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Leipziger Tageblatt und Anzeiger. ^ 175. Sonnabend den 24. Juni. 1854 Tagesbefehl an die Communalgarde zu Leipzig, den 23. Juni 1854. Auf Aeuerallarm rücken vom 1. Juli d. I. Mittag- 12 Uhr an bas zweite und dritte Bataillon aus. Da- zweite Bataillon besetzt die Brandstätte, da- dritte stellt sich in der Nähe derselben als Reserve auf. Da- erste und vierte Bataillon treten nur dann erst in Dienst, wenn nach dem Au-rückm der beiden erstgenannten im Feuer- dienst stehenden Bataillone Appell geschlagen werden sollte. In Bezug auf die G-eavron verbleibt eS bei den bisherigen Anordnungen. Auf Generalmarsch rückt übrigen-, wie sich von selbst versteht, die gesammte Communalgarde nach wie vor aus. Das Commando der Communalgarde. H. W. Nteumeifier, Commandant. Aus dem Westen der Union*). Wisconsin. Da reisen wir hin nach dem gelobten Lande de- Westens, nach dem wir zuvor au< dein Borne eines „Bromme" und Anderer geschöpft »nd mW «ehr oder weniger je nach unserer Individua lität da- Leben drüben mit dem Pinsel unserer Phantasie alS ein solche- au-gemalt habe«, da- wenigsten- und unter allen Umstän de« weit mehr Licht- als Schattenseiten dem europäischen gegen- üder biete. Die Romantik ist ein solch eingefleischter Zug de- Deutschen, das au- der grauesten Vorzeit bi- auf da- Heute dieser sein Schatten ihn nicht verläßt, und wie im Mittelalter der geharnischte Ritter dem Kreuz folgte oder auf andere kriegerische Abenteuer auszog, so winkt in der Gegenwart seinen friedlichen Nachkommen da- idyllische Leben eine- Farmer- und zahllose Geschwader mit Segel und Dampf führen die neuen, da- Glück suchenden Schaaren über den atlantischen Ocean. Aber nicht allein da- patriarchalische Leben auf der Farm ist der anziehende Magnet; die neue Welt bietet ja so viele Hoffnungen, und darum steuert ihr der Künstler zu im süßen Wahn, dort Lorbeer und Gold zu erjagen, wo die Kunst noch in dm Windeln, und e- genug Reiche giebt, sie zu unter stützen. E- steuert ihr der Sohn de- Merkur- zu und träumt, mit seinem Fleiße, seinen Kenntnissen dort ein kleiner Astor in wenigen Jahren zu werde«, und unter Tausenden von diesen wird kaum einer annähernd da- finden, wa- er sich geträumt. Auch wir ließen da- Segel unser- Leben-schifflekn- westwärts schwellen, auch wir hatten etwa- Romantik als Ballast, aber zum Glück nicht allzuviel, so daß e- un- leicht wurde, ihn über Bord z« werfe« und so nie in den Fall zu kommen, mit Tausenden über dettogme Hoffnungen ein Wehgeschrei zu erheben, obgleich wir Manches, Vieles ander- fanden, als wkr erwartet hatten. Wir betraten nach einer glücklichen Seereise da- Land und den Hafen Newvork-, in den wir an einem heitern, warmen Herbsttage rinliefen; seine reizenden Umgebungen, ja schon die ersten Küsten von Newjersey und Long J-land mit ihrm freundlichen Landhäu sern dietm un- eine« schönen Willkomm. Hier kann e- nicht fehlen, hier muß eS gut sein Hütten zu bauen; dieser Bedanke drängt sich unwillkürlich dem Ankömm ling aus. Wer in de» östlichen Häfen sich nicht verweilt, sie bei oberfläch licher Anschauung überhaupt nicht al- seine neue Heimath betrach- - . l , *) «tlaatische Studien. III. «and. S. Heft. tet, sofern dort der europäische Verkehr schon zu feste- Terrain gewonnen — der eilt mit seiner größer» oder kleinem Dosis von humanistischer Schwärmerei und Romantik in dm Westen; dort sucht er sein Amerika und wa- er Alles unter diesem BogrsKe versteht ; dorthin wird er auch, fall- er gewillt wäre, im Ost« W bleiben, von den meisten seiner Rathaebrr gewiesen , und wenn ihm da und dort auf der großen Heerstraße einige RückzÜgker be gegnen, die im Osten wieder ihr Glück suchen, so traue er ihnen nicht und hält sie für unpraktische Gudjeet«. Stet- noch schwillt fein Segel von den günstigsten Winden der Hoffnungen — die wandernden Massen deS Berühr-, die freund lichen nagelneuen Städtchen und Städte, die einladenden Farmen mit ihren blinkenden Villen, die Conversationm mit den Wirchen auf der großen Heerstraße, die ihm eine sorgenlose Zukunft in Aus sicht stellen — Alle- diese- im Gewände der Neuheit übt einen Reiz auf ihn, daß er nicht recht zur Besinnung kömmt. Sind diese Flitterwochen vorüber, wozu namentlich auch und präponderirend da- Gefühl kommt, hier au- den Fesseln de- euro päischen Gouvernements befreit, au- dem Gebiete des historischen Recht- auf da- de- NaturrechtS übergetreten zu sein und al- ver nünftig sittliches Wesen nun ebenbürtig dazustehen mit Jedermän- niglich; ist der eigenthümliche Zauber verrauscht und hat sich das Ueberschwengliche der ersten Gefühle gelegt, mit denen wir Luft, Wasser und Land als fteieS, unverkümmerte- Eigenthum de- Men schen vor uns sehen — dann beginnen die Tage der Reactio«; unser europäisches Aöpflein, das wir, ohne e- zu wissen, mitgedracht, wächst un- über die Schultern, unsere Demokratie kommt auf dm Probierstein und siehe da, r- ist noch ziemlich aristokratische- Ele ment darinnen. Wir fangm an zu vergleichen und siehe da, die Wagschale sinkt beinahe stet- zu Gunsten Europa'-. Aber auch diese Lage vergehen, denn ohne daß wir eS merken, haben wir un- physisch und social acclimatifirt. Wenn wir daun auch noch in gemütlichen Kressen von unserer deutschen Heimath, ihren schönen Flüssen, Bergen und Lhälem, ihre» Kunstgenüssen und ihren schmackhaften Tafel«, von den ländlichen Bilder« und den provinziellen Physiognomien mit ihrer bunten Mannichfaltigkeit u. s. w. schwärmen, so tritt dennoch eine gewisse Zufriedenheit mit dem neuen Baterlaade ei», fall- keine besonder« Unglück-sälle uns getroffen, fall- wir nicht zu große Mißgriffe gemacht, die sich nicht mehr repariren lassen. Kein Staat aber ist reicher an derjenigen Elaffe, die ihren Nibelungenhort in den westliche« Wäldern suchte, di, da- Schwert oder die Feder mit der Axt vertauschten, al- Wtüconftn, obgleich