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nach Hause komme, setze ich Kaffeewasser auf. Bis das kocht, habe ich die Kinder gewaschen und gekämmt. Nachher besorge ich meinen Mann, koche das Essen an, und während es in der Kochkiste weiterbrutschelt, mache ich in zwei Häu sern Stundenarbeit. Das inacht wieder zwanzig Mark im Monat, und nachmittags nehme ich noch Flickarbeit ins Haus." „Wie Sie das nur aushalten können," wirft die ältere Frau bewundernd ein. „Sie müssen eine eiserne Gesund heit haben." „Ach Gott! Wenn das nur wahr wäre. Wenn ich meine Kopfschmerzen habe, daß ich nicht aus den Augen sehen kann, dann ist mir so elend, daß ich nicht essen und trinken kann. Mir wird schon übel, wenn ich nur das Mittagsbrot für die anderen rieche. Das einzige, was mir Wohltut, ist dann Dunkelheit und Ruhe; aber die kann ich mir ebensowenig gönnen, wie ich hier dem Würmchen die verordneten teuren Stärkungsmittel kaufen kann. Klaus Görres schüttelt sich innerlich. Das ist ja genau die Migräne, an der er vor Jahren gelitten, wegen der er abwechselnd an der See oder im Gebirge gelebt hatte! Und die Frau muß dabei arbeiten, hart arbeiten! Und das arm selige Kind mit den alten Zügen! Aber da läßt sich wenigstens mit Geld helfen. Er wird sich von Wollenhaupt die Adresse geben lassen und einen reichen Betrag hinsenden. Angeregt hört er auf die weitere Unterhaltung. Erst achtundzwanzig Jahre zählt die Frau mit dem verarbeiteten, verhärmten Aussehen! Fünf Kinder hat sie bei dem ge ringen Verdienst zu ernähren, und das hier ist das jüngste. Er sieht, wie sie voll Mutterstolz den Rücken des bleichen Kindes zeigt. Die Türe des Sprechzimmers öffnet sich; ein hinkender, stark nach Jodoform riechender junger Mensch wird heraus gelassen. Der Arzt verneigt sich stumm gegen den Beigeord neten. — Bevorzugung gibt cs heute nicht, das weiß dieser ganz genau. Der ältere Mann bleibt nicht lange im Sprechzimmer. Mit einem bitteren Gesichtsausdruck verabschiedet er sich von der Arbeiterfrau. „Es ist, wie ich dachte. Sie wollen mich nicht mehr aufnehmen, weil mein Leiden schon zu weit vor geschritten ist. Tie Kassenvcrwaltung wendet das Geld lieber an Fälle, wo noch Heilung möglich ist. Ter Doktor will es zwar nicht zugebcn und sucht mich zu trösten. Aber ich kene das! Kann's ihnen nicht mal iibel nehmen . . . solch ein verlorener Posten wie ich!" Lautes Travpeln von schwerfälligen Schritten vor der Türe, die sich schwer öffnet. Zwei Eiscnbahnbcamte bringen, mehr getragen, als geführt, einen dritten, der leichenblaß und blutüberströmt seinen mächtigen Körper wie in einer Ohnmacht wider die Wand lehnt. „Kein Wunder, daß dem armen Kerl schwach wird. Arm und Hand sind beim Rangieren zwischen die Puffer ge kommen. Dem würde jetzt ein kräftiger Schnaps gut iun . . . Tut's sehr weh. Weber?" Der nickt mit dem Kopfe und bringt mühsam heraus: „Aushalten kann ich den Schmerz schon: aber wenn der Ar»: abgenommen wird und ich ein Krüppel bin . . . Gott, sieben Kinder Hab' ich daheim!" Klaus Görres greift in die Tasche und drückt dem nächststehendcn Beamten alles Gold und Silber in die Hand, was sich darin vorfindet. Dann stürmte er hinaus — ins Freie irgend wohin — in ungewohnt hastigem Schritt. Nun hat er ganz vergessen, was ihm fehlt, was er dem Arzt klagen wollte. Nun vergißt er auch, wie sonst bei jeder Erregung, den Puls zu befragen . . . Spruch. Vas sei am Margen dein Gebet und Flehen: Herr, laß mir's gut beut, dach nicht zu gut gehen! I. Bergmann. Die Kakteen. Eine Geschichte von W. Korolki. AuS dem Russischen von K. Treller. Nachdruck verboten. Memnon Tichoprit diente schon lange in einer Abtei lung des Ministeriums der Volksaufklärung. Er hatte ei«! genügendes Einkommen und lebte still und bescheiden. Er war vollkommen zufrieden mit seinem Schicksale und mit seinen Wirtsleuten, obgleich ihm von dieser Sorte die „gelbe Gefahr" in der Person der gelbblonden dreißigjähri gen Tochter Lolla drohte. Lolla verwöhnte Memnon Tichoprit in ungewöhnlicher; Weise. Sie flickte und stopfte seine Wäsche, und bei Tisch legte sie ihm, zum großen Aerger ihres VaterS, die beste« Bissen auf den Teller. Memnon schätzte dieses sehr und belohnte Lolla mit Lei nen Geschenken, aber er kain ihr nicht einen Schritt ent gegen, da er die Worte von Lollas Vater, „seine Tochter! habe außer ihren natürlichen Gaben keine Mitgift zu er warten", treu im Gedächtnis behielt. Doch nur natürliche Gaben konnten Memnon nicht be friedigen, besonders bei Mangel wirklicher Liebe. AIS Lollq daher immer deutlicher ihre Absichten auf seine Person! äußerte, unterbrach sie Tichoprit jedesmal und sprach von reinem Berufe. „Warum heiraten Sie nicht?" fragte ihn Lolla eines Tages plötzlich. „Weil ich nicht genügende Mittel habe, um eine Familie zu erhalten." „Und wenn Sie nun eine Frau nehmen würden, die auch mitverdient?" „Und womit könnte zum Beispiel eine Frau Geld ver dienen?" „Nun, zum Beispiel mit Kakteenzucht. Sehen Sie nur, wie meine Kakteen gedeihen," und sie zeigte auf eine Menge Blumentöpfe, die auf Regalen ein ganzes Fenster einnah- men. „Sie wissen wohl nicht daß ich mit dem Erlös meiner Kakteen meine Toiletten bezahle, mein Theaterabonne ment usw.?" Memnon fing sofort vom Theater an zu sprechen, aber Lolla unterbrach ihn: „Meine Kakteen sind mein alles — in ihnen sehe ich meinen zukünftigen Reichtum. Und wenn ich erst einen Mann gefunden, der Hand in Hand mit mir . . ." Memnon bekam plötzlich heftiges Zahnweh, sprang auf und lief in sein Zimmer. Das war so deutlich, daß Lolla wohl fortfuhr, Mem- nons Wäsche zu flicken, aber bei seinem Anblick blieb sie stumm, und nur ein tiefer Seufzer sagte ihm, was sie litt. Den 20. Mai feierte Tichoprit seinen Namenstag. Früher verbrachte er diesen Tag im Dienst, aber in diesem Jahre plagte ihn der Teufel (wie er sich später ausdrückte), den Tag zu feiern. Lollas Eltern boten ihm sofort ihr Eß zimmer zur Feier an, und Lolla wollte das Eisen machen. Er hatte 15 Rubel dazu bestimmt, aber seine Wirtin über zeugte ihn bald, daß er nicht ohne 30 Rubel abkommeN könnte. Lolla war entzückt, daß fast alle ihre Kakteen in Blüte standen und im Eßzimmer einen wirklich prachtvollen Anblick boten. Nur mit Zagen ging Tichoprit den Tag vor dem. Feste zu seinen: hohen Chef, um Urlaub für den nächsten Tag zu erbitten. „Erzellenz." sing Memnon an. „Ich weiß, ick: weiß." lächelte der Ebes. „Sie sind mor gen frei, Herr Tichoprit. Wie beißen Sie eigentlich? Aga memnon?" „Nein, Erzellcnz, nur Memnon — einfach Memnon." „Hin! Seltsam! Und ich muß immer an die „Schöne Helena" denken. Sie wissen „Aga — Aga — Memnon!"