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Leivzigtr Tageblatt und Anzeiger. 261. Montag den 18. September. 1854. SeanIworLung des Aufsatzes über das gleichzeitige Er lernen zweier Sprachen in frühem Äindesalter. (Nr. 245 d. Bl.) Dieser Aufsatz enthält so viel Gutes und Schönes und behan delt ein« so wichtige, tief in da- Familien- und öffentliche Leben eingreifende Frage, »aß wir u«S nicht enthalte» können, noch einmal auf denselben zurückzukommen. Wir glauben, daß die darin ausgesprochenen Meinungen im Allgemeinen der Begründung bedürfen, um zu überzeugen, bisweilen aber auch, unter gewissen Einschränkungen, der Berichtigung. Dies kann indeß nur erreicht werden, wenn wir auf daS Wesen der Sprache und ihrer Ein wirkung auf die Gesammtentwickelung der Seele näher eingehen. DaS Kind fängt erst im 2. und 8. Jahre an, mit Lust und Eifer zu spreche«. BiS dahin sind die Sprachorgane und die Bilder, welche der junge Geist durch Auge, Ohr rc. aufnimmt, noch wenig entwickelt. Die Wahmehmung von Gegenständen, A«gegu«gon, Tönen wirkt, indem sie das Spiel der kindlichen Dtzenwaßn «lwMricht, auf die Ausbildung der Seele in zweierlei Weise. Zuerst lernt daS Kind die äußeren Dinge kräftiger nach- bilden, j« häufiger eS dieselben steht oder hört, und zwar nicht bloS so, daß daS Kind ein HauS besser kennt, als ein andere-, »eil eS dasselbe öfter gesehen hat, sondern eS stellt sich auch die verschiedenen Formen der Bäume viel weniger deutlich vor, als dm Stamm, die Aeste, daS Laub, die sich immer wiederholen. Aber im Gegensatz zu dieser unmittelbaren Kräftigung ver wandter Wahrnehmungen, können sich auch unverwandte mittelbar kräftigen, indem sie sich durch daS Augleichsein verknüpfe«. So wird daS Kind sehr bald die Tasse vermissen lemen, auS der eS gewöhnt ist, seine Milch zu trinken. Ganz dasselbe Gesetz der Verknüpfung nun, wodurch die Seele mit der Vorstellung de- MilchtrinkenS die der Taffe verbindet, und um gekehrt, ist auch die Grundlage der Sprache. Obgleich sich nämlich das Kind im Allgemeinen alle Bilder feiner Seele vorstellen kann, so tritt doch in jedem bestimmten Augenblicke das eine leichter als daS andere in's Bewußtsein. Auf die Rose folgt durch daS Gesetz der Verwandtschaft vielleicht eine Nelke; aber wenn daS Kind plötzlich da- Wort „HauS" hört, bei dem eS früher schon oft auf die benachbarten Häuser aufmerksam geworden ist, kann nochweudig nur die Vorstellung „HauS" vor die Seele tut«, well dieselbe in dieser Verbindung am meisten geübt worden ist. Ebenso umgekehrt. Natürlich müssen sich die Vorstellungen durch solche Verknüpfungen viel öfter wiederholen, was sie kräftiger und deutlicher macht. Nachdem sich durch di« Häufigkeit und di« innere Verwandt schaft der Wahrnehmungen immer mihrBegriffe, Urtheile, Schlüffe rc. in der inner« Welt de- Kindes auSzeichn«, wird die Sprache da wichtig« Werkzeug, diese Unterscheidungen noch mehr und allseitiger zu schärfen und jede Art der lnnern Thätigkelt festzuhalten. Sprache und Schrift sind di« natürlichsten Verknüpfungen in unserer innern Welt; welch' großes Förderung-mittel aber hie Verknüpfung überhaupt ist, erkennen wir am leichtest«, wenn wir Sprmh« und Schrift, die auf ihr beruhen, mit Zeichen und Hieroglyphen vergleich«, dm« mehr noch da- Gesetz der Verwandtschaft zu Grunde liegt. — Weil da- bestimmt Her- vottwteade, Ganz« in einer größem Vorstellung sich viel besser bezeichne» läßt, als die feineren Uebergänge, kräftigt da- Sprechen nochwendig die Begriffe, Urtheile rc. verhältnißmäßig zumeist. Ein Kind, da- einst in Deutschland unter Deutschen leben und wirken soll, kann nicht besser gebildet werden, al- durch die deutsche Sprache, weil diese der Abdruck und Ausdruck deutschen Lebens ist. ES könnte für den Augenblick als gleichgültig erscheinen, ob ein Kind von 2, 3 Jahren seine einfachen Ansichten und Meinungen ftanzösisch ober deutsch bezeichnet; bei näherer Betrachtung aber erkennt man sogleich, daß die- ein äußerst schädlicher Eingriff in den natürlichen Bildungsgang sein würde. Der Hauptnutzen der Sprache ist in diesem Alter nicht sowohl der augenblickliche Gebrauch für den Bedarf de-Kinde-, sondern das Erziehende, waS da- deutsche Gespräch auch dann für ein Kind haben muß, wenn eS noch nicht- davon verstehen kann. DaS Kind gewöhnt sich nämlich an den Klang der Worte, für iwBch« die Seele noch keinen Inhalt hat, und sobald dann etwa- NeugebikdeteS in ihr nach Ausdruck ringt, findet da- Kind sogleich und für den Beobachter überraschend einen ziemlich entsprechenden Namen, der dann noth- wenblg dazu dient, die undeutliche Gestaltung zu kräftigen und nach allen Seit« hin abzuscheiden und zu verbind«. Wenn unsere Kinder von 3, 4, 5 Jahren Vater und Mutter öfter mit edler Wärme, ja mit Begeisterung von Liebe und Lugend, von dem Großen, Schönen und Wahr« sprechen hörten, so würden sie es gewiß nicht versteh«; — aber wenn dann einmal eine stärkere Gefühlsregung da- junge Herz mit Wärme erfüllt oder jugendliches Ehrgefühl sie erhebt, würde eS ihn« nicht an einer edlen Bezeich nung fehlen. Die Erziehung in vornehmen oder vornehm sein wollenden Familien bringt e- oft mit sich, daß kleine Kinder Worte wie „angegriffen, reizbar, ennuyirt, aufgeregt" für ihre bürger lichen Zustände gebrauchen. Wäre die Erziehung so, wie wir sie jetzt schilderten, dann könnten wir dieselben Kinder Worte wie „stolz, edel, niedrig, liebevoll" gewiß eben so ungeeignet, aber unendlich fruchtbarer und erziehender für ihre kleinen Geistes- erregungen anwenden hören. Der bewegte Ton, die aufgeregte Miene, der Blitz de- Auges würden für daS scharf beobachtende Kind daS Licht, die Farbenpracht, die Wärme de- Wortsternes sein, der e- zum Großen und Schönen freundlich lockt. — Wie verderblich erscheint unS nun der Gebrauch, deutsche Kinder für einen großen Theil de- Tage- in den Händen französischer Bonnen zu lassen ; eS ist die- eine Verwahrlosung des Kinde-, eine Verrenkung de- Geistes zu häßlichen Kunststücken, ein Ver- rath am Baterlande! — Glücklicher Weise findet diese- Urbermaß nur selten statt, und eS liegt u«S nun ob, zu untersuchen, ob da- Erlernen einer frem den Sprache auch bei weit größerer Berücksichtigung der Muttersprache der Ausbildung de-Kinde- nachtheilig sein muß. Herr B. scheidet feine Gründegewiffermaßen in zwei Theile. Er sagt zuerst, daß die deutschen Worte weniger fest und in ge ringerer Mannichfaltigkeit angeeignet werden, und zweitens, daß auch der fremde Geist der fremden Sprache bei der Aus bildung der knnem Welt de- Kinde- (der Begriffe, Urtheile rc.) sich nachthrilig äußern muß. Betracht« wir die lebendige Wechsel wirkung zwischen Geist und Wort, so sehen wir Beide- im Ganzen und Einzeln« nothwendig zusammentreffe«. Versuchen wir eS nun, einige allgemeine Wahrheit« festzustellen, die uns zur Beantwortung obiger Frage nützlich sein werden. Wenn da- Kind gelernt hat, den Begriff „HauS" mit dem Worte „HauS" zu verknüpft«, wird dadurch nicht bloS, wie wir gesehen haben, der Begriff selbst, sondern in nächster Folge auch die mit demselben zusammenhängenden Urtheile gestärkt. W"« ge-