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Bruckner. Es scheint, die Neunte ist eine Gren ze. Wer darüber hinaus will, muß fort. Es sieht aus, als ob uns in der Zehnten etwas gesagt werden könnte, was wir noch nicht wissen sol len, wofür wir noch nicht reif sind. Die eine Neunte geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe. Vielleicht wären die Rätsel dieser Welt gelöst, wenn einer von denen, die sie wissen, die Zehnte schriebe. Und das soll wohl nicht so sein". Robert Schumanns aus der Düsseldorfer Zeit stammendes, im Oktober 1850 vollendetes Violoncellokonzerta-Moll op. 129 ^fcört neben Dvoraks Konzert für das gleiche URrument zu den schönsten des 19. Jahrhun derts. Der Form nach ist es ein zusammenhän gendes Konzertwerk, dessen drei Sätze unmittel bar ineinander übergehen. Das virtuose Ele ment, obschon vorhanden, tritt völlig hinter dem eigentlichen musikalischen Ausdruck zurück. Das schwärmerische, auf einen elegisch-kantablen, echt romantischen Ton gestimmte Konzert setzt das Soloinstrument in seinen besten Klangre gionen ein — neue Hoffnungen, Beglückung über wiedergewonnene Schaffenskraft sprechen aus dieser Partitur Schumanns. Nach kurzer vier taktiger Orchestereinleitung stellt das Violon cello, begleitet von Achtelfiguren des Streich quartetts, das schwärmerische Hauptthema des ersten Satzes (Nicht zu schnell) vor. Das Or chester bringt sodann einen kraftvolleren, vor wärtsdrängenden Gedanken ins Spiel, und das Seitenthema erzeugt eine heitere, beschwingte Atmosphäre. In der Durchführung herrscht das Hauptthema vor, das auch den strahlenden Satzschluß bestimmt. — Eine ausdrucksvolle Romanzenmelodie trägt das Soloinstrument zu Beginn des kurzen langsamen zweiten Satzes vor. In einem kontrastierenden lebhaften Ab- nitt stimmen die Bläser wie aus der Ferne ? vier ersten Takte vom Hauptthema des er ¬ sten Satzes an. Ein Rezitativ des Solisten lei ¬ tet in den rhythmisch bewegten, schwungvollen dritten Satz (Sehr lebhaft) über. Während das frische und spritzige Hauptthema vom Orche ster eingeführt wird, erklingt das gesangvollere zweite Thema im Wechselspiel von Soloinstru ment und Holzbläsern. Die Durchführung arbei tet vor allem mit dem Hauptthema. Horn und Klarinette bringen eine Reminiszenz an das Hauptthema des ersten Satzes. Eine Kadenz des Solisten führt zur Reprise und zum brillan ten, wirkungsvollen Ausklang des Stückes. Mit der 15. Sinfonie A-Dur op. 141, die im Sommer 1971 vollendet und im Januar 1972 in Moskau uraufgeführt wurde, kehrte Dmitri Schostakowitsch nach acht zehn Jahren wieder zur reinen Instrumental sinfonie zurück. Sie darf, wie die vorangegan genen Kompositionen, als ein Meisterwerk an gesehen werden, wirkt jedoch in klanglicher Hinsicht noch subtiler und gereifter, von tiefe rem philosophischem Ernst bestimmt. Sie ist zwar ein tragisches Werk, aber zugleich eines, aus dem immer wieder der Gedanke der Hoff nung und Zuversicht kräftig hervorbricht. Es wäre naheliegend, diese Sinfonie eine opti mistische Tragödie zu nennen. Zweimal wird der Anlauf genommen, in zwei gleichlauten den, doch sonst sehr voneinander abweichen den Satzpaaren (Allegretto/Adagio, Allegretto/ Adagio) das Bejahende wie Tragische und dessen kämpferische Überwindung zu gestal ten. Züge einer neuartigen und eigenwilligen Dramaturgie sind erkennbar. In den Ideenge halt eingeschmolzen werden zwei Zitate aus fremder Hand: die Marschepisode aus Rossinis Ouvertüre zu „Wilhelm Teil", das Schicksals motiv aus Wagners „Walküre". Sie stehen je doch nicht für sich allein, sondern verdichten, „konkretisieren" eine bestimmte Ausdruckshal tung, können aber auch als Bekenntnis Scho- stakowitschs zu diesen beiden Meistern und ihren Werken aufgefaßt werden. Zumindest bei Rossini läßt sich das sagen, auf den der Komponist schon im Finale der 6. Sinfonie zurückgegriffen hat. Trotzdem folgte Schosta kowitsch auch in seiner letzten Sinfonie dem Personalstil konsequent, mit überlegener Reife und tief empfundener Musikalität. Scherzoartig beginnt der erste Satz, ein freches und spritziges Allegretto, in dem mehrere the matische Gedanken ihr übermütiges Spiel trei ben. Zunächst hören wir ein kurzes Motiv in der Flöte, aus dessen Kern ein fast improvisa torisch wirkendes Solo über mehr als 30 Takte entwickelt wird. Die grundlegende Ausdrucks haltung ist hier schon exponiert: Lebensfreude, Unbeschwertheit und Spaß an der Pointe. Der lebensbejahende Charakter des Satzes wird auch bei weiteren motivisch-thematischen Ein zelheiten deutlich; zum Beispiel, wenn plötzlich das erwähnte „Tell"-Thema von Rossini er klingt, frisch und marschartig pointiert, von den Blechbläsern intoniert, die es dann noch mehr mals in das turbulente Geschehen als Zitat einwerfen. Möglicherweise taucht der Rossini- Marsch hier als ferne Erinnerung an erste musikalische Kindheitseindrücke auf; zumin ¬ dest läßt eine interessante Äußerung des Komponisten einen solchen Schluß zu: Er be zeichnet den ersten Satz als „Bild eines Spiel zeugladens". Dem heiteren Rückblick folgt als zweiter Satz ein im Ausdruck ernstes Adagio, das wie ein unheilvolles und düsteres Ereignis im mensch lichen Leben hereinbricht. Einen tragischeren Satz hat Schostakowitsch wohl nicht geschrie ben. Gleich drei seiner wesentlichsten Gestal tungsmomente des Tragischen — Bläserchoral, deklamatorisches Melos und Trauermarsch — werden hier auf engstem Raume konzentriert. Ein erhaben-ernster Bläserchoral eröffnet den Satz. Den über 17 Takte erklingenden kom pakten Bläserakkorden folgt als instrumenta ler Kontrast ein Solo des Violoncellos, dessen deklamatorisches Melos eindringlich wirkt und eine weitere Seite des tragischen Konfliktes „aufreißt". Diesem expressiven Rezitativ schließt sich der von der Solo-Posaune einge leitete Trauermarsch an Das Adagio wurde einmal mit einem großen Memorial verglichen — zum Gedenken an die Opfer der Revolution, des Großen Vaterländischen Krieges in der Sowjetunion, eine Erinnerung auch an alle ge fallenen Helden, die für den Fortschritt der Menschheit kämpften. Aus diesem Adagio wächst ohne Unterbre chung ein neues Allegretto, der dritte Satz hervor, dessen quirlige, übersprudelnde Le bendigkeit und mutwillige Ausgelassenheit (Quintbässe) schon im ersten Thema unüber hörbar sind. Die einzelnen Verwandlungen des Themas, das zuerst von den Klarinetten angestimmt wird, müssen nicht beschrieben werden, sie prägen sich beim ersten Hören ein und leben vom klanglichen Kolorit der je weiligen Instrumente. Im Unterschied zu ande ren Scherzosätzen des Komponisten hat dieses Allegretto keine grotesken und wilden Züge, es steht mehr der tänzerisch empfundenen Burleske nahe. Mit einem Zitat des Motivs der Todesverkündi gung aus Wagners „Walküre" wird das Finale eingeleitet; es korrespondiert in seinem ge danklich-philosophischen Anspruch, in seinem ernsten Ausdruck zum zweiten Satz und trägt wie dieser die Bezeichnung „Adagio". Daß sich beide Sätze trotzdem voneinander unterscheiden, wird ganz deutlich, wenn nach den düsteren, schicksalsschweren Wagnerschen Blechbläserklängen eine Allegrettoepisode setzt, die alles, was vorher tragisch und ww grüblerischem Ernst bestimmt war, in einer ge lösten und freundlich-zuversichtlichen Haltung „aufhebt". Dafür sorgt ein lyrisches, fast tän zerische Leichtigkeit ausstrahlendes Thema in den 1. Violinen, das danach von der Flöte und den Streichern in lichtvolle Höhen geführt wird, um so den inhaltlichen Kontrast zum Schick salsmotiv zu unterstreichen. Die feste innere Geschlossenheit des Finales betont noch ein streng geformter Abschnitt im Charakter einer Passacaglia, bis dann Reminiszenzen des Flö tenthemas aus dem ersten Satz den Ausklang bilden. Das Flötenthema erscheint hier nicht mehr kindlich-verspielt, sondern von philoso phischer Weisheit durchdrungen. „Morendo" (ersterbend) steht über den letzten Noten der 15. Sinfonie. VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 14. Januar 1984, 20.00 Uhr (Anrecht A 2) Sonntag, den 15. Januar 1984, 20.00 Uhr (Anrecht Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 4. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Miltiades Caridis, Österreich Solist: Ralf-Carsten Brömsel, Dresden, Violine Werke von Schubert, Mozart, Ravel und Bartok Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dipl.-Phil. Sabine Grosse Die Einführung in die 15. Sinfonie Schostakowitschs verfaßte Hans-Peter Müller für das Konzertbuch III, Leipzig 1974, DVfM Spielzeit 1983 84 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 492615 2,9 ItG 55-83 EVP -.25 M 3. PHILHARMONISCHES KONZERT 1983/84