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Claude Debussy und der Impressionismus Ende des 19. Jahrhunderts sind aus der Romantik zwei große Stilrichtungen hervorgegangen: Der Realismus oder Naturalismus und der Impressionismus. Der Kunsthistoriker Arnold Hau ser schreibt: „Die Herrschaft des Moments über Dauer und Bestand, das Gefühl, daß jede Er scheinung eine flüchtige und einmalige Gegebenheit ist, eine dahingleitende Welle des Flus ses, in welche man nicht zweimal steigt, — das ist die einfachste Formel, auf die der Impressio nismus gebracht werden kann.“ Und Emile Zola stellt fest: „Impressionismus bedeutet ein Stück Natur, gesehen durch ein Temperament." Die Maler des Impressionismus malen die Eindrücke, die ihnen die Umwelt bietet. Claude Monet hat, als er einem seiner Bilder 1872 den Untertitel „Impression" (franz. Eindruck) gab, damit diese Stilrichtung benannt, die die nächsten Jahrzehnte sowohl in der Malerei als auch| in der Dichtkunst und Musik wirksam werden sollte. Nach den Malern Monet, Pisarro, Manet, Renoir und Seurat sind es solche Dichter wie Baudel aire, Malarme und Verlaine, die den Impressionismus als französische Stilrichtung ausweisen. Und der 22. Dezember des Jahres 1894 wird als Geburtstag des musikalischen Impressionismus angesehen: An diesem Tag gelangt das „Vorspiel zum Nachmittag eines Faun" zur Urauffüh rung. Der Komponist ist Claude Debussy, der den Beinamen „musicien francais" - „Französi scher Musiker" erhält. Er wird zum Idol der französischen Künstler, was verständlich erscheint, wenn man die Beschreibung Romain Rollands liest: Debussy war durch und durch französischer Charakter: launenhaft, poetisch, geistreich, von lebhafter Intelligenz, unabhängig, draufgänge risch, verbreitete er die neuen Ideen, musterte die Urteile der Jahrhunderte mit der spöttischen Frechheit eines Pariser Gassenjungen, indem er die Größten, die Helden der Musik — Gluck, Wagner, Beethoven — angriff, nur vor Bach, Mozart, Weber haltmachte und seine ganze Vor liebe für die alten französischen Meister des 18. Jahrhunderts betonte. Er rief der französischen Musik ihre wahre Natur und ihr vergessenes Ideal ins Gedächtnis zurück: Klarheit, elegante Leichtigkeit, Einfachheit, Natürlichkeit und vor allen Dingen Anmut und plastische Schönheit. Er wollte, daß die Musik sich von allen literarischen und philosophischen Anmaßungen los macht, die die deutsche Musik belasten." Debussy schreibt: „Ich weigere mich, die Meister in Bausch und Bogen zu bewundern, nur weil man mir gesagt hat, daß es Meister wären. Ich will die Freiheit haben, zu sagen, daß eine langweilige Sache mich langweilt, von welchem Autor sie auch stamme. Man gewinnt nämlich mehr, wenn man den Sonnenaufgang beobachtet, als wenn man die pastorale Sinfonie anhört. Für manche Leute sind die Regeln von primärer Bedeutung. Mein einziger Wunsch aber ist, zu reproduzieren, was ich höre. Musik soll die geheimnisvolle Über* einstimmung aufnehmen, die zwischen der Natur und unserer Empfindung herrscht." 1 Typisch für Debussys Musik ist, daß sie ihre Wurzeln zum Teil in den Uranfängen der Musik hat. Einen besonderen Eindruck hatten die Musikveranstaltungen der Pariser Weltausstel lung von 1889 auf ihn gemacht. Er hört hier spanische Volksmusik und die Musik des Fernen Ostens. In seinem Werk erweckt Debussy die Achtung vor der Kunst der alten französischen Meister Couperin und Rameau und wird aber gleichzeitig zu einer erneuernden geistigen Kraft für das Musikschaffen in ganz Europa. Die französische Musik wird durch ihn zum Vor bild, insbesondere für Bartok, Strawinsky und Kodaly. Debussys Werke — Klavier-, Orchester-, Bühnenwerke, Lieder und Chöre haben Erfolg und er selbst wird auch im Ausland als Dirigent gefeiert. Der Wiener Musikkritiker Max Graf schreibt im Jahre 1910: „Wenn man den Namen Debussy hört, so denkt man sofort an Musikstücke, die rhythmisch, harmonisch und melodisch zu einer Gallerte auseinanderfließen, die in wunderbaren Farben zu leuchten und zu blitzen beginnt. Debussy gibt nicht die Dinge selbst, sondern die Eindrücke, welche die Dinge machen, wieder. Wie viele moderne Maler, wie Paul Gauguin oder van Gogh, sucht Debussy primitive Wirkungen mit überräffinierten Mitteln zu erzielen und so schreibt er Werke, die die Seele von Tahiti mit den Klängen des modernen Paris herauf beschwören. Man wußte, daß der Gast aus Paris zu den apartesten Musikimpressionisten gehört und war neugierig, in welcher Gestalt sich diese interessante Musikseele angesiedelt habe. Endlich erschien er: Ein breitschultriger Mann, kohlrabenschwarz an Haar und Spitzbart, mit gewalti ger Jupiterstirn, ein wenig träg und schwerfällig in den Bewegungen, den Blick der dunklen Augen etwas müde und mürrisch, hob er etwas plump den Taktstock, aber ein wunderbarer Friede beherrschte seine Bewegungen. Bei Komponisten findet sich oft ein seltsamer Charme in der Art ihres Dirigierens, selbst dann, wenn ihnen die eigentliche Fähigkeit zum Dirigieren fehlt. Eine anziehende Schönheit enthüllt sich in dieser Verbindung von technischer Unbe holfenheit und einer Interpretation, die im höchsten Grade persönlich ist und deshalb über zeugt. Das macht auch die Bedeutung aus, wenn Debussy am Dirigentenpult erscheint. Seine nachdenklichen großen und etwas leidenden Augen schienen die ungeheure Menschenmenge, die den Saal füllte, nicht zu sehen." Aus der Natur hat Debussy immer wieder Kraft für seine Arbeit geschöpft: „Ich bin wieder mit feinem alten Freund, dem Meer zusammen. Es ist wirklich so: Die Natur rückt wieder alles seinen Platz. Nur respektiert man es nicht genug. Auch die Bäume sind gute Freunde. Sie erneuern sich trotz der Jahrhunderte. Ist das nicht der schönste philosophische Unterricht? Die Menschen könnten davon profitieren, wenn sie geduldiger wären und vor allem weniger' gierig!" Natürlich versteht es Debussy immer, die spezifischen Klangmöglichkeiten der jeweiligen In strumente in seinen Werken voll zur Geltung zu bringen. Die Rhapsodie wurde zunächst für Saxophon und Klavier konzipiert. Rhapsodie (griech. rhaptein = zusammenflicken; ode = Gesang) ist eine freie Komposition, die verschiedene, z. T. volksliedhafte Elemente aneinander reiht. Zur gleichen Zeit wie die Tondichtung „La Mer" entstand die Rhapsodie für Saxophon und Klavier, zwischen 1903 und 1905. Jean-Jules Aimable Roger-Ducasse (1873 bis 1954), einst Schüler von Gabriel Faure und später Professor für Instrumentation und Komposition am Pariser Konservatorium, hat die Orchesterfassung geschrieben, deren Uraufführung im Jahre 1919, ein Jahr nach Debussys Tod, stattfand. Darius Milhaud und „Scaramouche" Geboren in Aix-en-Provence, bekennt sich Milhaud zu Frankreich und zur französischen Kunst: ^jeine musikalische Bildung ist ausschließlich durch den lateinisch-mittelländischen Kultur- 01/s bestimmt, was sich schon daraus erklärt, daß ich aus einer sehr alten jüdischen Familie der Provence stamme. Die südländische, besonders auch die italienische Musik, hat mir immer sehr viel gesagt, die deutsche so gut wie nichts. Wagner beispielsweise habe ich nie verstan den und werde ich nie verstehen. Zum Glück gehöre ich schon zu der Generation, die ihm entronnen ist.“ Als passionierter Reisender nimmt Milhaud die Einflüsse vieler Länder und Kulturen in sich auf. In seinem umfangreichen Werkverzeichnis findet man deshalb jüdische, brasilianische und spanische Musik, Jazz, Zwölftonmusik etc. Sinfonien, Kammermusik, Ballette, Opern, Lieder und Solostücke für die verschiedensten Instrumente hat er in großer Zahl geschrieben. Allge mein bekannt ist, daß Milhaud zu der Gruppe der „Six" gehörte, allerdings weniger, wie es dazu kam. In seiner Autobiographie „Noten ohne Musik" schreibt Milhaud: „Nach einem Konzert im Jahre 1919 veröffentlichte der Kritiker Henri Collet einen Bericht mit dem Titel „Fünf Russen und sechs Franzosen". Ganz willkürlich hatte er sechs Namen ausgewählt: Auric, Durey, Honegger, Poulenc, Taillefaire und meinen, nur weil wir einander kannten, befreundet waren und in denselben Konzerten aufgeführt wurden — ohne jede Rücksicht auf unsere ver schiedenen Temperamente und völlig unähnlichen Charaktere. Ich war grundsätzlich gegen