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Feierabend W Unterhaltungs-Beilage der Sächsischen Volkszeitung Nr. (4 Sonntag den 6. April W3 Zweiter Sonntag nach Oster». Evangelium: Der gute Hirt. Johannes 10. 1 —16. Die heilige Schrift wählt, um die Liebe Gottes gegen die Menschen zu bezeichnen, die schönsten Bilder, das Bild eines Vaters, einer Mutter, eines Bruders, eines Freundes, eines Bräutigams, und alle Eigenschaften der Liebe, die den genannten Personen gegen die Ihrigen eigen zu sein pflegen, waren seiner Liebe gegen uns eigen. Seine Liebe war starß wre die eines Vaters, und zärtlich, wie die einer Mutter; sie war aufrichtig, wie die eines Bruders, und herzlich, wie die eines Freundes, sie war endlich glühend und eisersüchtio. wir die Liebe eines Bräutigams für feine Braut, aber das Bild eines Hirten, der für seine Schafe sein Leben läßt, über trifft tast an Bedeutung alle übrigen. Es stellt uns eine Liebe dar. zu der sich die durch alle genannten Bilder dargc- stellten nur so wie ein Almosen zum ganzen Opferlcben ver hält. Hierin ist zugleich das tiefste Geheimnis unserer gan zen heiligen Religion ausgesprochen, das darin liegt, das; der gute Hirt — der Sohn GoitcS — uns vor feiner Mensch werdung seine Liebe gleichsam nur tropfenweise geschenkt hat. in der Fülle der Zeiten aber Mensch wurde und sich für uns als Opfer hiuaad. Deshalb ward von nun an die Hir- tenliebe, so gut wie die Vater- und Mutterliebe sprichwört lich. Er ließ deshalb auch, ehe er den Petrus zum Hirten seiner Kirche bestellte, diesen erst dreimal seine Liebe be kennen, um zu zeigen, daß ohne die Liebe ein wahrer Hirt nicht gedacht werden könne, daß die Liebe die Hauptzierdo eines jeden Hirten sei, die alle anderen Hirtentugenden mehr oder weniger ersetzt, selbst aber von keiner erseht wird. Mit der Hirtenliebe verbindet er die HirtenweiSheit. „Ich bin der gute Hirt und ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne." Nietn nur eine äußere Kenntnis der Scinigcn besitzt er, er sagt dadurch, daß er sie in ihrer ganzen inneren Natur und Beschaffenheit nach kenne, daß er sie nach allen ihren Bedürfnissen kenne und für sie eine liebevolle Fürsorge trage, um alles Gute ihnen zu verleihen und um alles Neble, alle Gefahren von ihnen abwenden zu kennen. „Ich kenne die Meinen und die Meinigcn kennen mich," sagt er. Ich kenne sie, uni sie zu beschützen, sic kennen mich, um sich von mir beschützen zu lassen; ich kenne sic. um sie zu belehren, sie kennen mich, um auf meine Stimme zu Hörem ich kenne sie als die zu Erlösenden, sie kennen mich als ihren Erlöser: kurz, ich kenne sie, um ihnen zu geben, sie kennen mich, mn von inir zu empfangen: ein wechselseitiges Verhältnis, das so innig und heilig ist, daß cs nur verglichen werden kann mit jenem Verhältnisse, das zwischen meinem himmlstchen Vater und mir besteht: „Ich kenne die Meinen und die Mei nen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne." Ich habe alles, will er sagen, vom Vater, und ich führe alles auf den Vater zurück und die Meinen haben alle? von mir und führen alles auf mich zurück. So ist die rechte Hirtenweisheit die Voraussetzung der rechten Hirtcnlieb". insofern sic tätiges, wirksames Wohlwollen ist. und daher weist der Heiland noch einmal aus d-.m höchsten Beweis seiner Hirtenliebe hin indem er wiederholt, daß er sein Leben für seine Schafe hingebe. Wasserrose und Bluinenseele. (Nach Hcrbrit Königschcm Aquarelle.) n den Felscnbulen schmiegen Sich die weißen Wasserrosen INniter, Rinder liebend liegen Hn den Armen sich und kosen. Leis die Fluten plätschern, rauschen. — Hst es nicht ein Flüstern, selig? — Und, gewiegt von ihnen, lauschen Still die Kelche; still allmählich Legt sich's über beide bläulich wie ein Schleier, dustgewoben. Der, gleich einer Decke, freundlich Deckt die Schläfer, wie zerstoben Alle Laute, alle Windel Nichts mehr kann die Ruhe stören; Line Mutter mit dem Rinde Träumt beim Dust der Uferföhren, So, vom innren Schau» getragen, Muß das Menschenherz sich laben, Und dann fühlend, ahnend fragen, Vb auch Blumen Seele haben? Karl Theodor Schulz, Dresden. Erinnerungen. Skizze von Joseph Heinrich Berlenbach. Nachdruck verboten. Vater Rebmann, der alte, pensionierte Dorflehrer, fcch brummend bei dem Morgenkaffee und trommelte vor Un geduld mit der Spitze des Besteckmcssers einen Marsch auf dem klingenden Porzellan. „Wo nur die Anneliese wieder bleibt?" Die Anneliese war sein Enkelkind, der frühverstorbenen Tochter ihr ältestes, sein verwöhnter und verhätschelter Liebling. Wenn die ihm nicht den Kaffee eingoß, schmeckte es dem alten Herrn nicht, nnd lachte die Sonne noch so freundlich durch die Butzenscheiben des kleinen Fensters. — Anneliese kam nicht. — Sic kam auch nicht, als Vater Rebmann mißmutig vom Tische anfstand und mit langen, steifbeinigen Schritten, die Hände auf dem Rücken, ein-, zweimal durch die Stube ging. „Dos ist doch toll." polterte er. öffnete die Türe und schrie mit aller Kraft feiner tiefen Stimme: „Anneliese — Anne—lie—se!" Niemand antwortete feinem Rusen, das Haus schien wie ausgestorbcn. — „Kathinka, — Ka—tbin—ka!" Tie Magd wußte vielleicht von ihrem Verbleib . . . Alles still — — Vater Rebmann überkom mi! einem Male eine uner klärliche Angst —. Sollte der Anneliese etwas zngcstoßen sein? — „Hm, hm. muß mal nackneben." — Er ging in die Stube zurück und lu lle den Knoten- siack, dann kletterte er langiam die ?1:eee -emvar. Oben auf dem Flur blieb er verschnaufend stehen und horchte . . . Kein-- Anckwert. — D:c nächste Büre stand estrn: da:- sinnmer war leer. Sein Inneres glänzte ihm in schönste! Ordnung entgegen.