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1975 Hartmut Haenchen das Orchesterwerk „The Unanswered Question" erstmalig in un serem Land sowie 1977 die Holydays Sym- phony als Dresdner Erstaufführung vorstellte, an die 1988 Horia Andreescu erneut erinnerte, erklingt heute die Sinfonie Nr. 1 d - Moll, ein Jugendwerk aus den Jahren 1896 bis 1898, das die vorstehend geschilderte stili stische Haltung des Komponisten, seinen spä teren kühnen Vorstoß zu musikalischen Neue rungen noch nicht erkennen, ja höchstens in Ansätzen ahnen läßt. Umso mehr sagt die Komposition etwas über seine geistige Her kunft aus, über das, was der 22jährige in dem konservativen Unterricht bei dem kultiviert-vor nehmen Horatio Parker, einem Rheinberger- Schüler, an der Yale University — oft gegen seinen Willen — lernen und trainieren mußte, konnte er doch der akademischen Harmonie lehre und dem strengen Kontrapunkt nur wenig Neigung entgegenbringen. Harmonische und sonstige Experimente, zu denen ihn der Vater angeregt hatte, mußte er tunlichst unterlassen. Weil er beispielsweise das Hauptthema des ersten Satzes allzu freizügig durch acht Ton arten geschickt hatte, mußte er auf Geheiß des Lehrers, der auch einen „schönen“ herkömm lichen Schluß der Sinfonie forderte, einen an deren ersten Satz schreiben. Immerhin akzep tierte Parker 1898 den zweiten und vierten Satz aus der 1. Sinfonie seines frühreifen, eigen sinnigen und rebellischen Schülers als Teil von dessen Abschlußarbeit. Daß Ives damals gern Wagner hörte, ist seiner Arbeit ebenso anzu hören wie der Tribut, den er den deutschen und slawischen Romantikern zollte. Am 19. März 1910 probierte Walter Damrosch mit dem New York Symphony Orchestra Teile der 1. Sinfonie — die reizvolle Englischhorn VORANKüNDIGUNG: Melodie des zweiten Satzes nannte er „be zaubernd“ —, brach jedoch bei den ersten rhythmischen Komplikationen die Durchspiel probe verärgert ab. Die Uraufführung des Werkes erfolgte nach dem Tod des Komponi sten im November 1965 durch das Chicago Symphony Orchestra unter Morton Gould. Ein Kritiker bezeichnete damals die Sinfonie „als eine melodisch überraschende Arbeit, de ren Unregelmäßigkeit vielleicht ihre stärkste Empfehlung ist. In ihren vier Sätzen kann man einen Anklang nach dem anderen an die euro päischen Sinfoniker finden, übertragen durch ein unglaubliches, eklektisches Ohr und einen exakten Stift. Da hört man das .Dresdner Amen', ein schmelzendes Dvoräk-Englischh^^ Kaskaden von Mahlerschen Streicherlinien, bewegte Schlußwendung, die an Strauss den ken läßt, und etwas, das sehr stark wie ein Signalruf klingt. Im ersten Satz durchwandert das Hauptthema den Quintenzirkel durchgän gig über den Terzbaß und kehrt nur mit Mühe zurück. In der Coda — von Super-Beethoven- Proportionen — kocht der Melodien-Kochtopf fröhlich immer weiter, wobei eine Mischung er zeugt wird, die eine kleine Vorschau auf Ives’ monumentale Umwälzung in der 4. Sinfonie darstellt. Es ist klar, daß der Mann, der spä ter sagen konnte, daß ihn nicht interessierte, ,was passierte, sondern ihn interessierte, wie etwas passierte', weiter ging. Nicht freiwillig verwendete er, was Vincent d’lndy einmal den deutschen Spazierstock nannte, der von ameri kanischen Musikern bevorzugt wird, aber sein felsiger Pfad führte woanders hin.“ Charles Ives komponierte übrigens während seiner Stu dienzeit außer der 1. Sinfonie noch über vier zig Lieder, verschiedene Hymnen, Ouvertüren, Orgelstücke und sein 1. Streichquartett. Mittwoch, den 24. Januar 1990, 19.30 Uhr (Anrecht Donnerstag, den 25. Januar 1990, 19.30 Uhr (Anrecht A 1) Festsaal des Kulturpalastes Dresden 5. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Hans Vonk, Niederlande Solist: Michael Sanderling, Leipzig, Violoncello Werke von Ketting, Saint-Saens und Schosta ko witsch Programmblätter der Dresdner Philharmonie Chefdirigent: GMD Jörg-Peter Weig le “Spielzeit 1989/90 Redaktion: Prof. Dr. habil. Dieter Hartwig ... 9 85 JtG 009-62-89 Die Beiträge über Denisow und Korngold verwenden Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 2,85 JtU 009 62 89 Textauszüge von E. Klemm bzw. W. Zentner und gyp _ 25 m S. Müller-Eisold