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DRESDNER PHILHARMONIE Sonnabend, den 28. Januar 1978, 20.00 Uhr Sonntag, den 29. Januar 1978, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 6. ZYKLUS-KONZERT und 6. KONZERT IM ANRECHT C HEITERE MUSIK AUS DREI JAHRHUNDERTEN Dirigent: Herbert Kegel Solist: Peter Rösel, Dresden, Klavier Georges Bizet 1838-1875 Jean Francaix geb. 1912 Sinfonie C-Dur Allegro vivo Adagio Allegro vivace Allegro vivace Concertino für Klavier und Orchester Presto leggiero Lent Allegretto — Rondeau (Allegretto vivo) Igor Strawinsky 1882-1971 PAUSE Capriccio für Klavier und Orchester Presto — Andante rapsodico — Allegro capriccioso ma tempo giusto George Gershwin 1898-1937 Ein Amerikaner in Paris - Sinfonische Dichtung PETER RO'SEL wurde 1945 in Dresden geboren. Seit 1951 erhielt er Klavierunterricht von Inge- borg Finke-Siegmund. Noch dem Abitur studierte er an der Musikhochschule seiner Heimatstadt. 1963 errang er den 2. Preis beim III. Internationalen Schumann-Wettbewerb in Zwickau. 1964 bis 1969 setzte er seine Studien am Moskauer Konservatorium fort. Seine Lehrer waren die Pro fessoren Dmitri Baschkirow und Lew Oborin. Beim III. Internationalen Tschaikowski-Wettbewerb 1966 in Moskau gewann er einen 6. Preis für die DDR bei einer internationalen Konkurrenz von 60 Pianisten. Beim IV. Internationalen Musikwettbewerb in Montreal (Kanada) im Juni 1968 erhielt Peter Rösel die vielbeachtete Silbermedaille. Der junge Künstler, der bereits zahl reiche Rundfunk-, Fernseh- und Schallplattenaufnahmen produzierte, konzertierte bisher erfolg reich in vielen Ländern Europas, Asiens und in Nordamerika. Bei der Dresdner Philharmonie ist er seit 1968 ständiger Gast. Er zählt heute nicht nur zu den erfolgreichsten Künstlern der DDR, sondern auch zu den Besten seines Faches im europäischen Maßstab. 1972 wurde er mit dem Kunstpreis der DDR ausgezeichnet, seit 1976 ist er Solist des Gewandhausorchesters Leipzig. ZUR EINFÜHRUNG Zu den genialsten Komponisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich zählt Georges Bizet. 1838 als Sohn eines Gesangslehrers in Paris geboren, wurde der hochbegabte Knabe bereits im Alter von neun Jahren Schüler des pariser Konservatoriums, wo J. F. Halevy und zeitweilig auch Charles Gounod zu seinen Lehrern gehörten. Während der zehnjährigen Studienzeit errang der junge Bizet zahlreiche Preise. Neunzehnjährig erhielt er schließlich den Großen Rompreis, der ihm einen längeren Studienaufenthalt in Italien ermöglichte. 1863 wurde im Pariser Theätre lyrique seine große Oper „Die Perlenfischer" uraufgeführt — ohne Erfolg. Es entstanden weiter die Opern „Iwan der Schreckliche", „Das schöne Mädchen von Perth", der Einakter „Djamileh , die Bühnenmusik zu Daudets „L'Arlesienne" und viele andere heitere und tragische, zum Teil unvollendete Bühnenwerke. Bizets We.'truhm begründete seine Oper „Carmen", deren Uraufführung am 3. März 1875 in der Pariser Ope.a comique vor einem ablehnenden Publikum stattfand, das für den Realismus die ser genialen Musik kein Verständnis hatte. Tief enttäuscht starb der sechsund dreißigjährige Bizet wenige Monate darauf, am 3. Juni 1875, in Bougival bei Paris an einem Herzleiden. Der Schwerpunkt von Bizets Schaffen liegt zwar auf dem Gebiet des Musik theaters, doch umfaßt sein umfangreiches, kaum genügend bekannt gewordenes Gesamtwerk auch die anderen Gattungen der Musik. Die Sinfonie C-Dur ist ein Frühwerk des Komponisten, der sie 1855, im Alter von siebzehn Jahren, schuf. Bis zum Jahre 1935 war sie unbekannt. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde sie im Pariser Konservatorium entdeckt. Die Uraufführung erfolgte am 26. Februar 1935 in Genf unter der Leitung Felix von Weingartners. Es handelt sich bei dieser Sinfonie um mehr als eine erstaunliche Schülerübung, die stilistisch sowohl an Haydn und Mozart als auch an Schubert anknüpft. Sie ist von einer Pe:fektion und einer verblüffenden Leichtigkeit in der Schreibweise, die kaum auf einen so jugendlichen Verfasser schließen läßt. Die vollendete Struktur, die Anmut und der Charme ihrer Aussage sowie die Frische der Inspiration lassen sie zu einer ursprünglichen Schöpfung werden, wenn sie auch, trotz alledem, ein wenig ana chronistisch anmutet. Das Werk ist auf den vier traditionellen Sätzen aufgebaut. Der erste Satz, ein Allegro vivo, wirkt lebhaft und jugendlich. Der zweite, ein träu merisches und melodisches Adagio, verrät in seinem Hauptthema bereits den zukünftigen Bizet. Der dritte Satz (Allegro vivace) ist ein heiteres Menuett, der vierte (Allegro vivace) ein lebensvolles und sprühendes Finale. Der französische Komponist Jean Franqaix wurde 1912 in Le Mans geboren. Er studierte in Paris Komposition bei Nadja Boulanger und Klavier bei Isidor Philippe. Die mit leichter Hand geschaffenen Werke von Franpaix zeichnen sich durch spielerische Eleganz, transparente Klanglichkeit und vorwiegend heiter unterhaltenden, humorvollen Charakter aus. Sie sind tonal konzipiert und streben nach pointierten, gelegentlich ironischen Wirkungen. In vielen Kompositionen knüpft Francaix an die Tradition des Divertissements des 18. Jahrhunderts an. Bestimmend für seine Entwicklung wurde der späte Ravel und Strawinsky, von denen er den Sinn für Kurzformen, für Klarheit und Sparsamkeit der Mittel lern'e. Nicht zu unterschätzen war auch der Einfluß Nadja Boulangers auf ihn, deren Stilideal das des „neoklassizistischen" Strawinsky war. Neben instrumentalen Werken machten auch Bühnen- und Filmmusiken den sein Handwerk sicher be herrschenden Künstler bekannt. Typisch für Jean Franpaix ist das 1932 entstandene, Madame Boulanger gewid mete Concertino für Klavier und Orchester, das der Komponist selbst als Solist im April 1958 mit der Dresdner Philharmonie musizierte. Das völlig unprätentiöse, unproblematische Stück überrascht durch die Schlichtheit und den Charme seiner Gedanken. Die Idee des gleichsam barocken Konzertierens im ersten Satz, die Naivität des langsamen Satzes, die Keckheit des Trompeten solos im Menuett und die fünfachteltaktige Moto-perpetuo-Bewegung des Rondo- Finales machen den Reiz dieser geistreichen, gefälligen und vergnüglichen Mu sik aus.