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Nach den! Schluffe sanken sie sich in die Arme. Am nächsten Morgen mußte er bereits ins Bureau. Die schillernden Festtage waren vorüber; der Alltag zeigte sein Gesicht. Bis er aus dem Hause kam, zitterten seine Nerven. Spät war er aufgestanden, und dann hatte er nicht zu- sammengefunden, was er brauchte. Er war gewohnt, daß ihm die Mutter Schlüssel, Börse, Taschentuch und anderes zurechtlegte. Hier waren ihm Möbel und Wohnung fremd, er wußte seine Sachen kaum zu suchen. Emilie trippelte im rosazarten Negligee ängstlich neben ihm, warf hin, was er her warf, und störte ihn mehr, als sie ihm half. Gereizt schob ec sie weg. Sie brach in Tränen aus. Darüber wurde er rauh. Er vergaß ganz, daß sie bis jetzt eine völlig andere Art von ihm gewöhnt war. Ober flächlich versöhnt, verließ er sein Heim erst, als die volle Stunde schlug. So setzte die junge Ehe ein, und ähnlich schritt sie weiter. Er war weder eine zärtliche noch eine ideale Natur, dazu verwöhnt von Haus aus. Die Verlobung?, und Flit terwochen hatten sein eigentliches Wesen verklärt, ihn etwas poetisch und überschwänglich gemacht wie alle Verliebten. In Wirklichkeit war er genußfroh, ein wenig derb, egoistisch. Ein Durchschnittsmann. Sie ein Kind von neunzehn Jah ren, ein Kind, das nach mißglückten Trotzversuchen ver schüchtert in sich zurückkroch, unsicher wurde und dadurch alle Vorteile aus der Hand ließ. „Heiße mich nicht mehr Blondei! Es klingt so läpvisch. Man denkt ja, ich wäre ein Bubelchen oder ein Rennpferd!" tagte er nach drei Monaten, als er sich von einem verun glückten Mittagstisch erhob und sie ihn, um Vergebung bittend, umarmte. «Du hast es so gern gehört in der seligen Zeit —" „Sage, in der dummen Zeit!" Sie nahm die kaum berührte Schüssel und ging leise hinaus. Don da ab rief sie ihn Hans wie seine Mutter, sagte ober kein Wort, als sie bald darauf an der offenen Tür eines herrschaftlichen Stalles vorbeigingen und zu gleicher Zeit ihre Blicke auf die Tafel über der marmornen Pferde krippe fielen. Da stand in goldenen Lettern der Name „Hans". Emilie sah fort; er stäubte umständlich seine Zigarre am Eiscngitter ab. Er nannte sie auch nie mehr „Amselchen". Sie zwit scherte auch nicht mehr. Selten saß sie am Klavier und sang ein Lied, dessen Charakter an das des venezianischen Gondoliers mahnte, der sie und ihr junges, jubelndes Glück einst spazieren fuhr. Bald erhielt sie von ihm einen anderen Namen — das Gänschen. Die mißgünstigen Bekannten titulierten sie so Natürlich hinter dem Rücken. JnS Gesicht sagte es ihr nur der eigene Gatte. Wenn er zornig war, ließ er selbst die Verkleinerungsform beiseite. Es kam sogar vor, daß er ihren Liebreiz, der deutlich ins Auge sprang, eine „Gänse blümchenschönheit" schalt und nicht merkte, daß Herzsns- unschuld war. was er für Einfalt hielt. Sie ertrug dieses und vieles andere mit Schweigen, mit einer gewissen verborgenen Wiirde. Nach einem Jahre gab sie einem Kinde das Leben. In: Rausche der Vaterschaft wurde er wieder weich und zärtlich. ES schien aber, als ob die junge Mutter zu schwach sei, um Sinn dafür zu haben. Mit großen stillen Augen hielt sie ihn von sich und wies ihn zur Wiege. Als das Kind nach vier Wochen starb, war nach des Gatten Meinung nur das Gänschen schuld daran. Das Biiblein war nicht recht gepflegt, nicht recht genährt, in allem falsch behandelt worden und mußte nur um der mütterlichen Dummheit willen das zarte Leben lassen. Von dieser Zeit ab erhielt Emiliens rundes, frisches Ansicht, das ja wirklich an ein holdes Maßliebchen mit rosi gem Strahlenantlitz gemahnt hatte, einen eigentümlichen, hoheitsvollen Ausdruck, der erst befremdete, dann aber mehr und mehr die Züge durchdrang und sie formte und von zu- nehmender Blässe die Vollendung erfuhr. Eine Aenderung, die dem Wochenbett zuzuschreiben war. Ein zweiter Knabe wurde ihnen geboren. Der gedieh — zum Glück Emiliens. Er wuchs heran, gesund und kräftig, derb und lustig, und bildete das Entzücken des Vaters. Wenn er aus dem Bureau kam, rannte er zu dem Kinde und trennte sich erst, wenn er gehen mußte. Es war sein Abgott und mochte vielleicht einmal sein Tyrann werden. Das Gänschen hastete nebenher wie ein Schatten, den man eben mitlaufen ließ, weil er einmal da war. Tann trat das Unheil ein. Hans erkrankte schwer. Man rechnete mit seinem Tode. Das Kind mußte ans dem Hause, weil die unheimliche Majestät darin umherschlich, die Grauen und Furcht verbreitet, wohin sie verlangend die dürren Arme streckt. Mit unbeweglicher Miene stellte sich Emilie an das Krankenbett als Pflegerin, wie es ihre Pflicht war. Sie hatte ganz ruhige Hände und ein ruhiges, weil verhärte tes Herz. In einer Fiebernacht schrie der Kranke im Tone der Liebe nach ihr. Er schaukelte mit ihr auf Venedigs Kanälen und war bewegt von Seligkeit. An sein „Amselchen" rich tete ec die zärtlichsten Worte. Da fingen ihre Hände zu beben an. Von der Dornen hecke, die als Schutz um ihr Herz gewachsen war, fiel Aest- lein um Aestlein. Sie weinte und betete um den Mann, der sie darben ließ an Wärme und nur freigebig war mit Kränkungen. Der Himmel ließ ihn leben. Mit jedem Schritt zur Besserung schichtete die junge Frau ein Dornenreis um das andere wieder übers Herz und war alsbald so still und verschlossen wie vorher. Nur bleicher, schmächtiger und in den Augen flackerte noch ein Nachglanz der aufgeloderten und dann erloschenen Flamme. Als die Herbstsonne fröhlich durch dos offene Fenster svielte, saß er als Genesender im Lehnstuhl. Er harte so viele Zeit, jetzt zu träumen und nachzudenken über dies und das, wie über sich selbst. Ein Sonnenflecken tanzte auf seinen Händen, hüpfte über den Teppich, schwang sich auf das dunkle Haar der Ge- statt, die unweit von ihm saß und nähte. Seine Augen gingen mit dem Hellen Schein und hatten plötzlich das Bild einer ernsten blassen Frau vor sich. „Emilie!" Erstaunt betrachtete er sie. Wie sehr hatten die wenigen Jahre der Ehe sie verändert! Ganz anders war sie geworden, seit er sie zum Altar geführt. Etwas Strahlendes, llcberfrohes floß damals von ihr aus, und jetzt war sie so gemessen, so still und in sich versunken, und die runden, rosigen Wangen suchte er vergebens. Hatten seine Krankheit, die Sorge, die anstrengende Pflicht diese Umwandlung bewirkt? „Du solltest mehr an die Luft gehen, Emilie! Dich ruhen, dich zerstreuen, mit einem Wort, mehr auf dich acküsn! Du siehst nicht gut aus. Willst du keinen Spaziergang machen?" sprach er sie an. „Später, wenn der Kleine wieder da ist und dir Gesell schaft leisten kann. Jetzt darfst du nicht allein sein. Soll ich dir vorlesen? Machen wir eine Partie Domino?" „Nein," antwortete er langsam und nahm den Blick nicht von ihr. Und nacki einer Pause fragte er: „Hast du keinen Wunsch. Liebe? Du hast so viel Plage mit mir ge habt. Ich möchte dir ein wenig dankbar sein." Seine Stimme klang so weich, daß sie überrascht aufsah. „Einen Wunsch! — O ja!" Sie richtete den Blick aus dem Fenster und sagte errötend und ganz leise: „Neune mich nicht mehr Gänschen — des Knaben wegen. Er wächst heran und würde bald gering von mir denken."