Volltext Seite (XML)
6. PHILHARMONISCHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonnabend, den 24. März 1934, 20.00 Uhr Sonntag, den 25. März 1984, 20.00 Uhr oresoner oNIhsinnnioniiö» Dirigent: Herbert Kegel Solistin: Violetta Madjarowa, VR Bulgarien/Berlin, Alt Chöre: Frauenchor des Philharmonischen Chores Dresden Einstudierung Matthias Geissler Kinderchor der Dresdner Philharmonie Einstudierung Wolfgang Berger Gustav Mahler 1860-1911 Sinfonie Nr. 3 d-Moll ERSTE ABTEILUNG 1. Kräftig. Entschieden PAUSE ZWEITE ABTEILUNG 2. Tempo di Menuetto. Sehr mäßig 3. Comodo. Scherzando. Ohne Hast 4. Sehr langsam. Misterioso. Durchaus ppp 5. Lustig im Tempo und keck im Ausdruck 6. Langsam. Ruhevoll. Empfunden Das Konzert wird von Radio DDR II, Sender Dresden, aufgezeichnet und am 27. März 1984 im Rahmen des „Dresdner Abends" gesendet. VIOLETTA MADJAROWA, in Russe (Bulgarien) gebä ren, lebt seit 1970 in der DDR. Ihre musikalische Aus bildung begann mit Unterricht im Violoncellospiel, setzte sich fort mit dem Besuch der Gesongsklasse an der heimatlichen Spezialmusikschule und noch dem Abitur mit dem Gesangsstudium an der Musikhoch schule In Sofia. Am Landestheater Halle trat sie ihr erstes Engagement an. 10 Jahre gehörte sie dort dem Solistenensemble an und erhielt 1975 für ihr hervorra gendes sängerisches und darstellerisches Können ins besondere bei der Interpretation Handelscher Opern partien den Händel-Preis des Bezirkes Halle. Weitere Preise wurden ihr beim 2. und 4. Wettbewerb Junger Sänger der Theater der DDR und beim Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerb 1974 in Zwickau zuer kannt. Seit 1980 ist Violetta Madjarowa Mitglied der Komischen Oper Berlin. Ihr reiches Repertoire, das nicht nur die Altpartien der Opernliterotur umfaßt, bringt der jungen Künstlerin immer häufiger auch Ver pflichtungen als stilkundige Konzertsängerin, ZUR EINFÜHRUNG 1897 starb Johannes Brahms, ein halbes Jahr nach Anton Bruckner, und noch im selben Jahr brachte der 1874 in Wien geborene Arnold Schönberg seine ersten Lieder zu Papier. Das Alte starb ab, das Neue trat auf den Plan, und in der Mitte zwischen beiden, mit dem „Alten" (Brahms) gerade noch befreundet, dem jungen Schönberg aber bereits ein ver ständiger Mentor, in seiner Musik formal noch der (tonalen) Tradition verhaftet, mit ihren „Inhalten" und seinem künstlerischen Bewußt sein jedoch weit in unser Jahrhundert greifend, stand Gustav Mahler. Der größte sinfonische Entwurf der Jahre 1895/96 war — neben der Zweiten — die 3. Sinfonie d-Moll. An ihrer Vollen dung arbeitete der „Ferienkomponist" („Ein Mensch, der an die Galeere .Theater' geket tet ist, kann nicht so viel Musik zusammen bringen, wie die jetzigen Konzertmatadore") in den Sommermonaten. Das Werk schlug Mahler mächtig in seinen Bann, und nur der ungeduldigen Anna von Mildenburg, der mit ihm befreundeten und wie er an der Hamburger Oper engagierten Sängerin, gab er in einem Brief Einblick in seine schöpferische Welt: „Aber ich habe es Dir doch geschrieben, daß ich an einem gro ßen Werk arbeite. Begreifst Du nicht, wie das den ganzen Menschen erfordert, und wie man da oft so tief drin steckt, daß man für die Außenwelt wie abgestorben ist. Nun aber denke Dir ein so großes Werk, in welchem sich in der Tat die ganze Welt spiegelt — man ist sozusagen selbst nur ein Instrument, auf dem das Universum spielt. Ich habe es Dir doch schon oft erklärt — und Du mußt es akzeptieren, wenn Du wirklich Verständnis für mich hast. Sieh, das mußten alle lernen, die mit mir leben sollen. In solchen Momenten gehöre ich nicht mehr mir ... Es sind furcht bare Geburtswehen, die der Schöpfer eines solchen Werkes erleidet, und bevor sich das alles in seinem Kopfe ordnet, aufbaut und aufbraust, muß viel Zerstreutheit, In-sich-ver- sunken-Sein, für die Außenwelt Abgestorben- Sein vorhergehen . . . Meine Symphonie wird etwas sein, was die Welt noch nicht gehört hat! Die ganze Natur bekommt darin eine Stimme und erzählt so tief Geheimes, das man vielleicht im Traume ahnt! Ich sage Dir, mir ist manchmal selbst unheimlich zumute bei manchen Stellen, und es kommt mir vor, als ob ich das gar nicht gemacht hätte." Bruno Walter besuchte Mahler 1896 am At- 3. Sinfonie mußte froh und Arthur Programme selbst ihre tersee. Er hatte ihn noch nie so gelöst gese hen wie hier. Fern aller Opernsorgen, war Mahler ganz auf seine Musik konzentriert. Als die Partiturskizzen abgeschlossen waren, spielte er dem Freund daraus vor: „Die Ge walt und Neuheit der Tonsprache betäubten mich förmlich — auch überwältigte mich, i4 seinem Spiel die schöpferische Glut und d" Erhebung zu fühlen, aus denen das Werk entstanden war." An eine baldige Aufführung der Sinfonie war natürlich nicht zu denken. Mahler sein, wenn Felix von Weingartner Nikisch einzelne Sätze auf ihre setzten. Erst 1902 leitete Mahler Uraufführung in Krefeld. In ihren Riesenausmaßen ist die ein beispielloses Wagnis. Wie schon die zwei te sprengt sie durch das Einbeziehen von Liedsätzen die klassische Viersätzigkeit. Sie ist in zwei „Abteilungen" komponiert; Satz 1 wird von der ersten, Satz 2—6 von der zweiten Abteilung umfaßt. Zwischen beiden Abteilun gen verlangte Mahler ausdrücklich eine län gere Pause. Der 1. Satz ist Mahlers längster Sinfoniesatz. Mit einer Dauer von beinahe 40 Minuten über trifft er selbst das Finale der 6. Sinfonie. Als literarische Idee mag ihm ein uralter arkadi scher Gott zugrunde liegen: Pan. Dieser liebt die Tiere und die Musik, erfand wohl auch ein Flöteninstrument. Dem Menschen freilich war er nicht unbedingt geneigt. In der brütend den Mittagsstille flößte er ihm durch plöt" liehe Laute Furcht ein. Auch Mahlers grandio se Einleitung — sie erstreckt sich in zwei rie sigen Strophen über 245 Takte! — verbreitet „panischen Schrecken". Seine Naturlaute, oft ganz irregulär gegen den Takt gesetzt, ent stammen aber nicht mehr allein der Panflöte. Die ganze Natur, zwar starr und reglos noch, scheint ungeheuerlich zu tönen. In einer gro ßen Marschmusik - der Exposition und deren Reprise im angedeuteten Sonatensatzschema des Satzes — ergreift der Schrecken auch die Form: Sie treibt ins Chaotische der aufgebro chenen, ausgebrochenen Natur,