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Anzeiger. AinlMM dcs Wuigl. Bcjiiksgcnchts »nt dcs Raths drr Stadt Leipzig. W 84. Montag den 25. März. I8«>. GeffentUche Gerichtssitzung. Das kgl. Bezirksgericht unter Vorsitz des Herrn Geheimen RegierungSrathes vr. Lucius verhandelte am 23. d. M. in zwei ter Instanz mehrere beim dasigen GerichtSamte anhängige Preß- prozesse. Gegenstand derselben bildeten verschieden« im Jahrgang 1860 de- allhier unter dem Titel „Generalanzeiger" erscheinenden Journals enthaltene Aufsätze, und zwar folgende: I. Der Aufsatz in Nr. 64 unter der Aufschrift: „Es ist nicht zu verwundern", worin bei Besprechung des von Eynattenschrn Betrugsfalls das österreichische Regierungssystem von Ferdinand II. Zeit an einer scharfen Kritik unterworfen und namentlich die Corruption des österreichischen Beamtenthums als eine Folge dieses Systems dar gestellt wird. II. Der Aufsatz in Nr- 94: „Eine Meßbetrach tung" überschrieben, worin eine Parallele zwischen den staatlichen Einrichtungen in England und Deutschland gezogen und die un genügenden Erfolge der gerade damals anstehenden Leipziger Oster messe den staatlichen Zuständen in Deutschland Schuld gegeben werden. UI. Der Aufsatz unter der Überschrift: „Das preußische Abgeordnetenhaus und der Bundestag" in Nr. 95 u. 96, Bruch stücke aus den am 20. und 22. April 1860 im preußischen Ab geordnetenhause bei Gelegenheit des vom Abgeordneten v. Vincke in Betreff der kurhessischen Verfaffungsangeleqenheit gestellten Antrags von einzelnen Mitgliedern gehaltenen Reden, worin hef tige Angriffe auf den deutschen Bundestag enthalten sind, nebst einer sich anschließenden Selbstbetrachtung des Einsenders. IV. Die unter der Rubrik TageSgeschichte enthaltene Mittheilung „AuS Berlin" in Nr. 112, worin eines Gerüchts erwähnt wird, daß drei deutsche Regierungen zur Wahrung ihrer Selbstständigkeit ein Büydniß mit dem Kaiser der Franzosen abgeschloffen hätten. V. Der im redaktionellen Theil in Nr. 179 enthaltene, als tele graphische Depesche bezeichnete, den im Waldheimer Zuchthause gefangenen Röcke! betreffende Aufsatz. VI. Ein in Nr. 195 und 196 als telegraphische Depesche aufgeführres, Neapel datirtes Spottgedicht. VII. Die in Nr. 35 enthaltene, aus Chemnitz ba tikte Nachricht in Betreff der Besetzung einer dortigen Cantorstelle durch den Cantor Schneider. VIII. Ein Aufsatz in Nr. 35 unter der Aufschrift: „An die Leipziger Zeitung" in Betreff der in dieser Zeitung aus Italien, namentlich Neapel gebrachten Nach richten, IX. Ein Aufsatz in Nr. 161 im sogenannten Sprech saal, eine Besprechung des am 9. Juli auf dem hiesigen Exercier- platz stattgefundenen Excesses enthaltend. Wir beschränken uns ohne Wiedergabe des Inhalts der einzelnen Aufsätze auf An ziehung der einzelnen Nummern de- gedachten Journals und er wähnen nur, daß die Einleitung der Untersuchung wegen der unter I.—VII. aufgeführten Aufsätze auf Antrag der kgl. Staats- amvßlltsKgft allhier, wttzsU Heß lyitex auf Antrag der Re daktion der Leipziger Aeikvng und wegen des unter IX. auf Antrag einer Mehrzahl hiesiger Studirender erfolgt ist. Als Angeklagte erschiene» die Herren Buchdruckereibesitzer Heinrich Eduard Kra mer, Literat August Friedrich Peters und Buchdruckereifactor Wilhelm David Aüderth. Das Gericht-amt im Bezirksgerichte hat in dem Aufsätze unter I. eine nach Art. 141 de- Strafgesetzbuches strafbare Belei digung des gegenwärtigen Kaisers von Oesterreich, in dem unter II. nach Art. 127 strafbare Schmähungen und Herabsetzungen der deutschen, speeiell sächsischen Staat-verfassung, in dem unter III. die nach Art. 127 und 128 mit Strafe bedrohten Verbrechen, ln dem unter IV. nach Art. 130 strafbare Verbreitung staatsgefähr ltcher Nachrichten, in dem unter V. nach Art. 128 strafbare staats- gefährliche Schmähungen, in dem unter VI. nach Art. 236 und 239 strafbare Ehrenverlehung und Verleumdung (Beschuldigung der Anstiftung zum Meuchelmorde) wider den König von Neapel, in dem unter VII. nach Art. 128 strafbar« staat-gefährliche Schmähungen, in dem unter VIII. zu ahndende Beleidigung der Redaerion der Leipziger Zeitung (Art. 239), in dem unter IX. strafbare Ehrenverletzung der hiesigen Studentenschaft (Art. 235 und 241 e) indicirt erachtet. Zur Autorschaft und Eilsendung der Aufsätze unter I. und II. hat sich Herr Peters bekannt, Herr Kramer aber bezüglich unter I. einmal angegeben, daß er diesen Aufsatz zum Abdruck gebracht, vorher auch, obschon nicht mit Ruhe und Ueberlegung, gelesen habe, dann auch, er sei der Ansicht gewesen, es sollten durch den selben die letzten Ausbrüche der Reaktion gegeißelt werden; zu seiner Vertheidigung hat derselbe auch auf einen später» Artikel des Generalanzeigers Bezug genommen, woraus hervorqehe, daß n dem Aufsatze unter I. der gegenwärtige Kaiser von Oesterreich gar nicht gemeint sein könne. Zu II. hat derselbe in Abrede ge stellt, daß dieser Aufsatz durch seine Hände gegangen sei und daß er bei der Veröffentlichung Wissenschaft von seinem Inhalte gehabt habe; zu III., daß er den Aufsatz vor dem Drucke gar nicht gelesen habe und daß ihm dessen Verfasser unbekannt sei; zu IV., V., VI. und VIII. bat derselbe die Namhaftmachung der Verfasser verweigert, zu VII. angeführt, daß dieser Aufsatz während seiner Abwesenheit und interimistischen Uebertragung der Reda tion an Herrn Aüberth zum Abdruck gelangt sei. Dies ist von letzterem mit der Versicherung bestätigt worden, daß ihm der betreffende Aufsatz anonym durch die Post zugesendet worden sei, daß er den Verfasser nicht kenne, übrigms aber die im Aussätze angeführten Thatsachen für wahr gehalten und einen Grund, dies zu bezwei feln, um so weniger gehabt habe, als die im Aufsatz zur Sprache gebrachte Angelegenheit schon vorher in anderen öffentlichen Blättern besprochen worden sei. Bezüglich des Aufsatzes unter IX. hat Herr Kramer zugestanden, daß er denselben vor dem Abdrucke durchgelesen habe. DaS Gerichtsamt hat in Folge dieser Erklärungen und Zuge ständnisse Herrn PeterS zu achtwöchentlicher Gefängnißstrafe, Herrn Kramer wegen Miturheberschaft bezüglich der unter I. und IX. aufgeführten Straffülle nach den einschlagenden Bestimmun gen des Strafgesetzbuches, bezüglich der Aufsätze unter III, IV, V, VI und VIII aber nach den einschlagenden Bestimmungen des Paßgesetzes zu zwölfwöchentlicher Gefängnißstrafe verurtheilt, we gen der unter II und VII erwähnten Fälle aber freigesprochen, endlich Herrn Aüberth nach Art. 128 zu einer Gefängnißstrafe von 2 Wochen verurtheilt. Alle drei Angeklagte hatten gegen das Erkenntniß des Gerichts- amtS das Rechtsmittel des Einspruchs erhoben. Der Vertreter der k. Staatsanwaltschaft, Herr StaatSanwalt Barth, beantragte unter specieller und genauer Motivirung die Bestätigung de- erstinstanz lichen Erkenntnisses mit Ausnahme bezüglich der Fälle unter 3 und 4, indem seiner Ansicht nach durch die Ergebnisse der Unter suchung nicht als erwiesen zu betrachten sei, e- habe der Ange klagte Herr Kramer bei der Veröffentlichung de- Aussatzes unter 3 wissentlich mit Kenntniß seine- Inhalts mitgewirkt, bezüglich de- Aussatzes unter 4 aber, daß selbiger zur Verbreitung der unwahren Nachricht mit Kenntniß ihrer Unwahrheit mitgezvirkt habe. Er gab daher dem Ermessen des Gerichtshofes die beschränkte Klag freisprechung bezüglich dieser beiden Fälle anheim. Die Vertheidiger der beiden Angeklagten Kramer und PeterS, Herr Adv. Schrey und Herr vr. Joseph, bestritten die Straf barkeit der incriminirten Aufsätze in objektiver Hinsicht; nament lich suchten sie, waS den Aufsatz unter I. anlangt- darzulegm, daß nach Inhalt und Fassung desselben der gegenwärtige Kaiser von Oesterreich gar nicht gemeint sei» könne. Wir müssen darauf verzichten, hier specieller auf die interessanten, nahe an 3 Stunden ln Anspruch nehmendm Vorträge der beiden Herren Vertheidiger einzugehen und erwähnen schließlich, daß, nachdem die Verhandlung Nachmittags 1*/, Uhr einstweilen ausgefttzt-und um 5 Uhr wieder aufgenemmen worden war, */,7 Uhr der Ge richtshof seine« Spruch bekannt machte, wonach die Herrn Kra mer in erster Instanz zuerkannte 12 wöchentliche GefHignißstrafe auf eine 11 wöchentliche herabgesetzt und dir beschränkte Klagftei-