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- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951029025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895102902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895102902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1895
-
Monat
1895-10
- Tag 1895-10-29
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Monat
1895-10
-
Jahr
1895
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7L82 soncier und der Drputirir Crtstophle Syndieatöre der Süd bahn seien. Nach einige» Gegenerklärungen wurde die Debatte geschlossen. Die Kaminer niinmt einstimmig mit 518 Stimmen dir Tagesordnung Hadert an, wonach den Mitgliedern der Kammer untersagt wird, finanziellen Syndikaten anzugehören. Rouanet sordert, die TageS- ordnung müsse völlige Aufklärung verlangen und die Minister auf. fordern, alle Zuwiderhandlungen zu verfolgen und den Bericht der Experte» des Flory-Hauies mitzutheilen. Ri bot meint, nach der heutigen Debatte sei es nüßlich, einen vollständigen Bericht zu veröffentlichen. Bei den Verfolgungen anlangend, erklärt er, di« Justiz habe ihre Pflicht erfüllt, es fei diese Frage daher erledigt. (Beifall im Centrum.) Tie Tagesordnung Rouanet wird bis zu den Worten: „Bericht mittheilen" mit 275 gegen 96 Stimmen angenommen. Der zweite Tbeil der Tagesordnung wird sodann in gesammter Abstimmung mit 320 Hegen 211 Stimme» angenommen. Die Minister verlassen daraus den Saal unter ironischem Beifall der äußersten Linken. Die Sitzung wird geschloffen. (Nächste Sitzung Montag.) — In de» Kreise» der Kammer herrscht die Ansicht vor, daß Bourgeois die Bildung des Eabinets übernehmen werde. * Parts, 28. October. Die gemäßigten republikanischen Zeitungen beklagen die Abstimmung der Kammer und werfen derselben Zusammenhangslosigkeit und Leichtfertigkeit vor. Einige von ihnen, w besonders „Siscle", „Matin" und „Petit Journal", sehen die Möglichkeit der Auflösung der Kammer voraus, falls dieselbe nn Zustande der Zerbröckelung und der Anarchie beharre. Die radicalen und socialistischen Zeitungen bezeichnen die gestrige Abstimmung als Revanche für Carmasux. „Nadical" »uid „Lanterne" fordern ein radicales, in sich gleich- artiges Ministerium. Die conservativen Zeitungen stellen soft, daß das Ministerium über eine Frage der öffent lichen Moral gefallen sei. Alle Blätter conslatiren überein- stimmend di« Schwierigkeit der gegenwärtigen Lage für den Präsidenten der Republik und das zukünftige Cabinet. Der „Malin^ glaubt an ein Ministerium Bourgeois-Cavaignac, «dessen sei »S «»möglich, etivas Bestimmtes darüber zu sagen. Wenn die gemäßigte» republikanischen Blätter der Kammer Leichtfertigkeit und Znsammenhanglosigkeit vvrwerse» und von -üiem Zustande der Zerbröckelung unv der Anarchie sprechen, V» haben sie nur zu Recht, aber dieser Zustand ist in Frank- ttich schon geraum« Zeit vorhanden, seit mehr als zwei Jahren find alle Ministerien darüber zu Falle gekommen, ynd die Regierung und die Regierungspartei sind einzig »uw allein Schuld daran. Beide baben den Zug nach links — auch leichtfertig — mit gemacht, trotz der so unheimlich sich wieoerhslenden anarchistischen Attentate, trotz der Er- yeordung des Präsidenten der Republik durch Eine» «eser Morvbande, die letzten Ministerien haben darin gewctleifert, mit den radicalen Elementen der Kammer zu uebänaeln und sie bei guter Laune zu erhalten und daS Av- schwenk«» eines großen Theiles der Regierungsmehrbeit, das nach einer solchen Haltung der Regierungen nicht mehr be fremden kann, wurde bei wichtige» Abstimmungen fast zur Regel. Sobald sin neues Cabiuet ans Ruder kommt, hält die republi kanische Partei einige Zeit zusammen, dann aber beginntder radi kale Zanber wieder zu wirken,und sedr bald sehe» sich dieMiuisler ohne Truppen im Kampf mit der unerbittlichen Opposition, die nicht rnht, bis sie ein rein radicales Ministerium am Ruder siebt. Darum, nicht um die Protection der öffentlichen Moral war es ihr auch gestern zu lhun. Das aber mußte das Ministerium Nibot wissen, und der Entschluß, statt eine kurze kategorische Erklärung abzugcben, euren ausführlichen, vollständige» Bericht über die angebliche» Beziehungen verschiedener Parlamentarier zu veröffentliche», um sich so von dem Verdacht zu reinigen, böse Grschichtc-u vertuschen zu wollen, mußte gleich im Anfang der Debatte ausgesprochen werden, nicht erst, als das Ministerium bereits so sehr ms Wanken gekommen war, daß Niemand mehr an seine Rettung denken konnte. Es hat seinen Vortheil und — seine Pflicht zu spät erkannt. Wer nun dir Erbschaft des Cabiuets Nibot antreten wird? Auch wir vermLgeu heute noch nichts Bestimmtes darüber zu sagen, aber die Zeit für ein radikales Ministerium ist reif, es ist wahr scheinlich, daß ein solches kommt, und eS ist gut, damit die subversiven Elemente der Kammer einmal zeige» können, was das Land von ihnen zu erwarten hat. Vielleicht kommt der französische Republikanismus dann zur Einsicht, daß ein Kraternistren mit dem RadicaliSmuS gleichbedeutend mit einer Capitnlation vor demselben und daß eine solche ein nationales Unglück für Frankreich ist. Nach dem Wortlaut des zwischen Frankreich und Madagaskar abgeschlossenen Vertrages ist die Frage, wie es um die Interessen der Fremden aus der großen Insel steht, nicht vollständig entschieden, gestaltet sich aber in hohem Grade bedenklich. Fraukreick lehnt die Verantwortlich- ttit für die von der madagassischen Regierung übernommenen Verpflichtungen ab. Damit ist noch nicht unbedingt gesagt, daß eS di« Handelsverträge, deren einer auch zwischen Madagaskar und Deutschland besteht, nicht fortletzen wolle, sondern zu nächst nur, daß es daS Recht zu deren Außerkraftsetzung in Anspruch nehme. Daß wohlerworbene Privatrechte Fremder, z. B. auf Grundeigenthnm, von der französischen Regierung »icht ohne Entschädigung beseitigt werden könnten, scheint uns zweifellos; ob Deutsche dort solche Rechte besitzen, ist im Augenblick nicht festzustellen. Allen Ernstes aber scheint eS iu Zukunft nicht mehr gestattet werden zu sollen, daß Fremde Eigenthum auf der Insel erwerben. Betreffs des inter nationalen Verhältnisses würde ein höchst seltsamer Zu stand eintreten. Madagaskar würde ein Land werden, «inem andern Blatt", unterbrach er sich hastig. „Was mich aubetrifft, so bi» ichS eben nicht gewöhnt das Trinken von allerhand Spiritus, und daher kommtS, daß michS gleich um wirft u«d rabiat macht. Aber sagen Sie mal, um auf etwas Anderes zu kommen — Herr Fido —" „Fino! wenn ich bitten darf!" „Ist ja ganz gleich, Fino oder Fido — falsch ist beides. Sie heißen wahrscheinlich Meier oder Schulze. Aber ihr Kerls von der Pauke macht daS ja Alle so. Nennt Euch lieber Fido oder Nero — damit Euch doch um Herrgotlöwillen ein Hause Schafsköpfe für so einen verlaufenen Ausländer hält!" „Hören Sie mal, Herr — Sie haben eine Sorte Weis heit aufgelesen, uxlche mich eigentlich veranlassen könnte, auf Ihre Gesellschaft zu verzichten, aber —" „Aber Sie sind darüber erhaben. Na ja. Nun wollen wir aber mal etwas kräftiger ausschreiten, sonst finden wir leim Thür mehr offen." Der Sänger lächelte sonderbar. „Oh, keine Furcht. Ich führe Sie an eine offene Thür, «in Östlich«« Hau- —" „Freut mich zu hören, daß Sie hier Bescheid wissen. Ich muß mich doch einig« Tage i» der Stadt aufhalten — habe ««ch eine« Vetter h,er wohnen — aber keine Ahnung, wo — i» welcher Straße." „Läßt sich Alle« herausbekommen. Vertrauen Sie nur mwewr Müdigkeit." Eim gute Stund« später staudeu Beide vor einem alten, schwarzgranen, vielftöckigen Lause in der Nähe eines Bahn hofe«. Man hörte da« schrille Pfeifen der Dampfrosse, daS donnernde Dahinbrausen der Züge. Di« alte, wacklige HauSthür stand offen. Zur Linken und zur Rechten je eine Destillation mit roihen und grünen La ternen: „Zum wilden Mann" und „Zur schwarzen Satze". Die Seilenwände der HauSthür, die zugleich Tborweg war, bedeckt mit geschäftlichen und Schlasstellen-Anzeigen. Herr Adalbert Fino aing sicheren Schritte« ,n daS mystilch« Dunkel de« Treppenhauses voran. Ein seltsam häßlicher Geruch von kaltem Rauch, schmir- gelodem Fett, Petroleum und sauren Heringen herrschte vor. „Brrr!" brummt« Wächter, dessen Nase doch auch nicht gerade verwöhnt war. „Nur sachte, Verehrtest», stoße» Sie sich uicht an de» leeren Fässern und bitte sehr, nicht auf raü Treppcugeläoder drücke», e» ist saul in allen Fugen. Wirth procefsirt mit -uKStliche, Miitheru uad ds« Magistrat." für das völkerrechttich eigentlich Niemand verantwortlich wäre; ein ähnlicher Zustand besteht bereits in Tunesien, aber i» Madagaskar würde er noch schärfer hervor- treten. Da Frankreich daS Land nicht aunectirt, so können die Ausländer nickt die ihnen in französischen Gebieten vertragsmäßig zusteheiide» Rechte in Anspruch nehmen; indem aber die madagassische Negierung jede Selbstständigkeit verliert und außer Stand gesetzt wird, die eiiigegangeiien Verpflichtungen zu erfüllen, kann daS Ausland sich betreffs Madagaskars überhaupt an Niemanden halten. Es ist ei» allgemeines Interesse, daß derartige völkerrechtlich uubaltbare Zustände nicht gesckmffeu werden; dies wird man Wohl auch in Frankreich zugeben und sich zur Verhütung derselben bereit finden lassen. Deutschland ist auf Madagaskar unmittelbar wenig interessirt; aber wer in unseren Colonialgebieten „meistbegünstigt" sein will, muß dieses Recht auch in den seinigcn gewährleisten, gleichviel in welcher Form ein solches Gebiet regiert wird. Wie wir gestern mittheillen, hat die britische Regierung der portugiesischen Regierung daS Anerbieteu gemacht, Truppen aus Indien nach Äoa zu senden, um dort bis zur Ankunft der militairisckien Expedition auS Lissabon an der Aufrechterhaltung der Ordnung mitzuwirken. Die portugiesische Negierung lehnte diese« Anerbieten mit dem Bemerken ab, es sei jede Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß die Expedition rechtzeitig eintresse, um die Rebellion zu unter drücken. Für England wäre dies ein geeigneter Anlaß gewesen, die porrugicsischeu Besitzungen in der Präsidentschaft Bombay, diesen Psabl im indischen Fleische, dauernd zu be setzen. Man würde Portugal später nur eine Abfindungs summe angeboren haben. In Lissabon roch man den Braten und ging auf da« freundliche Anerbieten nicht ein, ob wohl Goa dem Mutterlande nur Kosten verursachte und der Gesammthaiidel sich dem übrigen Indien zuwendet. Schon oft baben die maßgebenden Kreise in Bombay und London die Krage einer Angliederung deS „Estado da Jndia" (Goa, Daman und Din) gegen Zahlung einer Entschädigungssumme erörtert. In den siebziger Jahren wurde ein Vorschlag des britischen Ministeriums abgelehnt, weil kein portugiesisches Ministerium cS wagen könne, den Cortes die Abtretung eines Gebietes zu empfehlen, das an die glänzendsten Zeiten der portugiesischen Geschichte erinnere. Seit 1510 ist mit 75jähriger Unter brechung Goa, die einstige „Königin der asiatischen Meere", in portugiesischem Besitz; heule ist allerdings Alt-Goa ver lassen und nur ein Rilineuhaufen; die landeinwärts gebaute neue Stadt ist nur ein Schatten der alten Herrlichkeit. Deutsches Reich. Berlin, 28. October. Die Denkschrift zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, wie fie dem Reichstage zugleich mit dem Gesetzentwurf« unterbreitet werden wird, bezweckt nicht allein, die Uebersicht deS Inhalts des großen RechtsbucheS, sowie der einzelnen Hanpttheile desselben zu g^ben. Sie unterzieht auch die einzelnen wichtigen Fragen dieser Hanpttheile einer näheren Er örterung, in welcher die Erledigung, die sie in dem Bürger lichen Gesetzbuch gefunden haben, daS Verhältniß d»r auf- genommenen Rechlssätze zu dem in den verschiedenen Theiken Deutschlands geltenden Rechte nebst den Abweichungen von dem letzteren und endlich die Gründe der getroffenen Ent scheidung wenigstens für die strittigen Hauptfragen dargelegt werden. Je »ach der Bedeutung der Sache und dem Stoffe im Einzelnen von einander abweichend, gebe» diese Dar stellungen doch durchweg ein vollständige- und deutliche- Bild von der gesetzgeberischen Behandlung der Fragen und lassen die leitenden Gesichtspunkte bestimmt erkennen, von denen diese beherrscht werden. Die Denkschrift ist daher von besonderrr praktischer Bedeutung zunächst für alle Diejenigen, welche sich einen Ueberblick über daS ganze gesetzgeberische Werk und über den Geist, von dem cö getragen ist, verschaffen wollen; nicht »linder für Diejenigen, welche sich über die Stellung deS Bürgerlichen Gesetzbuches zu einzelnen brennenden Tages- fragen, wie der Frage der Entmündigung, deS VereinS- rechtS u. s. w., unterrichten wollen, und dre schon au« der Denkschrift den gewünschten Aufschluß erhalten können. Aber auch darüber hinaus gewinnt die Denkschrift eine erbeblichc Bedeutung nicht nur für die demiiächstige weitere gesetzgeberische Behandlung, sondern auch für den demnächstigen praktischen Ge brauch des Bürgerliche» Gesetzbuches: Elfteres, indem sie die etwa zur Aufwerfung gelangenden Streitfragen von grundsätzlicher Bedeutung erkennen läßt, Letzteres, indem sie dem Juristen nicht nur den Ueberblick der in dem Gesetzbuch behandelten Materien sehr wesentlich erleichtert, sondern ihm auch für das Verständniß und die Auslegung der Rechtssätze wichtige Fingerzeige giebt. Mit Recht nimmt daher die Denkschrift daS Interesse aller Kreise in Anspruch, welche von der ein heitlichen Gestaltung deS deutschen Privatrechts in der einen oder der andern Weise berührt werden, und zwar weit über die eigentlichen juristischen Kreise hinaus. * Berlin, 28. October. Zu der Thatsache, daß Prediger vr. LiScv seine Berufung gegen das Urtheil des branden- burgischen ConsistoriumS zurückgezogen hat, bemerkt die „Volksztg.": „Donnerwetter, wie hoch gehts denn noch bis zu Ihrer Wohnung?!" keuchte Wächter, der das Treppensteigen nicht gewohnt war. „Wir sind gleich oben, Herr." „Na, da kommt doch nichts mehr. Da ist ja schon der Bodenverschlag." „Allerdings. Eine Wohnung ist daS auch nicht, das nennt man Schlafstelle. Bah, in einem Künstlerleben kommt des Wundersamen genug vor." „Ja wobl. Scheint mir auch so. Schwere Brett, Mensch, wo soll ich denn hier bleiben? DaS Loch ist ja nicht größer, als ein Tischkasten." Sie Ware» in eine Bodenkammer getreten, deren schiefes Dach von fleißigen Spinnen geschmackvoll verziert war. Man sab die verschiedenen geschwollenen Leiber, schwarze, braune, graue, in wohliger Ruhe in den Geweben hängen. DaS Feilster oder die Luke vielmehr war zur Hälfte mit einem Tapetenrest verklebt. In der Ecke stand eine Bettlade mit einer Schütte Stroh ohne weiteres Bettzeug und einer ganz nett auSsebenden Pferdedecke mit den daraus gemalten Buch staben: A. D. Herrn Finv'S Initialen waren eS nicht. Weiter war nichts in dem Raum — kein Stuhl, kein Waschgeräth. „So, nun machen Sie eS sich bequem!" sagte wohlwollend der Sänger, „ich will mich für das Abendessen revanchiren und biete Ihnen Nachtquartier ohne Kosten und meine Führer schaft durch Berlin." „Danke sehr, aber —" ,^kein Aber, Sie schlafen da im Bett und ich nehme unsre gemeinschaftlichen Kleidungsstücke und lege mich aus die Erde. Gott! in einem Künstlerleben kommt eS heute so — morgen so. Heute aus seidenem Pfühl, morgen auf der harten Diele. Einen großen Geist grnirt daS nicht. Jetzt aber lasse» Sie uns binunter gehn und einen Bissen essen." „Ach so. Da« ist deS Pudels Kern!" lachte Wächter. „Da« Abendbrot war dem Herrn Opernsänger wohl zu frugal. Na, aus fünfzehn Pfennige für ein Butterbrot soll« m,r nicht ankommrni" So stiegen sie wieder di« vielen gefährlichen Stiegen hinab, welche jetzt mäßig erleuchte« waren. In der zweiten Etage öffnete sich plötzlich ein« Flurthür, und ein große-, schlampige« Weib mit einer rotbblonden Perrückt, die an den Schläfen einen breiten Streifen grau- weißen Haare« sehen ließ, trat auf die Schwelle. Zwei große hellgrüne Augen richteten sich mit «arm hochmütigen Blick auf die Männer. „Prediger vr. LlSco hat dies gettzan. ohne (ich c): c m, seinen Freunde» oder kirchlichen Gesinnungsgenossen auch »ur zu besprechen, die denn auch aus- Höchste von diese,» seinem Schritt überrascht und belrosfe» sind. Mn» tadelt in diese» Kreisen den in der Thal unverständlichen Schritt des jungen Geistlichen a»fs Lebhafteste, und zwar mit vollem Recht. Hat er die Sache einmal augesaiigeii, io war e« seine Pflicht und Schuldigkeit, sic auch consequeiit bi» zur letzten Instanz dnrchzufuhrrn. Jetzt wird ihm mit Recht Mangel an Eonlequenz und Entschiedenheit vorgeworsen werden, und überdies hält« er Rlemandeni eine» größeren Gefallen thun können, als dem brandenburgtlchen Eon- sisloriunl und dem Oberkirchenrath. Die Entscheidung beS letzteren hätte er unter alle» Umständen nbwarten müsse«, zumal da eS auch principiell von großer Wichtigkeit war, fcststellen zu lassen, ob der Oberkirchenrath wirklich das apostolische Glaubensbekeiintuisi seinem Wortlaut nach zu einem bindenden Gesetz für die Geist, lichen der evangelischen Landeskirche mache» will oder »icht. Nunmehr braucht sich der Oberkirchenrath darüber nicht zu äußern und das ist ihm gerade erwünscht. Er hat jetzt blos dem Consisiorium Mittheilung zu machen gehabt von der Zurückziehung der Berufung seitens de- vr. LlSco, und dieses hat sich darauf beeilt, demselben zu eröffne», daß sein aus Dienst. euUassuiig lautendes Urtheil nunmehr rechtskräftig geworden seil Danach ist er aber uicht bloS abgesetzt, sondern e« sind ihm auch alle Rechte des'geistlichen Standes entzogen, so daß er jetzt, wie ikm gleichfalls noch besonders bemerklich gemacht worden ist, auch den Titel Prediger nicht mehr führen darf. vr. LiSco hat denn auch sei» einigen Tagen seine Stelle in RummelSburg verlassen und zunächst hier in Berlin bei seiner noch lebenden greisen Mutter Wohnung genommen." Die Gründe zur Zurücknahme oer Berufung sind nicht bekannt, die „Nat.-Ztg." nimmt, wie schon erwähnt, an, daß dieselbe deshalb erfolgt ist, weil jede Aussicht auf ein ab- äiiderndeS Urtheil de« evangelischen Oberkirchenrath« auf gegeben werde» mußte, nachdem dieser ein halbes Jahr hatte verstreichen lasse», ohne da« Verfahren zu fördern. * Berlin, 28. October. Für eine germanische Bibel und ein germanisches Sittengesetz, so wird der „Köln. Vvlks- Ztg." auS Berlin geschrieben, agitirt der Verband deutsch- liberaler (freisinniger) Antisemiten, der stark von Dühringsche» Ideen beeinflußt wird und mit den Anhängern von Böckel und Ahlwardt gute Nachbarschaft hält. Der Verband ver anstaltet in Berlin VortragS-Abend«, in welchen die sonder barsten Themata erörtert werden. So lautete daS letzte VortragSlhema: „Der deutsche Talmud, die germanische Bibel, oder der Weg zur Weltherrschaft der Germane» und zur Ausrottung der Hebräer". Von der Ansicht ausgehend, daß die Äuden ihre großen wirtbschaftlichcn Er- folge nur ven schon ihrer Jugend eingeimpften talmudischen Geheinigesctzen zu verdanken hatten, machte der Vortragende den Vorschlag, die Lehren de- Alten Testaments und des Talmuds für die Germanen um zuarbeiten, denen dann der Sieg über die Jude» nicht fehlen könne. Dieser deutsche Talmud oder diese germanische Bibel werde in nächster Zeit zusainineiigrstellt und gedruckt werden, um als Ausgangspunkt für ein eigenes germanisches Sittengesetz zu dienen. Der Verband werde den Vertrieb dieses deutschen Talmuds übernehmen. I» einem früheren Vortrage wurde die Berechtigung und Nvth- wcudigkcit der verschiedenen autisemitische» Richtungen behufs siegreicher Bekämpfung d«r verjudeten politischen Parteien be handelt. Der konservative Antisemitismus, vertreten durch Stöcker, Liebermann von Sonnenberg, Jskraut u. (. w., werde den Osten Deutschlands erobern, der liberale Antisemitismus die Städte und den Westen, und gelinge eS, neben der prv- testautisch-cviiservativen Richtung des Antisemitismus noch eine katholische zu bilden, „so erfaßte die uns erlösende Volks bewegung daS ganze Vaterland: die gewaltige Arbeit wäre zetheilt und jede Richtung hätte ohne Weiteres ihr ArbeitS- eld." Bei dieser Bertheilung der Erde sind die anti- emitischcn Reformer Zimmermann'scher Richtung leer aus- aegaugen. Dieselben gelten freilich in den Kreisen der frei sinnige» Antisemiten, die sich gelegentlich auch die „einzig wahre und ideale sociale und demokratische Partei der Anti semiten" nennen, für derart reactionair, daß man sie bei der „erlösenden Volksbewegung" nicht mitthltti lassen will. Daß die antisemitische Bewegung in fast so viel Richtungen zer- fällt, als es Führer giebt, wußte man zwar längst, daß aber derartige Vorträge, wie sie eben geschildert wurden, in der „Metropole der Intelligenz" gläubige Zuhörer finden, daS ist auch ein Zeichen der Zeit. — Der Verkehr des Fürsten Bismarck mit der Presse liegt nach der „Danz. Ztg." zur Zeit in der Hand des Grafen Rantzau. — Nach Anordnung des Minister« für Handel und Gewerbe geht die Strom SchifffahrtS- und Lafenpolizei auf dem Kaiser-Wilhelm-Canal vom 1. November dieses Jahres ab auf den Präsidenten deS kaiserlichen CanalamtS in Kiel über. — Zu dem WeltverbesserungS-Vorschlag de« „Reichsboten", wonach die StaatScasse den Mehrbetrag aller Divi denden über 8—10 Proc. einziehen sollte, bemerkt die „Freis. Ztg": „Die preußische Einkommensteuer-Statistik für 1893/94 ergiebt, daß die steuerpflichtigen Actiengesellschaften mit einem Capital von rund 3500 Millionen Mark gearbeitet baben und hierbei mit einem steuerpflichtigen Ucberschuß von 361 Millionen Mark veranlagt sind. Der Capitalgewinn der Actiengesellschaften beträgt also im Durchschnitt 9,6 Proc., überschreitet also nicht denjenigen Betrag von 8—10 Proc., „Guten Abend, Frau Baronin", sagte der Sänger und zog den Hut. Sie neigte vornehm daS Haupt. „Haben Sie meinen Mann nicht gesehen?" sagte sie mit tiefer, wohlklingender Stimme. „Mit keinem Auge! — Habe die Ehre, Frau Baronin!" „DaS ist eine Baronin?^ fragte Wächter erstaunt, „eine richtig« oder —?" „Eine richtige Baronin und geborene Baronesse", bestätigte Fino. „So von Stufe zu Stufe, wissen Sie. Immer über die Verhältnisse gelebt — schön — heißblütig. Jung ge- beirathet. Einmal geschieden — alter Kerl — zweiter Mann Spieler und Anders mehr, jetzt lebt sie da mit einem ver rückten Cbemiker zusammen, die alte GanS — der will, glaube ich, daS Fliegen rauSkriegen — na, wenn er- raus hat, denn fliegt er ihr weg — so — bitte, hier, Herr Wächter." Von dem Hausflur auS, in welchem die Fässer standen und die gemischten Gerüchte eine- schlechten Materialwaaren- ladenS vorherrschten, führte eine kleine Thür unter der Treppe in die „Schwarze Katze". Es war ziemlich voll. An einzelnen Tischen deS sehr kleinen und schlecht beleuchteten LocalS saßen kleine Parteien. Hier wurde gewürfelt, dort flogen schmutzige Skatkartei», dort wurde» Zoten erzählt und brüllend belacht, in der Fenster ecke saßen drei Männer mit roihen Köpfen über einer Zeitung und zischelten und sprudelten einander Gift zu. Adalbert Fino setzte sich mit seinem Gefährten ganz hinten hin, wo für einen Tisch kein Platz mehr war und derselbe durch ein Bierfaß ersetzt wurde. Der Wirtb, ein kleiner, kahlköpfiger Mann mit unverkenn bar jüdischem GesichtSschnitt, ging achtsam auf weichen Filz sohlen hin und her — ab und zu — hier und da stehen bleibend — hinter den Stühlen, oder in die GlaSthür, die nach der Gasse führte, tretend und einen aufmerksamen Blick die Straße hinauf und hinab schießend. Am Schenktisch — binter Flaschen und Gläsern, kleinen Tonnen mit Mrssingkräbnen. belegte» Butterbroten, Würstchen, Käs« und anderen Delicatessen — lebnte ein schöne«, schlankes Weib. Ihre großen müden Augen sahen verdrossen in» Weite, daß reizende Prdfil hob sich scharf von dem schmutzigen Vor hang ab, die vollen, kleinen Hände ruhten gefaltet m ihrem dicken, nußfarbenen Haar. Ueber der schönen starken Büste war da« blaue Gewand ein wenig zerschlitzt und sie hatte iu de» klaffende» R>ß eine rothr Rose gesteckt. Ei» Mat« hätte fle wohl beachtet. Hi« erregte st« weil« welchen selbst vcr „Reichsbote" als gerechtfertigt anerkenne» will. Dabei kommt aber in Betracht, daß alle jene Actien- gesellschasten, welche gar keinen Gewinn abwrrfrn oder mit Verlust arbeiten, in diese Rechnung nicht einbrzogen sind, weil die Steuerpflicht erst beginnt bei einem Ucberschuß von mindestens 900 — In dem gestern mitgetheilten Berichte der „Deutschen Warte" über Auslassungen de« Staat-secretair« vr. von Boetticher bezüglich de- Zweckes der am 4. November siattsindenden Beratbnngrn Sachverständiger über eine Ver einfachung der Versicherungsgesetze heißt e- am Schluß: „Tie im ReichSamt de« Innern auSgearbettetro Grund- züge zur Berlchmelzung der verschiedenen Kategorien werden bei den Beratbungen am 4. November zur Unterlage dienen." Diese Mittbeilung wird den „Berl. Polit. Nachr." von competentcster Seite als »icht zutreffend und auf einem Miß verständlich berubend bezeichnet. „Der Einberufung dieser Conferenz liegt lediglich die Absicht zu Grunde, angesichts der von verschiedenen Seiten kundgegebenen Wünsche nach einer Vereinfachung der ganzen Arbeiterversicheruug, nament lich nach einer Zusammenlegung aller drei Kategorien, diese Frage einmal gründlich zu erörtern und ststzustellen, wie sich die Befürworter einer solchen Zusammen legung die Durchführung denken." — Dieser Tage tauchte die Meldung auf, daß der Justiz- minister im Reichstage eine Vorlage einbringen wolle, wonach die Zuständigkeit der Amtsgerichte auf Proceßsachrn im Werlhe von 500—600 .E erhöht werden sollte. In dieser Form ist die Meldung, wie die „Köln. Ztg." feststellt, un richtig. Bekanntlich sei eine Revision der Civilproceß- ordnuiig i» Angriff genommen, und zu den für dieselbe er forderlichen Vorarbeiten gehöre auch die Ermittelung, wie eine solche von mehreren Seiten vorgeschlagenc Erhöhung der Zusi"»digkeit der Amtsgerichte wirken würde. Zur Zeit würden diese statistischen Erhebungen, die sich auf einen Zeit raum von zwei Monaten erstrecken sollen, vom Justizminister augeordnet. — Von dem Provinzial-Schiilcollegium ist dem Sprecher der Freireligiöse» Gemeinde, vr. Bruno Wille, die Auf forderung zugcgangen, die gegen ihn festgesetzte Strafe von 300 m dieser Woche abzusühren, widrigenfalls die Exe- cution verfügt werden svll. Apotheker Friederici, der Vor sitzende der Freireligiösen Gemeinde, theilte in der SonntagS- versaiiimlung mit, daß vr. Wille entschlossen sei, die Strafe nicht zu zahlen. Die Frübvorträge sollen fortgesetzt werden. Man will eS nach der „Volksztg." darauf ankommen lassen, ob die Behörde aus dem Executivwege die Ausübung de- Jugeiidlehranites verhindern wird. — Wegen groben Unfugs ist, der „Post" zufolge, gegen den Herausgeber und verantwortlichen Redacteur des socialdemvkratischeu „BauhandwerkerS", den RegierungSbau- ineister a. D. Gustav Keßler, wegen mehrfach in dem genannten Blatte veröffentlichter Warnungen vor Zuzug nach solchen Ortschaften, wo gestreikt wurde, Anklage erhoben worden. Aus dem gleiche» Grunde ist auch der Redacteur deS „Töpfers", F. Kaulich, zur Verantwortung gezogen. — Eine Einigung bezüglich eines LohntarifS ist, wie die „Post" berichtet, von der Lohiiconniiission der Kupfer schmiede mit der Organisation der Fabrikanten, der Freien Bereinigung der Kupferschmiedereien Deutschlands, erzielt worden. — Bei dem gestrigen Festessen im Kaiserhos zur Feier des Gedächtnisses des Prinzen Friedrich Karl überreichte der Kaiser dem Grafen Häseler als Zeichen besonderer Huld eine große photographische Aufnahme des Kaijerpaares und seine- Ge» solzes, die am 17. October in Colombcy hergestellt ist. — Kriegsmluister Bronsart von Schelkendorss ist vom Urlaub nach Berlin zurilckgekehrt, so daß jetzt sämmtliche preußische Minister ihre AmtSthätigkeit wieder ausgenommen haben. — Der Minister für Lanbwirthschaft Freiherr von Hammer stein ist au< Schlesien hier eingetroffen. — Die Abberufung des deutschen Gesandte» am dänischen Hofe, Wirklichen Geheimraths Kanlinerherr» Freiherr» v. d. Brincken, behufs anderweiter dienstlicher Berweiidung, wird heute im „Reichs anzeiger" veröffentlicht. — Der bisherige hiesige englische Botschafter Sir Edward Malet stattete heute dem Fürste» BiSmarck in Friedrichsruh einen Abschiedsbesuch ab. — Auf Präsentatio» der preußischen Regierung ist, wie wir der „Boss. Ztg." entnehme», von de» Regierungen des thüringischen Zoll- und Steuervereins die durch das Ableben des Wirkt. Geheimen Ober-Fina»zrathcS Grolig erledigte Stelle eines Generaldirectors dieses Vereins dem Vortragenden Rathe im preußischen Finanzministerium v. Schmidt übertragen worden. — Flüchtig geworden ist nach Unterschlagung von Kranken- geldern in Höhe von 500 .^! der Cassirer deS Krankeiiunte» stützunqsbundes der Schneider in Altona, GewerkschastSagltator R. Hossmann. * Tonderburg, 26. October. Der dänische Journalist und Schauspieler Karl Marx auS Kopenhagen ist (wie schon telegraphisch gemeldet) hier wegen MajestätS- beleidigung verhaftet worden. Er hatte sich etwa acht Tage in Sonderburg aufgehalten und in dänischen Ver einen u. s. w. Vorträge gehalten. Nach Kopenhagener Blättern gilt er als ein sehr excentrischer Mensch, der wenig kein Interesse, mit ihrem handschmalen, blaffen Gesicht und dem feinen, farblosen Munde. Wächter und Fino hatten sie noch gar nicht bemerkt. Sie saßen vor ihrer Tonne, und Fino hatte trotz der Bedenklich keiten deS Anderen zwei Gläser Grog bestellt. Fino unter hielt dabei seinen Gastgeber durch allerhand mehr oder minder harmlose Histörchen aus seinem Leben, — wie er eigentlich gelernter Kaufmann sei, aber sein Trieb zum Theater ihn in keiner Stellung lanHe hätte anShalten lassen. Endlich habe er dann einen kunstsinnigen Direktor gefunven, der da- große Talent in ihm ans Licht gebracht, leider aber kein Glück mit seiner Unternehmung gehabt bade. Dann habe er, Adalbert Kino, eS durch unausgesetzte Bemühungen dahin gebracht, an einem städtischen Theater zu gastircn, nachdem er von einem alten, ebenfalls wandernden „Musiklehrer" die nöthige musi kalische Vorbildung erhalten und mit dem alten Narren eine Vereinbarung getroffen habe, ihn von seiner künftigen Gage zu bezahlen. Von Stund' an aber habe sich dann der Lump an seine Fersen gehängt, und ibn kaum de« Nacht« auf seinem Lager in Frieden gelassen. Kein Butterbrot habe er zuletzt mehr genißen können, ohne daß er ihm Galle und Wermuth darauf gestreut und die Hälfte davon für sich verlangt habe, d. h. von dem Butterbrot. „Dabei hatte ich eigentlich die Stunden von dem alten Va gabunden gar nicht nöchig. Ich batte mich schon allein unter richtet durch bloßes Zubören, als ich 'mal in einer großen Badecapelle «ine Stelle bekleidete — denn ich spiele auch ganz vorzüglich die Flöte. DaS war da überhaupt meine seligste Zeit", sagte er wehmüthig und stützte sein Künstlerhaupt in die Hand, „ach ja, lieber Herr Wächter, Sie glauben nicht, wie begehrt man da so war von schönen Frauen und holden Mädchen —" „Na — ja", nickte Wächter, „natürlich! Sie Fido, Sie oller Windhund — mit Dachsbeinei Warum blieben Sie denn nicht bei der Capelle?" „Weil ich lieber im Dorf der Erste, als in Rom der Letzte sein wollte", bemerkte Fino stolz und richtete sich zu seiner ganzen Länge aus — „daS heißt, mein Guter, da Sie da« wohl nicht verstehen —" „Ach doch! Raupen im Kopf! so was wird» wohl heißen. Sagen Sie mal, wer war eigentlich Ihr beneidenSwerther Vater? Sie scheinen solch 'ne Sorte, waü mau Bildung neuut, gekriegt zu baben." „Mein Alter war Lehrer — Gymnasiallehrer." »Ln^el»gr»?l" ^Fortsetzung folgtJ
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