Volltext Seite (XML)
6. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonnabend, den 29. Januar 1983, 20.00 Uhr Sonntag, den 30. Januar 1983, 20.00 Uhr oresoner Philharmonie Dirigent: Ken-Ichiro Kobayashi, Japan Solist: Alfred Lipka, Berlin, Viola Hector Berlioz 1803-1869 Harold in Italien — Sinfonie mit obligater Viola op. 16 Harold in den Bergen (Adagio — Allegro) Marsch der Pilger (Allegretto — Canto religioso) Serenade in den Abruzzen (Allegro assai — Allegretto) Gelage der Räuber (Allegro frenetico) ALRFED LIPKA, 1930 in Usti n. L. geboren, studierte 1948—1955 am damaligen Thüringischen Landeskon servatorium Erfurt und an der Hochschule für Musik „Franz Liszt" in Weimar. Nach Engagements als 1. Konzertmeister an der Landeskapelle Eisenach und als Solobratscher des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig (1958 bis 1963) wirkte er 1963—1975 als 1. So lobratscher der Staatskapelle Berlin, gleichzeitig als Mitglied des Streichquartetts der Deutschen Staats oper. Seit 1975 ist er als Professor und Leiter einer Bratschen-Klasse an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler" in Berlin tätig, daneben kommt er seinen um fangreichen internationalen Verpflichtungen als Solist und Kammermusikspieler nach, die ihn bereits in alle europäischen Länder sowie nach Ägypten und Japan geführt haben. Er spielte zahlreiche Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen ein und ist Kunst- und Natio nalpreisträger der DDR. Bei der Desdner Philharmonie war er bereits 1966, 1970 und 1980 zu Gast. Johannes Brahms 1833-1897 PAUSE Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68 Un poco sostenuto — Allegro Andante sostenuto Un poco Allegretto e grazioso Adagio — Allegro non troppo ma con brio Das Konzert wird von Radio DDR, Sender Dresden, mitgeschnitten und am 15. Februar 1983 im Rahmen des „Dresdner Abends" gesendet. Als der junge japanische Dirigent KEN-ICHIRO KOBA YASHI, Jahrgang 1940, beim Internationalen Dirigenten- Wettbewerb in Budapest 1974 (in der Jury saß u. a. Prof. Heinz Bongartz) den 1. Preis gewann, war das der Beginn einer internationalen Karriere. Bereits 1970 hatte er in seiner Heimat beim Ming-on-Wettbe- werb für Dirigenten einen Preis erhalten und war dann als Gastdirigent von vielen japanischen Orche stern verpflichtet worden. Seit 1975 ist er auch Gast zahlreicher europäischer Klangkörper (in Ungarn, der Schweiz, Holland, der DDR, CSSR, Frankreich, in der BRD und in Westberlin). Kobayashi studierte zunächst an der Universität der schönen Künste und Musik in Tokio Komposition als Schüler von Mareo Ishiketa und schloß von 1966—1970 ein Dirigierstudium (bei Kazuo Yamada und Akeo Watanabe) am gleichen Institut an. Seit Dezember 1978 ist er Chefdirigent des Me tropolitan-Sinfonieorchesters Tokio. Daneben erfüllt er pädagogische Aufgaben als Professor an der Hoch schule für Musik in Tokio. Bei der Dresdner Philhar monie gastierte er 1977 und 1979. ZUR EINFÜHRUNG Im Gegensatz zur Symphonie fantastique op. 14 ist die große viersätzige Programmsinfonie mit obligater Viola „Harold in Ita lien" o p. 16 von Hector Berlioz nur ein höchst seltener Gast in unseren Kon zertprogrammen. Angeregt durch seine ita lienischen Erinnerungen — er gewann 1830 den großen Rompreis und konnte dadurch zwei Jahre auf Kosten des Institut de France in Italien studieren — und seine Begeisterung für den englischen Freiheitsdichter und Ro mantiker Lord Byron komponierte Berlioz das Werk. Doch hat der melancholische Held aus Byrons Gedicht „Childe Harold's Pilgrimage" (1812/18) nur zum Teil als Vorbild dieses Wanderers durch Italien zu gelten. Der eigent liche Mittelpunkt des Geschehens ist wie in der Symphonie fantastique der Komponist selbst, der gewissermaßen ein musikalisches Selbstporträt schuf, in dem er sich mit dem Helden der Dichtung identifizierte. Der Veranlasser des Werkes war Niccolö Pa- ganini, der — hingerissen von der dämoni schen Schilderung des Hexensabbats in der Symphonie fantastique — bei Berlioz ein Bratschenkonzert bestellt hatte (er besaß eine kostbare Stradivari-Bratsche, auf der er gerne musizierte). Doch da er in der ihm von Ber lioz zugedachten Rolle seine Virtuosität nicht zeigen konnte, wies er das Werk, das natür lich kein konzertantes Werk alten Stils gewor den war, zurück, das darauf vom Komponisten zur vorliegenden Programmsinfonie umgear beitet wurde. Die Viola als Soloinstrument blieb. Ihr wurde die Idee fixe, also das den Helden charakterisierende Leitmotiv, anver traut, das in allen Sätzen erscheint. Berlioz sagte hierüber: „Ich nahm mir vor, eine Reihe von Szenen für Orchester zu schreiben, in die sich die Solobratsche wie eine mehr oder minder teilnehmende Figur, die jedoch im mer ihre eigene Art festhielt, einmischen sollte. Ich wollte in der Solobratsche, indem ich sie in die Mitte der poetischen Erinne rungen stellte, die meine Wanderungen in den Abruzzen bei mir hinterlassen hatten, eine Art melancholischen Träumer hinstellen, ungefähr so, wie es Byron's Childe Harold ist." Bei der Pariser Uraufführung des Werkes am 23. November 1834 spielte der Virtuose Chre- tien Urhan den Solopart. Bedeutende Musiker nahmen die Komposition begeistert auf. Liszt, der den Klavierauszug der „Phantastischen Sinfonie" gemacht und auf eigene Kosten hatte drucken lassen, widmete ihr eine wich tige Studie, Hans von Bülow nannte sie „ein erhabenes Werk, das die Nachwelt zu den klassischen Meisterwerken zählen wird“, Pe ¬ ter Cornelius sah in Berlioz gar den direkten Nachfolger Beethovens. Paganini widerrief übrigens sein ablehnendes Urteil, nachdem er das Stück gehört hatte, und überwies dem Komponisten nachträglich noch ein beträcht liches Geldgeschenk. Der erste Satz (Allegro nach langsamer, schwermütiger Einleitung) betitelt sich „Ha ¬ rold in den Bergen" und schildert laut Kom ponist „Szenen der Melancholie, des Glückt und der Freude". In der Adagio-Einleitunl klingt in der Bratsche das Harold-Thema auf, nur von der Harfe begleitet. Nach den melan cholischen Naturbetrachtungen des Beginns entfalten sich im Allegro freundlichere Bilder. Die Schönheit der Landschaft bleibt nicht oh ne Eindruck auf Harold, der endlich aus sei ner Traurigkeit und Einsamkeit erwacht und fröhlich in das Lied der Landbewohner mit einstimmt, in dem sie die heimatlichen Berge preisen. Auch für den zweiten Satz bildet die italieni sche Landschaft den stimmungsvollen Hinter grund. Pilger erscheinen, ihr Abendgebet singend. Die Art und Weise, wie die Pilger ihr Lied vortragen, ist realistisch erfaßt. Harold lauscht teilnahmsvoll (Arpeggi der Viola), bis das Lied der Pilger in der Ferne verklingt. Glocken läuten den Abend ein. Steht dieses Tongemälde an Stelle des langsamen Sinfo niesatzes, so vertritt der dritte Satz gewisser maßen das Scherzo. Programmatisch hören wir das „Ständchen eines Liebhabers in den Abruzzen". Zunächst trällern Oboe und Picco loflöte eine ländliche Weise (die italienischen Pifferari, Schalmeien blasende Hirten, sine' nachgeahmt), dann läßt der verliebte Bursl sein schmachtendes Lied hören (Englischhorn). Streicherpizzicati imitieren sehr hübsch Gitar rengeklimper. Der Gegensatz zwischen diesem Idyll und dem Grübeln Harolds, der dem Ständchen noch nachsinnt, nachdem der Liebhaber und seine Freunde die Szene längst verlassen haben, verleiht dem Satz einen eigentümlichen Reiz. Im letzten Satz, mit dem Berlioz offenbar das Schlußbild seiner „Phantastischen Sinfonie" noch übertrumpfen wollte, fällt Harold unter die Räuber. Angesichts der drohenden Todes gefahr sucht er sich an Episoden seines Le bens, an seine Erlebnisse zu erinnern (daher der Untertitel: Gedenken früherer Eindrücke,