Volltext Seite (XML)
4. PHILHARMONISCHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonnabend, den 11. Dezember 1982, 20.00 Uhr Sonntag, den 12. Dezember 1982, 20.00 Uhr olnillnsrnnoni^ Dirigent: Johannes Winkler Solist: Wladimir Malinin, Sowjetunion, Violine Joseph Haydn 1732-1809 Friedrich Goldmann geb. 1941 Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847 Essay III für Orchester Erstaufführung Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. Allegro molto appasionato Andante Allegro molto vivace Sinfonie Nr. 26 d-Moll (Lamentatione) Allegro assai con spirito Adagio Menuett PAUSE WLADIMIR MALININ, 1935 in Moskau geboren, seit 1943 an der Zentralen Musikschule seiner Heimatstadt ausgebildet, studierte 1953 bis 1958 bei Prof. Ziganow am Moskauer Konservatorium, nahm hier bis 1961 eine Aspirantur wahr und lehrt inzwischen selbst an diesem Institut. Mehrmals errang der Künstler erste Preise bei internationalen Wettbewerben, 1957 anläßlich der IV. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Mos kau und beim Wieniawski-Wettbewerb in Poznan so wie 1959 beim Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüs sel. Konzertreisen führten ihn durch sämtliche Konti nente. Er ist „Verdienter Künstler der RSFSR". Mit der Dresdner Philharmonie musizierte er bereits in den Jahren 1964 und 1974. Richard Strauss 1864-1949 Tod und Verklärung — Tondichtung für großes Orchester op. 24 ZUR EINFÜHRUNG Joseph Haydns leider nur selten aufge führte Sinfonie Nr. 26 d-Moll ent stand wahrscheinlich im Jahre 1768. Es ist eine Passions- und Klagesinfonie, daher ihr Bei name „Lamentatione“. Dem ersten und zwei ten Satz liegen z. T. gregorianische (d. h. mit telalterliche liturgische) Gesänge zugrunde. Im eröffnenden Allegro assai con spirito ist das von der 1. Oboe und den 2. Violinen vor getragene 2. Thema nach einem alten Pas sionschoral gebildet, der von den Staccato- Achteln der 1. Violinen kontrapunktiert wird und den erregten Synkopen des leidenschaft lichen 1. Themas kontrastierend gegenüberge stellt ist. Der Satz stellt gewissermaßen ein kleines Passionsdrama dar. Das Adagio ist über die gregorianische Melodie „Incipit la- mentatio" gestaltet, auf die in der katholi schen Kirche während der Karwoche die La mentationen (Klagegesänge) des Propheten Jeremias gesungen werden. Das Thema wird bei seinem ersten Erscheinen von einer aus drucksvollen Kantilenen der 1. Violinen umspielt. Der abschließende Satz ist — im Sinne der frühklassischen Sinfonie — ein Menuett, jedoch kein stilisierter Tanz, sondern ein elegisches, leise verklingendes Charakterstück, von Pau sen unterbrochen und durch dynamische Ge gensätze gekennzeichnet. Friedrich Goldmann, der im letzten Jahrzehnt im In- und Ausland immer mehr auf sich aufmerksam machende DDR-Komponist und Dirigent, wurde 1941 in Siegmar-Schönau geboren und war 1951 bis 1959 Mitglied des Dresdner Kreuzchores. 1959/62 studierte er bei Prof. Johannes Paul Thilman Komposition an der Hochschule für Musik„Carl Maria von We ber“ in Dresden, war 1962/64 Meisterschüler Prof. Rudolf-Wagner-Regenys an der Akade mie der Künste der DDR und schloß bis 1968 ein Studium der Musikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität bei den Professo ren Ernst Hermann Meyer und Georg Knepler an. Seitdem lebt er als freischaffender Kom ponist in Berlin. Für sein Schaffen wurde er mit dem Hanns-Eisler-Preis (1973) und dem Kunstpreis der DDR (1977) ausgezeichnet. Seit 1978 ist er Mitglied der Akademie der Künste der DDR. Der Essay III für Orchester ent stand 1971. Als eine Art Vorstufe zu seinen Sinfonien „thematisiert" Goldmann in diesem „Versuch" die widerspruchsvolle Einheit von musikalischen Einzel- und Massenereignissen. Es handelt sich um ein dramatisch zugespitztes Stück voller scharfer Kontraste in Gestik, Klangfarbe und Faktur. Abschnitte in serieller und aleatorischer Technik wechseln miteinan der ab und durchdringen einander. Ein Satz voller drängender Intensität und zielstrebig forcierter Bewegung mit dem „sonatischen“ Gegensatz von gestaltlosen Geräuschfeldern und plastischer Motivik wird unterbrochen von einem locker-scherzosen Abschnitt, in denj einzelne Instrumente mit spielerischen Moti ven konzertant hervortreten, und einem stati schen, strenggemessenen Abschnitt, der aus speziell rhythmisierten Klangfarbenverände rungen eines einzigen Tones besteht . Satztechnisch dominiert die ständige Variation von Mikromotiven, die aus einer in drei Vier tonsegmente (B-A-C-H) zerlegten Zwölfton reihe abgeleitet sind. Eine einfache Material konstellation bildet also gleichsam die Folie für verschiedenartigste motivische Verarbei tungsformen und Verwandlungsstufen. Entwick lungen werden aufgebaut und widerrufen, aufgelöst. Die Lebendigkeit und raffinierte Farbigkeit der Gestaltung kompensiert die Ge fahr formaler Glätte, eines Manierismus be reits standardisierter Klangformeln der neue sten Musik. Bauweise und Tonfall des Goldmannschen Es says weisen darauf hin, wie ernst und auch doppeldeutig er seine Genrebezeichnung meint. Nicht allein um eine technische Übung, um das Erproben des Handwerks und neuer Mittel geht es, sondern ebenso um den Ver such kritischer, engagierter Wirklichkeitsbewäl-, tigung mit allem der Musik verfügbaren ernst" haften Anspruch und allen persönlich auszu prägenden Künsten der musikalischen Gestal tung.Dabei stützt sich der Essay legitimerweise — wie es die Bestimmung als literarisches Genre seit je weiß — auf bereits vorgeformte künstlerische oder anderweitige geistige Pro duktion. Von daher bezieht er auch eine ge wisse formale Offenheit, einen spontanen Zug, sein Spiel mit „geprägten" Wendungen, sein durchaus a-systematisches und nicht auf die erschöpfende Abhandlung der Gedanken be dachtes Herangehen in der Gestaltung. Gold mann umriß das dagestellte inhaltliche Pro blem einmal mit der Formulierung: „Versuch gegen die Gleichgültigkeit".