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„Blücher? der Marschall zog doch erst vor zwei Tagen nach Frankfurt und jetzt hier?" »Wahrhaftig, der Blücher kommt." Und jetzt schrie der Bote: „Da, da ist er schon. Der mit dem Weißen Schnauz bart." Blücher, der tolle Husar, hatte einmal „Fuchs und Diplomatiker" gespielt. Zum Scheine hatte er sein Haupt quartier von Höchst nach Frankfurt gelegt. Ja, er hatte sogar ihm unliebe frühere französische Beamte an die welsche Besatzung von Mainz abliefern lassen, welche dort erzählten, wie bequem die schlesische Armee sich im Nassauer Lande eingenistet habe. Eilkuriere überbrachten diese Bot schaft an Napoleon, der sich auch täuschen ließ und vor Frühjahr keinen Einmar'^ in Frankreich fürchtete. Den ehrenwerten Bit.gern von Caub froren die Nasen ' nicht mehr; die tief in Hosentaschen vergrabenen Hände streckten sich dem freundlich nickenden Marschall entgegen, manch Auge glänzte in Tränen. Blücher war da. Nun geschah etwas. Und die Cauber kamen aus dem Verwundern nicht mehr heraus. Für 6 Uhr abends waren alle Schiffer in die reformierte Kirche befohlen, wo ihnen der Stadt kommandant Oberstleutnant Klüx eine kurze Rede hielt. „Heute nacht beginnt die schlesische Armee ihren Ueber- gang über den Rhein. Ihr sollt nun die Truppen, welche den Brückenbau decken müssen, in Kähnen überfahren und so dem Vaterlands dienen. Ob ihr wollt oder nicht, ihr müßt!" Danach verließ Oberstleutnant Klür die Kirche, sperrte sie von außen ab und gab den Schlüssel dem Posten, einem brandenburgischen Füsilier. Schwer schritt der Kommandant von dannen. Die flackernde Laterne aber warf zitternde Reflexe in ein blasses Gesicht. Krampfhaft umschlossen schlanke, arbeit- entwohnte Finger den Kuhfuß. Und aus der keuchenden Brust des seltsamen Füsiliers rang es sich: „Herrgott, ich will's ja wieder gut machen und auch sühnen. Gib mir nur Kraft!" Es war fast Mitternacht. Da rasselte der Schlüssel wieder, sektionsweise wurden die Schiffer an den Rhein ge führt, wo Nachen und Kähne bereit lagen. Die Füsiliere unter Major Graf Brandenburg stiegen ein, die Kähne stießen ab, lautlos senkten sich die Ruder ins Wasser. Dann sahen die am Ufer Stehenden nichts mehr. Tiefdunkle Nacht bedeckte daS Rheintal, die Sterne glitzerten hell, und gleich mäßig rauschte der Strom. Es war ein Wagnis, das die Brüder da draußen auf schwachen Kähnen unternahmen. Aber es mußte sein, noch in dieser Nacht sollte der Rhein ja wieder werden, was er gewesen, ein freier deutscher Strom. In und bei Caub wurde es immer lebendiger. Fast alle Wirtshäuser hatten auf Befehl Dorcks Tanzmusik ab- -uhalten. Und über die Straßen zogen Musikbanden. Das diddelte und jauchzte, das trompete und schnurrte, daß es schien, als feiere man Neujahrsabend in Lust und Freud. Am Rhein aber fuhr ein Geschütz neben das andere, alle richteten ihren ehernen Mund gegen das andere Ufer. Materialwagen ächzten heran, sonderbare Gestelle wurden abgeladen von russischen Pionieren mit teergetränkter Lein wand überzogen und als Potons ins Wasser geschoben. Ein Brückenjoch nach dem anderen entstand. Um Ufer aber hielt Blücher in eisiger Winternacht mit vielen höheren Offi zieren. Neue Abteilungen standen zur Ucberfahrt bereit. Und alle lauschten in Ungeduld, ob sich von drüben noch nichts vernehmen lasse. Unterdessen kämpfte die Kraft der Nheinschiffer mit dem reißenden Strom. Weit allen voran fuhr ein Nachen, darin vorne der Füsilier, jener blasse, der an der Kirche Posten stand. Das glühende Auge bohrte sich in die Finster nis. Vom schwarzen Nachthimmel hob sich ein noch schwär- zerer Streifen. „Sind wir da?" keuchte der Füsilier. „Es ist erst dis Pfalzinsel," flüsterte außer Atem der Schiffer, „noch fünf Minuten." Ter Füsilier greift mit ans Ruder. Weiter geht die Fahrt. Da! ein hoher, neuer schwarzer Streifen. Das Ufer winkt. Drüben leuchtet das Licht des Zollhauses unweit Bacharach. Schneller schlugen die Herzen; wohl faßte man Degen und Muskete fester, aber Furcht beschlich keinen. Mochten im Hinterhalte Kanonen dräuen, mochten Flintenläufe lauern, es waren Preußen, die kamen. Die Kähne knirschten auf. Klatsch! sprangen auch die ersten Füsiliere schon ins Wasser. Am hohen Ufer stand der eine von der Kirche, starrte das Licht an, das aus einen, nahen Wachthause schimmerte und schrie trotz allen Ver botes: „Hurra!" Das flog jauchzend in die stille Nacht. Und vielstimmig antwortete es. Es platschte im Wasser, es keuchte ans Ufer, es stürmte mit Hurra auf das Wachthaus. Dessen Tür flog auf, im fahlen Lichtkegel erschienen bestürzt Franzmänner, feuerten blindlings ihre Flinten ab und gaben schleunigst Fersengeld. „Hurra!" Noch fünfzig Schritte, dann hat er den Korporal, der allein im Wachthaus ist. Eben macht der Füsilier einen mächtigen Satz, da knallt es. Ein einziger Schrei hallt durch die Nacht, der Füsilier wirft die Arme hoch und bricht zusammen. Die Schüsse hatten die französische Besatzung Bacharachs alarmiert, welche sofort unter Gewehr trat. Zu schwach etwas gegen die anstürmenden Brandenburger zu unter nehmen, zogen sich die Franzosen schnell zurück. In der Stadt sprangen die Bürger erschreckt aus den Betten, erschienen dürftig gekleidet auf den Straßen in der Meinung, Kosaken seien auf ihren Rossen durch den Rhein geschwommen. Eiligst wurde alles Wertvolle zusammen- gerafft, um es in Sicherheit zu bringen. Einige mutige Männer wagten sich nun vor die Tore und kamen mit der Nachricht zurück, die Preußen seien über den Rhein gesetzt. Schon hörte man in der Ferne die dumpfen Töne der Flügelhörner der ostpreußischen Jäger und brandcnbur- gischen Füsiliere. Bald unterschied man deutsche Kom mandos. Mit Jubel wurden die anrückenden Krieger emp fangen, aus allen Haustüren reichten eilige Hände aller hand Stärkungsmittel. Im Wachthause lag stille der blasse Füsilier. Nur dann und wann stöhnte er leise, und das Auge glitt suchend umher, um an der Tür haften zu bleiben. Die öffnete sich, Graf Brandenburg trat ein, ging zu dem Schwerverwun deten, berührte dessen Hand und fragte leise: „Was wünschest du, mein Sohn?" Mit letzter Kraft richtete sich der Füsilier auf. „Graf.., Hab ich . . . gesühnt, so . . . sagt es . . . meinem Vater..." Zuerst starrte der Major den Sterbenden an. Tann sagte er nur: „Markwardt ... du als Füsilier?" „Der nicht ... so feige war . . . wie der Leutnant.. damals ... bei Tennewitz . . ." „Du hast gesühnt. . ." Und Major Graf Brandenburg hielt die Hand des ehe maligen Leutnants, der die Feigheit einer einzigen schwachen Stunde mit dem Tode gesühnt hatte, in der seinen, bis sie kalt war. . . Der U ebergang dauerte die ganze Nackt an. Rastlos fuhren die Kähne hinüber und herüber; unverdrossen arbei- teten die russischen Brückenschläger und ahnten nicht, daß sic bis an die Brust im Wasser standen. In Caub und Bacharach wurde Wein in mächtigen Kupferkesseln über Feuer gesetzt, um die halberfrorenen Soldaten mit Glüh wein zu beleben. Allenthalben flackerten riesige Feuer auf. Wo bisher Stille herrschte, war jetzt Leben. Kähne mit Fackeln fuhren hin und her. Musik, Lachen und Hurra rufe ertönten hüben und drüben. Und kein Einwohner blieb in jener denkwürdigen Nackt im Bette. Als der Neujahrsmorgen vollends kam, die Sonne die Zinnen und Fenster der alten Pfalz im Rhein vergoldete, war die Vor-