Volltext Seite (XML)
ZUR EINFÜHRUNG Mit „Don Juan", Tondichtung für großes Orchester op. 20, gelang dem 24jährigen Richard Strauss ein bedeutender Wurf, ein — wie es ernst Krause treffend formulierte — „Jungmeisterstreich voll überschäu mender Lebenskraft und Ausdruck vorbehaltlosen Lebensoptimismus". Bis heute hat das Werk, das der Komponist selbst 1889 in Weimar zur Uraufführung brachte, nichts an ursprünglicher Wirkungskraft verloren. Mit der geschmeidi gen Klanggebärde des „Don Juan", der die Linie Berlioz-Liszt weiterentwickelte, gab Strauss ein für alle Mal die Quintessenz der ihm eigenen Musizierhaltung seines Instrumentalstils. Diese Musik ist von einem hinreißenden, jugendlichen Feuer erfüllt, von ungestümer geistig-sinnlicher Aussagekraft. „Don Juan“ ist das Werk eines leidenschaftlichgegen bürgerliches Spießertum protestierenden Stürmers und Drängers, der die poetische Idee seines Tonwerkes in Nikolaus Lenaus Fragment „Don Juan" fand, aus dem er Teile der Partitur voransetzte. Die wichtigsten Verse sind: „Den Zauberkreis, den unermeßlich weiten, Von vielfach reizend schönen Weiblichkeiten Möcht’ ich durchziehn im Sturme des Genusses, Am Mund der Letzten sterben eines Kusses. O Freund, durch alle Räume möcht' ich fliegen, Wo eine Schönheit blüht, hinknien vor jede Und wär’s auch nur für Augenblicke, siegen ... Ja! Leidenschaft ist immer nur die neue; Sie läßt sich nicht von der zu jener bringen, Sie kann nur sterben hier, dort neu entspringen. Und kennt sie sich, so weiß sie nichts von Reue . ..“ Strauss folgte also einem bestimmten literarischen Programm, jedoch nicht in illustrativer Absicht, sondern indem er den Empfindungsgehalt des Gedichtes realistisch zum Klingen brachte. Lenaus Verse stellen gewissermaßen Leitge danken dar, die in der Tondichtung — in freier Sonatenform — dargestellt werden. Mit einem kühnen E-Dur-Thema wird sogleich der verwegene, von Sinnlichkeit getriebene Held, der von der Begierde zum Genuß jagt, vorgestellt. Dann folgt das kraftvolle, von pulsierenden Holzbläsertriolen bestimmte „Don-Juan"-The ma, dessen stürmisch-glutvolle verführerische Klanggestalt den unwiderstehlichen Kavalier und Abenteurer symbolisiert. Ein verzücktes Violinsolo deutet auf eine schwärmerische Frau, die in Don Juans Bann gerät. In einer neuen Liebes situation zeigt uns sodann eine seufzende Oboenmelodie den Helden. Plötzlich tritt — in den Hörnern, von den Violinen umschwirrt — das suggestiv-präg nante, sehr energische zweite „Don-Juan"-Thema auf: der Höhepunkt des Werkes ist erreicht. Don Juan gelangt zur Besinnung, der Sinnenrausch ver löscht. Nach äußerst klangvollen Steigerungen kommt es zu einem Moll-Aus klang, der wie eine Auflösung fast ununterbrochener Spannungen wirkt. Paul Hindemith, einer der großen Repräsentanten der zeitgenössischen bürgerlichen deutschen Musik, ist in seiner musikgeschichtlichen Leistung heute längst nicht mehr umstritten. Sein Schaffen gehört zu den bedeutenden, be reits klassisch gewordenen Zeugnissen der Musik unseres Jahrhunderts. In sei ner Sturm- und Drangzeit, in den Jahren 1921 bis 1926, durch seine mutwilli gen kompositorisch-stilistischen Experimente zu einem musikalischen „Bürger schreck" geworden, machte Hindemith seit 1931 eine künstlerische Entwicklung durch, die ihn schließlich zu einer abgeklärten, seriösen, wenn auch nicht wider spruchsfreien Position führte bei weitgehender Rückkehr zu den (allerdings stark erweiterten) tonalen Traditionen der Musik. Den Krisen der bürgerlichen Musik der zwanziger Jahre suchte er mit seinen „Spielmusiken“ zu begegnen, mit denen er nach einer neuen Verbindung zum volkstümlichen Musizieren strebte. Aus kritischer, wenn auch nicht konsequenter Sicht der bürgerlichen Welt erwuchs seine zeitweilige Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht („Das Lehr stück", „Lindberghflug"). Indem er in seiner neoklassizistischen Periode der „neuen Sachlichkeit“ auf die polyphonen und konzertanten Traditionen der deutschen Musik zurückgriff, opponierte er gegen die Klanghypertrophien der Wagner-Epigonen. Seit den 30er Jahren verband er seine handwerklich-kon struktiv ausgerichtete, betont polyphone Schreibweise immer mehr mit einem breit ausladenden, harmonisch bestimmten, ja sich zur Hymnik steigernden Stil. Das umfangreiche kompositorische Schaffen Hindemiths umfaßt nahezu alle Gattungen der Musik. Der Künstler wurde 1895 in Hanau geboren, studierte am Hochschen Konser vatorium in Frankfurt am Main Komposition bei Arnold Mendelssohn und Bernhard Sekles sowie Violine bei Adolf Rebner. Von 1915 bis 1923 war er als Konzertmeister am Frankfurter Opernhaus tätig. In den zwanziger Jahren ge hörte er dem berühmten Amar-Quartett als Bratschist an und unternahm auch als Bratschensolist ausgedehnte Konzertreisen. Mit Joseph Haas organisierte er die Donaueschinger Kammermusikfeste. 1927 wurde er Professor für Kom position an der Berliner Musikhochschule, bis ihn die faschistischen Machthaber 1934 zur Emigration zwangen. Hindemith lebte zunächst in der Schweiz und in der Türkei, sodann in den USA, deren Staatsbürger er 1946 wurde, und seit 1953 vorwiegend wieder in der Schweiz. Auch als Dirigent — vor allem eigener Werke — erwarb er internationalen Ruf. 1963 verstarb er in Frankfurt am Main. Das am 14. März 1940 in Amsterdam uraufgeführte Konzert für Vio line und Orchester wurde 1939 komponiert. Sein Grundcharakter ist lyrisch, wie er dem Wesen der Geige entspricht. Breite Melodien durchziehen das Werk. Solist und Orchester spielen sie sich gegenseitig zu, in linearer Ausbreitung oder kontrapunktischer Verdichtung. Das konstruktive Prinzip und die melodische Kontinuität prägen das geistige Profil dieser Musik, die gleich wohl dem Soloinstrument auch Möglichkeiten zu brillantem Spiel einräumt. Im ersten Satz (Mäßig bewegte Halbe) schwingt sich über verhaltenem Pau kenrhythmus und Streicherklang die Solovioline in edler Kantabilität mit dem Hauptthema empor, dem noch weitere lyrische Gedanken folgen entsprechend der formschöpferischen Anwendung des reihenden Prinzips, das Hindemiths Konzerte kennzeichnet, auf die klassische dreiteilige Konzertform. Der lang same Mittelsatz gehört zum erweiterten Liedtypus Hindemiths. Das gesang liche Hauptthema deuten zunächst die Holzbläser in einer kurzen Einleitung an, ehe es die Solovioline übernimmt. Der Satz, der einen lebhafteren Mittel teil aufweist, ist ein Musterbeispiel für die fließende Melodik des reifen Stils des Komponisten. Unmerklich wächst eine Melodie aus der anderen hervor, selbst „Figuren" des Soloinstrumentes sind dem melodischen Baugesetz unter worfen. Das Finale (Lebhaft) beginnt mit einem trotzigen Unisono-Motiv des vollen Orchesters, das abgelöst wird vom brillanten, kapriziösen Hauptthema, das die Solovioline, rhythmisch markiert von den Holzbläsern, einführt. Mit einem später erklingenden breiten lyrischen Thema der Sologeige, das so gleich großartig entwickelt wird, findet der — übrigens äußerst virtuos ange legte — Satz zum lyrischen Grundton des Werkes zurück und führt ihn zugleich zu einer hymnischen Steigerung. Antonin Dvoraks 9. und letzte Sinfonie e-Moll op. 95 ent stand 1893 in New York während des Amerikaaufenthaltes des tschechischen Meisters. Er war 1892 in die „Neue Welt" gekommen, um drei Jahre lang als Direktor des Konservatoriums in New York tätig zu sein. Die Rationalität und Betriebsamkeit des amerikanischen Lebens, die neuen Maschinen, Wolkenkrat zer usw. machten großen Eindruck auf Dvorak, der sich gewiß gerade auf die Gestaltung des ersten und letzten Satzes der 9. Sinfonie, seines ersten .amerikanischen" Werkes, ausgewirkt hat. Besonders wichtig jedoch waren die