Volltext Seite (XML)
1875 beendete b-Moll-Konzert eine der aller bekanntesten und beliebtesten Schöpfungen Tschaikowskis werden. Der Komponist widmete es nach der Ablehnung Rubinsteins dem deut schen Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow, einem großen Verehrer seiner Musik. „Ich bin stolz auf die Ehre, die Sie mir mit der Widmung dieses herrlichen Kunstwerkes erwie sen haben, das hinreißend in jeder Hinsicht ist", schrieb Bülow, der das Konzert bei der Uraufführung am 25. Oktober 1875 in Boston spielte und es in Amerika und Europa zu größten Erfolgen führte. „Die Ideen sind so originell, so edel, so kraftvoll, die Details, selche trotz ihrer großen Menge der Klarheit *>d Einigkeit des Ganzen durchaus nicht schaden, so interessant. Die Form ist so voll endet, so reif, so stilvoll — in dem Sinne näm lich, daß sich Absicht und Ausführung überall decken." Seitdem ist der große Erfolg diesem an das Erbe Schumanns und Liszts anknüpfen den wie auch Elemente der russischen Volks musik aufgreifenden und doch ganz persön lich geprägten Werk stets treu geblieben. Ein gängige, sinnenfreudige Melodik und origi nelle Rhythmik, aufrüttelndes, lebensbejahen des Pathos und musikantischer Schwung, stili stische Eleganz und virtuose Brillanz sind die Eigenschaften, die es zu einem Lieblingsstück sowohl des Publikums als auch der Pianisten aller Länder werden ließen. Mit einer außerordentlich schwungvollen, selb ständigen Einleitung beginnt das Werk, das von Hörnerfanfaren eröffnet wird. Eine durch Violinen und Violoncello vorgetragene, schwel gerische Melodie wird vom Soloinstrument zu nächst mit rauschenden Akkorden begleitet, dann von ihm aufgenommen und ausge schmückt und schließlich nochmals original in den Streichern gebracht. Das Hauptthema des folgenden Allegro con spirito ist einem ukrai nischen Volkslied nachgebildet, das der Kom ponist von blinden Bettelmusikanten auf dem Jahrmarkt in Kamenka bei Kiew gehört hatte. Ihm steht ein innig-gefühlvolles Seitenthema kontrastierend gegenüber. Ein buntes, glanz volles Wechselspiel zwischen Solopart und Or chester mit mehreren virtuosen Höhepunkten kennzeichnet den Verlauf der hauptsächlich von Motiven des zweiten Themas getragenen Durchführung des Satzes. Lyrisch-kantabel ist der Anfangsteil des in Liedform aufgebauten zweiten Satzes: Von Violinen, Bratschen und Celli zart begleitet, bläst die Flöte eine sanfte, anmutige Melodie. In dem lebhafteren, scherzoähnlichen mittle ren Teil fand ein modisches französisches Chanson „ll faut s'amuser, danser et rire" (Man muß sich freuen, tanzen und lachen) Eingang. Der Schlußteil führt dann wieder in die verträumt-idyllische Anfangsstimmung zu rück. Von sprühendem Temperament, kraftvoll-tän zerischer Rhythmik ist das stark durch ukraini sche Volksmusik inspirierte Finale, ein Rondo, erfüllt. Neben dem feurigen, fröhlichen Haupt thema, dessen Melodie einem ukrainischen Frühlingslied entstammt und das zu wilder Ausgelassenheit gesteigert wird, gewinnt im Verlaufe des Satzes auch das gesangliche, ausdrucksvolle zweite Thema Bedeutung. Ein hymnisch-jubelnder, wirkungsvoller Schluß be endet das Werk. Prof. Dr. Dieter Härtwig „Wir behaupten im Gegensatz zu Hegel, daß der Künstler viel mehr als der Liebhaber Ge fühlsinhalt von dem Gefäß — den Formen — fordern muß. Nur wenn es von ersterem durch drungen ist, kann das letztere Bedeutung für ihn haben. Wir behaupten, daß Künstler und Kenner, die im Schaffen und Beurteilen nur die sinnreiche Konstruktion, die Kunst des Gewebes und der verwickelten Faktur, nur die kaleidoskopische Mannigfaltigkeit mathema tischer Berechnung und verschlungener Linien suchen, Musik nach dem toten Buchstaben treiben und mit solchen zu vergleichen sind, welche die an Blüten und Duft so reichen in dischen und persischen Gedichte nur der Sprache und der Grammatik wegen ansehen, nur die Sonorität des Wortes und die Sym metrie des Versbaues bewundern, ohne den Sinn, die Gedanken- und Bilderfülle ihres Ausdrucks, ohne ihren poetischen Zusammen hang, geschweige den von ihnen besungenen Gegenstand und ihren geschichtlichen Inhalt zu berücksichtigen . . . Darum auch sind insbesondere diejenigen be rufen, die Form zu bereichern, zu erweitern, geschmeidig zu machen, die sich ihrer nur als eines Mittels zum Ausdruck, als einer Sprache bedienen, die sie nach den Erfordernissen der auszudrückenden Idee gestalten." (Franz Liszt im Essay „Berlioz und seine Harold-Sympho nie", Weimar, 1855). Auf dieser musikästhetischen Theorie basiert die Auseinandersetzung Franz Liszts mit dem Genre der sinfonischen Dichtung. Für ihn beruht die Programmusik auf einem poeti schen Gedanken, weniger auf einer musika lisch beschriebenen Handlung. Er war be strebt, allmenschliche Ideale darzustellen, wie er sie in literarischen Werken oder in der bil denden Kunst fand. Tasso, Lamento e Trionfo reiht sich in diese Werkgruppe ebenso ein wie die sinfonischen Dichtungen Orpheus, Hamlet, Hunnenschlacht, Les Preludes und die beiden programmatischen Sinfonien zu Goethes „Faust" und Dantes „Divina Commedia", die wir in unserer Zyklus-Reihe vorstellen. Am 28. August 1849, zu Goethes 100. Geburts tag, führte das Hoftheater in Weimar, wo Liszt zu dieser Zeit tätig war, das Drama „Torquato Tasso" des Jubilars auf. Dafür entstand die sinfonische Dichtung, wobei sich Liszt jedoch eher von dem Gedicht Lord Byrons inspirie ren ließ, in dessen Auffassung der Renaissan ce-Dichter während seines Lebens verkannt wurde und erst nach dem Tode durch sein Werk triumphierte. Dieser Deutung entspricht auch die Doppelform der Komposition, die bereits im Untertitel „Lamento e Trionfo" angedeutet ist. Liszt baut seinen „Tasso" auf einem zwei taktigen Triolen-Motiv auf, das er, als dem Helden zugeordnet, leitmotivisch immer wie der hervortreten läßt. Aus ihm entwickelt er ein prägnantes Thema, und dieses wiederum ist Grundlage weiterer melodischer Erfin dungen von äußerst einprägsamer Art. Der poetischen Grundidee entsprechend, führt Liszt sein thematisches Material in die ver schiedensten Ausdrucksbereiche. Dramatische Episoden, klagend-resignierende Moll-Passa gen wechseln mit Momenten der Ruhe, ja fast tänzerisch-heiterem Gestus. Im „Trionfo" er scheint das Triolen-Motiv des Helden zunächst in einem sich jubelnd aufschwingendenjhe- matischen Gedanken. Tempo, Klangentf^Äig und die Augmentation (Vergrößerung d^^ffo- tenwerte) des Hauptthemas steigern das mu sikalische Geschehen ins Großartige bis hin zum triumphalen Schluß. Das musikalisch Be deutende dieser sinfonischen Dichtung liegt vor allem in ihrer thematischen Erfindung und deren Führung in die differenziertesten Klang bereiche, weniger im Trompeten-Glanz und -Gloria, mit dem uns Liszt aus dem „Tasso" entläßt. VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 22. Februar 1986, 20.00 Uhr (Anrecht B) Sonntag, den 23. Februar 1986, 20.00 Uhr (Anrecht C 1) Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Prof. Dr. Dieter Härtwig 7. ZYKLUS-KONZERT Dirigent: Andres Ligeti, Ungarische VR Solist: Stephan Spiewok, Leipzig, Tenor Chor: Männerchor des Philharmonischen Chores Dresden Einstudierung Matthias Geissler Werke von Haydn und Liszt Programmblätter der Dresdner Philharmonie Spielzeit 1985/86 Redaktion: Dipl.-Phil. Sabine Grosse Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 2,85 JtG 009-1-86 EVP —.25 M 6. ZYKLUS-KONZERT 1 985/86