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VORANZEIGEN Programm: Programm: 4. ANRECHTSKONZERT Dienstag, den 11. November 1980, 19.30 Uhr - Kongreßhalle Leipzig RUNDFUNK-SINFONIEORCHESTER LEIPZIG Dirigent: WASSILI SINAISKI (UdSSR) Solist: OLEG KRYSSA (UdSSR), Violine GEORGI SWIRIDOW: Kleines Triptychon DMITRI SCHOSTAKOWITSCH: Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 ALEXANDER BORODIN: Sinfonie Nr. 2 h-Moll 5. KAMMERABEND mit Mitgliedern des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig Samstag, den 1. November 1980, 19.30 Uhr • Gohliser Schlößchen MAX-REGER-DUO LEIPZIG (HANS-GEORG JAROSLAWSKI, Violoncello • ULRICH URBAN, Klavier) Werke von FRANCESCO GEMINIANO, CLAUDE DEBUSSY, MAX REGER M —,20 Änderungen vorbehalten! 111-18-123 LpG 697 076 80 GUSTAV MAHLER: SINFONIE NR. 1 D-DUR Der „Werdegang“ der Ersten Sinfonie von Gustav Mahler ist ziemlich verwirrend. Mah ler begann die Komposition 1884 in Kassel und beendete sie 1888 in Leipzig, wo er als Kapellmeister neben Arthur Nikisch am Stadttheater tätig war. Im Oktober 1888 wurde der Achtundzwanzigjährige Direktor der königlich-ungarischen Oper in Budapest. Er dirigierte dort am 20. November 1889 die Uraufführung der Ersten Sinfonie. Auf dem Programm stand: „.Sinfonische Dichtung 1 in zwei Teilen". Der erste Teil sah drei, der zweite Teil zwei Sätze vor. Der vierte Satz trug den merkwürdigen Titel „A la pompes funebres", also — in der Sprache Mahlers — „Wie ein Leichenbegängnis“. Für die übri gen Sätze wurden nur die Tempoüberschriften bzw. die Bezeichnung „Scherzo" mitge teilt. Die Aufführung hatte überhaupt keinen Erfolg. Es kam noch schlimmer. Die nächsten zwei Aufführungen waren am 27. Oktober 1893 in Hamburg und am 3. Juni 1894 in Weimar. Das Werk hatte jetzt einen Titel. Man las (auf dem Hambur- « Programm): „,Titan', eine Tondichtung in Symphonieform". Auch die beiden Teile I die einzelnen Sätze wurden erläutert: „I. Theil. ,Aus den Tagen der Jugend', Blu- n-, Frucht- und Dornstücke. 1. .Frühling und kein Ende' (Einleitung und Allegro comodo). Die Einleitung stellt das Erwachen der Natur aus langem Winterschlafe dar. 2. .Blumine' (Andante). 3. ,Mit vollen Segeln' (Scherzo). II. Theil. .Commedia humana'. 4. .Gestrandet!' (ein Todtenmarsch in .Callot's Manier'). 5. ,Dall' Inferno' (Allegro furioso) folgt, als der plötzliche Ausbruch der Verzweiflung eines im Tiefsten verwun deten Herzens.“ Zumal nach der Weimarer Aufführung wurde das Werk nicht nur scharf kritisiert: Die Presse verband fast ausnahmslos Kritik mit gehässigsten Invektiven. Vermutlich hat Mahler unter dem Eindruck des Mißerfolges die genannten Titel er funden: Der Hörer hatte jetzt etwas, woran er sich halten konnte. Aber konnte er sich wirklich etwas vorstellen? Mit „Titan" assoziierte er allenfalls etwas Heroisches oder Prometheisches. Aber einen längst vergessenen Roman von Jean Paul? Es war nur fol gerichtig, daß Mahler für die vierte Aufführung — in Berlin am 16. März 1896 — sämt liche Überschriften und Erläuterungen wieder fallenließ. Aber nicht genug damit: auch die Gliederung der Sinfonie in zwei Teile verschwand, und der zweite Satz — das „Bluminenkapitel" — wurde gestrichen. In dieser viersätzigen Form, welche auch in Ber lin keinen Erfolg hatte, ist uns das Werk heute bekannt. Es ist Mahlers meistgespielte Sinfonie. Es erweist sich heute, daß Mahlers Erste Sinfonie von einer beispiellosen Kühnheit ist. Dazu gehört auch die ursprüngliche Fünfsätzigkeit, über welche sich die Kritik eben falls völlig verständnislos mokierte. Ob die spätere Unterdrückung des „Bluminenka- pitels", eines zwar schon typisch Mahlerschen, aber etwas nostalgischen und sicher schwächeren Satzes, für die jetzige Werkgestalt von Vorteil war oder nicht — man muß ^^anerkennen. Die Reduktion auf die klassische Vierzahl nimmt indes dem merkwür- ^Hbn Sinfoniegebilde nichts von seiner Kühnheit. Mahler schreibt für die Einleitung des ersten Satzes vor: „Wie ein Naturlaut". Fal lende Quarten — dieses Intervall ist für alle vier Sätze konstitutiv — imitieren Kuckucks rufe. Der „Normalklang" wird durch ein irritierendes Streicherflageolett auf dem 56 Takte langen Orgelpunkt auf A verfremdet. Was Mahler hier beschwört, ist nicht mehr Naturidylle: Es ist die entfremdete Natur. Idyllisch dagegen der eigentliche Hauptteil des Satzes. Hier wird ein ganzes Lied — ohne Text — in die sinfonische Struktur inte griert. Es ist das zweite von Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen" — entstanden noch vor 1885. Was aber auf der Höhe des Satzes — in der Durchführung — sich zu trägt, ist von ganz anderer Art und wird eigentlich erst im Nachhinein verständlich. Die Musik dehnt sich wie ein Körper und lädt sich mit Erwartungsmomenten auf, bis, gleichsam von Außen, ein neuer Charakter durchbricht. Diese kompositorische Idee hat Konsequenzen. Mahler verschmäht hier den üblichen Themen-Dualismus. Ein am An-