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6. PHILHARMONISCHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonnabend, den 30. Januar 1982, 20.00 Uhr Sonntag, den 31. Januar 1982, 20.00 Uhr plnillnannoooikon Dirigent: Herbert Kegel Chor: Solisten: Jitka Kovarikovä, CSSR, Sopran Ulrik Cold, Dänemark, Baß Philharmonischer Chor Dresden Einstudierung Matthias Geissler Franz Schubert 1797-1828 Sinfonie h-Moll (Unvollendete) Allegro moderato Andante con moto Johannes Brahms 1833-1897 Schicksalslied von Friedrich Hölderlin für Chor und Orchester op. 54 PAUSE Dmitri Schostakowitsch 1906—1975 Sinfonie Nr. 14 für Sopran, Baß und Kammerorchester nach Gedichten von Federico Garcia Lorca, Guillaume Apollinaire, Wilhelm Küchelbecker und Rainer Maria Rilke op. 135 Baß: De profundis (Lorca) — Adagio j Sopran: Malaguena (Lorca) — Allegretto " Sopran/Baß: Sopran: Loreley (Apollinaire nach Brentano) — Allegro molto Der Selbstmörder (Apollinaire) — Adagio Sopran: Sopran/Baß: Auf Wacht 1 (Apollinaire) — Allegretto Auf Wacht II (Apollinaire) — Adagio Baß: Im Kerker der Sante (Apollinaire) — Adagio Baß: Antwort der Saporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel (Apollinaire) — Allegro Baß: An Delwig (Küchelbecker) — Andante Sopran: Der Tod des Dichters (Rilke) — Largo Sopran/Baß: Schlußstück (Rilke) — Moderato ZUR EINFÜHRUNG Die Kunst des großen österreichischen Kompo nisten Franz Schubert war in ihrem Ideengut, ihrem Gestaltungswillen durchaus noch der Wiener Klassik verbunden, wurde je doch durch die Erscheinungen der politischen Restaurations-Epoche in Sujetwahl und For mensprache beeinflußt. Dennoch überwog nicht Pessimismus und Weltschmerz, obgleich vorhan den in seinem Schaffen, sondern vielmehr die Absicht, durch Phantasie und poetischen Rea lismus die „miserable Wirklichkeit" seiner Zeit ^verschönen. uie Unvereinbarkeit zwischen Kunst und Leben, Wahrheit und bürgerlicher Wirklichkeit seiner Zeit erkannte Schubert um so mehr, je reifer er wurde. Seit 1819 bemächtigte sich dieser tra gische Antagonismus seines Liedschaffens, sei ner Kammermusik und schließlich seiner Sinfo- nik. Wie der schmerzlich-heftige Streichquar tett-Satz c-Moll aus dem Jahre 1820 blieb auch die Sinfonie h-Moll von 1822 ein Torso und ging als Schuberts „Unvollendete" in die Musikgeschichte ein. Zwingende äußere Grün de für die Nichtvollendung des Werkes gab es nicht. Daß Schubert es nicht zum Abschluß brachte, lag wohl an der noch nicht überwunde nen Unschlüssigkeit seiner Haltung: Auf der einen Seite spürte er die Übermächtigkeit jener für ihn neuen und schmerzhaften gesellschaft lichen Erkenntnis, auf der anderen Seite konnte er sich nur zögernd von einer alten Illusion lö sen, vom ungetrübten Leben in der Kunst. So müssen wir uns mit den zwei vollendeten Sätzen der Sinfonie begnügen, die uns Schu berts Durchbruch zu einer neuen, konflikthaften sinfonschen Sprache belegen, deutlich am Beethovenschen Vorbild orientiert und doch ^^enständig. Wirklich tragische Gedanken fin- in dem ergreifenden Werk Ausdruck. Nicht die Zerwürfnisse mit dem Vater bilden, wie viel fach angenommen wurde, den Kern des darge stellten Konflikts, sondern seine tragische Le benserfahrung, daß seine humanistische Le bensverbundenheit unvereinbar war mit den sich unaufhaltsam durchsetzenden kapitalisti schen Produktionsverhältnissen, wenn ihm auch diese Usache zu seinem Konflikt mit der Welt letztlich undurchschaubar blieb. Halten wir uns an seine Worte: „Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe. So zerteilte mich die Liebe und der Schmerz“ — darin liegt auch der Leitgedanke seiner „Unvollendeten" beschlossen. Das der Sinfonie in den Bässen gleichsam mot- tohaft vorangestellte düstere achttaktige The ma, das in der Durchführung und der Coda des ersten Satzes (Allegro moderato) eine große Rolle spielt, läßt diesen Leitgedanken deutlich werden. Nach einem schmerzlichen Klagege sang in Oboen und Klarinetten, einem Hornruf stimmen die Celli, dann die Violinen eine wun derbare Ländlermelodie an, die so recht Herz lichkeit, Wärme und Volkstümlichkeit demon striert, deren Schubert fähig war. Aber dieser Gesang von der Liebe wird von brutalen For- tissimo-Schlägen des Orchesters unterbrochen, bis die Melodie wieder Kraft findet, sich durch zusetzen. Wie schon die Exposition spiegelt auch der weitere dramatische Verlauf des ersten Satzes die „Zerteiltheit“ in Schmerz und Liebe wider. Das fatalistische Mottomotiv verwandelt sich in ein heroisches Kampfmotiv. Doch den heftigen Kämpfen und Auseinander setzungen ist kein Sieg beschieden. Mit drei ge bieterischen Schlägen scheint der Schmerz über die Liebe zu siegen, der Tod über das Leben. Der zweite Satz (Andante con moto) versucht, fern von den Kämpfen des ersten Satzes einen Märchenfrieden zu gestalten, seine träume rische Ruhe vor dem Einbruch des Schmerzes, der Realität zu bewahren. Eine friedvolle Kan- tilene vermag denn auch im ersten Teil den Eindruck tiefer Ruhe und Ergebenheit zu erzeu gen. Doch bald kommt es wieder zu einer gro ßen Klageszene. Der Schmerz bricht erneut auf, bis er sich abermals in Liebe verwandelt. In der Reprise scheint dann die Verzweiflung noch gesteigert, bis eine endgültige Besänftigung in Wohllaut und Frieden eintritt. Das Schicksalslied für Chor und Orchester o p. 5 4 vollendete Johan nes Brahms im Mai 1871 in Baden-Baden; es ist, auf Hölderlins Text, das klassisch-antike Gegenstück zur Alt-Rhapsodie, jenem reifen Zeugnis des Goetheschen Sturm und Drang. Auch hier drei Strophen; aber diesmal faßt Brahms die beiden ersten zusammen und stellt, ganz dem Charakter des Textes entsprechend, dem „Langsam und sehnsuchtsvoll“ des An fangs ein stürmisches Allegro entgegen — alles ist auf diesen dramatischen Gegensatz zuge spitzt. Der beginnende Es-Dur-lnstrumentalsatz gehört zu Brahms’ schönsten Gebilden; wieder sordinierte Streicher, wieder der leise Pauken-