Texte der Wesendonck-Lieder Der Engel In der Kindheit frühen Tagen hört ich oft von Engeln sagen, die des Himmels hehre Wonne tauschen mit der Erdensonne, daß, wo bang ein Herz in Sorgen schmachtet vor der Welt verborgen, daß, wo still es will verbluten und vergehn in Tränenfluten, daß, wo brünstig sein Gebet einzig um Erlösung fleht, da der Engel niederschwebt, und es sanft gen Himmel hebt. Ja, es stieg auch mir ein Engel nieder, und auf leuchtendem Gefieder führt er, ferne jedem Schmerz, meinen Geist nun himmelwärts! Stehe still! Sausendes, berausendes Rad der Zeit, Messer du der Ewigkeit; leuchtende Sphären im weiten All, die ihr umringt den Weltenball; urewige Schöpfung, halte doch ein, genug des Werdens, laß mich sein! Halte an dich, zeugende Kraft, Urgedanke, der ewig schafft! Hemme den Atem, stille den Drang, schweige nur eine Sekunde lang! Schwellende Pulse, fesselt den Schlag; ende des Wollens ew’ger Tag! Daß in selig süßem Vergessen ich mög’ alle Wonnen ermessen! Wenn Aug’ in Auge wonnig trinken, Seele ganz in Seele versinken; Wesen in Wesen sich wiederfindet, und alles Hoffens Ende sich kündet; die Lippe verstummt in staunendem Schweigen, keinen Wunsch mehr will das Inn’re zeugen: erkennt der Mensch des Ew’gen Spur und löst dein Rätsel, heil’ge Natur!