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III. Schatten des Paradieses (Vicente Aleixandre) 1. Die Toten Die schwarzen Augen wie die blauen. Wie die lebhaft grünen. Sie alle heute, geschlossen, schlafen. Ihr Licht erstickt jetzt ihren steinernen Blitz. Der Himmel ist hoch und kalt. Kälter noch die Gesichter, sie betrachten nicht, bringen keine Wahrheit hervor. Doch gibt es keine andere Wahrheit als hier, schlafend diese elenden Gestalten. Schweig und geh vorüber. 2. Das Licht Das Meer, die Erde, der Himmel, der Wind, die immerwährende Welt, in der wir leben, die entlegensten Gestirne, die uns beinahe anflehn, die manchmal eine Hand fast sind, die unsre Augen kost. Diese Ankunft des Lichts, das auf der Stirne ausruht. Woher nahst du, wo kommst du her, liebreiche Gestalt, die ich atmen fühle, die ich spüre wie eine Brust, die eine Melodie umschloß, die ich spüre wie von Engelsharfen ein Brausen, fast kristallinisch schon wie das Gebraus der Welten? Woher kommst du, Himmelstunika, die in leuchtender Blitzgestalt du eine Stirne liebkost, die lebt und leidet, die liebt wie das Lebendige? Sag mir, sag mir, wer ist’s, wer ruft mich, wer nennt mich, wer jammert, welche Klage hör ich zuweilen, wenn du nur Träne bist. O du, zitterndes Himmelslicht oder Verlangen, glühende Hoffnung einer Brust, die nicht erlischt, einer Brust, die nicht klagt wie zwei ausgestreckte Arme, fähig, um die Erde einen Gürtel zu schnüren. Ach zärtliche Kadenzen der fernen Welten, der Liebenden, die niemals ihre Qualen nennen, der Leiber, die da leben, der Wesen, die da leben, der unendlichen Himmel, die uns mit ihrem Schweigen nahen! 3. Stadt des Paradieses Immer sehen dich meine Augen, Stadt meiner Meerestage. Hangend am großartigen Berg, scheinst du unter dem Himmel, über den Wassern zu herrschen. Stadt meiner fröhlichen Tage, Mutterstadt aus blendender Weiße, wo ich lebte und dich erinnere, himmlische Stadt, die du höher als das Meer seine Schäume lenkst. Anmutige Stadt, tiefgründige Stadt, Dort, wo die Jungen über geliebte Steine gleiten, wo die goldenschimmernden Wände immer jene küssen, die stets vorüberwimmeln, brausend, im Glanz. O Stadt, unirdische! Von jener mütterlichen Hand ward ich sanft geführt durch deine schwerelosen Straßen. Nackter Fuß am Tage. Nackter Fuß des Nachts. Gewaltiger Mond. Reine Sonne. Du warst dort der Himmel, Stadt, die du ganz in ihm warst. Stadt, die du ihn durchflogst mit deinen I ausgebreiteten Schwingen. Immer sehen dich meine Augen . . . 4. Der Tote Unter der Erde dunkelt der Tag. Seltener Vogel, Vogel hoch im Baum, der du um einen Toten singst. Unter der Erde schlummre ich wie eine weitere Wurzel dieses Baumes, den ich in mir nähre ganz allein. Du lastest nicht, machtvoller und schrecklicher Baum, der in die Lüfte du emporsteigst, der du von meiner Brust geboren mit drängendem Grün, um dich zu zeigen und auszubreiten in lachendes Gezweig, wo nun ein Vogel feurig singt, über meiner Brust. Schönes lichtes Leben eines Baumes, auf der gleichen Erde lebend, die einst ein Mensch gewesen. Vollkommener Leib, der noch lebt, nicht schlummert, niemals schläft. Heute wacht er im schimmernden Baum, den eine Sonne glühend durchdringt. Ich bin nicht Erinnerung, Freunde, noch Vergessen. Freudig steige ich auf, leichthin durch einen Stamm ins Leben rauschend. Freunde, vergeßt mich. Mein Wipfel singt immer zärtlich in den Raum, unter einem unendbaren Himmel. Ton- und Bildaufnahmen während des Konzertes sind nicht gestattet. Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Prof. Dr. habil. Dieter Hartwig Chefdirigent: GMD Jörg-PeterWeigle — Spielzeit 1989/90 Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 EVP —,50 M