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die gemeinsame Erklärung über ästhetische Grundsätze und empfand sie als eine Behinde rung und unvernünftige Beschränkung der Phantasie des Künstlers. Doch es war sinnlos, zu protestieren. Collets Artikel fand so weltweites Interesse, daß die „Gruppe der Sechs" ge gründet war und ich wohl oder übel einen Teil davon bildete. Die Gründung der Gruppe der Sechs trug dazu bei, die Freundschaftsbande unter uns enger zu knüpfen. Zwei Jahre lang trafen wir uns jeden Samstagabend in meiner Wohnung. Aus diesen Zusammenkünften, bei denen unbekümmerter Frohsinn herrschte, entstand manch fruchtbare Zusammenarbeit." 1940 war auch Milhaud gezwungen-, nach den USA zu emigrieren; am Mills College in Kali fornien lehrte er Komposition. Nach seiner Rückkehr in die Heimat wird er Professor am Con- servatoire National de Musique in Paris. Obwohl schon viele Jahre vor seinem Tod im Jahre 1974 schwerkrank an den Rollstuhl gefesselt, ist Milhaud einer der fruchtbarsten Komponisten des 20. Jahrhunderts gewesen. In seinen über 400 Kompositionen erklingen Melodien, die „aus dem Gesang erfunden sind. Sie sind von der Volksmusik her erlebt und fließen st^fe natürlich. In ihnen singt die Heiterkeit des Südens mit. Sie sind echt französisch, beschwingt u^® froh und haben etwas von der Volksmelodik eingefangen, auch in der leisen Melancholie, die oft über ihnen liegt und zum Teil als jüdisches Erbe erklärt wird." „Scaramouche" entstand im Jahre 1937 als Suite für 2 Klaviere. Scaramuccio ist ein Prahler und Aufschneider in der italienischen Komödie, der aber meist übertölpelt wird. Zuvor hatte Milhaud für ein Kinderstück „Der fliegende Arzt" nach Moliere die Bühnenmusik geschrieben, von- der er nun Teile für seine Klaviersuite verwendete. Das Werk hatte sofort großen Erfolg und erlebte mehrere Auflagen. Bearbeitungen des Stückes entstehen: Zunächst für Saxophon und Orchester und 1941 schreibt Milhaud für Benny Goodman die Fassung für Klarinette und Orchester, die dieser oft und stets erfolgreich aufgeführt hat. „Scaramouche“ gliedert sich in drei Sätze: Lebhaft — Gemäßigt — Im Tempo einer Samba. Diese Unterhaltungsmusik im besten Sinne des Wortes offenbart ein weiteres Mal Milhauds genaue Kenntnis brasilianischer Folklore (er war Attache in Rio de Janeiro), seinen kompo sitorischen Einfallsreichtum und seine glänzende Orchestrierungskunst. Felix Mendelssohn Bartholdy und die „Schottische" „Mendelssohn ist der Mozart des 19. Jahrhunderts" hat Robert Schumann einmal gesagt. LLmL tatsächlich gibt es außer der Formvollendung in den Werken beider Komponisten auch n^^ mehrere auffallende Parallelen und Ähnlichkeiten in ihrem Leben und inbezug auf ihre Fami lien: Wie Wolfgang Amadeus Mozart ist Felix Mendelssohn Bartholdy ein Wunderkind, — sowohl im Hinblick auf sein Klavierspiel als auch auf seine frühreife Kompositionstätigkeit. Beide Komponisten haben eine fast gleichbegabte ältere Schwester, die aber — der damali gen Auffassung entsprechend — hinter ihren genialen Brüdern zurücktreten. Und beiden ist nach einem von mühelosem, sehr reichem Schaffen gekennzeichneten Leben ein plötzlicher, früher Tod zuteil geworden: Mozart mit 35 — , Medelssohn mit 38 Jahren. Geboren wird Felix am 3. Februar 1809 in Hamburg. Der Vater Abraham ist Bankier und einer der geistig bedeutendsten Männer seiner Zeit. Der Großvater Moses Mendelssohn war der berühmte Berliner Philosoph, dem Lessing in der Person seines Nathan ein Denkmal setzte. So stellte Abraham Mendelssohn später fest: „Ich war solange der Sohn eines berühmten Vaters bis ich der Vater eines berühmten Sohnes wurde." Auch die Mutter von Felix entstammt einer hochgebildeten jüdischen Familie. Beide Eltern sind sehr musikalisch und lassen den Kindern eine gediegene Erziehung zukommen. Nachdem die-'Mtftter Felix und seine Schwester Fanny im Klavierspiel unterrichtet hatte, übernimmt zunächst Paul Berger und später, als die Familie nach Berlin übergesiedelt war, Friedrich Zelter die musikalische Ausbildung. Zelter, damals Leiter der Singakademie, schließt seinen genialen Schüler gleich ins Herz und nimmt ihn im Jahre 1821 zum ersten Mal mit nach Weimar zu Goethe. In dieser Zeit entstehen Klavier- und Violiensonaten, Lieder, Streich- und Vokalquar tette. Zum entscheidenden musikalischen Erlebnis wird für Mendelssohn im Jahre 1821 die Uraufführung von Webers „Freischütz". 1827 erlebt die Uraufführung von Mendelssohns Ouvertüre zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ einen glänzenden Erfolg. Dieses geniale Werk eines Achtzehnjährigen läßt nun auch die Familie Felix’ Berufswunsch, Musiker zu wer den, akzeptieren. Reisen führen ihn nach Frankreich, in die Schweiz, nach England und Schott land, wo er als Dirigent und Pianist gefeiert wird. Zuhause hält ihm der Vater ein Privat orchester, das er dirigiert und das seine Werke zum Klingen bringt. 1829 führt Mendelssohn — 100 Jahre nach der Uraufführung - zum ersten Mal wieder die „Matthäus-Passion“ von Jo hann Sebastian Bach mit großem Erfolg auf. 1833 wird er Leiter des Niederrheinischen Musik festes in Düsseldorf. Mendelssohn hat in dieser Zeit wesentlich zur Herausbildung des Kapell- Weisterberufes beigetragen. Früher wurde diese Aufgabe vom Cembalisten „nebenbei“ erledigt. Aber mit dem Wachsen der Städte, der Vergrößerung des Musikpublikums waren große Musik-Säle notwendig geworden und die Kompositionsweise des 19. Jahrhunderts er weiterte den Orchesterapparat beträchtlich. 1835 übernimmt Mendelssohn die Leitung der Gewandhauskonzerte in Leipzig. 1836 wird er Ehrendoktor der Universität. Seine Tätigkeit in Leipzig läßt diese Stadt unter den Musikstädten Europas auf den ersten Platz rücken. Er gründet das Konservatorium, übernimmt dessen Leitung und überträgt seinem Freund Robert Schumann einen Lehrstuhl. Von Anfang an sind das Leipziger Publikum und vor allem die Musiker des Gewandhauses von der liebenswürdigen Persönlichkeit Mendelssohns begeistert. Mendelssohn erreicht es, daß die Gewandhausmusiker eine Gehaltsaufbesserung bekommen. Ihm ist die Errichtung des ersten Bach-Denkmals zu verdanken und die Konzert-Programme sind vielseitig und interessant: Neben den Werken Bachs, Händels, Haydns, Mozarts und Beethovens stehen z. B. auch Teile aus Richard Wagners Opern. Mendelssohn selbst, Clara Wieck und Franz Liszt treten als Pianisten auf. Als Stadt der Gewandhauskonzerte, des Tho manerchores, der bedeutendsten Musikverlage zog Leipzig damals alle reisenden Künstler, Komponisten und Virtuosen, an. Mendelssohn musiziert mit ihnen und führt ihre Werke auf. Er kann mit Befriedigung feststellen, daß er in den Besuchern der Gewandhauskonzerte das „empfänglichste, dankbarste musikalische Publikum" habe. Und ein Bericht in dem „Grenz boten" strich heraus, daß sich auch in der Zusammensetzung des Publikums der „demokra tische Charakter Leipzigs“ offenbare, daß „die Brillanten und Fracks hier selten zu sehen" seien und daß „die Damen erfreulicherweise nicht — wie es anderswo Sitte war — bei den Dar bietungen strickten". ^eben den Werken der Zeitgenossen und seinen eigenen führt Mendelssohn immer wieder ^e Kompositionen Bachs und Händels auf. In der Saison 1838/39 vollbringt er seine zweite musikhistorisch bedeutsame Tat: Er führt die Große C-Dur-Sinfonie von Franz Schubert im Ge wandhaus auf. Robert Schumann hatte sie in Wien unter Ferdinand Schuberts Altpapier ge funden. Trotz seiner vielseitigen Verpflichtungen gelingt es Mendelssohn — dank seines glücklichen Familienlebens — auch Zeit zum Komponieren zu finden. Er schreibt: „Nur daran denke ich immer, so zu komponieren, wie ich es fühle und immer weniger äußere Rücksichten zu nehmen. Und wenn ich ein Stück gemacht habe, wie es mir aus dem Herzen geflossen ist, so habe ich meine Schuldigkeit getan. Ob es nachher Ruhm, Ehre und Schnupftabakdosen einbringt, kann meine Sorge nicht sein." Fast scheint für Mendelssohn der Vorname Felix, d. h. der Glückliche, zum Lebenssymbol ge worden zu sein. Seine Sinfonien, sein Violinkonzert, die Klavierkonzerte und die Oratorien werden überall erfolgreich aufgeführt. Die Volkstümlichkeit seiner Chorkompositionen „Wer hat dich, du grüner Wald" und „O Täler weit, o Höehen" erschließt ihm weitere Anhänger schaft. Seine Kammermusikwerke werden privat und in öffentlichen Konzerten gespielt. Der preußische König ernennt ihn zum Generalmusikdirektor und will ihn nach Berlin verpflichten.