Volltext Seite (XML)
ZUR EINFÜHRUNG „Die Arbeit geht sehr langsam vor wärts und will mir nicht gelingen", heißt es in einem Brief Peter Tschaikowskis an seinen Bruder Anatol während der Komposition des Klavierkonzerts Nr. 1 b- Moll op. 23 „Grundsätzlich tue ich mir Gewalt an und zwinge mei nen Kopf, allerlei Klavierpassagen auszutüfteln". Diese Zeilen zeugen von der unerbittlichen Selbstkritik, die der Meister immer von neuem an sich übte, von seiner schöpferi schen Unzufriedenheit, die es ihm stets schwer machte, an seine künst lerische Leistung zu glauben. Aber auch der berühmte russische Pianist Nikolai Rubinstein, Direktor des Moskauer Konservatoriums, dem Tschaikowski das Werk ursprünglich widmen wollte und von dem er tech nische Ratschläge für die Gestaltung des Soloparts erbeten hatte, lehnte es mit vernichtenden Worten als völ lig unspielbar und schlecht ab, was sich der Komponist sehr zu Herzen nahm. Und doch sollte gerade das 1 875 beendete b-Moll-Konzert eine der allerbekanntesten und beliebte sten Schöpfungen Tschaikowskis werden. Der Komponist widmete es nach der Ablehnung Rubinsteins dem deutschen Dirigenten und Pia nisten Hans von Bülow, einem gro ßen Verehrer seiner Musik. „Ich bin stolz auf die Ehre, die Sie mir mit der Widmung dieses herrlichen Kunstwerkes erwiesen haben, das hinreißend in jeder Hinsicht ist", schrieb Bülow, der das Konzert bei der Uraufführung am 25. Oktober 1 875 in Boston spielte und es in Spieldauer: ca. 40 Minuten Amerika und Europa zu größten Er folgen führte. „Die Ideen sind so ori ginell, so edel, so kraftvoll, die De tails, welche trotz ihrer großen Men ge der Klarheit und Einigkeit des Ganzen durchaus nicht schaden, so interessant. Die Form ist so vollen det, so reif, so stilvoll - in dem Sinne nämlich, daß sich Absicht und Aus führung überall decken." Seitdem ist der große Erfolg diesem an das Erbe Schumanns und Liszts anknüpfenden wie auch Elemente der russischen Volksmusik aufgreifenden und doch ganz persönlich geprägten Werk stets treu geblieben. Eingängige, sinnenfreudige Melodik und origi nelle Rhythmik, aufrüttelndes, lebens bejahendes Pathos und musikanti- scher Schwung, stilistische Eleganz und virtuose Brillanz sind die Eigen schaften, die es zu einem Lieblings stück sowohl des Publikums als auch der Pianisten aller Länder werden ließen. Mit einer außerordentlich schwung vollen, selbständigen Einleitung be ginnt das Werk, das von Hörner fanfaren eröffnet wird. Eine durch Violinen und Violoncello vorgetrage ne, schwelgerische Melodie wird vom Soloinstrument zunächst mit rauschenden Akkorden begleitet, dann von ihm aufgenommen und ausgeschmückt und schließlich noch mals original in den Streichern ge bracht. Das Hauptthema des folgen den Allegro con spirito ist einem ukrainischen Volkslied nachgebildet, das der Komponist von blinden Bettelmusikanten auf dem Jahrmarkt in Kamenka bei Kiew gehört hatte. Tschaikowskis Klavierkonzert Nr. 1 b-Moll wurde zu einer der bekanntesten und beliebtesten Schöpfungen des Komponisten