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sikwelt den 69jährig verstorbenen großen Musiker und mutigen Mo ralisten Dmitri Schostakowitsch. Sein Weltruhm gründete sich auf ein Monument von fünfzehn Sinfo nien, sechs rasch ins Weltreper toire gelangte Solokonzerte (je zwei für Klavier, Violine, Violoncel lo), einen wahren Mikrokosmos von fünfzehn Streichquartetten, vielgespielte Klavier- und Klavier kammermusik. Neben dieser seiner rein instrumentalen, „absoluten" Musik findet sich ein weites Feld von „angewandter" Musik, vokal instrumental gemischte Werke und Werkgattungen unterschiedlichster Art: Opern und Tanzdramen, Chor werke, mit und ohne Blas- oder Sin fonieorchester, Lied-Romanzen und -Satiren, Schauspiel- und Filmmusi ken. Zumeist Auftragswerke, viel fach im Dienst staatspolitischer Ma nifestation, Klangvisionen von Krieg und Frieden, von Menschen rechten und Minderheitenschutz. (Ideengüter, die Schostakowitsch auch als Delegierter auf Weltfrie denskongressen vertrat, in New York wie in Warschau oder Wien.) Aus seiner „musique engagee" er wuchsen dem Komponisten zuzei ten Verdikte hüben, Verkennungen drüben: Schostakowitsch, Kompo nist in seiner Zeit, ein Kapitel Musi ker-Schicksal mehr neben den Schicksalen eines Schönberg, Bar- tök, Hindemith und anderer in ost- und westlichen Bereichen. Was ist uns Schostakowitsch also? Fragestellungen und Antwortmög lichkeiten die Fülle: Revision oder Bestätigung des Bildes eines „pro gressiven Eklektikers" (New Gro- ve's Dictionary of Music and Musi- cians, London 1982), des Bildes eines Komponisten, der Mittel und Merkmale seiner Muttersprache fortschrittlich ausgewählt hat? Schostakowitsch als das Haupt ei ner nationalrussisch akzentuierten Neuen Musik neben Prokofjews „musikalischem" und nach Stra winskys „universalistischem" Le benswerk zweier anderer Sterne erster Ordnung, die Rußland und der Musikwelt über unserem 20. Jahrhundert leuchten? Schosta kowitsch als „Klassiker" einer ge samt-europäischen Musikmoderne? Schostakowitsch, so elementar wie komplex, so rätselvoll wie konse quent, letztendlich denn: ein Genie unter Genies in jenem real-irrealen „Weltreich der Musik"... Zwischen Schostakowitschs 9. Sin fonie von 1945 und seiner 10. von 1953 liegen acht Jahre russischer Nachriegsgeschichte. Der Kompo nist hatte zunächst um die Jahres wende von 1944 auf 1945 im Freundeskreis geäußert, daß er schon an die nächste, neunte Sinfo nie denke, und zwar wie bei Beethovens Neunter an ein Werk für Chor, Soli und Orchester, vor ausgesetzt allerdings, daß er „ge eignete Texte" dazufände. Unter dessen aber verwarf er Entwürfe zu einer chorisch-sinfonischen Neunten. Sie mochten ihn an Chor sinfonien erinnern, wie die der Ok-