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5. ZYKLUS- KONZERT KONTRASTE Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonnabend, den 26. Januar 1980, 20.00 Uhr Sonntag, den 27. Januar 1980, 20.00 Uhr ohilhsrnooniio Dirigent: Johannes Winkler Solist: Siegfried Lorenz, Berlin, Bariton Chor: Philharmonischer Kammerchor Dresden Einstudierung Herwig Saffert Jan Dismas Zelenka 1679-1745 Ouvertüre „Hypocondria" Zum 300. Geburtstag des Komponisten Erstaufführung Igor Strawinsky 1882-1971 Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Richard Strauss 1864-1949 Pater noster für vierstimmigen gemischten Chor a cappella (1926) Ave verum corpus — Motette für Chor und Streichorchester KV 618 5 Lieder für Bariton und Orchester Heimliche Aufforderung Traum durch die Dämmerung Morgen! Ich trage meine Minne Zueignung PAUSE Joseph Haydn 1732-1809 Sinfonie Nr. 104 D-Dur (Londoner) Adagio — Allegro Andante Menuetto Allegro spirituoso ZUR EINFÜHRUNG Von den Meistern der Dresdner Hofkapelle, die in der Epoche Johann Sebastian Bachs das Musikleben am kurfürstlichen Hofe prägten, hat der Tscheche Jan Dismas Zelenka (1679—1745) am längsten auf seine Wiederent deckung durch die Musikpraxis des 20. Jahr hunderts warten müssen. Um so eindrucks voller haben sich der Musikwelt in den letzten Jahren Rang und Eigenart seines kompositori schen Vermächtnisses offenbart. Besonders im Jubiläumsjahr 1979 gewannen Aufführungen an vielen Orten der Musik Zelenkas zahlreiche neue Bewunderer. Zelenka, der in Prag vermutlich als Zögling eines Jesuitenkollegiums aufgewachsen war und seit 1709 der Kapelle des späteren Grafen Hartig angehört hatte, wurde 1710 als Kon trabassist in die sächsische Hofkapelle aufge nommen. Seine kompositorische Begabung ließ ihn im Laufe einiger Jahre zum amtierenden Kapellmeister für die Hofkirchenmusik aufrük- ken, doch wurde ihm der Titel eines Kapell meisters niemals zuteil, sondern lediglich der mit keinerlei Rangerhöhung verbundene eines „Kirchencompositeurs". Zelenka hat für die katholische Schloßkapelle — die Hofkirche Chiaveris wurde erst 1751 geweiht — rund 170 Werke geschaffen und darüber hinaus einen Fundus von Werken anderer, vorwiegend ita lienischer Komponisten auf eigene Kosten zu sammengetragen. Die Hauptmasse dieses SIEGFRIED LORENZ wurde 1945 In Berlin geboren. 1964 bis 1969 studierte er an der Berliner Musikhoch schule bei Alois Orth. Schon als Student konnte Sieg fried Lorenz schöne Erfolge verzeichnen, so bei der Teilnahme am Internationalen Schubert-Wettbewerb 1967 in Wien, beim Internationalen Bach-Wettbewerb 1968 in Leipzig, wo er den 3. Preis erhielt, beim In ternationalen Wettbewerb 1969 in Toulouse, der ihm die Silbermedaille brachte, beim Internationalen Schu mann-Wettbewerb 1969 in Zwickau, wo er wiederum den 3. Preis erhielt. Beim Internationalen Budapester Musikwettbewerb 1970 errang er den 1. Preis in der Sparte Gesang. 1973 und 1974 wurde er Preisträger internationaler Gesangswettbewerbe in Montreal (Ka nada) und Paris. Seit 1969 wirkte er als lyrischer Ba riton an der Komischen Oper Berlin und vertritt jetzt dieses Fach an der Deutschen Staatsoper Berlin. In der Zwischenzeit war er einige Jahre (1973—1978) So list des Leipziger Gewandhauses. Konzertreisen führ ten den geschätzten Oratorien- und Liedersänger in viele Länder; zahlreiche Funk-, Fernseh- und Schall plattenaufnahmen wurden produziert. Siegfried Lo renz erhielt in Anerkennung seiner künstlerischen Tätigkeit 1976 den Kunstpreis der DDR. Materials hat sich erhalten und bildet heute in der Sächsischen Landesbibliothek einen be vorzugten Gegenstand musikhistorischer For schungen. Die Komposition von Orchestermusik gehörte nicht zu Zelenkas Dresdner Amtspflichten, so daß diese Werkgruppe in seinem Schaffen zahlenmäßig zurücktritt. Die überlieferten Con certi, Sinfonie und Suiten stehen zum größten Teil mit einem einzigen Anlaß in Verbindung, nämlich der Krönung des habsburgischen Kai sers Karl VI. zum König von Böhmen im August 1723. Das gilt auch für das im heuti gen Konzert erklingende Werk, das den pro grammatischen Titel „Hypocondria" führt. Es ist eine jener musikalischen „Charak terstudien", wie sie besonders von den franzö sischen Clavecinisten seit dem 17. Jahrhundert gepflegt wurden. Zelenkas Gestaltungsabsicht wird noch klarer, wenn man auf die von ihm im Original gebrauchte Schreibweise „Hipo- condie" zurückgeht, also die italienische Plu ralform des Begriffs „Hypochondrie". Musika lisch ausgedrückt wird demnach ein depressi ver Gemütszustand, der sich durch jähe Stim mungsumschwünge auszeichnet. Die Wahl die ses Themas mag für die Hörer der Prager „Ur aufführung" insofern besonders beziehungs voll gewesen sein, als die von Johann Joseph Fux komponierte Krönungsoper den Titel „Co stanza e Fortezza", also „Beständigkeit und Stärke" führte. Zelenka bedient sich für seine Darstellung der Form der französischen Ouvertüre. Dem Sche ma entsprechend, beginnt er mit einer langsa men, gravitätischen Einleitung, wie sie schon bei Lully als musikalisches Abbild einer selbst gewissen herrscherlichen Machtentfaltung ver standen wurde. Aber schon nach wenigen Tak ten trübt sich die Stimmung, und es mischej sich erste elegische Töne ein. Die Einleitung wird wiederholt. Es folgt, wiederum der Ouvertürenform gemäß, ein rascher fugierter Hauptteil, in dem Zelenka die polyphone Schreibweise mit souveräner Freiheit hand habt. Das Hauptthema, unwirsch und gewis sermaßen „verbohrt", liegt in beständigem Streit mit freundlicheren Nebengedanken, die, sobald sie die Oberhand zu gewinnen schei nen, von überraschenden Tutti-Ausbrüchen hin weggefegt werden. Ebenso überraschend mün det der Satz in einen langsamen, mit „spre chenden Pausen" durchsetzten Schluß, in dem die Lebensgeister stillzustehen scheinen, und klingt mit einer rührenden Gebärde der Erge benheit aus.