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ZUR EINFÜHRUNG Montag, den 9. Mai 1983, 19,30 Uhr im Festsaal des Kulturpalastes Dresden Konzert der Dresdner Philharmonie Dirigent: Herbert Kegel Solist: Oleg Kryssa, Sowjetunion, Violine Johannes Brahms 1833-1897 Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 Allegro non troppo Adagio Allegro giocoso, ma non troppo vivace — Pause — Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 Allegro non troppo Adagio non troppo Allegretto grazioso Allegro con spirito Oleg Kryssa, 1942 geboren, begann seine musikalische Ausbildung im Alter von sechs Jahren an der Musikschule in Lwow, 1960 kam er in die Meister klasse David Oistrachs am Moskauer Konservatorium. Bereits 1962 ging er als 2. Preisträger aus dem Wieniawski-Wettbewerb in Poznan hervor. Seinen Ruf als Violinvirtuose von internationalem Rang begründete jedoch die Teilnahme am Paganini-Wettbewerb 1963 in Genua, wo ihm die Jury den 1. Preis, den so genannten Paganini-Preis, zuerkannte. Inzwischen konzertierte er in zahlreichen Ländern als namhafter Vertreter der sowjetischen Geigerschule. Bei der Dresd ner Philharmonie war er 1965, 1968 und 1980 zu Gast. Johannes Brahms schrieb sein einziges, im Jahre 1878 komponiertes Violinkonzert D-Dur op. 77 für seinen langjährigen Freund, den berühmten Geiger Joseph Joachim, der ihm auch bei der Ausarbeitung der Solo stimme in violintechnischen Fragen ratend zur Seite stand (ohne daß Brahms allerdings auf alle Änderungsvorschläge Joachims eingegangen wäre). „Nun bin ich zufrieden, wenn Du ein Wort sagst und vielleicht einige hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich usw.", können wir in einem Brief vom August 1878 an Joachim lesen, den der Komponist ihm zusammen mit der zu begutachtenden Violinstimme schickte. In seiner Antwort darauf bemerkte der Geiger, „daß das . . . herauszukriegen'' und ein Teil sogar „recht originell violinmäßig" sei. Bereits am Neujahrstag des folgenden Jahres wurde das in einer glücklichen, frucht baren Schaffensperiode entstandene Werk (auch die 2. Sinfonie D-Dur und das 2. Klavierkonzert B-Dur stammen aus dieser Zeit und zeigen manche dem Violin konzert verwandte Züge) mit Joachim als Solisten unter Brahms' Leitung urauf geführt. Das Konzert, das sich in bezug auf Aussage, Form und Anlage außerordentlich vom Typ des zeitgenössischen Virtuosenkonzertes unterscheidet, war vom Kom ponisten zuerst viersätzig geplant worden. Da Brahms aber „über Adagio und Scherzo gestolpert ist", komponierte er den Adagio-Satz neu und ließ die beiden ursprünglichen Mittelsätze wegfallen. Trotzdem ist die ausgesprochen sinfonische Anlage des Konzertes unverkennbar. Schon Clara Schumann äußerte nach dem Kennenlernen des ersten Satzes, „daß es ein Konzert ist, wo sich das Orchester mit dem Spieler ganz und gar verschmilzt". Niemals ist die virtuose Violintechnik hier Selbstzweck, wie bei so vielen zeitgenössischen Solokonzerten, sondern in vertiefter, gehaltvoller Gestaltung stets als dienendes Glied in den sinfonischen Ablauf eingefügt, wobei (für Brahms' Zeit ganz neue) große Aufgaben an den Solisten gestellt werden. In seiner größtenteils lyrisch heiteren, innig-warmen Grundstimmung, seiner klassisch ausgewogenen Form gehört das Brahmssche Violinkonzert zu den schönsten, vollendetsten und berühmtesten Werken dieser Gattung. Das weiche, in ruhigen D-Dur-Dreiklängen auf- und absteigende Hauptthema des großangelegten ersten Satzes (Allegro non troppo) erklingt eingangs in Bratschen, Violoncelli, Fagotten und Hörnern und findet seine Weiterführung in einer sehnsüchtigen Oboenmelodie. In der ausgedehnten sinfonischen Orchester einleitung werden noch weitere Nebengedanken entwickelt. Darauf setzt nach einem rhythmisch scharf betonten, später vom Solisten erweiterten Seitenthema kadenzartig das Soloinstrument ein, in gleichsam improvisatorischen Umspie lungen zum Hauptthema findend. Nachdem auch das eigentliche zweite, sehr kantable Thema von der Solovioline vorgetragen wurde, werden im spannungs vollen Durchführungsteil die verschiedenen Themen und Motive in mannig fachsten Ausdrucksschattierungen verarbeitet. Die an die Reprise anschließende Kadenz des Solisten hat Brahms nicht selbst ausgeschrieben. In den höchsten Logen der Violine ertönt danach noch einmal friedvoll die Anfangsmelodie, dann beschließt eine kurze, kraftvolle Coda den Satz. Ein wunderschönes, echt „Brahmssches" Adagio bildet den Mittelsatz des Wer kes. Der poesievolle dreiteilige Satz wird von den Bläsern eingeleitet, wobei die Oboen, von den übrigen Holzbläsern und zwei Hörnern begleitet, das liebliche F-Dur-Hauptthema zum Vortrag bringen, das dann von der Solovioline aufge griffen und variierend weitergesponnen wird. Nach einem leidenschaftlichen, weitgehend von Solisten getragenen fis-MolI-MittelteiI wird das Anfangsthema wieder aufgenommen; arabeskenhaft umspielen die Figuren des Soloinstruments den Oboengesang. Das abschließende feurige Allegro giocoso, in Rondoform aufgebaut, beginnt sogleich mit dem durch den Solisten erklingenden, ein wenig ungarisch gefärb ten tänzerischen Hauptthema, das durchweg in Doppelgriffen erscheint. Von den Seitenthemen des Finalsatzes wird besonders ein energisch-markantes, auf steigendes Oktaventhema der Violine bedeutsam, daneben eine zarte, lyrische G-Dur-Episode. In einer Stretta gipfelnd, die das Rondothema noch einmal in rhythmisch veränderter Form bringt, beendet der glanzvoll virtuose, spritzige Finalsatz mit einer Fülle origineller Einfälle das Konzert. Johannes Brahms' Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 7 3, im Jahre 1877 komponiert, entstammt einer glücklichen Lebensperiode des Meisters, deren ruhige Heiterkeit sich in den meisten der in dieser Zeit vollendeten Werke wider spiegelt. So ist auch die Grundstimmung der D-Dur-Sinfonie durch Lebensbe jahung, Lebensfreude und innere Gelöstheit gekennzeichnet. Das Werk, das oft als die „Pastorale" des Komponisten bezeichnet wurde, steht in starkem Gegen satz zu der vorangegangenen, leidenschaftlich-kämpferischen c-Moll-Sinfonie und verhält sich zu ihr vergleichsweise etwa wie Beethovens „Sechste" zu seiner „Fünften" oder Dvoraks achte zur siebenten Sinfonie. Landschaftliche Eindrücke, Naturstimmungen sollen auch bei der Entstehung dieser Brahms-Sinfonie eine wesentliche Rolle gespielt haben. „Das ist ja lauter blauer Himmel, Quellen rieseln, Sonnenschein und kühler, grüner Schatten. Am Wörther See muß es doch schön sein", äußerte der dem Komponisten befeundete Chirurg Theodor Billroth zu der in wenigen sonnenerfüllten Sommermonaten in Pörtschach am See in den Kärntner Bergen geschriebenen Komposition, die in ihrer pastoralen Lieb lichkeit dem ein Jahr später dort entstandenen Violinkonzert nahe verwandt ist. „Eine glückliche, wonnige Stimmung geht durch das Ganze, und alles trägt so den Stempel der Vollendung und des mühelosen Ausströmens abgeklärter Ge danken und warmer Empfindungen." Doch entbehrt das sehr einheitliche und geschlossene, an herrlichen Einfällen überreiche Werk trotz seiner lichten und freudigen, lyrischen Grundhaltung, trotz seiner Bindung an die „heitere" klas-