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Leipziger Tageblatt UN- Anzeiger. ^ 200. Mittwoch den 19. Juli. 1854 Freitag den LI. Jul! ». e. Abends 6 Uhr ist öffentliche Sitzung der Stadtverordneten im gewöhnlichen Locale. Tagesordnung: Gutachten des Ausschusses zum Bau-, Oekonomie- und Forstwesen, die Stadteinfriedigung zwischen dem Münz- und Johannisthore betreffend. Spare;ur Leit, dann hast Du in der Uoth*). Da lese ich im „Münchener Volksboten" eine Mittheilung aus dem oberbaicrischen Städtchen Mindelheim, die ich ein paar Mal wieder gelesen und dann für so wichtig gehalten habe, sie nicht allein in den Rheinischen VolkSblättern weiter zu verbreiten, sondern auch noch einiges daran zu hängen, was der Beherzigung werth sein dürfte. Aeit und Umstände geben der Sache ein besonderes Ge wicht. Auch in Baiern bestand bis vor wenigen Jahren noch die uralte Einrichtung der Zinszahlung als Grundrenten, meist in Na turalien. Dadurch blieben immer bedeutende Getreidevorräthe im Lande herum aufgehäuft, für theure wie für wohlfeile Zeiten eine wirkliche, sehr praktische Wohlthar. Das fatale AblösungSgesetz vom Jahre 1848 hat diesem Zustande der Dinge auch in Baiern ein Ende gemacht und die sehr nachtheiligen Folgen haben sich bis heute schon so fühlbar gemacht, daß alle kundigen Leute dort zu Lande von Herzen wünschen mochten, es wäre eben in diesem Puncte gar nur beim Alten geblieben. Allein, einen gesunden Menschen kann man bald zum Krüppel schlagen, ihn aber wieder vollständig heilen, ist schon ein Kunststück und gerä'th noch lange nicht immer. Hat man einmal eine so mit dem Leben verwachsene Uebung und Ein richtung mit Stumpf und Stiel auSgerottet, reparirt man den Schaden nicht wieder so leicht und so schnell, als man ihn ange richtet. Die Ablösung ist geschehen und alle frommen Wünsche führen den altm Zustand nicht wieder herbei. In Mindel heim nun hatte man schon gleich die unseligen Folgen des Ab lösungsgesetzes vorausgesehen und ist darauf bedacht gewesen, dem selben möglichst vorzübeugen. „Wir haben", heißt eS in dem genannten Berichte, „schon im Jahre 1849 einm städtischen Vorrath von 300 Scheffeln Roggen angekauft, der damals 7 bis 8 Gulden im Preise stand. Aus diesem städtischen Vorrathe haben wir nun seit dem Monat Januar dieses JahreS bereits über 14,000 Laib Brod zu 3 Pfund auSbacken und den Laib zu 12 Kreuzer an ärmere und minder bemittelte Bürger und Gemeindeangehörige adgeben können. Dieses Magazin verdanken wir der väterlichen Fürsorge unser- Magistrat- und zunächst unserm braven Herrn Stadtschreiber Grünwald, welcher die Errichtung beantmate und auch die nöthigen Geldmittel anzeigte, worau- das Betreib? ohne Belästigung der Communalcasse bezahlt werden konnte. Mit dem Vorrath reichen wir bis über die Ernte hinaus, und wenn derselbe aufgezehrt sein wird, bleibt unS nach bereits geschehener Abzahlung der Magazinsschuld, der Lagerungs- und Versicherungskosten noch ein reiner Ueberschuß von wenigstens 1600 Gulden, mit welchem dann wieder ein neues Magazin begrün det werden kann. Welche unendliche Wohlthat die- ist, be zeuge« die tausend Segenswünsche und Freudenthränen der Dürf tigen, welche in der gegenwärtigen, besonder- für den Bürger kleiner Städte so bedrängten Zeit dadurch unterstützt worden sind, und eS kann de» Gemeinden wahrlich nicht- dringender an- Herz gelegt werden, als solche Getreidemagazine anzulegen, sobald wieder die Wohlfeilheit der Felofrüchte einlritt, die uns der Allgütige bald verleihen wolle; denn dies ist da- einzige Mittel (?). sich in Teue rung und Noch gegen Wucher und Hunger zu schützen." So weit der Bericht aus Mindelheim im Münchener VolkS- boten. Bei uns ist die Grundrentenablösung schon eine alte, fast vergessene Sache. Die ehemaligen Zehentscheunen sind verschwun den; Abteien und Klöster haben seit lange nichis mehr zu fordern, weil sie nicht mehr cxistiren; Alles, auf dem Lande wie in der Stadt ist aufs Geld, das stets wandelbare und bewegliche Metall gestellt oder sogar ins Papier gerathen. Reiche Leute giebts, auch reiche Bauern, aber auch eine Armuth in der Stadt und auf dem Lande, die fast unübersehbar geworden. Die steigende Population ver mehrt — nicht den Reichthum, wohl aber die Armuth von Tag zu Tag, und alle Wohlthätigkeit reicht bald nicht mehr aus, ich will nicht sagen in Zeiten der Noth und Theuerung, sondern in gewöhnlichen Zeitläuften den ärgsten Jammer aufzuhalten. Dabei leben wir hier am Rhein noch in einem durchweg gesegneten Land striche, der Verbindungswege mit aller Welt hat, worm Handel und Wandel blühen. Trotz alledem geht die wachsende Armuth ihren erschreckenden Gang vorwärts und erweckt für die Gegenwart und Zukunft gewiß nicht ohne Grund die ernstesten Besorgnisse. Das wissen alle kundigen Leute sehr wohl und erschöpfen sich in Entwürfen und Plänen, wie dem gegenwärtigen Nebel abzuhelfen und dem kommenden, noch schlimmer drohenden zu begegnen wäre. Leider bleibt das Alles nur eben bei Plänen und Entwürfen, an deren Verwirklichung vor der Hand noch nicht zu denken ist, weil eben Niemand weder die Macht noch den Willen hat, sie praktisch ins Leben zu setzen. Die Zeit, so meinen die Meisten, drängt eben noch nicht zur Entscheidung; es geht eben noch Alles leiblich hin. Kracht auch der Wagen an allen Enden, so rollt er doch eben noch fort. Brechen kann er von heute auf morgen, und wenn er bricht,— nun dann liegen wir auf offener Straße, daS ist sicher, aber wir fahren doch eben noch, und da- genügt. Auch fühlen wir un persönlich noch ziemlich sicher, waS die Hauptsache ist, denn die eigene persönliche Sicherheit geht doch im Grunde über Alles. Da- Brod ist zwar erschrecklich theuer, der BrodpreiS in der Zeitung weist es ja au-, aber wir essen doch noch leidlich satt, und wenn wir auch einen kleinen Ausfall in den HauShaltungSauSgaben spüren, vor Hunger erwachen wir doch noch nicht während der Nacht. E- ist wahr, armen Leuten muß eS oft recht hart werden, sich durch- zubringen in dieser Zeit, und zum Zuckerklopfen kommen sie auch nicht mehr von wegen vielfacher Coucurrenz und schweren Aus gaben in mancherlei Art, und wirklich, wenn sich ein Häuflein armer Kinder um die rathlosen Aeltern drängt und Brod verlangt, theureS, unerschwingliche- Brod, das man ihnen nicht immer nach Wunsch und oft gar nicht einmal bieten kann, daun sollt Einem da- Herz brechen, wenn man nur so daran denkt; aber wir geben ja auch gern Almosen, jede Woche so viel, und wenn die Noch schreit, oft «och mehr, sudscribireu, nehme» Lotterieloose, gehen selbst für die Armen betteln wa- soll mau den« noch mehr thun? *) Tn< de« Rheinischen Bolksblättern.