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5034 „O waS denken Sie, guter Herr. Ich bin so froh, das ich der Mutter recht viel nach Hause bringen kann. Vielleicht macht sie mir dann auch eine Freude, und kauft mir Handschuhe, daß ich nicht so frieren muß." Sie standen jetzt vor einem Hause wo Licht war. Der Herr fragte nach dem Preise, gab ihr aber mehr alS sie verlangte. Dann streichelte er ihr das blasse Gesichtchen und sprach: „Gehe hin nun, mein Kind, und sage deiner Mutter, der heilige Christ sei auch für arme Kinder gekommen. Sie solle ihm nicht die Thür verschließen, sondern von dem Gelbe dir ein Bäumchen anzünden, und dir eine Freude machen." „DaS wird sie gewiß thun. Sie sind ein recht guter Mann. Ich danke Ihnen! Ich danke Ihnen." Die Kleine stürzte fort, und bald war sie dem Wanderer auS dem Auge. Eine Kindesseele hätte ich gerettet, dachte er bei sich. Wenigstens habe ich seinem Herzen die Himmelsthür der Weih- nachtSseligkeit aufgeschlossen. Gott, wie manche Seele wird in dieser Nacht nledergedrünt, wie manche ist von trüben Gedanken umdüstert, wie manche geht an der Hand der Leidenschaft, und ahnet nicht die Spur von der Erhebung eine- reinen Herzens am heiligen stillen WeihnachtSsest. Da- WirthShaus. Unter solchen Betrachtungen war der Wanderer bei einem WirthShause angelangt. Der Lärm, den er schon von weitem hörte, berührte ihn nicht angenehm. Aber da er ein starke- Bedürfnis nach Ruhe und Stärkung empfand, so trat er ein. Der Wirth, ein freundlicher Mann, empfing ihn mit einer Miene, al- ob er glaubte, daß man sich nirgends besser amusiren könne al- bei ihm. Der Wanderer, setzte sich an ein kleine- Tischchen, welche- noch frei war, und von hier auS überschaute er nun da- Getümmel. Neben ihm saßen 2 junge Leute von ungefähr 16 und 20 Jahren. Sie gingen anständig gekleidet und schienen ihrem Benehmen nach an der Stadt zu sein. Der Wanderer achtete eine Weile auf ihr Gespräch. „War da- Waldröschen hier?" „Nein, aber sie kommt gewiß noch." „Ist da- ein schöner Käfer. Da- frische Glsichtchen, die stechenden schwarzen Augen, da- schelmische Kinn mir dem Grüb chen, der lachende einladende Mund und dann mitunter so ein nonnenhaft schmachtende- Aussehen, mit einem Worte: 'S ist zum Närrischwerden." „WaS hilft da- aber, sie ist ja doch nur eine gemeine Schönheit." „DaS macht sie mir nur interessanter!" „Und mir beklagen-werther. Beim Himmel, es möchte einem die Seele bluten, wenn man steht und hört, wa» so ein armes Geschöpf erfahren muß. Kein Mensch scheut sich in ihrer Nähe die gemeinsten Ausdrücke zu brauchen, Keiner respectirt ihre weib liche Scheu und Zartheit und Jeder glaubt ein Recht dazu zu haben, weil er meint, ein Mädchen, welche in öffentlichen Gast häusern mit Waare herumgeht, könne kein Zartgefühl mehr besitzen. Welche- Unrecht geschieht einem solchen armen Wesen, und Hun derte gehen auf diese Weise zu Grunde!" „WaS geht da- mich an! Da- ist ihre Sache." „Freilich ist e- ihre Sache, aber die Erwachsenen, alte und junge Sünder, die ihnen da- Aufrechterhaten ihrer Ehre erschweren und unmöglich machen haben mehr Schuld al- sie selbst." Da- Gespräch wurde unterbrochen. „Herr Wirth" schrie eine Löwenstimme über die Leute hinweg, „Herr Wirth ein Gesangbüchel!" Der Wirth verstand ihn und brachte eine Karte Die lustigen Brüder setzten sich sofort zum Spiel, zum unschul digen Zeitvertreib, wie sie sagten. Die gierigen Gesichter, die rohen Züge, der laute Tumult, waren dem Wanderer äußerst unangenehm, aber er verharrte «och einen Augenblick, um noch tiefer in- Leben hineinzuschauen. Er rückte näher an den Spieltisch. Sie mustern ihre Karten, e- wird ruhiger. Da tritt ein Knabe heran und bittet den einen Spieler der Mutter ein paar Groschen Geld nach Hause zu schicken, sie brauche e- ganz nothwendig. „Wozu?" schrie barsch der Spieler. „Da- weiß ich nicht!" „Kann kein- bekommen. Geh und stör' mich nicht. Sie will immer Geld." „Vater!!" „Wirst du gehn?" Und er nahm den Knaben und steckte ihn zur Thüre hinaus. Welch ein Vater! Vater? Nein, Plagegeist bist du für deine Familie. Da- wa- sie sparen und verdienen verspielst du Elender. Mit diesen Gedanken wendete sich der Wanderer von dieser Gruppe ab, als auf einmal ein ungeheurer Lärm entstand. Der Wirth trug hoch über der Menge ein Tischchen hin in den hintern Winkel der Stube, in eine Art Nebenstübchm. Hier saßen drei Männer im lauten Gespräch bei einander. „Ah, da ist der Tisch," schrie der Eine. „Jetzt kann- lo-- gehen und nun sollst du sehen August, wie wahr die Sache ist, dir soll der Glaube schon in die Hände kommen." „Nimmermehr glaube ich diesen Unsinn, bi- ich die Sache selbst sehe." Die beiden Ersten, so bemerkte unserer Wanderer deutlich, sprachenmit einander, hatten ein eigenthümliches Geberdenspiel und betrachteten mit einer heimlichen Freude den Ungläubigen, der, nebenbei gesagt, ein große- Vermögen hatte, dessen Ursprung man nicht kannte. Dann setzten sie sich zum Tisch, um ihr Spiel zu beginnen. Achtung! Der Tisch klopft. Man lauscht, zählt die Buch staben zusammen und den Namen: Schwarzer Hans. So hieß ein verstorbener Betrüger de- Ort-, der den Leuten schon bei Leb zeiten unheimlich war. Man fragt ihn, er antwortet daß er keine Ruhe habe, daß er nicht zur Seligkeit eingehen könne, daß Einer ihm bald Nachfolgen werde. — Hier war der Spaß auS. Der Ungläubige ward ohnmächtig und mußte hinaus an die Luft geführt werden. Aber bald hatte er sich erholt, und nun, hieß e-, wird der Schreck versoffen! Unter unsinnigen, frechen Plaudereien ward ein GlaS nach dem Andern geleert. „Vater, willst du nicht nach Hause zur Bescheerung kommen, eS ist Alles bereit, die Mama läßt dich bitten!" „Ach laßt mich doch mit euem Geschichten. Bescheert nur immer, ich habe jetzt nicht Zeit." Du Frevler! hast du nicht Zeit, deinen Kindern ein Vater zu sein, wenn eS gilt ein Engel für sie zu werden. O traurige- Geschlecht der Tage, welches von Genüssen ge peitscht, ausgebrannt und leer ist an Zärtlichkeit, an Poesie und Weihe. Wie soll das künftige Geschfecht aufw-chsen, wen« süne Pfleger so^mSarten. Statt der Festbetrachtungen treiben sie Geister- klopfen. Von der Religion haben sie sich loSgemacht und nun fallen sie dem Dämon de- Aberglauben- in die Hände. Und dieser Aberglaube ist ein listiger Lemsel, er kommt in Gestalt so mancherlei Unterhaltungen und Spielchen, er verkürzt die Langeweile, er würzt das abgelebte Gemüth mit grellen und schauerlichen Scherzen und dient hier und da den Menschen Andre zu überlisten, zu devor- theilen oder zu verspotten. Der Wanderer sehnte sich hinaus unter Gotte- freien Himmel und athmete wieder auf alS er auf der glatten funkelnden Straße stand. (Fortsetzung folgt.) Ruch ein Weihnachlsbild. Es war am letzten Freitag den 22. December, als ryich Ln der 5. Nachmittagsstunde mein Weg die Thonhergstraßenhauser hinausführte. DaS Wetter war unfreundlich, der Weg grund schlecht, und dennoch war die Straße begangen. Mütter mit Kindern auf dem Arme gingen vor mir her und in der Dunkel heit sah ich bald au- diesem, bald auS jenem Hause Gestalten herau-huschen, die den vorangehenden Frauen nacheilten. Al- ich die Mütter mit den Kindern sah, dachte ich unwillkürlich an da- Wort des Herrn: „Lasset die Kindlein zu mir kommen." Ein vor Jahren gesehene- Bild stand wieder vor meinen Augen, ba den erhabenen Freund der Kinder darstellt, wie er über den ihn umringenden Kindern segnend die Hände erhoben hält ; aber in der Ferne bringen noch Mütter auch ihre Kinder herbei, um sie vom Heiland segnen zu lassen. Wohin gehen diese? So fragte ich mich. Die noch übrigen Abendstunden gehörten mir, darum folgte ich ihnen. Sie biegen link- in eine Straße ein, bleiben nun vor einem Hause stehe», dessen L. Stockwerk hell erleuchtet ist. Wa- ist da- für ei« Haus? „E- ist da- Schulhau-." Und r»a- bedeutet der Lichterglanz? „E- soll dm Kinde*« au- der Anstalt bescheret werden." Was für eine Anstalt meinen Sir? „Nun, kenne« Sie die Kleinkinder-