Die Komponisten und ihre Werke • Wagners Musik zum Tristan der schwarzen Flagge, die am Ende weht, will ich mich dann zudecken, um - zu sterben.“ Wie sehr sich Wagner in diese Dra matik hineinwarf, beichtete er seiner Freundin Mathilde Wesendonck, die an den theatralischen Gedanken Wagners entscheidenden Anteil hatte: „Ich liess zum erstenmal das Vorspiel zu Tristan spielen; und - nun fiel's mir wie Schuppen von den Augen, in welche unabsehbare Entfernung ich während der letzten acht Jahre von der Welt geraten bin. Dieses kleine Vorspiel war den Musikern so unbegreiflich neu, dass ich meine Leute von Note zu Note wie zur Entdeckung von Edelsteinen im Schachte fuhren musste.“ Und da lauerte gleich im zweiten Takt eine Konstellation von Noten, die ab solutes Neuland versprach: der be rühmte Tristan-Akkord, der Schlüssel für den Aufbruch in alle möglichen harmonischen Richtungen, ein früher Wegweiser in die Atonalität. Die Komposition entstand, als Wagner mit seiner Frau Minna seit fünf Jahren im Schweizer Exil lebte und parallel am „Ring des Nibelungen“ arbeitete. 1857 bezog das Paar Wagner das Gar tenhaus der Zürcher Villa Wesendonck, ein Besitz des Wagner-Förderers Otto Wesendonck, eines deutschen Fabri kanten. Mit dessen Frau Mathilde, Wagners Geliebten, mit Cosima von Bülow, Wagners späterer Frau, und mit Wagners aktueller Frau Minna genoss dieser illustre Kreis den Vortrag der Tristan-Dichtung durch den Schöpfer. Als die pikante Situation im Hause Wesendonck langsam unerträglich wurde, reiste Wagner zur Arbeit am Tristan ins geliebte Venedig und kehrte später nach Lucern zurück, wo er in drei Monaten sein Werk vollendete. Das Vorspiel und „Isoldes Liebestod“ gehören untrennbar zusammen. „Was das Schicksal trennte, lebt nun verklärt im Tod auf,“ heißt es bei Wagner. „Die Pforte der Vereinigung ist geöffnet; über Tristans Leiche gewahrt die sterbende Isolde die seligste Erfüllung des glühen den Sehnens, ewige Vereinigung in ungemessenen Räumen, ohne Schran ken, ohne Banden, unzertrennbar.“ Jahre hindurch waren Wagners Ver suche ergebnislos geblieben, das Stück auf die Bühne zu bringen, sogar das Stigma der Unaufführbarkeit ereilte den Tristan. Unter der Leitung von Hans von Bülow gelang die Urauffüh rung am Königlichen Hof- und Natio naltheater in München 1865. „Wie ein Zaubertraum wuchs das Werk zur un geahnten Wirklichkeit,“ erinnerte sich Wagner später. Das Vorspiel ertönte allerdings bereits 1859 in Prag und ein Jahr später in Paris. Als Wagner 1863 in Russland konzertierte, erklang das Vorspiel gemeinsam mit der instrumen talen Fassung von „Isoldes Liebestod“ in St. Petersburgs Philharmonischer Gesellschaft mit Wagners eigens einge richtetem Konzertschluss.