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7. PHILHARMONISCHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Sonnabend, den 22. März 1986, 20.00 Uhr Sonntag, den 23. März 1986, 20.00 Uhr resdner biilhsrnooni^ Dirigent: Horia Andreescu, SR Rumänien Solist: Oleg Kryssa, Sowjetunion, Violine Joseph Haydn 1732-1809 Sinfonie Nr. 86 D-Dur Adagio — Allegretto spiritoso Capriccio. Largo Menuett. Allegretto Finale. Allegro con spirito Alfred Schnittke geb. 1934 Konzert für Violine und Orchester Nr. 4 (1984) Andante Vivo Adagio Lento DDR-Erstaufführung OLEG KRYSSA, 1942 geboren, begann seine musikali sche Ausbildung im Alter von sechs Jahren an der Musikschule in Lwow. 1960 kam er in die Meisterklasse David Oistrachs am Moskauer Konservatorium. Bereits 1962 ging er als 2. Preisträger aus dem Wieniawski- Wettbewerb in Poznan hervor. Seinen Ruf als Violinvir tuose von internationalem Rang begründete jedoch die Teilnahme am Paganini-Wettbewerb 1963 in Genua, wo ihm die Jury den 1. Preis, den sogenannten Paga- nini-Preis, zuerkannte. Inzwischen konzertierte er in zahlreichen Ländern als namhafter Vertreter der sowje tischen Geigerschule. Bei der Dresdner Philharmonie ist er bereits das vierte Mal zu Gast. PAUSE Jean Sibelius 1865-1957 Richard Strauss 1864-1949 Valse triste op. 44 Till Eulenspiegels lustige Streiche (nach alter Schelmenweise in Rondoform) op. 28 ZUR EINFÜHRUNG In Joseph Haydns Sinfonie Nr. 86 D-Dur, der fünften Pariser Sinfonie, be gegnet zweimal die Kennzeichnung „spiritoso" bzw. „con spirito". Auch ihr zweiter Satz hätte sie verdient, wäre nicht mit „Capriccio" be reits etwas Ähnliches angesprochen. Da Haydn HORIA ANDREESCU, 1946 in Brasov geboren, ent stammt einer Musikerfamilie. Er studierte in seiner Heimatstadt und an der Musikakademie „Ciprian Po- rumbescu" in Bukarest (Dirigieren bei Constantin Bu- geanu und Komposition bei Stefan Niculescu). 1967 de bütierte er mit dem Jugendorchester von Brasov, dann leitete er das Kammerorchester der Bukarester Jugend. 1973 74 vertiefte er seine Ausbildung an der Bukarester und — bei Hans Swarowsky — an der Wiener Musik akademie. Außerdem besuchte er Dirigentenkurse von Sergiu Celibidache. Er ist Chefdirigent der Staatsphil harmonie von Ploiesti, gleichzeitig ständiger Gast der führenden Orchester seines Landes. Er machte zahl reiche Aufnahmen für Funk und Fernsehen und gastier te sehr erfolgreich in vielen Ländern (u. a. 1979 in den USA, seit 1981 wiederholt in der DDR). Seit Ende 1985 bindet ihn ein ständiger Gastvertrag an das Mecklenburgische Staatstheater und die Mecklenburgi sche Staatskapelle Schwerin. Die Dresdner Philharmo niker hat Horia Andreescu seit 1983 mehrfach dirigiert. mit derlei Zusätzen sparte, fällt eine solche Häufung auf. über dies Werk hinaus aber trifft „spiritoso" ganz allgemein einen Grund zug seiner Musik, eben jenen, den sie mit dem fortschrittlichen Denken jenes Landes gemein sam hat, für das er hier komponierte: Haydns Musik ist immer geistvoll, in der Souveränität der Mittel und der aufgeklärten Durchsichtig keit der gedanklichen Bezüge ebenso wie im intellektuellen Niveau, in ihrem Humor und in ihrer Aktivität. Bis in Einzelheiten ließe sich Voltaires Definition von „esprit" auf Haydns Musik übertragen: „Was man esprit nennt, ist bald ein neuer Vergleich, bald eine feine An spielung . . . bald eine zart angedeutete Be ziehung zwischen zwei ungewöhnlichen Ge danken oder ein eigentümliches Gleichnis . . . Es ist die Kunst, entweder zwei entfernte Din ge zu verbinden oder zwei Dinge zu trennen, die sich zu berühren scheinen, oder sie einan der entgegenzusetzen . . . Esprit ist etwas an deres als Urteil, Genie, Geschmack, Bega bung, Durcharbeitung, Grazie, Feinheit; aber er muß von allen diesen Vorzügen etwas ha ben. Man könnte ihn als schöpferische Ver nunft bestimmen." Esprit bekundet sich auch darin, wie Haydn mit Hörgewohnheiten und -erwartungen spielt: In der fünften Pariser Sinfonie scheint der breite melodische Vortrag der langsamen Ein leitung ein gewichtiges Hauptsatzthema an zukündigen. Indessen erscheint hier etwas, was eher wie ein Nachsatz anmutet zu einem Vor dersatz, der nicht erklungen ist. Als ob wir etwas verpaßt hätten, befindet sich dieses Al legro spiritoso sogleich „mittendrin" und zu nächst gar abseits von der Haupttonart; es will davoneilen, weshalb ein kontrastierendes Motiv energisch bremst und festhält. Aus die sen Prägungen weiß Haydn fortspinnend, ver wandelnd und kontrapunktierend so viel zu gewinnen, daß das kurzatmige Seitenthema Episode bleiben muß. Die geistvolle „Enttäu schung" vom Beginn des ersten wiederholt und vertieft Haydn im zweiten Satz. Wie um den Bezug zu unterstreichen, setzt er stets bei einem Dreiklang an, der kontrapunktisch zur Melodie am Beginn des Werkes erschien, überhaupt klingt dieser Satz immer wieder wie eine langsame Introduktion, wie Vorbereitung und Hinleitung, unterbrochen durch Überra schung und plötzliche Umschläge von gravitä tischer Feierlichkeit zu dramatischen Partien, vom schweren Maestoso zu fast tändelnden Charakteren, ohne daß je ein Thema als Hauptgegenstand präsentiert würde. Indem sich das originelle Stück kapriziös jeder Ein deutigkeit entzieht — am ehesten noch wäre es als freie Variation zu fassen —, macht es seinem Namen alle Ehre. Im Menuett zeigt Haydn, wie sich auch ein solcher vorgepräg ter Typus nahezu sonatenhaft gestalten läßt: Im zweiten Teil zerlegt er zunächst den stamp fenden Gleichschritt des Themas, schichtet die ses sodann imitierend, erfindet ihm einen neuen Nachsatz und schickt der „Reprise" nach einer überraschenden Fermate gar eine kleine Koda nach. Nach dem behäbig-schweren Me nuett kommt das Trio mit solistischen Bläsern und Pizzikati leichtfüßig daher; zu Beginn des zweiten Teils kehrt Haydn die Melodie des er sten um. Zum Esprit gehört nicht zuletzt Knappheit, setzt er doch ein Gegenüber voraus, das rasch auffaßt und betuliche Wiederholungen über flüssig macht. Der Schlußsatz der Sinfonie gibt dafür ein Musterbeispiel. Genial sicher trifft Haydn im Thema den Tonfall eines sprühen den Finales. Die Prägung ist so tragfähig, daß es als zweites Thema nur eines „Absenkers" bedarf. Rasch folgen die Ereignisse aufein ander und fordern ein hellwaches Mitgehen, will der Hörer von ihnen nicht „überrollt" den, sondern sie erfassen. Die Reihenf^^ der sechs Pariser Sinfonien hat Haydn mögli cherweise auch im Sinne einer Steigerung dis poniert; erst in den beiden letzten werden Trompeten und Pauken verwendet, in der fünften vornehmlich an den spezifischen Klang der Tonart gebunden. Alfred Schnittke, einer der bedeu tendsten sowjetischen Komponisten der Ge genwart, wurde 1934 in Engels (RSFSR) als Sohn deutscher Eltern geboren, mit denen er als Zwölfjähriger für zwei Jahre nach Wien kam. Dort begann seine musikalische Ausbil dung, die 1949—53 an der Moskauer Musik fachschule in den Fächern Dirigieren und Chordirigieren fortgesetzt wurde. Das von 1953-58 folgende Kompositionsstudium am Moskauer Konservatorium führte nach drei jähriger Aspirantur zu einer Anstellung als Lehrer für Instrumentation und Komposition am selben Bildungsinstitut. Seit 1972 lebt Schnittke freischaffend in Moskau. Zu seinen wichtigsten Arbeiten zählen die vier VioJ konzerte, drei Sinfonien, das Oratorium gasaki" von 1958, das Orchesterstück „pianis- simo", zwei Concerti grossi, ein Requiem zu Schillers „Don Carlos" und die szenische Kom position „Der gelbe Klang" nach Wassili Kan dinsky. Darüber hinaus entstanden zahlreiche Kammermusikwerke, elektronische Kompositio nen sowie Film- und Theatermusiken. Eine „Faust"-Kantate nach Texten alter deutscher Volkslegenden gehört zu den neuesten Arbei ten und gibt die Vorlage zu einer geplanten „Faust"-Oper ab. „Ungefähr 1967/68 spürte ich eine ziemlich starke Unzufriedenheit mit meinen Experi menten mit serieller Musik ... Es ist überlie-