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WMeiMlDM WU Amtsblatt. Nr. 158. Sonntag, den 11. Juli 1909. 2. Beilage. Deutscher Reichstag. Berlin, 8. Juli. In der zur Erledigung der zweiten Lesund der Neichsfinanzreform anberaumten Abendsitz - u n g des Reichstags wurde gunächst die Einzel beratung des Art. 1 der Vorlage, betr. Aen - derungen im Finanzwesen, fortgesetzt und die Erörterung über die „Matrikularbeiträge" und die „Schuldentilgung" wieder ausgenommen. Abg. Stadthagen (Soz.): Dieser Artikel ist die Krönung der Umfalls. Umgefallen sind vor allem die Verbündeten Negierungen und zwar da durch, daß man "ihnen ein Trinkgeld angeboten. (Große Unruhe. — Als Redner in längeren Aus führungen diese Behauptung zu erhärten sucht, ent stehen eine andauernde, sich steigernde Unruhe und eine allgemeine Privatunterhaltung rechts und im Zentrum; Schlußrufe werden laut. Der Präsi dent bittet um Ruhe. Der Präsident läutet wie derholt und bemerkt: Der Umstand, daß wir Abend sitzung haben, berechtigt Sie nicht, solchen Lärm zu machen. Heiterkeit.) Die Arbeiter und der Mit telstand scheinen für die neue Mehrheit überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein. (Erneute, stürmische Schlußruse; Glocke des Präsidenten.) Eines Tages wird die Vergeltung kommen. (Hallo! im ganzen Hause.) Abg. Dr. N eumann - Hofer (Freis. Vgg.): Die Matrikularbeiträge, nach der Kopfzahl der Bevölkerung berechnet, treffen die schwächsten Glieder des Reiches, die kleinen Bundesstaaten, ganz ungerechtfertigt hoch. Durch eine Neichsver- mögenssteucr könnten die Bundesstaaten aus der Misere mit den Matrikularbeiirägen gebracht wer den. (Beifall links.) Abg. Speck (Zentr.) versucht zu reden, wird aber durch lärmende Rufe von den Sozialdemokra ten daran gehindert. Präsident Graf Stolberg bittet um Ruhe. Abg. Speck (Zentr.): Ich habe vorhin Ihren Redner auch nicht gestört. (Widerspruch und er neuter Lärm bei den Sozialdemokraten.) Politischer Anstand gebietet, auch den Gegner anzuhörcn. Der preußische Finanzminister . . . (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. Große Heiterkeit.) Präsident Graf Stolberg: Eine derartige Unterbrechung ist nicht angczeigt. (Heiterkeit.) Abg. S p e ck (Zentr.): Die Linke kritisiert alle Vorschläge der Kommission. Es kommt aber darauf an, Vorschläge zu machen, die eine Mehr heit finden. (Lebhafter Beifall im Zentrum und rechts.) Abg. Erzberger (Zentr.): Dr. Paasche vermißt die großen Gedanken in der Fiuanzreform; die sind fort, als der Liberalismus nicht mehr dabei war! (Heiterkeit und Sehr gut! rechts und im Zentrum.) Das ist die Selbsteinschätzung des Liberalismus. (Sehr gut! rechts.) Dieser wollte nur 300 Millionen bewilligen. Wir aber haben eben in siebenmonatiger Beratung uns überzeugt, daß 500 Millionen nötig sind; wollen Sie uns die bessere Einsicht zum Vorwurf machen? Inzwischen ist ein Antrag Erzberger eingegan gen, entsprechend dem Beschluß der Budgetkommis sion zur Besoldungsfrage die Quote der Einzel staaten bei der Erhebung der Erbschaftssteuer von ein Drittel auf ein Viertel herabzusetzen. Abg. Dr. Paasche (Ratl.) führt unter fortwährender Unruhe verschiedene Aussprüche von bedeutenden Führern dieser Partei an. Der Red ner schließt mit erhobener Stimme: Mit Ihrer Steuerreform mißhandeln Sie die Gerechtigkeit. (Große Unruhe rechts.) Sie belasten den großen Teil der Bevölkerung und entlasten einen kleinen Teil. (Große Unruhe. Stürmischer Beifall links.) Dieser Vorwurf wird Sie noch lange treffen. (An haltender Lärm.) Ich habe heute gesagt, die Ver bündeten Regierungen sind vernünftig, sie nehmen, was sie kriegen. Ich nehme das „Vernünftig" zu rück. (Große Heiterkeit. Beifall links.) Abg. Frhr. v. Richthofen (Kons.): Was wir machen, ist meinetwegen eine Reichsfinanzord- nung. (Stürmischer Beifall rechts und im Zen trum.) Dr. Paasche hat iu einer für mich nicht ganz verständlichen Weise eine Menge Zitate vor gelesen dahin, daß das Zentrum keine indirekten Steuern bewilligen wolle. Hat er damit etwa sagen wollen, die Nationalliberalen seien heute be reit, eine Menge indirekter Steuern zu bewilligen? (Sehr gut! rechts und im Zentrum. Gelächter links.) Mit der Herabsetzung der Erbschaftssteuer quote erweisen wir den Einzelstaaten kein Ent gegenkommen; wenn die Einzelstaaten sich damit einverstanden erklären, dann ist das die Bezeugung der Dankbarkeit angesichts der großen Bedeutung, die die Finanzreform für sie hat. (Lebhafter Bei fall rechts und im Zentrunz.) Bghrischer Bevollmächtigter v. Burkhard: Wenn der Zweck des Antrags ist, dieFinanzrcform zustande zu bringen und zu sichern, so werden auch die Bundesstaaten darauf Rücksicht nehmen und dem Antrag, wenn er in zweiter »und dritter Lesung angenommen ist, zustimmen. Denn die Bundesstaaten haben ja ein dringendes In teresse an der Finanzreform. (Hört, hört! rechts und im Zentrum.) Abg. Dr. Pachtticke (Freis. Vgg ): Es ist weder eine Finanzreform noch eine Finanzordnung. Lassen Sie auch mich einmal zitieren. Noch am 26. November 1908 hat hier der Abgeordnete Speck erklärt: „Wir werden mit Entrüstung diese Finanzreform ablehnen." (Stürmisches Hört, hört! links.) Nun frage ich Sie: Was hat sich seitdem sachlich geändert? (Stürmische Zustimmung links; Zurufe: Der Block ist kaput! Bülow geht!) Nichts als ein einziger Umstand, nämlich: der Reichs kanzler muß seinen Abschied nehmen! Nun ist für Sie alles anders. (Großes Gelächter im Zentrum; lebhafte Zustimmung links.) Abg. Erzberger (Zentr.): Herr Paasche, glauben Sie, daß der selige Windthorst heute ans feiten der Nationallibcralen stehen würde? (Ge lächter links.) Er würde in unserer Mitte sein und auch die Steuern annchmen. (Gelächter links.) Wir haben an den Traditionen unserer Partei festge halten. (Großes Gelächter links.) Vizepräsident Kaempf erklärt die Verhand lung für geschlossen. (Stürmischer Beifall im gan zen Hause.) Abg. Lehmann (b. k. P.) erhält das Wort zu einer persönlichen Bemerkung. (Er wird von der Linken mit stürmischem Hallo begrüßt, das minutenlang anhält.) Ich stelle noch fest, daß ich nicht zur antisemitischen, sondern zu gar keiner Fraktion gehöre. (Große Heiterkeit. Links Zuruf: Fraktion Lehmann! Erneute Heiterkeit.) Wenn man allerdings Stadthagens Nabulistik mitanhören muß, dann ist es für einen Deutschen schwer, nicht Antisemit zu sein. (Beifall rechts, Gelächter links.) Die Anträge der Mehrheit, betr. die Matr i- kularbeiträge und Schuldentil gung, werden angenommen unter Ableh nung der natioualliberalen Anträge. Auch der Antrag Speck über die Bindung der Einnahmen aus der Branntweinverbrauchsabgabe zugunsten der süddeutschen Staaten wird angenommen. Abg. Stadthagen (Soz.) begründet den sozialdemokratischen Antrag über die Einfuhrscheine. (Ein Teil der Abgeordneten verläßt fluchtartig den Sitzungssaal.) Der sozialdemokratische Antrag wird a b- gele h n t. Es folgt die Beratung der Fahrkarten- st e u e r. Die Aufhebung der Steuer wird mit 203 gegen 137 Stimmen bei 12 Enthaltungen a b g e l e h n t. Ein Antrag des Zentrums fordert die Hin ausschiebung des Zeitpunktes der Herabsetz ung der Zuckersteuer bis 1914. Abg. Fehlhauer (Natl.) spricht sich gegen den Zentrumsantrag aus. Abg. Normann (Kons.) verliest folgende Erklärung: Meine politischen Freunde sind bereit, diesem Antrag auf Forterhebung der Zuckersteuer in dem bisherigen Umfange bis zum 1. April 1914 zuzustimmen. (Hört! hört! links.) Wir knüpfen in des hieran die Voraussetzung, daß die übrigen in der zweiten Lesung bewilligten! Steuern nicht in der dritten Lesung noch eine grundsätzliche Acnderung oder Herabsetzung erfahren, weil tuir nur unter dieser Bedingung es verantworten können, dieses schwere Opfer landwulschaftlicherJnteresicn zu brin gen. (Beifall rechts.) Das Zentrum schließt sich dieser Erklärung an. Die A b st i m m u n g ergibt die Annahme des Zentrumsantrages mit 204 gegen 133 Stim men. Die Abgeordneten verlassen den Saal unter leb haften Rufen: „Guten morgen!" Schluß 12j< Uhr nachts. Berlin, 9. Juli. Präsident Graf Stolberg eröffnet die Sitzung um 11 Uhr 15 Min. vormittags mit der schon ge meldeten Mitteilung, daß Vraf Zeppelin beab sichtige, den Reichstag zu einem Besuch anfangs September nach Friedrichshafen einzuladen. Die näheren Angaben würden den Herren rechtzeitig zu- gchcn. Dann wird die dritte Lesung der Fi nanz r e s o r m fortgesetzt bei der B i e r st e u e r. Abg. Z n b e i l (Soz.) spricht unter allgemei ner Unaufmerksamkeit. Zubeil wartet schweigend, bis der Präsident ihm für einige Zeit etwas Ruhe schafft. Nach einiger Zeit unterbricht Präsident Graf Stolberg mit seiner Glocke wieoer die Unruhe: Wenn ich recht gehört habe, hat der Redner den Ausdruck „Schnapsblock" ge braucht. Der Ausdruck ist nicht parlamentarisch (Heiterkeit.) Abg. Zubeil spricht Wetter. Er verlangt die von den Sozialdemokraten auch zur dritten Lesung beantragte Unterstützung arbeitslos wer dender Arbeiter und Angestellten. Die Mehrheitsparteien: Dr. Zehnter (Zentr.), Frhr. v. Gamp (Rp.), Naab (Wirtsch. Vgg.), Dr. Rocsicke (Kons.), Speck (Zentr.) beantragen die Einführung einer Kontingentierung für neue Brauereien, die nach dem 1. August 1909 in Betrieb genommen werden und mit deren Botn nicht bereits vor dem 1. Januar 1909 be gonnen war, sowie für solche, die nach dem 1. August 1909 wieder in Betrieb genommen werden, nachdem sie mehr als zwei Jahre außer Betrieb waren, erhöhen sich die Steuersätze bis zum 31. März 1915 um 50 Prozent, für die nächsten drei Jahre um 25 Prozent. In namentlicher Abstimmung wird die Kon tingentierung mit 218 gegen 13 Stimmen der Lin ken bet 5 Enthaltungen angenommen. Ter Abg. Frhr. v. Heyl stimmt mit dem Grafen v. Oriola (Bd. d. Landw.) mit der Mehrheit. Höhere Kommunalbiersteuern als 65 Pfg. den Hektoliter dürfen nach einem weiteren Beschluß der Mehrheit schon vom Jahre 1915 an (statt 1919) nicht mehr erhoben werden. In der G e s a m t a b st i m m u n g wird die Biersteuer mit 204 gegen 160 Stimmen a n- genommen. Es folgt die dritte Lesung der Tabak- st e u e r. Abg. Giesber 1 s (Zentr.) begründet einen Antrag betr. Unterstützung der durch die Tabak steuer geschädigten Arbeiter. Ministerialdirektor Kühn: Die Verbündeten Regierungen sind bereit, dem Anträge in seiner jetzigen Fassung zuzustimmen. (Zuruf links: Be stellte Arbeit!) Abg. Dr. Stresemann (Natl.): Wir beantragen, die Limitierung auf 4 Millionen zu streichen. Wir wollen unter keinen Umständen, daß diejenigen, die auf Grund dieses Gesetzes arbeits los werden, ihrer politischen Rechte verloren gehen. Ministerialdirektor Kühn: Im Namen der verbündeten Regierungen kann ich erklären, daß Unterstützungen auf grunü dieser Bestimmung nicht als öffentliche Unterstützung im üblichen Sinne be trachtet werden sollen. Angenommen wird ein. Antrag Dr. Jäger -Speyer (Zentr.) mit einer Milderungs bestimmung für Tabakfälle zugunsten des süd deutschen Tabaks. In namentlicher Abstimmung wird der nationalliberale Abänderungsantrag zum Anträge Giesberts mit 226 gegen 139 Stimmen abgelehnt. Ein Abändcruttgsantrag der Sozialdemokraten wird mit 218 gegen 51 Stimmen abgelehnt. Ein Sozialdemokrat ruft: Pfui! Vizepräsident Dr. Paasche: Wegen dieses Nuses ist vorhin ein Ordnungsruf erteilt worden. Ich möchte Sie doch wirklich bitten, diese unpar- lamentarischcn Rufe zu unterlassen (lebhafter Bei fall). Ein anderer der sozialdemokratischen Anträge betr. die Arbeitslosen wird mit 211 gegen 155 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung abgelehnt. Tann wird der Antrag Giesberts gegen dieLinke an genommen. Das Tabaksteuergesetz tritt bezüglich der Aen- derungen des Zigarettensteuergesetzes von 1906 am 1. September, im übrigen am 15. August dieses Jahres in Kraft. In der G e s a m t a b st i m m n n g wird das Gesetz mit 197 gegen 165 Stimmen bei 6 Stimm enthaltungen angenommen. s Es folgt die dritte Lesung des B r a n n t- w e i n st e u e r g e s e tz-e s. Abg. Dr. Südekum (Soz.) spricht scharf gegen den 8 69a und meint: Herr Kreth ist von >er Spirituszentrale als Direktor engagiert worden. Das hat ihn nicht gehindert, an allen entscheiden den Abstimmungen über dieses Gesetz teilzunchmcn. (Lebh. Hört! hört! links). Finanzminister Frhr. v. Rhcinbaben weist diesen Angriff zurück. Daß der Vorredner den Namen eines ausgcschiedenen Beamten hier ge nannt hat und diesen Herrn hier angegriffen hat, wo er sich nicht verteidigen kann, darüber überlasse ich das Urteil dem hohen Hause. (Lebh. Bravo rechts und in der Mitte, lärmende Zwischenrufe bei den Sozialdem.) Abg. Kreth (Kons.) mit Aharufen von den Sozialdemokraten empfangen, wendet sich gegen die Ausführungen Dr. Südekums, wobei er wie derholt unparlamentarische Ausdrücke gebraucht, die der Präsident rügt. 8 1 wird von der Mehrheit angenommen. Die Abstimmung über den nationalltberalen Antrag Bassermann-Weber zu 8 2 (Verbrauchs- und Kon tingentsspannung) erfordert, da eine Mehrheit sich nicht im Saale befindet, einen Hammelsprung und ergibt die Ablehnung deS Antrages mit 217 gegen gegen 134 Stimmen. GS liegt eine AntragSdrucksache Nehbel (kons.) ,u einer Reihe von Paragraphen vor. Diese An- träge werden sämtlich angenommen. Die Abstimmung zu 8 15, betreffend die Abfindung der Bren nereien, ist namentlich. Der Antrag Bassermann- Weber, der die Brennereien mit einer Ergänzung bis zu 50 kl statt 30 KI einbeziehen will, wird mit 217 gegen 148 Stimmen bei drei Stimmen- enlhaltungen abgelehnt. In 8 107 erhöht der Antrag Nehbel die von Holzessig zu zahlende Nb- gäbe von 0 24 auf 0.30 Mk. für das Kilogramm. Frhr. o. Gamp (Rp.) bemerkt, daß in diesen Sätzen ein genügender Ausgleich liege für den Aus schluß deS Alkohols von der DenaturierungSprämie. In diesem Zusammenhangs werden die Anträge Nehbel angenommen, die Anträge Bassermann ab- gelehnt. Die Abstimmung über die Vergällung»- Pflicht (DenaturierungSzwang) in 8 69a ist nament lich. Dr. nationalliberale Antrag auf Streichung dkser Bestimmung wird mit 207 gegen 150 Stim ¬ men bei 5 Stimmenthaltungen abgelehnt. Ein An trag Nehbel wird angenommen. DuS bayerische Zentrum stimmt hier, wie bei der zweiten Lesung, mit der Linken. In 8 103a werden nach einem Anträge Nehbel die Zollsätze für Kognak, Aether usw. erhöht, aber der Bundesrat zugleich ermächtigt, sie auf die Sätze der zweiten Lesung hcrabzusctzen. Bet 8 104 ist in der zweiten Lesung die in der Kommission ein- gefügte Bestimmung beseitigt worden, daß als Korn branntwein nur solche Trinkbranntweine fetlgehalten werden sollten, die aus reinem Korn hergestellt sind. Abg. Nehbel beantragt die Wiederherstellung deS KommissionSbeschluffeS. Bei der Abstimmung bleibt das Bureau zweifelhaft. ES ist Hammelsprung er forderlich, der unter allgemeiner Heiterkeit ergibt, daß der Antrag Nehbel mit 230 gegen 70 Stimmen angenommen ist. Als Schlußparagraphen beantragen sowohl die Sozialdemokratin als die bürgerliche Linke, Wölzl, Dr. Muodan, Dr. Müller-Meiningen, die Verwen dung eines Teiles der Steuer auS diesem Gesetz zur TrunksuchtSbekämpfung. Die Sozialdemokraten be antragen 10 Prozent, die bürgerliche Linke 1 Prozent. Schatzsekretär Sydow: DaS ist Sache der privaten Tätigkeit. Dann kann doch wohl niemand behaupten, daß durch ein Gesetz, das eine Ver teuerung des Trinkbranntweins zur Folge haben wird, die Trunksucht gefördert wird. Ich bitte deS- halb, den Antrag abzulehnen. Abg. Frhr. o. Gamp (NeichSp.): Ich halte eS durchaus für Sache deS Reiches, die Trunksucht zu bekämpfen. Abg. Mugdan (Frs. Vp): Die Bekämpfung der Trunksucht ist eine der vornehmsten Aufgaben. Abg. Südekum (Soz.) : AuS den Einnahmen der Getreidezölle ist ein Teil für die Witwen und Waisen, auS dem Totalisatorgesetz für die Förderung aer Pferdezucht auSgeworfen. An dem einen Prozent können die verbündeten Regierung daS Gesetz nicht scheitern lassen. Nach weiterer kurzer Debattte wird der sozial demokratische Prozent-Antrag abgelehnt und in namentlicher Abstimmung auch der Antrag auf Nb- führung eines Prozentes mit 207 gegen 155 Stimmen. Dann wird mit 229 gegen 137 Stimmen, bei zwei Enthaltungen, das Gesetz im ganzen ange nommen. Nach einer kurzen Geschäftsordnungsdebatte vertagt sich das Haus um ^7 Uhr abends mit der Tagesordnung: Finanzgesetz, auf Sonnabend, vormittags 10 Uhr. König Wilhelm und Kismarck. Von O. v. G o t t b e r g. Ollivier verteidigt sich in seinen von der Re vue des deux Mondes veröffentlichten und auch vor kurzem von uns wiedergegcbcnen Memoiren gegen den Vorwurf, einer der Anstifter des üeutsch- -ranzöstschcn Krieges gewesen zu sein. Sein Necht- ertigungsvcrsuch scheint gelungen. Indessen interes- iert es den Deutschen unserer Tage kaum, ob er, ob Gramont oder Eugenie die Seele der franzö- ischen Kriegspartei war. Anerkennen müssen wir edoch, daß der Franzose bestrebt ist, eine unpar teiische Geschichte des den großen Krieg einleiten den diplomatischen Konflikts zu schreiben. Auch das ist ihm derart geglückt, daß wir fast vermuten dürfen, so wie er die Vorgänge in Ems schildert, wird die fremde, wenn auch nicht die deutsche, Ge schichtsschreibung sie etwa dauernd festhalten. Mit Haß und Leidenschaft urteilt der eminente Histo riker und Erzähler nur, wenn er von Bismarck spricht. Den König will er neben dem Premier minister als quantitee negligcable erscheinen lassen. Aehnliches hat ja oft unsere eigene Geschichtsschreib ung versucht, und auf deutschem Boden war das psychologisch erklärlich. Bismarck war nicht nur so groß, daß neben ihm andere Gestalten auf das Maß von Fwergen zusammenschriimpften, sondern er stand auch, als nach dem Kriege Frau Historia zur Feder griff, im Getümmel erbitterter Parteitümpse. Mit Recht für ihn und seine Ziele begeisterte Zeitgenossen ließen sich, im Wunsche, ihm Anhänger zu werben, dazu verleiten, ein an sich übermenschliches Genie zu überschätzen und seinem Einwirken jeden Schritt auf der Bahn zu nationalen Erfolgen zuzuschreibcn. Um die Dankespfltcht aller Deutschen gegen den Schmied unserer Einheit abzutragcn und hcrausge- fordert durch den Parteihaß, der ihn im eigenen Land und Lager umgab, häuften sie zu seinen Füßen aber auch Verdienste, die anderen gutzu- schreibcn waren. Vor einer fremden, nicht von jenen Parteiinteressen beeinflußten Geschichtsschreib ung wird darum ihre Auffassung nicht immer be stehen, und so tritt aus der Schilderung Olliviers, der keineswegs Bismarck zugunsten des Königs seiner Größe entkleiden, sondern im Gegenteil den Bundeskanzler als eine Dämoncngestalt, als über mächtigen „Satan" schildern will, doch größer als aus deutschen Geschichtswerkcn die hehre Gestalt des Königs heraus. Freilich sehen wir mit mehr Liebe Mid Wohl auch geirauer, deutlicher als Ollivier den König