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8ur8uur eoräa! Skizze von Aenne Seroe Nachdruck verboten Das Licht in der Nische ist verhangen. Dämmerlicht hüllt das Zimmer ein. Weiße Marmorstatuen und Büsten auf hohen, schwarzen Säulen füllen in künstlerischer Unord nung das Gemach. Draußen sinkt der Abend . . . Auf dem Ruhebett in der Mitte des Zimmers liegt der funge Künstler. Graf Georg Lorey, der bisher freilich nur fast zum Zeitvertreib den Meißel geführt hat. Wirr hängt ihm das Haar um die hohe, weiße Stirn, hinter der die Ge danken sich jagen . . . . . . Warum mußte Vater so früh, so plötzlich sterben und all die Sorgen ihm auf die müden Schultern laden? Da stand die Not auf der Schwelle, kaum einen Monat seit Vaters Tod. Ja, die Not, dis er nie gekannt hatte, der er nicht zu begegnen wußte . . . ... Da war der Alfonso, der oben im Turmzimmer hinter den Büchern saß und in ein paar Monaten zur Uni versität sollte... Da war die Leno, die seit dem Tode ihres Gatten mit ihrem Töchterchen im Schlosse weilte . . . Da war die Mutter... die Mutter, welche an Zofe und Diener gewöhnt war. Sie ahnten alle, alle nicht, wie es um sie stand. Wie es ihnen sagen . . .? Leisg. . . ganz leise kam Musik herauf in das stille Gemach, leise, verwehende Klänge ... Da stand der Graf auf und ging mit müden, schleppenden Schritten durchs Zimmer. Von einer Seitennische zog er die Portiere. Eine kniende, weiße Marmorgestalt hob sich aus dem Halbdunkel . . . mit aufgesireckten Armen, die Hände inernanderge- schlungen . . ., das schmerzdurchwühlte Antlitz halb empor- gerichtet. Mit weicher Hand strich der Künstler über den kalten Marmor. Er dachte an den Jugendfreund im fernen, stillen Kloster, den nur noch ein paar Tage trennten von der hei- ligen Weihe. Für ihn hatte er das Kunstwerk gearbeitet in stillen Stunden. Es sollte ein letztes liebes Geschenk sei» für ihn, um den sich seine heiligsten Jugenderinnerungen rankten . . . Wenn er die Statue verkaufte, plötzlich, so war ihm und den Seinigen geholfen . . .? So plötzlich, so stark kam ihm der Gedanke, daß er tief erschrak. „Herr!" stöhnte er, „laß mich nicht zum Judas werden an dir, der dich verkauft um elend Geld . . ." Ein leises Klopfen an der Tür. Der Diener reichte eine Karte herein. „Der Herr wartet in der Bibliothek." Ein paarmal fuhr Georg mit der Hand über die Stirn, dann gab er dem Diener den Auftrag, den Herrn 'ns Atelier zu führen. Er selbst schritt mit raschen Schritten ins Nebenzimmer und ließ die Portiere herab. Als er eine Minute später das Atelier wieder betrat, stand der Besucher vor einer halbfertigen Arbeit. Er hatte die nassen Tücher gehoben und betrachtete das Werk. Beiin Eintritt des Künstlers wandte er sich lebhaft um. Er ent- schuldigte sein spätes Kommen; er sei gleich von der Ausstellung hierhergefahren... Er wünsche ein paar größere Arbeiten für seinen Park, für die Halle in seinem Schlosse. . . Graf Georg zog einen Sessel heran und lehnte dem Besucher gegenüber am Fenster. „Was raten Sie mir für den Park?" „Die Jahreszeiten vielleicht, oder Szenen aus den Mär chen: Dornröschen, Rotkäppchen . . .; für die Halle vielleicht cin größeres Gruppenbild . . ." „Sahen Sie die Kollektion Vahl in der Knnsthalle?" „Ich sah sie. «Etwas derartiges wünsche ich!" Des Künstlers Gestalt straffte sich. „Nein, Graf Rondv. so etwas schaffe ich nicht'" „llnd warum nicht?" „Weil mein Gewissen es mir verbietet!" Klar und fest kamen die Worte. Ueber des andern Gesicht ging sin Staunen und dann cin Lächeln voll Ironie. „Darf ich wissen, was Ihnen miß fällt an Vahls Kunst?" „Von seiner Kunst spreche ich nicht, Graf Rondy. Vahl ist ern gottbegnadeter Künstler. Seine Schöpfungen meine ich, die Sie sahen . . - in der Halle . . . „» » . und ... „Die empören müssen ... in tiefster Seele . . . Dahl mißbraucht sein Talent . . . schändet die Kunst . . . Rondy hatte sich erhoben. „Sie übernehmen die Ar beiten?" Fester lehnte der Künstler gegen die Wand. Er dachte an den Bruder oben im stillen Zimmer, der seine Hoffnung auf ihn setzte, dem ec helfen mußte . . . dachte an die Mutter: mit dem Austrage des unermeßlich reichen Grafen Rondy wäre ihnen allen geholfen gewesen . . . . . . Aber so etwas schaffen wie Vahl? Die Kunst, die ihm stets so heilig gewesen, so schänden . . . seine Seele ver kaufen? . . . „Wenn Sie solche Arbeit verlangen, nein!" „Dann bedauere ich!" Rondy verbeugte sich kühl. Graf Georg ging zur Tür und schellte den« Diener . . . Als unten das Tor ins Schieß fiel, wankte er durchs Zimmer. Vor dem Bilde des Hei landes sank er rn die Knie. „ . . . Herr, hilf uns, sonst gehen wir zugrunde . . . nimm den Kelch von mir . . ." Die Stirn sank herab auf den kalten Stein . . . Draußen auf dem Flur schlug die Glocke. Der Gras fuhr auf. Hatte er geträumt . . .? war er eingeschlafen...? Ter Kopf schmerzte ihn, seine Stirn war eiskalt. Mühsam erhob er sich und trat ans Fenster. Tief verschneit war der Park. Mit tausend Lichtern lag die Stadt in der Ferne. Er hielt es nicht mehr aus im Zimmer, in der schrecklichen Stille. All dis wilde Aufregung der letzten Stunden wühlte wieder empor und drohte ihn zu ersticken. Er ging ins Nebenzimmer, warf den Mantel über und stürmte hinaus. Das Treppenhaus war hell erleuchtet; nur die Halls lag dunkel. Da . . . sein Fuß stockte . . . vor dem Mutter- gottesbildc in dem dunklen Raume kniete die kleine Tirzw lieber dem feinen Kindergesicht lag warm der rote Schein des Lichtes. Die Hände lagen gefaltet auf dem dunklen Samt des Betstuhles. Das weiße Nachtkleid hüllte die kleine Gestalt ein. Ganz still stand der Künstler. Wie schön das Kind war! Er dachte an die Kindergestalt, die Vahl in der Kunsthalle ausgestellt, und die ihn in tiefster Seele empört hatte. . . . Ganz . . . ganz leise kam ihm da der Gedanke, ein Bild zu schaffen, wie er es lebendig hier sah; ein Kind im llnschuldskleidc, mit reinen, heiligen .Kinderaugen. Er ging hinunter. Ter dicke Teppich verschlang seine Schritte. „Tirza!" S'e wandte sich um. Da beugte er sich über das Kind, hob es auf und trug es ins Atelier; stellte es auf das Ruhe bett. Und als es ihn verwirrt, erschreckt ansah, küßte er es. „Unten in der Halle ist es zu kalt, hier muß Tirza den Abendseaen beten." Dann ging er zur Portiere und zog sie zurück. Des Kindes Blick fiel arrf das weiße HeilandSbild in der Nische. Ein heiliges Starinen ging über sein Gesicht. Unbewußt faltete es die Hönde ... Da ging Graf Georg leise zurück und nahm den Zeichenstift . . . Wenige Wochen später stand er vor der fast vollendeten Arbeit. Er hatte sich keine Ruhe gegönnt, hatte Tag und Nacht gearbeitet, und eine stille, heilige Nacht war über ihn gekommen wie in den Stunden, da er das Bild des Hei landes für den fernen Freund schuf . . . In der großen Ausstellung des Künstlervereins erregte Graf Loreys „betendes Kind" berechtigtes Aufsehen. Es war das erste Mal, daß der Künstler ansstellte. Warum batte man nicht schon mehr von ihm gesehen? Daß er kein Novize mehr war, bewies sein Werk. Die Kritik fand Worie