlagen. Er halte diesen Vorschlag für zu wenig weitgebend, in diesem Gebiete seien mehr als anderswo Ausnahme bestimmungen einzusühren. Für alle Angestellten müsse die Arbeitszeit gleichmäßig festgesetzt werden, zedoch müßten vor- läufig noch AuSkuiislSpersonen vernommen werden. Er befür wortete die zwölf stündige Arbeitszeit mit gewissen Aus nahmen, mindestens aber eine achtstündige Ruhe für alle Betriebe und die erforderlichen EssenSpausen für männliche und weibliche Angestellte. Ter Vertreter deS ReichS- gesund heilsamtS betonte, daß neben der gestellten Forde rung auch Ruhetage verlangt worden seien. Der Cor- referent Geh. Ncgierungsrath Herrmann nahm mit dem Referenten an, daß schwere Mißstände vorliegen, die beseitigt werden müßten und auch könnten. Die Vorschläge de» Referenten gingen weiter als dir Wünsche der Interessenten, er wolle aus sie nicht näher eingehen. Eine vorherige Ver nehmung der Betheiligten sei nothwendig. Die be treffenden Verbände dürften aber nur im Betriebe tbatige Personen wählen und die Zahl nicht zu groß nehmen. Schließlich entschied sich die Commission dahin, daß etwa ein Drittel der Arbeitgeber und zwei Drittel der Arbeitnehmer, im Ganzen 60, cinberuscu werden sollen. — Zu dem Aufenthalte des Kaisers in Oeynhausen zur Zeit deö KaisermanöverS wird mitgetheilt, daß der Kaiser den 5. September dort eintreffen wird; am Bahnhöfe findet ein ossicicller Empfang statt. — Dem „Hamb. Corr." wird telegraphisch von hier ge meldet: Weitere ReisebiSpvsitionen de« Prinzen Heinrich stehen heute noch nicht fest. Unterrichtete Kreise nehmen an, daß der Besuch Japans durch den Prinzen unter bleiben werde. — Der „Ostasiatische Lloyd" hat in seiner letzten Nummer die Notiz gebracht, China habe dem deutschen Reiche in Tschifu ein Areal überlassen, da» zu einer deutschen An siedelung verwendet werden soll; dasselbe solle umfangreicher sein al» dasjenige, auf dem sich gegenwärtig die fremde An siedelung Tlchifu befinde. Nach Erkundigungen an maß gebender Stelle kann die „Post" mittheilen, daß dort von einer solchen Abtretung nichts bekannt ist. Peter, der das Glück der Beiden betrachtete, empfand ein schmerzliches Zucken des Herzens; etwas wie Reue wollte sich in ihm regen, daß er jetzt Zuschauer sein mußte, wo er selbst die Rolle des Liebhabers hätte spielen können. Aber schnell ging diese Empfindung vorüber; er hatte nicht mehr Zeit und Neigung, an die stillen Freuden der Liebe zu denken, jetzt, da er ganz andere Dinge im Kopfe hatte. Ein Gefühl der Genugthuung überkam ihn, daß er mit seinem berechneten Verhalten ein altes Unrecht gesühnt und zwei Herzen wieder zusammengebracht hatte, zwischen die er als rücksichtsloser Störenfried getreten war. Adolf war ihm immer ein so zuverlässiger Freund und Bruder gewesen, daß er sich die eben bewirkte Versöhnung des Braut paares wie einen wenigstens theilweisen Abtrag seiner Dankes schuld gegen ihn anrechnen zu dürfen glaubte. „Ich sehe, ich bin hier jetzt übrig", hob er leicht spöttisch an; „wenn Ihr nach dem Standesamte fahrt, stehe ich Euch als Zeuge zur Verfügung, nur verlangt nicht von mir, daß ich dem Humbug einer kirchlichen Trauung beiwohne. Und nicht wahr, Sabinchen, Du trägst Deinem Schwager nichts nach? Wenn er auch ein gallsüchtiger Patron ist, er meint es doch gut mit seinen Freunden." Er stand schon im Rahmen der Thür, als er, sich noch einmal zuriickwendend, dem Bruder winkte. Adolf folgte dem Zeichen und ging mit dem Scheidenden durch die anstoßenden beiden Zimmer bis nach dem Flur. Dort näherte Peter seine Lippen dem Ohre des Anderen und sagte dringend: „Du mußt mir einen Dienst erweisen: Wie viel Geld kannst Du augenblicklich entbehren?" „Entbehren? Nun, weißt Du, Peter: entbehren kann ich augenblicklich so gut wie gar nichts. Der Umzug, die Neu einrichtung . . . „Kosten Dich Geld; natürlich. Aber trotzdem mußt Du mir unter die Arme greifen: kannst Du mir wenigstens dreihundert Mark leihen? Ich bin völlig auf dem Trocknen." „Dreihundert! DaS ist ein wenig viel — könntest Du Dich nicht mit der Hälfte begnügen?" „Willst Du mit mir feilschen? Ich bin in Noth!" „Wenn Du in Noth bist — dann freilich, dann gebe ich Dir das Letzte, was ich habe." Er hatte schon seine Brieftasche hervor- aelangt und entnahm derselben drei Einhundertmark Scheine. Hier, Peter, steck' ein, es ist der Restbestand meiner Monats- cafse. aber ich werde mich schon durchschlagen." „Dank. Du Guter! Wenn Du mich einmal nöthig hast, so rechne auf mich!" Wehmiithig blickte Adolf dem Enteilenden nach. Der Arrmste, dachte er, ist stet» in Verlegenheit und doch hätte er es mit seinen herrlichen Anlagen schon längst zu einigem Wohl stände bringen können. Ein brüderliches Herz hat er aber. Nur seiner freundschaftlichen Vermittelung verdanke ich die wiedergewonnene Braut; nie will ich ihm vergessen, was er heute an mir gethan hat." Peter eilte in der Friedrichstraße nordwärts, kreuzte die Straße Unter den Linden und erreichte die Wölbung der Stadt bahn, die nahe dem Bahnhofe Friedrichstraße eine der kräftigst pulsirenden Verkehrsadern der Rcichshauptstadt überbrückt. Er zog die Uhr und sah, daß er die Stunde des verabredeten Stelldicheins schon um zehn Minuten überschritten hatte. „Guten Tag, Herr Maurermeister!" grüßte ihn ein hoch gewachsener, elegant gekleideter Herr, der ihm lässig entgegen gekommen war und nun Kehrt machte, um ihm das Geleit zu geben. Leiser murmelte er ein vorwurfsvolles: „Endlich! Ich glaubte schon. Sie hätten sich anders besonnen." „Ich habe A gesagt", gab Peter ebenso leise zurück, „und werde nun auch B und C und so fort sagen bis zum Z." „Bravo! das wird uns Beiden nützen!" „Wohin gehen wir?" „Immer geradeaus; dort weiter unten ist eine Kneipe, in der wir um die jetzige Stunde kaum Jemanden treffen werden, außer dem Wirthe, und für den siehe ich ein." Peter nickte; er war mit dem Vorschläge seines Begleiters einverstanden. Wer die Beiden genauer betrachtet hätte, würde sie für Vertreter ganz verschiedener Gesellschaftskreise gehalten haben: der untersetzte mittelgroße Peter in seinem bescheidenen, schon ziemlich abgetragenen schwarzen Tuchrocke, einem zerknüllten, weichen grauen Filzhut auf dem unordentlichen dunkeln Fett haare, die kräftig entwickelten Hände ohne Handschuhe dem Staube und Sonnenbrände ausgesetzt, vcrrieth auf den ersten Blick den in die Tretmühle der Erwerbsarbeit Gebannten, und die tiefe Falte zwischen seinen schwarzen Brauen und der herbe Zug um seine glattrafirten gekniffenen Lippen ließen nicht gerade vermuthen, daß für ihn das Handwerk einen goldenen Boden habe; der Andere in seinem modischen, Hellen Sommeranzuge, einen hellgrauen, mit glänzender Seide gefütterten leichten Ueber- zieher über dem Arme, den spiegelblanken Eylinder auf den grau gesprenkelten, ziemlich kurz geschorenen Haaren, in prall sitzenden, mäusefarbenen GlacSs und hocheleganten ziegenledernen Schuhen, erschien vom Scheitel bis z» den Zehen als rin vor nehmer Cavalier, dem die Prosa der Nahrungssorge wohl noch nie im Leben nahe gekommen war. „Donnerwetter!" spöttelte Peter nach einer Weile still schweigenden Fortschreitens, während der er seinen Begleiter wiederholt von der Seite flüchtig gemustert hatte, — „mit einem so patenten Herrn darf ich mich eigentlich gar nicht sehen lassen . . . man wird mich für Ihren Bedienten halten." „Der würde eine Livrße tragen", belehrte ihn der Andere, „und nicht die Bourgeois-Uniform: den verdammten schwarzen Tuchrock. Uebrigens, es ist mir ganz erwünscht, wenn man mich für was Besonderes hält, denn seit acht Tagen bin ich es auch" — er neigte sich zum Ohr seines Begleiters und flüsterte: „Ich bin der Marquis Carvalho." „Wozu denn die ewigen Vermummungen?" „Die haben ihre guten Gründe; diesmal bin ich direct von Rio de Janeiro angekommen und halte mich nur wenige Tage hier auf; in Kurzem gehe ich in eines der böhmischen Bäder und kehre dann im Spätherbst nach Brasilien zurück. Doch da ist die Kneipe. . . kommen Sie! wir wollen eine Tasse Kaffee trinken." Sie saßen bald in einem nach dem Hofe hinaus gelegenen, nur halbhellen Zimmer, und der Wirth hatte vor Jeden die geforderte Tasse Mocca hingestellt. „Haben Sie sich entschieden?" fragte der den Marquis Spielende sein Gegenüber, nachdem der Wirth wieder hinaus gegangen war. „Ich Hobe nur noch ein Bedenken", versetzte Peter, indem er auf des Anderen rechte Hand blickte, an der der Zeige- und der Mittelfinger fehlten. „Und das wäre?" „Ich will mich zu Allem verpflichten, waS irgend geeignet sein kann, die Lage von uns Enterbten zu verbessern, ich will mich aber nicht willenlos in die Hand mir unbekannter Oberer geben, die ja jedes Verbrechen von mir verlangen können." Carvalho lächelte geringschätzig: „Was heißt Verbrechen? Nehmen Sie'S mir nicht übel, Herr Dechner, Sie sind noch der richtig« Deutsche, der sich mit Traumgespinnsten und Altweiber märchen hrrumquält. Für Männer unsere» Schlages giebt es keine Verbrechen, weil wir das Sittengefetz, da» sich diese Aus beuterbestien aufgestellt haben, nicht gelten lassen, «I vielmehr al» daS erkennen, was es wirklich ist: eine frech« Heuchelri, ein plumper bauernfängerischer Schwindel. Es giebt doch für Ei« nur eine Frage: wollen Sie heraus aus dem Sumpfe dieser Gesellschaft,^aus dem Peftpfuhl diese» Staates?" „Das will ich." „Gut, so müssen Sie auch di« Mittel wollen, die Eie allein vor dem Versinken schützen können. Daß Ihnen der Anschluß an diese socialdemokratischen Schwätzer «in gar nichts nutze« kann, daß er Ihnen vielmehr nur schadet und Eie zuletzt noch gänzlich tzrodstsii machen wird, das, denke ich, verdea El« endlich eingesehen haben. Und bleibt Ihnen denn etwas Anderes übrig, als in unsere Hand einzuschlagen?" „Wer ist es aber, der mir diese Hand bietet? und will man mich nicht am Ende gar zur Teilnahme an einem Verbrechen verleiten?" Wieder glitt ein flüchtiges Zucken um die Mundwinkel des sogenannten Brasilianers; er zwirbelte mit den Fingern der Linken seinen schwärzlichen Schnurrbart und stieß ungeduldig hervor: „Zwingen Sie mich doch nicht, Ihnen immer wieder dasselbe zu sagen. Sie haben weiter nichts zu thun, als unserem Centralvorstand Gehorsam zu schwören und unver brüchliches Schweigen über Jeden, der zu unserer Verbindung gehört; den gleichen Schwur werden Sie Demjenigen abnchmen, den Sie Ihrerseits für unsere Sache werben werden. Sobald Sie sich uns eidlich verpflichtet haben, wird Ihr Name von mir weitergemeldet an Den, der mich dereinst geworben hat, und so geht er heimlich weiter und weiter, bis er zur Kenntniß des Centralvorstandes gelangt. Befehle, die Ihnen von diesem Vorstande dircct oder durch mich zugehen, haben Sic ohne weitere Prüfung auszuführen; die sittliche Verantwortung für diese Befehle tragen nicht Sie, sondern der Vorstand. Glauben Sie mir, es ist gar nicht so unbehaglich, sich der Last des Ge wissen» dadurch zu entledigen, daß man sie auf fremde Schultern ablädt; thut der Soldat im Kampfe nicht das Gleiche? Ist der Jesuitenorden durch diesen Grundsatz nicht eine der mäch tigsten Gewaltendieser Erde geworden? Auch sie sollen ein Soldat deS Kriegsheeres der „Männer der That" werden und die Kriegsartikel dieses Heeres anerkennen — ist das so schwer?" „Das Geheimniß, mit dem sich diese- Heer umgiebt, macht mich mißtrauisch." „ES sollte Sie vielmehr mit dem höchsten Vertrauen erfüllen, denn daS Geheimniß dient doch nur der Sicherheit jedes ein zelnen Mitgliedes dieses Heere» und daher auch Ihrer eigenen Sicherheit. Ein Derräther unserer Sach« wird mit dem Tode bestraft; Sie werden das ganz in der Ordnung finden, und sollte Ihnen, was ich übrigen» durchaus nicht voraussetze, etwa einmal der Befehl werden, einen solchen Berräther dem Tod« zu überliefern, so würde Ihr Gewissen dabei doch gänzlich unbetheiligt bleiben, denn ein solcher Befehl wäre ja nur ein Act unumgänglich gebotener Nothwehr; bat man nicht auch das Recht, ein wildes Thier niederzuschießen oder einem Menschenscheusal zuvorzukommen, das gegen uns die mörderische Hand erheben will?" (Fortsetzung felgt.)
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